Glücksspielsucht: Es beginnt online
Glücksspielsüchtige werden immer jünger. Das Modellprojekt "Gamer Over" geht deshalb in Schulen, um aufzuklären. Jetzt gibt es erste Ergebnisse.
Tom ist 14, als er mit seinen Freunden nach der Schule zum ersten Mal ins Casino geht. Er kommt immer wieder, versenkt sein Taschengeld. Schon morgens steht er vor den Automaten. Stiehlt Geld aus dem Portemonnaie seiner Mutter. Als Toms Eltern – nach vielen Lügengeschichten – endlich herausfinden, was mit ihm los ist, schicken sie ihn ins Café Beispiellos, eine Beratungsstelle der Caritas für Glücksspielsüchtige. Für die Internetseite des Cafés hat der 16-Jährige seine Geschichte aufgeschrieben, er ist dankbar, dass er dort unterstützt wird. „Allerdings vermisse ich das Spielen sehr und denke oft daran.“
Glücksspielsüchtige werden immer jünger, die 14- bis 30-Jährigen gelten als Hauptrisikogruppe. 65 Prozent der 16- und 17-Jährigen haben laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) schon um Geld gespielt. Besonders anfällig: junge Männer, gering qualifiziert, arbeitslos oder von Armut bedroht.
Vorbeugen soll das Modellprojekt „Gamer Over“ der Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbh. Sozialarbeiterin Lydia Römer besucht Schulen oder Bildungsträger, um Jugendliche über Risiken zu informieren. Die Kurse sind kostenfrei und dauern bis zu drei Stunden, auf Wunsch länger. Römer befragt die Schüler zu ihren Erfahrungen mit Wetten, Automaten- oder Online-Spielen. Und räumt mit Vorurteilen auf. Denn jeder zweite glaubt laut einer Befragung der Fachstelle für Suchtprävention, dass man mit Sportwetten viel Geld verdienen kann – wenn man sich nur in der Sportart auskennt. „Dabei hat das nichts mit Wissen zu tun, sondern mit Glück. Das Geld, das ich gewonnen habe, ist schnell wieder weg“, sagt Römer. Bei ihren Schulbesuchen zeigt sich: Vor allem die Jungs haben schon Erfahrung mit Glücksspiel. Römer will die Schüler dazu bringen, aufeinander zu achten und nachzufragen, wenn ein Klassenkamerad tagelang nicht in die Schule kommt. Die Kurse sensibilisieren aber auch die Lehrer für das Problem.
„Gamer Over“ wird von der Senatsgesundheitsverwaltung finanziert und ist zunächst auf Mitte und Spandau beschränkt. Doch die Fachstelle bekommt längst auch Anfragen anderer Bezirke. In einer Auswertung der ersten sechs Wochen – von Mitte September bis Ende Oktober – sagten 42 Prozent, das Seminar habe sie zum Nachdenken angeregt. Mehr als die Hälfte sieht Glücksspiele kritischer. Und drei von vier Jugendlichen wissen nun, an wen sie sich bei Problemen wenden können.
Berlin hat seit 2011 das strengste Spielhallengesetz in Deutschland. Doch die Sucht beginnt oft online, zum Beispiel mit Pokerspielen, oder in Imbissen mit Automaten. „Wenn Prominente wie Boris Becker oder Ronaldo für Glücksspiel werben, trägt das seinen Teil dazu bei“, sagt Dorina Kunzweiler-Holzer, Referentin bei der Fachstelle. Nach Schätzungen der BZgA sind etwa 27 600 Berliner krankhaft glücksspielsüchtig. Rechnet man die Einkünfte aus der Vergnügungssteuer auf die Einnahmen hinunter, dann stecken sie täglich 500 000 Euro in die Automaten.
Glücksspielsucht ist seit 2001 als Krankheit anerkannt. Viele Betroffene fliegen erst auf, wenn sie schon hochgradig verschuldet sind. „Heute können Sie auch 50-Euro-Scheine in einen Automaten stecken und dann in einer Sitzung 800–900 Euro verspielen“, sagt Daniel Buchholz, der für die SPD im Abgeordnetenhaus sitzt und sich für „Gamer Over“ einsetzt. Gordon Schmid vom Café Beispiellos kann sich gut vorstellen, dass „Gamer Over“ das Problembewusstsein Jugendlicher schärft. Die meisten Betroffenen, die sich bei ihm melden, haben bereits eine mehrjährige „Spielerkarriere“ hinter sich, hohe Schulden und das Vertrauen von Freunden und Familie verloren. „Je früher klar wird, was das Spielen anrichten kann, desto mehr Jugendliche fangen hoffentlich gar nicht erst damit an.“
Infos: www.berlin-suchtpraevention.de und www.cafe-beispiellos.de