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Perinatalzentren sind auf die besondere Situation von Frühgeborenen spezialisiert.
© dpa

Frühgeborene: Eingriff bei den Kleinsten

Jedes zehnte Kind wird zu früh geboren. Oft müssen sie auch operiert werden. Chirurgen arbeiten dann mit besonders feinen Instrumenten und Lupenbrillen

Man kann sie kaum mehr zählen, die Jahrestage, an denen spezieller Krankheitsbilder gedacht wird. Der heutige Welt-Frühgeborenen-Tag hat jedoch zwei Alleinstellungsmerkmale: Es geht nicht nur um die kleinsten Patienten unseres Gesundheitssystems, sie stellen zugleich die größte Gruppe unter den Kindern, die medizinische Betreuung brauchen. 63 000 Babys, das ist etwa ein Zehntel aller Neugeborenen, sind in Deutschland im vergangenen Jahr vier Wochen oder mehr zu früh auf die Welt gekommen. Sie mussten früher als von der Natur vorgesehen mit ihren eigenen Organen atmen, verdauen und nicht zuletzt die vielfältigen Sinneseindrücke aus einer ihnen neuen Welt verarbeiten.

Die Häufigkeit von Frühgeburten nimmt zu. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie erhöht das Alter der Mütter das Risiko, ebenso wie Mehrlingsschwangerschaften nach künstlichen Befruchtungen und Wohlstandskrankheiten wie Übergewicht. Fast jedes zehnte Frühgeborene muss bereits in den ersten Lebenswochen operiert werden. "Wir müssen davon ausgehen, dass das ein extremer Stress ist", sagt Bernd Tillig, Direktor der Klinik für Kinderchirurgie am Vivantes Klinikum Neukölln. Umso wichtiger sei es, die Kinder in großen Perinatalzentren zu behandeln, in denen Spezialisten verschiedener Fachdisziplinen sich gemeinsam um sie und ihre Angehörigen bemühen.

Bei einigen Fehlbildungen kann man zwar heute versuchen, einen chirurgischen Eingriff noch ein paar Wochen hinauszuschieben. Häufig geht das aber nicht, etwa wenn in dem kleinen, noch unreifen Organismus ein Darmverschluss droht. "Oft muss innerhalb von Minuten von einem interdisziplinären Team entschieden werden", sagt Tillig. Operationen am Darm sind am häufigsten. Sie sind nötig bei Infektionen, Durchblutungsstörungen, oder auch, wenn sich der unausgereifte Darm im Bauch des Babys verdreht hat. Die Kinderchirurgen arbeiten dann mit besonders feinen Instrumenten, mit speziellem Nahtmaterial und mit vergrößernden Lupenbrillen, unter Umständen auch in "Schlüsselloch-Technik". Alles muss schnell gehen, der kleine Patient darf nicht auskühlen, seine Lebensfunktionen müssen besonders sorgfältig überwacht werden.

Und er braucht unbedingt eine Narkose, die den Schmerz ausschaltet. Seit Jahrzehnten gibt es andererseits die Besorgnis, dass die verwendeten Mittel im Säuglingsalter Gift für das sich entwickelnde Gehirn sein könnten. Ein Dilemma. Zunächst hatten Untersuchungen mit jungen Nagern gezeigt, dass Narkosemittel Nervenzellen des Hippocampus schädigen können, der für die Funktion des Gedächtnisses wichtig ist. Später gab es auch Hinweise darauf, dass Kinder, die als Babys operiert werden mussten, später vermehrt Lern- und Aufmerksamkeitsschwächen haben. Sie stammten allerdings aus rückblickenden Studien, in die viele Faktoren eingeflossen sein können. Die Kinder, die früh einen chirurgischen Eingriff gebraucht hatten, waren schließlich zuvor krank gewesen und hatten den allgemeinen Stress einer Operation aushalten müssen. "Es ist kaum möglich, Faktoren, die nichts mit der Anästhesie zu tun haben, auszuschließen", sagt Claudia Höhne, Anästhesistin am Uniklinkum in Leipzig.

Inzwischen ist das Wissen über die Besonderheiten der Körperfunktionen von Frühgeborenen beträchtlich gewachsen. "Wir wissen, dass wir während des Eingriffs auf eine warme Umgebung achten müssen, dass wir kurz wirksame Mittel verwenden sollten und dass die Durchblutung und Sauerstoffversorgung des Gehirns extrem wichtig sind."

In Berlin gibt es sechs Krankenhäuser, die über Perinatalzentren verfügen: die Charité, das Evangelische Waldkrankenhaus Spandau, das Helios-Klinikum Buch, das Sana-Klinikum Lichtenberg, das St.-Joseph-Krankenhaus in Tempelhof sowie die Vivantes-Kliniken Neukölln und im Friedrichshain.

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