Hirnentwicklung: Schwieriger Frühstart für graue Zellen
Wenn Frühchen im Inkubator schlechter wachsen, als sie es im Mutterleib getan hätten, entwickelt sich auch ihre Großhirnrinde schlechter – und zwar unabhängig von Geburtsgewicht oder -zeitpunkt und anderen Erkrankungen wie Infektionen oder Blutungen.
Wenn Frühchen im Inkubator schlechter wachsen, als sie es im Mutterleib getan hätten, entwickelt sich auch ihre Großhirnrinde schlechter – und zwar unabhängig von Geburtsgewicht oder -zeitpunkt und anderen Erkrankungen wie Infektionen oder Blutungen. Das berichten Forscher um Steven Miller von der Universität von British Columbia in Vancouver in der Fachzeitschrift „Science Translational Medicine“. Die Großhirnrinde ist die oberste, graue Schicht des Gehirns. Hier werden zum Beispiel Sinneseindrücke verarbeitet, Entscheidungen getroffen, Erinnerungen gespeichert und bewusste Bewegungen gesteuert.
Wenn ein Baby viel zu früh auf die Welt kommt, ist die drängendste Frage: „Was wird aus meinem Kind?“ Dank Hochleistungsmedizin überleben heute rund drei Viertel der Kinder, die nach 24 bis 25 Wochen Schwangerschaft oder mit einem Gewicht zwischen 500 und 750 Gramm geboren werden. Doch ausgerechnet das letzte Trimester, in dem die Großhirnrinde größer wird, sich immer mehr faltet und Verbindungen zwischen den Nervenzellen wachsen, verbringen sie im Brutkasten. „Auch wenn sie sich in den ersten Lebensjahren scheinbar normal entwickeln, brauchen später bis zu 40 Prozent Hilfestellungen, wenn es in die Schule geht“, sagt Christoph Bührer, Direktor der Neonatologie der Charité. Mathematik, schlussfolgerndes Denken und Aufgaben, die eine simultane Informationsverarbeitung erfordern, fallen diesen Kindern mitunter schwerer als anderen.
Miller und seine Kollegen haben die Entwicklung von 95 frühen Frühchen verfolgt, die mit 24 bis 32 Wochen geboren wurden. Zusätzlich zu den Routineuntersuchungen wurden die Kinder kurz nach der Geburt und zum errechneten Geburtstermin in einen Hirnscanner gelegt. Anders als bisher angenommen war es nicht die weiße Hirnmasse, sondern die grauen Zellen in der Großhirnrinde, die sich bei den langsam wachsenden Kindern schlechter entwickelten.
Forscher um den Kinderneurologen Stephen Back von der Oregon Health and Science Universität in Portland zeigten außerdem, dass eine zu geringe Sauerstoffzufuhr bei Schafföten nicht unbedingt zum Tod von Nervenzellen führt. Stattdessen würden weniger Verknüpfungen zwischen den Zellen gebildet. „Wenn das Gehirn so in seiner Entwicklung gestört wird, bilden sich also keine Narben“, sagt Bührer. Vielmehr verändere sich die Mikroarchitektur des Gehirns. Die moderne Neonatologie versuche, die Bedingungen im Mutterleib im Inkubator so genau wie möglich nachzustellen. Wie gut das tatsächlich gelingt, zeige sich erst mit fünf Jahren. jas
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