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Kongress "Die besten Chefärzte": Die Grenzen müssen weg

Praxis, Krankenhaus, Reha - das deutsche Gesundheitswesen ist in streng getrennte Sektoren unterteilt. Doch an den Übergängen verzweifeln oft die Patienten.

Leider ist die stark arbeitsteilige, spezialisierte und in Sektoren unterteilte medizinische Versorgung, in der viele an ihren Bereichsgrenzen aufhören, sich für den nächsten Versorgungsschritt verantwortlich zu fühlen, noch immer ein Kennzeichen der deutschen Gesundheitsversorgung. Doch diese Grenzen sind für die Patienten ein Ärgernis oder schlimmer: Sie verzögern mitunter die Genesung.

Wenn niedergelassene Ärzte die Notwendigkeit einer weiteren Abklärung durch spezialisierte Fachärzte feststellen, überlassen sie es oft den Patienten, diese im freien Markt selbst zu finden und einen zeitnahen Termin zu erkämpfen. Durchsetzungsfähige und mobile Personen finden leichter, was sie brauchen. Alte und hilfebedürftige Patienten warten auf der langen Bank.

Haben die Ärzte eine schwere Erkrankung festgestellt, folgt die Einweisung in eine Klinik. Dann werden unter Umständen weitere Versorgungsschritte notwendig: Rehabilitation, die Organisation von Hilfsmitteln, die Vermittlung von Hauskrankenpflege, vielleicht der Übergang in eine Pflegesituation oder die Organisation von Betreuungsdiensten.

Betrachtet man die Beschwerden und Anfragen im Amt der Patientenbeauftragten, dann spielen die nicht funktionierenden Übergänge an diesen Versorgungsfeldern eine große Rolle: Die Patienten sehen, erleben und organisieren den ganzen Vorgang um ihr Anliegen herum, aus ihrer Sicht und nach ihren persönlichen Erfordernissen. Doch diesen zentralen Blick auf das Geschehen haben die versorgenden Profis oft nicht. Leistungsanbieter agieren jeweils nur innerhalb ihrer eigenen Handlungsfelder und – wie wir wissen – der komplizierten Finanzierungsregeln der Kostenträger. Jenseits des eigenen Aktionsradius oder der eigenen Ertragserwartungen sollen sich andere kümmern. So entstehen Brüche, Versorgungslücken und Hilflosigkeit.

Gesundung und Heilung gelingen aber nur, wenn all diese Schritte ineinander greifen, wenn die Belange einer kranken Person patientenzentriert angegangen und verbindlich professionell gelöst werden. Dafür ist ein gemeinsam koordiniertes Vorgehen notwendig und sollte eigentlich selbstverständlich sein.

Es ist in jedem Fall hilfreich, einen Dialog zwischen niedergelassenen und Klinikärzten zu führen und ein Forum für die bessere Zusammenarbeit an den Übergängen der verschiedenen Handlungsfelder und Leistungsbereiche zu schaffen, so wie es auch der Tagesspiegel mit seinem Kongress anstoßen will.

Doch solange man die medizinische Versorgung in alten Hierarchiemodellen denkt, kann es keine Änderung geben. Der Dialog von zuweisenden Ärzten mit Chefärzten mag eine fachlich bessere Kooperation ermöglichen. Die Ausrichtung auf das Chef-Denken verschenkt aber die Möglichkeiten der Einbindung beispielsweise des Engagements junger Ärzte und der ergänzenden medizinischen Professionen vor allem in der Pflege. Die Überwindung von Sektoren bedeutet auch den Abschied vom Überlegenheitskult der Chefärzte.

Und was geschieht nach dem Krankenhausaufenthalt? Dort wartet wieder eine Grenze. Nur ein Bruchteil der Patienten wird in ein professionelles klinisches Entlassungsmanagement einbezogen. So kommt es beispielsweise zu fehlender Krankenpflege oder Haushaltshilfe für Personen, die sich (meist alleinlebend) nach einer schweren Operation oder Krebsbehandlung noch nicht selbst versorgen können.

Zwischen einem stationären Krankenhausaufenthalt und der notwendigen Reha kann durch schlechte Organisation eine Behandlungs- und Finanzierungslücke entstehen, die eine zeitnahe Genesung verzögert und nicht selten Familien in der Versorgung eines noch nicht selbstständigen Patienten überfordert. Die wenigen strukturierten Behandlungsprogramme sind Alibis für die fehlende systematische Koordination der Versorgung chronisch Kranker und als Konzept nie wirklich weiterentwickelt worden.

Gerade alte Menschen werden bei der Regelung ihrer komplexen Versorgungserfordernisse zwischen medizinischer und pflegerischer Versorgung oft alleingelassen. Die Anzahl von alten Patienten, die zwischen verschiedenen Leistungsanbietern eher hin und her geschoben als gut abgestimmt betreut werden, nimmt auffällig zu. Insbesondere bei alten, multimorbiden, alleinstehenden und armen Menschen wird ein fehlendes personenorientiertes Patientenmanagement immer problematischer.

Alle sehen es und es gibt eine Vielzahl von rechtlichen und gesetzlichen Vorgaben zur Zusammenarbeit, für eine bessere Abstimmung oder ein Versorgungsmanagement, aber selektive Programme oder Modelle bleiben vereinzelt nebeneinander stehen. Fragt man nach, warum eine systematische und strukturierte Neuorientierung der Versorgung nicht gelingt, kommt mit Sicherheit der Verweis auf die Zuständigkeit der Anderen, des Bundesgesetzgebers, der Kassen, des Staates, der Fachverbände und so weiter. Solange die Akteure auf die angeblich fehlende zusätzliche Finanzierung für das notwendige ergänzende Personal für Kooperation verweisen können, bleiben sie in ihrem umzäunten Garten des Bestehenden und verweisen auf die eigene Handlungsunfähigkeit. Hilfe für bedürftige Patienten ist somit oft ein Verweisungskarussell, bei dem man möglichst schaut, nicht am Ende der Kette zu stehen. Kooperation und Zusammenarbeit sehen anders aus und verlangen endlich den Wechsel der Blickrichtung: nicht die Interessen der einzelnen Versorgungsbereiche dürfen den Weg vorgeben, sondern die konkreten Belange und Hilfebedarfe der einzelnen Menschen.

Ja, es gibt eine hochspezialisierte weitentwickelte medizinische Versorgung in Deutschland (auf die wir zurecht stolz sein können). Ja, es gibt sehr viele engagierte Professionelle im System, die ihre Arbeit sehr gut machen. Aber das Beharren jedes Sektors auf seinen eigenen Zuständigkeiten oder Finanzierungslogiken und damit das Festhalten an einem unzulänglichen Status quo ist erschreckend.

Für eine alternde Gesellschaft sind aber dringend echte neue Lösungen notwendig, die eine lokal und patientenzentrierte für das Gemeinwesen und den lebensraumnahen Bereich konzipierte Kooperation über Sektorengrenzen hinweg vorsehen.

Schon sehr lange werden Konzepte für eine bessere Integrierte Versorgung diskutiert. Aber alle Versuche, die unsinnige Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung aufzuheben, müssen als erfolglos gelten. Da gibt es Insellösungen für den Erhalt eines unsinnigen Wettbewerbs zwischen Krankenkassen oder eine „ambulant-spezialfachärztliche Versorgung“, die so bürokratisch und überreguliert ist (und dazu von den Kassenärztlichen Vereinigungen blockiert wird), dass sie nicht wirklich etwas mit neuen Versorgungsmodellen zu tun hat. Der Weg in einen dritten Sektor kann damit als gescheitert betrachtet werden.

Alle politischen Versuche, die scheinbaren Besitzstände von selbständigen Ärzten, wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Kliniken, Finanzierungsmonopolen der Kassen oder sonstiger Stakeholder anzugehen, sind an mächtigen Lobbys und einer überkomplexen Gesetzeslage gescheitert. Doch eine Versorgung, die unnötige Doppelstrukturen in der fachärztlichen Versorgung vorhält, die dem ambulanten und stationären Bereich unterschiedliche Budgets, Behandlungsmethoden, Medikationen und Qualitätsvorgaben festschreibt und immer andere Verantwortliche für die Sicherstellung ausreichender Angebote definiert, ist komplett überholt.

Und diese Sektorenverbohrtheit gibt es auch zwischen den Kostenträgern: Es ist absurd, dass alte kranke Menschen mühsam um eine geriatrische Reha bei ihren Krankenkassen kämpfen müssen, weil der „gesundheitliche Gewinn“ eher der Pflegeversicherung zugutekommt und sich damit für die Kassen nicht rechnet.

Einen guten Vorschlag hat meines Erachtens ein Autorenteam mit einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung kürzlich gemacht: „Patienten zuerst – für eine patientengerechte sektorenübergreifende Versorgung im deutschen Gesundheitswesen“. Darin werden sehr klare Empfehlungen für den Weg gegeben.

Will man Voraussetzungen für sektorenübergreifende Versorgung schaffen, gilt es, eine einheitliche Honorierung der Leistungen unabhängig vom Versorgungsbereich zu finden, ebenso wie eine übergreifende Klassifizierung von Krankheiten und des Behandlungsgeschehens sowie eine gemeinsame sektorenübergreifende Qualitätssicherung.

Eine einheitliche Planung müsste beispielsweise die hausärztlichen Grundversorgung anhand der Bevölkerungszahl und in größeneinheitlichen Planungsregionen angehen. Natürlich ist für eine bessere Koordination und Kommunikation die Verantwortung für Steuerung und Begleitung von Patienten verbindlich festzulegen sowie eine lebendige hausarztzentrierte Versorgung zu schaffen. Telemedizin und E-Health-Anwendungen sind zu stärken. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in kompetenten ambulanten Einrichtungen sollten ermöglicht werden und schließlich die Versorgung stärker durch medizinisch-pflegerische Teams erbracht werden.

Es gibt daneben viele andere gute Vorschläge: Die Diakonie hat kürzlich nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer sektorenübergreifenden Versorgung vor allem von alten Menschen hingewiesen. Oder der Vorschlag der Robert-Bosch-Stiftung für „Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung – PORT“, mit denen eine stärkere Anbindung an wohnortnahe gemeinwesenorientierte Versorgung vorgeschlagen wird.

Wo also sind die mutigen Politiker und Politikerinnen, die endlich anfangen, die Versorgung zukunftsfähig zu machen?

Zu Karin Stötzner:

Die Autorin ist die Patientenbeauftragte des Landes Berlin.

Die Grenzen im deutschen Gesundheitswesen seien für die Patienten oft ein Ärgernis, meint die Berliner Patientenbeauftragte. Vor allem die Zahl der älteren Patienten, die sich zwischen den verschiedenen Leistungsanbietern eher hin und her geschoben als gut abgestimmt betreut fühlten, nehme auffällig zu.

Eindrücke vom Tagesspiegel-Kongress "Die besten Chefärzte" gibt es hier:

Karin Stötzner

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