So bleiben Sperrmüllentsorger fit: Das geht aufs Kreuz
Sperrmüllentsorger und Möbelpacker haben einen besonders anstrengenden Beruf. Was tun sie, um sich nicht den Rücken zu ruinieren? Ein Besuch bei der Berliner Stadtreinigung.
Es ist ein ganz besonderer Service, den die Berliner Stadtreinigung BSR ihren Kunden bietet, einen Service, der in dieser Form sogar deutschlandweit einzigartig ist. BSR-Mitarbeiter holen angefallenen Sperrmüll vor Ort ab, egal, ob dieser sich in der vierten oder fünften Etage ohne Aufzug befindet oder im Keller. Je nach Auftrag führen die BSR-Sperrmüllentsorger ganze Wohnungsauflösungen durch, demontieren Schlafzimmermöbel oder entsorgen Waschmaschinen.
Insgesamt 19 Sperrmüllteams der BSR sind in der Stadt unterwegs, 14 arbeiten in der Frühschicht, fünf in der Spätschicht. Lutz Paelchen ist einer von ihnen, und er ist vornehmlich in der Frühschicht unterwegs. Sie beginnt um sechs Uhr morgens. Ein Team besteht immer aus drei Mitarbeitern und zwei Fahrzeugen. Zwei rücken mit einem Müllpressfahrzeug an, einer fährt einen Kleintransporter, in dem der Elektroschrott landet. Um sieben Uhr morgens sind die drei beim ersten Kunden. Selten wissen die Sperrmüllentsorger vorher, was sie bei einem Termin erwartet. Nur eines ist sicher: Die Arbeit geht auf den Rücken, die Schultern und die Knie. „Der ganze Körper ist beansprucht“, sagt Lutz Paelchen. „Dazu kommt das Treppenlaufen – das ist anstrengend.“
Der Bewegungsablauf bei den Sperrmüllentsorgern ist ein anderer als beispielsweise bei der Müllabfuhr, entsprechend ist auch die Beanspruchung eine andere. „Es gibt spezielle Techniken für rückenschonendes Arbeiten“, sagt Betriebsärztin Stefanie Seele. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin, Rettungsmedizin und Betriebsmedizin ist seit 13 Jahren beim betriebsärztlichen Dienst der BSR beschäftigt. Dabei gehe es um ein spezielles Ausbalancieren von Gewicht und Größen. „Große Teile sollte man eigentlich zu zweit tragen“, sagt Lutz Paelchen, aber oft sei das schwierig, weil es beispielsweise in den Treppenhäusern zu eng ist. „Dann trägt man besser die Dinge alleine und nimmt weniger.“ Mit „weniger“ meint der Schleppprofi Möbelstücke mit einem Gewicht zwischen 40 und 60 Kilogramm. Eine Waschmaschine hingegen könne man gut zu zweit mit der Sackkarre nach unten transportieren. Aber „es gibt auch Kollegen, die eine Waschmaschine alleine auf den Rücken nehmen. Ein Kollege hilft lediglich beim Aufladen.“ Abgesehen von der Sackkarre gibt es keine anderen Hilfsmittel wie zum Beispiel Tragegurte oder Ähnliches.
Lutz Paelchen wirkt durchtrainiert, unter seiner orangen Arbeitskleidung zeichnet sich eine ausgeprägte Arm- und Rückenmuskulatur ab. Der 53-Jährige ist gut in Schuss, ein Sportstyp. Er arbeitet seit zweieinhalb Jahren bei der Sperrmüllentsorgung, vorher war er bei der Sonderabfallentsorgung und hat hauptsächlich Container transportiert. In den 24 Jahren, die er inzwischen für die BSR arbeitet, hat er in seiner Freizeit immer Ausgleichssport betrieben, insofern kann er nicht beurteilen, wie es ihm körperlich ginge, wenn er sich privat nicht fit gehalten hätte. „Wenn ich um 15 Uhr nach Hause komme, kann ich mich nicht hinlegen und nichts tun“, sagt Paelchen.
Das ist auch der Grund, warum er sich ehrenamtlich bei der BSR engagiert. Bereits vor Jahren hat er sich zum Gesundheitslotsen ausbilden lassen. Die BSR hat die nebenamtliche Tätigkeit der Gesundheitslotsen als Präventionsmaßnahmen inzwischen im Betrieb etabliert. Ursprünglich kamen diese Mitarbeiter als Suchtkrankenhelfer zum Einsatz, inzwischen betreuen sie auch Kollegen in anderen Gesundheitsbelangen. Lutz Paelchen arbeitet nebenamtlich auch als Rückentrainer. Zwei Jahre lang hat er sich nach Feierabend ausbilden lassen. Seit etwas über einem Jahr bietet er nun jeden Dienstag für seine Kollegen ein einstündiges Rückentraining an. Es sei einfacher, wenn ein Mitarbeiter sich mit Problemen an einen Kollegen wende und nicht an einen Externen, sagt Betriebsärztin Stefanie Seele. Insofern habe sich das System der Gesundheitslotsen bei der Berliner Stadtreinigung bewährt. Seit 2012 wurden weitere acht Mitarbeiter zu Präventionskräften ausgebildet.
Zum Rückentraining bei Lutz Paelchen kommen aber nicht nur Kollegen von der Sperrmüllentsorgung, sondern auch Kollegen, die vorwiegend am Schreibtisch arbeiten – und ebenfalls mit Rückenproblemen zu kämpfen haben. „Ganz ohne Bewegung wird der Mensch auch krank“, sagt dazu Stefanie Seele. Dies bestätigt auch Heino Kienapfel, Chefarzt für Orthopädische Chirurgie und Unfallchirurgie am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum. Der Leiter des Endoprothetik-Zentrums Max und des Wirbelsäulenzentrums kennt die klassischen Berufskrankheiten von Möbelpackern oder Sperrmüllentsorgern, die durch Überbelastung entstehen. Die Folgen regelmäßigen schweren Schleppens können langfristig gravierend sein. Lendenwirbelsäule, Brustwirbel, Schultergelenke sowie Hüft- und Kniegelenke können betroffen sein. Wenn beispielsweise die Pufferung der Bandscheiben fehlt, müssen die Facettengelenke die Arbeit übernehmen. Diese werden bei Überbeanspruchung dicker. Und da dazwischen die Nervenstränge verlaufen, kann es dazu führen dass das Rückenmark eingeengt wird. „Dann entsteht eine Spinalkanalstenose“, sagt Chefarzt Kienapfel. Das bedeutet eine Einengung des Rückenmarkskanals. „Starke Rückenschmerzen, auch ein hexenschussartiger Schmerz sind die Folge“, sagt Kienapfel. Wenn die Pufferung verloren geht, können auch die Kreuzdarmbeingelenke in Mitleidenschaft gezogen werden. „Wenn diese auch nicht mehr funktionieren, ist als Nächstes die Hüfte betroffen“, so der Orthopäde.
Grundsätzlich verlaufen die Beschwerden biomechanisch von oben nach unten. Da die Bandscheiben altersbedingt ohnehin spröde werden und in ihrer Funktion nachlassen, sei es seiner Ansicht nach wichtig vorzubeugen. Zum einen sollte man möglichst das Körpergewicht halten und zum anderen die Muskulatur fit halten. Und neben der Rückenmuskulatur auch die vorderen Muskeln, also die Bauchmuskulatur, trainieren.