Künstlerin Isa Genzken im Interview: „Zu Tokio Hotel tanze ich wie ein Teenager“
Isa Genzken kennt die Euphorie des Nachtlebens und die Abgründe der Psychiatrie. Warum sie Jeff Koons blöd findet, Wolkenkratzer und eine Berliner Bar liebt
Isa Genzken, 67, gilt als wichtigste deutsche Künstlerin der Gegenwart. Sie studierte in Hamburg, Berlin und Düsseldorf – ihren Kunstprofessor Gerhard Richter heiratete sie. Seit der Scheidung lebt Genzken wieder in Berlin. Im Martin-Gropius-Bau läuft bis zum 26. Juni eine große Retrospektive
Frau Genzken, Sie werden als Künstlerin weltweit gefeiert und verehrt. Normalerweise geben Sie keine Interviews. Zuletzt haben Sie Ihre Installationen und Skulpturen unter erschwerten Bedingungen angefertigt.
Ich habe die vergangenen zehn Jahre teilweise in der Psychiatrie verbracht. Seit einem halben Jahr darf ich leben, wie ich möchte.
Bei Ihnen wurden eine bipolare Störung und eine manische Depression diagnostiziert. Wie geht es Ihnen jetzt?
Morgens muss ich Tabletten nehmen und noch einmal abends. Ansonsten führe ich ein selbstbestimmtes Leben.
Wir treffen uns in Ihrem Charlottenburger Atelier. Ein Poster von Dürers Selbstporträt hängt an der Wand, Münzen haben Sie auf dem Boden festgeklebt, es liegen mehrere Fotos herum, als Vorbereitung für die nächste Ausstellung in New York. Vor drei Jahren hatten Sie bereits eine große Schau im Museum of Modern Art, nun läuft im Martin- Gropius-Bau eine Retrospektive von Ihnen. Was hat Ihnen bei der Eröffnung am besten gefallen?
Das Gebäude! Die Säulen, das ganze Gold. Da bekam ich ein kaiserliches Gefühl. Und das ist nicht einfach in Berlin. Es ist eine Genugtuung, hier auszustellen, in der Stadt, in der ich lebe.
Als Sie im MoMA zeigten, schrieb die „Welt“: „ein Einzug in das Pantheon der modernen Kunst“.
Wenn man dort ausstellt, ist das ein Ritterschlag. Danach kann ich in jedes Hotel in Manhattan gehen und an der Rezeption erklären: Hören Sie, ich habe schon im MoMA ausgestellt, ich will ein Zimmer, mein Galerist zahlt alles. Im Waldorf-Astoria rufen sie dann bei David Zwirner an, der übernimmt die Rechnung, und ich kann bleiben.
Merken Sie diesen Bedeutungszuwachs auch an den Preisen, die für Ihre Werke bezahlt werden?
Mit meiner Kunst habe ich immer genug Geld verdient, um die Flüge in die USA allein zu zahlen. Während meiner Ehe mit Gerhard Richter …
… der teuerste zeitgenössische Künstler der Welt war Ihr Professor in Düsseldorf, von 1982 bis 1993 waren Sie mit ihm verheiratet und lebten in Köln …
… ich brauchte ihn nie darum zu bitten, mir diese Reisen zu bezahlen. Ansonsten hätte er mich vermutlich nicht fahren lassen. Unsere Beziehung war sehr gut, nur ist er ein Naturmensch und liebt es, am Wochenende im Wald Pilze zu sammeln. Einmal bin ich mitgegangen, Gerhard Richter hat nicht lange gebraucht, um welche zu finden. Die koche ich jetzt für dich, hat er gesagt. Hat sogar gut geschmeckt, war kein giftiger darunter.
Nach New York wollte er demnach nicht mit?
Nur einmal. Da hatte ich bei Marian Goodman eine Ausstellung, Gerhard Richter begleitete mich. Er sagte gleich nach der Ankunft: Diese Stadt mag ich nicht. Na, da war ich schon bedient. Ihm gefiel der blaue Himmel. Ich habe ihn gefragt: Und die Wolkenkratzer etwa nicht?
Nach Ihrer Scheidung sind Sie Mitte der 1990er Jahre wieder nach Berlin gezogen, wo Sie bereits 30 Jahre zuvor als Teenager lebten.
Ich wollte aus Köln weg, weil ich geschieden und sehr unglücklich darüber war. Hab angefangen zu saufen und zu saufen, habe mich sehr unangemessen benommen – wegen dieses Unglücks mit meinem Mann! So viel habe ich getrunken, dass mir die Stricher alles Geld geklaut haben. Ich holte von der Bank 1000 Euro ab, ging in die „Blue Boy Bar“ in Schöneberg ...
... in der sich fast 24 Stunden lang schwule Freier und Kunden treffen ...
... und da haben mir die Stricher die Taschen geleert. Am nächsten Tag bin ich wieder zur Bank und habe mehr geholt. Das ging lange so. Eines Tages bin ich hingefallen, mit meinem Kopf auf den Boden geknallt. Daraufhin ließ mich meine Mutter in die Psychiatrie einweisen.
Sie behaupten, Ihre Mutter habe Sie entmündigt und eingewiesen?
Sie wollte Schauspielerin werden, das war ihr Traum, nach dem Krieg ging das nicht. Dann ist sie als erste Frau in Deutschland in die amerikanische Pharmaindustrie eingestiegen, hat viel Geld verdient. Sie wusste über Pillen Bescheid, da hat man ihr natürlich geglaubt wegen ihres Berufs. Dass ich mich wegen meines Ex-Mannes besoffen habe, auf die Idee kam keiner. Aber die Pillen haben nicht geholfen, das sage ich Ihnen gleich.
"Mein ganzes Leben wollte ich nicht eingesperrt sein"
Was half stattdessen?
Eines Tages hat meine Ärztin gesagt: Frau Genzken, Sie dürfen keinen Tropfen Alkohol mehr trinken, sonst kommen Sie hier nie wieder raus. Mein ganzes Leben wollte ich nicht eingesperrt sein. Also bin ich trocken geworden. Seit drei Jahren habe ich keinen Alkohol angerührt.
Während dieser ganzen Zeit haben Sie weiter Ihre berühmten Assemblagen geschaffen. Schaufensterpuppen, die mit Ihren Klamotten bekleidet sind, Stelen, auf denen Spiegelfolie klebt. Damit thematisieren Sie unseren Umgang mit Schönheit.
Das ging, wenn ich drei Stunden Ausgang hatte und in mein Atelier durfte. Das war gut für mich. In der Psychiatrie habe ich einmal probiert, an meiner Kunst zu arbeiten, die wurde dann weggeschmissen. Weil die dachten, das wäre kein Kunstwerk. Ich hatte einen Mantel entworfen, den habe ich aus Resten zusammengeklebt, Stoffe auseinandergerissen, eine Schere hat mir eine Schwester heimlich zugesteckt, das durfte sie eigentlich nicht. Daraus habe ich einen schönen Mantel gemacht, und der war plötzlich weg.
Zum Glück verkaufen Sie gut in Europa und in den Vereinigten Staaten. Eine Arbeit von Ihnen kostet schon mal 100 000 US-Dollar und mehr.
Gut? Nehmen Sie Jeff Koons, der ist meine Generation, viel schlechter als ich, aber so viel teurer. Das finde ich ungerecht.
Haben Frauen es schwerer auf dem Kunstmarkt?
Nein, die sind einfach nicht so gut. Die besten Künstler sind schwul. Nehmen Sie Leonardo da Vinci, Michelangelo, auch Gerhard Richter.
Moment, Sie waren mit ihm verheiratet, er hat vier Kinder aus zwei Ehen.
Das geht doch. Ich finde, ich bin auch schwul und ein guter Künstler. Schwule Künstler sind viel sensibler und feiner.
Ihr Zitat: „Ich bin der beste Schwule.“
Nein, es heißt: Ich bin der höchste Schwule der Welt. Den Satz habe ich selber erfunden, in New York. In den späten 80er Jahren bin ich oft in die „Sound Factory“ gegangen, einen Nachtclub in Manhattan, da waren nur Schwule erlaubt. Ich ging allein hin und kam beim Türsteher sofort durch. Der Raum war komplett schwarz, die einzige Beleuchtung richtete sich auf die Bühne. Darauf habe ich getanzt, sieben Stunden lang. Der DJ hat mich die ganze Zeit angefeuert: „Germany is coming!“ Die „Sound Factory“ war der absolute Hit in meinem Leben. Sieben Stunden vor 3500 Schwulen, danach sind Sie selber schwul.
Ihre Liebe zu New York haben Sie bereits früher entdeckt.
Mit 16 bin ich das erste Mal nach New York gereist, meine Mutter hatte zwei Halbschwestern, die als Stewardessen arbeiteten. Die beiden haben uns eingeladen in ihre Wohnung in der Lexington Avenue. Schon bei der Ankunft habe ich gespürt: Das ist meine Stadt. Ich liebe sie immer noch am meisten von allen Städten, die ich kenne. Diese Architektur kann man nicht kopieren.
Welches Gebäude hat Ihnen besonders imponiert?
Das Empire State Building. Dort musste man durch mehrere Schleusen, bis man drin war. Das hat mir gefallen: Sicherheit ohne Ende. Das Gefühl brauche ich. Das Chrysler Building mag ich nicht, das macht mir Angst – der ganze Marmor, diese Tiere an der Fassade, diese Spitze ganz oben.
Für Manhattan haben Sie einmal Hochhausentwürfe aus Plastikbechern und Haushaltmüll entworfen. Wie sähe Ihr Wolkenkratzer aus, könnten Sie das Projekt realisieren?
Ein riesiges Warenhaus am Hudson River, von dem aus man auf den Fluss schaut, auf Segelschiffe und ein paar Partyboote. Ganz oben wohne ich. In dem Gebäude gäbe es viele Etagen. Eine mit Schwimmbad, eine mit Restaurants, eine für Luxuskleidung, eine für günstige Mode, eine mit Sauna, eine mit einem Darkroom – und es gäbe eine Diskothek, die Tag und Nacht auf hätte.
Haben Sie gern Tage durchgetanzt?
Nein, ich habe immer zwischendurch geschlafen.
Aber Tanzen ist Ihnen ziemlich wichtig.
Ich musste Ballett lernen, da war ich noch ein Kind. Eine russische Tänzerin, eine ältere Dame, hat mir einen Stock in den Rücken reingestoßen, wenn ich nicht richtig durchdrückte. In Köln als junge Frau habe ich Steppen gelernt, ein halbes Jahr mit Candida Höfer, einer sehr guten Künstlerin, wie ich finde, und damals engen Freundin. Das war gar nicht so einfach, mit den Schuhen auf dem blanken Boden.
"In New York habe ich noch nie Depressionen gehabt"
In Ihrer Berliner Ausstellung sieht man, wie Sie in einer Shoppingmall in Manhattan tanzen. Ihnen geht es richtig gut, wenn Sie drüben sind.
In New York habe ich noch nie Depressionen gehabt.
Bleiben Sie doch dort, wenn Sie sich da viel besser fühlen!
Da bin ich sentimental: Ich bin in Deutschland geboren, hierher muss ich zurück. Auch wenn die Deutschen verrückt sind. Die Amerikaner sind nur easy-going. Wenn man etwas verliert, sagen sie: „Buy another one!“ Was hat mich meine Mutter angebrüllt, wenn ich nicht wusste, wohin ich den Schlüssel gelegt hatte. Im Waldorf-Astoria bleiben sie locker, wenn ich ihnen sage, ich habe den Zimmerschlüssel verloren. Dann heißt es nur: „Don’t worry, we have tons of keys!“ Ich habe mir das immer vorgestellt, tonnenweise Schlüssel, toll!
Ein furchtbarer Schock war es, als Sie 2001 die Attentate auf das World Trade Center miterlebten.
Ich befand mich im Fahrstuhl des Hilton Hotel, in dem es eine Direktübertragung der Ereignisse auf einen Bildschirm gab. Ich konnte gar nicht glauben, was ich da sah. Für mich wirkte das wie ein Spielberg-Film. Ich ging abends zum World Trade Center und war entsetzt. Da war noch der Rauch am Himmel, die Menschen haben die Reste aufgesammelt, Stühle, Möbel, das war die Hölle.
Wie haben Sie das künstlerisch verarbeitet?
Für mein Kunstbuch „Ground Zero“ habe ich einen Vorschlag für das Gelände gemacht: einen Park mit vielen Gebäuden, für viele Menschen, wo es ihnen gut gehen sollte, mit einem Parkhaus und einer Disco darin.
Enttäuscht es Sie, wie jetzt das neue World Trade Center ohne Club aussieht?
Gar nicht, das neue Gebäude sieht herrlich aus. Das Mahnmal mit dem Wasserbecken fand ich sehr schön.
Trotz Ihrer Einweisung in die Psychiatrie konnten Sie die ganze Zeit nach New York reisen?
Unter Aufsicht war das möglich. Das Gesetz in Deutschland besagt, wenn man betreut wird, darf man reisen. Und wenn sich die Reise auf den Beruf konzentriert, geht es sowieso. Am Anfang waren es zwei Pfleger, die mitmussten, jetzt ist es nur ein Betreuer, der mit mir fliegt. Das Flugticket erster Klasse, das Zimmer im Waldorf-Astoria für ihn – nett wie ich bin, bezahle ich das.
Und zurück in Berlin, wo finden Sie Ruhe?
In meinem Atelier und in meiner Schöneberger Wohnung. Da kann ich zu Fuß in die „Blue Boy Bar“, ich gehe da zum Frühstück hin, trinke einen Kaffee, keinen Alkohol, ein Glas Red Bull, das macht mich frischer.
In dem schummrigen Lokal läuft ständig Radio auf höchster Lautstärke.
Ich liebe Musik um mich herum. Jetzt spielt hier keine im Atelier, aber normalerwiese ist immer das Radio an. Ich bin mit einem Vater aufgewachsen, der laut Wagner hörte. Einmal habe ich ihn gefragt: Können wir nicht Mozart hören? Da guckt er mich an und sagt: Mozart hat in den Gassen gesungen, Wagner nie! Ich war noch nie in einem Wagner-Konzert, einmal habe ich mir eine Schallplatte gekauft, „Tristan und Isolde“, die Ouvertüre war so wahnsinnig schön, dass ich meinem Vater zustimmen musste.
Was hören Sie im Atelier am liebsten?
Hauptsache, Musik – ich bin süchtig danach. Mal höre ich Techno, weil ich mich dazu am besten bewegen kann. An anderen Tagen wieder was ganz anderes. Zu Tokio Hotel tanze ich wie ein Teenager.
Zu einem anderen Musikliebhaber, dem Fotografen Wolfgang Tillmans, haben Sie eine gute Beziehung.
Er wohnt mir gegenüber, wir sehen uns fast nie, denn er reist die ganze Zeit herum. Aber wenn er da ist, sind wir sehr nett zueinander. Wir sagen, wir sind befreundet.
Was bedeutet Ihnen Freundschaft?
Wenn ich kein Geld habe, jemanden anrufe, und der andere sagt: Komm vorbei, ich gebe dir welches. Das macht nicht jeder.
Sie dürften doch genug verdienen.
Wenn ich einen Freund anrufe, habe ich keines zu Hause. Auf der Bank, ja, die hat aber zu am Wochenende. Sehen Sie, die Psychiatrie erlaubt mir keine Geldkarte. Ich darf nur mit Erlaubnis etwas direkt am Schalter abheben. Will ich mehr als eine bestimmte Summe, muss ich den Betreuer anrufen. Gerade für die Arbeit ist das manchmal schwierig. Als ich Büsten der Nofretete kaufen musste, wollte er sie erst nicht bezahlen. Zu teuer, fand er.
Sie haben aus den Gipsabdrücken ein Kunstwerk gemacht, indem Sie die Büsten mit Sonnenbrillen verschönerten. Von Flohmärkten?
Nein, die mag ich gar nicht. Ich bin ein moderner Künstler und kein Gebrauchtwarenhändler. Die lagen alle zu Hause rum, was sich über die Jahre so angesammelt hatte.
Die Büsten stehen nun im Martin-Gropius-Bau.
Die wurden um die Ecke gemacht, auf der anderen Hofseite ist die Gipswerkstatt der Staatlichen Museen. Und wer war vor mir da, als ich eine neue Serie bestellen wollte? Jeff Koons.
Den haben Sie sowieso gefressen.
Die haben mir gesagt, Frau Genzken, die Nofreteten sind ausverkauft, Jeff Koons will alle Abdrücke kaufen. Das ist ein Amerikaner, der klaut, der kriegt die nicht, habe ich ihnen gesagt. Und er hat sie nicht bekommen.
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