Gerhard Richter: Der Faktor Willkür
Gerhard Richter, der heute 80 wird, gilt als teuerster zeitgenössischer Künstler. Seine Bilder werden für mehr als 20 Millionen Dollar gehandelt. Aber wer legt diese Preise auf dem Kunstmarkt überhaupt fest? Und wer ist bereit, die zu zahlen?
Alfred Schmela war der wichtigste Kunsthändler Düsseldorfs, als er im Herbst 1964 dem jungen Maler Gerhard Richter dessen zweite Galerieausstellung ermöglichte. Schmela zeigte unter anderem das verwischte SchwarzWeiß-Gemälde einer gehenden Frau mit seltsam verspannter Handhaltung. Das Bild „Sekretärin“ ging für 450 D-Mark an die Sammlung von Gustav Adolf und Stella Baum, Eheleuten aus Wuppertal, die damals zu den bedeutenderen Akteuren auf dem rheinischen Kunstmarkt zählten. Während das Geld üblicherweise zwischen Galerist und Künstler zu gleichen Teilen aufgeteilt wird, behielt Schmela zwei Drittel für sich. „Ja, was denkst du denn?“, soll er zu Richter gesagt haben. „Ist doch ein Riesenrisiko für mich. Weiß ich denn, ob aus dir jemals etwas wird?“
Das Riesenrisiko von einst hängt heute in der Galerie Neuer Meister im Dresdner Albertinum und wird auf sieben bis acht Millionen Euro geschätzt. Das entspräche einer fünfunddreißigtausendfünfhundertfünfundfünzigfachen Wertsteigerung. Der Maler selbst verdiente an seinem Bild 150 Mark.
Verständlich, dass Richter nicht gern über Preise spricht. „Das ist genauso absurd wie die Bankenkrise“, sagte er bei der Pressekonferenz zur Eröffnung seiner „Panorama“-Schau in London über die Preissteigerung, „unverständlich, albern, unangenehm“.
Wenn die Bilder sein Atelier verlassen haben, hat der Künstler, der heute 80 Jahre alt wird, keine Kontrolle mehr über sie. Dann kommen die Kuratoren, die Kritiker, die Händler und die Sammler, und dann kommt das Publikum, dem Richter so misstraut. Wer die Preise festlegt und wer sie bereit ist zu zahlen, das ist ein schwer zu durchschauendes Spiel. Es hat Richter zum derzeit teuersten zeitgenössischen Künstler gemacht. Wie wurde Richter so teuer?
Einer der Menschen, die bei der Antwort auf diese Frage helfen sollen, ist Dietmar Elger. Der Kunsthistoriker, kariertes Hemd, braunes Sakko, ist gewissermaßen des Meisters Stellvertreter auf Erden. Von 1984 bis ’85 war er Richters Sekretär, danach schrieb er eine Richter-Biografie, seit 2006 leitet er das Gerhard-Richter-Archiv in Dresden, und wer wissen will, welches Werk wann in welchen Händen war, muss ihn fragen. Elgers arbeitet an einem fünfbändigen Werkverzeichnis. Dafür muss er fortlaufend telefonieren, Sammler anschreiben und besuchen und sie überreden, wenigstens mal kurz die Pappe aus dem Rahmen zu nehmen, damit er registrieren kann, was auf der Rückseite der Leinwand steht. „Bei Richter ist so viel Bewegung im Markt, dass Sie nie hundertprozentig nachvollziehen können, wer wann welches Bild besessen hat“, sagt Elger.
In Elgers Buch über Richter kann man nachlesen, wie entschieden und selbstbewusst Richter mit Anfang 30 auf den Markt drängte, wie er mit Künstlerfreund Sigmar Polke selbst Ausstellungen organisierte und Einladungen druckte. Richter war von Beginn an Kontrollfreak, der seinem damaligen Münchner Galeristen Heiner Friedrich präzise erklärte, wie er sich Hängung und Texte vorstellte, und der ungeduldig anbot, sich notfalls selbst um Berichterstattung zu kümmern. Umgekehrt war Heiner Friedrich für Richters Karrierestart wichtig, weil er Richters Werke nicht nur ausstellte, sondern auch selbst ankaufte. „Dadurch gab es für Richter relativ stetige Einnahmen“, sagt Elger.
Entscheidend für Richters heutigen Status war schon damals seine Galeristenwahl. Um 1980 wurde die Neue Malerei populär. „Wäre Richter damals bei Michael Werner gelandet und in die Gruppe Baselitz, Lüpertz, Immendorf geraten“, sagt Elger, „wäre es anders ausgegangen.“ Richter entschied sich für Konrad Fischer. Der Galerist rückte ihn in den Kontext der Konzeptkunst und des Minimalismus, was dem Maler, wie sich später zeigen sollte, auch den Sprung nach New York erleichterte.
Es war 1983, kurz vor diesem Sprung, dass der Düsseldorfer Kunstberater Helge Achenbach bei Konrad Fischer nach Bildern von Gerhard Richter nachfragte. Achenbach, heute ein Lebemann mit grauer Mähne und dem sanft-vertraulichen Tonfall des Unternehmers, kann sich noch gut an den Moment erinnern. Genüsslich ahmt er Fischers Tonfall nach, als der ihn in ein Hinterzimmer führte: „Isch hab noch’n paar Kerze für disch. Die Kitschbilder will niemand koofen.“ Eines dieser Kerzenbilder erzielte vergangenen Oktober in London den Rekordpreis von 11,98 Millionen Euro. Helge Achenbach bekam seines für 18 000 Mark.
Etwa 150 Richter-Werke, schätzt Achenbach, gingen durch seine Hände. Er, der Kunstmarktdrahtzieher, ist also eine guter Ratgeber, wenn es um die enorme Spanne zwischen zwei Summen geht, die für dasselbe Bild ausgegeben werden. Ende der 70er Jahre hatte Achenbach in Richters Atelier gestanden, um von seiner Idee zu erzählen, dass er Unternehmen in der Einrichtung von Kunstsammlungen beraten wolle. „Richter hat sich das damals angehört und gesagt: ganz schön mutig.“
Seitdem statteten die beiden immer wieder Versicherungs- und Bankgebäude aus. Achenbach betreut die Gemeinschaftssammlung Rheingold und veranstaltet VW-Events im New Yorker MoMA. Nach der Elbeflut organisierte er 2002 eine Hilfsauktion für das Albertinum. Das von Richter gespendete Gemälde „Fels“ brachte allein 2,6 Millionen Euro und legte den Grundstein für die Restaurierung. Die Spende war auch für Richters Marktwert gut. Der „Fels“ war das erste abstrakte Richter-Bild über der Millionenmarke.
Man könnte sich mit einer Antwort des Berliner Galeristen Gerald Winckler zufrieden geben, der sagt, „es ist ein Markt von Angebot und Nachfrage“. Aber erklärt das die exorbitante Entwicklung für ein relativ junges Oeuvre? Für ein anderes abstraktes Gemälde bezahlte zuletzt die Bankierswitwe Lily Safra auf einer New Yorker Auktion 20,8 Millionen Dollar. „Ich hätte auch 30 gezahlt“, bekannte sie hinterher und schenkte das Bild dem Israel Museum in Jerusalem.
Die Idee, dass nicht nur Arbeitszeit und Farbe für ein Kunstwerk bezahlt werden wie bei jedem Handwerk, sondern auch der Name eines Künstlers, entstand in der Renaissance. Aus dem Impressionismus stammt die Formel „Breite plus Höhe mal Faktor“, der auch Richter in seiner Frühphase folgte. Breite und Höhe, das ist das Material; der Faktor, das ist die Willkür.
Heute ist die New Yorker Galerie von Marian Goodman neben der Tokioter Dependance von Kiyoshi Wako die einzige Adresse, an der man einen neuen Richter erstehen kann. Es war auch Goodman, die dem Malerstar mit einer Ausstellung 1985 zum Durchbruch auf dem ungleich stärkeren US-Markt verhalf. Seitdem habe Richter jede Ausstellung ausverkauft, sagt Biograf Elger. Die Amerikaner liebten den Deutschen, dem es gelang, gerade durch diskrete konzeptuelle Kühle an Schönheit und Romantik festzuhalten. 1986 verkaufte Helge Achenbach seine Kerze zu einem drei Mal höheren Preis an einen amerikanischen Sammler. „Ich spürte, dass die Sogkraft Richters nach Westen ging.“
Als Achenbach in den 90er Jahren einen Richter an einen der bedeutendsten Sammler in den USA verkaufte und der ihm freudestrahlend erzählte, er werde jetzt neben Cézanne, Picasso, Rothko und Pollock hängen, war ihm klar, „dass Richter angekommen ist“. Und dass der Preis von 180 000 Dollar viel zu niedrig war. Heute, schätzt Achenbach, ist das Bild 15 Millionen wert.
Es muss so um 1990 gewesen sein, da verabschiedete sich Richter von festen Formeln für die Preisfindung. Die Mauer war gefallen, neue Märkte entstanden, die Börsen boomten, und Richters Preise verloren die Kopplung an feste Regeln. Zufall? Als im Februar 2008 sein Bild „Zwei Liebespaare“ ein Rekordergebnis erzielte, näherte sich gerade die Immobilienkrise ihrem Höhepunkt. So lässt sich an dem Preis, den Kunst erzielt, auch die global wachsende ökonomische Spaltung ablesen. Anleger, die sonst in Devisen, Firmen oder Fonds investiert hätten, suchen nach sicheren Werten. Ein Künstler, der schon teuer ist, stellt eine solche Sicherheit dar. Zumal Richter als „zeitgenössischer Klassiker“ angesehen wird, wie der Berliner Kunsthändler Gerald Winckler sagt. „Viele Sammler klassischer Moderne kaufen jetzt Richter-Aquarelle und hängen sie neben Beckmann und Kirchner.“
Gerald Winckler ist einer von etwa einem Dutzend Händler, die Richter-Werke wieder auf den Markt bringen. Zu ihm kommen jene, die die Öffentlichkeit der Auktionen scheuen, dem Auktionshaus die 30 Prozent Anteil nicht gönnen oder die verkaufen wollen, ohne dass die Exfrau ihren Anteil fordert. Nun sitzt Winckler in seiner Galerie unter einem Foto, auf dem Sigmar Polke einen Luftsprung vollführt. Winckler, Kordjacket, Denkerstirn, lässt sich auf ein Spiel ein. Es geht darum , eine Liste zu erstellen, auf der die Akteure des Kunstmarkts und ihr Einfluss auf die Wertentwicklung eines Werks auf einer Skala von eins bis fünf erscheinen.
Den Anfang macht die Galeristin: fünf Punkte. Sie bestimmt in Absprache mit dem Künstler, zu welchen Preisen neue Werke den Markt betreten. „Inzwischen nähern sich die Primärpreise sogar dem Sekundärmarkt an.“ Bei Marian Goodman heißt es auf Anfrage schlicht: Wir geben keine Auskunft über Preise.
Das Auktionshaus: fünf Punkte. Es steht frei, Schätzlose beliebig hoch anzusetzen, es schafft Begehren durch exklusive Angebote. Oft bietet auch Gerald Winckler mit. „Aber meistens klappt’s nicht.“ Weil die Käufer im Rausch den Marktwert überschreiten. Winckler ist als informierter, berechnender Experte hier schlicht nicht die Zielgruppe.
Das Museum: „Die Originale zu sehen, schafft Begehrlichkeiten.“ Daher drei Punkte für die Tate Modern, weil sie in der Lage ist, ein Event mit Ausstrahlungskraft zu schaffen, zwei für die Nationalgalerie, weil in Berlin kaum zahlungskräftige Sammler leben.
Der Sammler: zwei Punkte. „Der Sammler legitimiert die Preise, aber nur wenige nehmen wirklich Einfluss, etwa indem sie eine ganze Werkgruppe sammeln.“ Aber: „Sammler sind Multiplikatoren. Sie zeigen die Werke Freunden und wecken Interesse oder bauen eigene Museen.“
Der Kritiker: zwei Punkte. Er schafft durch Anerkennung Vertrauen. Danach verhält sich sein Einfluss wohl antiproportional zum Wert des Werks.
Der Kunsthistoriker: ein bis zwei Punkte. Gute Aufsätze können Kuratoren überzeugen, Künstler in wichtige Ausstellungen zu nehmen. Sammler interessieren sie eher nicht.
Artikel wie dieser: null Punkte.
Richters Stellenwert ist Folge eines Zusammenspiels. Bei ihm, und das ist ein Glücksfall, haben all diese Institutionen von Anfang an harmoniert. Schon lange ist sein Werk auf so viele Sammler verteilt, dass dessen Gesamtwert nicht mehr sinken kann, wie Winckler erklärt. Ein Drittel aller Bilder sei theoretisch verfügbar, „aber die Nachfrage ist immer höher als das Angebot“.
Und wenn man jetzt einen Richter kaufen möchte, hätten Sie einen da?
„Ich hätte ein abstraktes Ölbild, 61 mal 71 Zentimeter, 800 000 Euro.“
Kann man handeln?
„Nein. Der größte Rabatt ist, dass Sie das Bild kaufen können.“
Und wenn man alle knapp 3000 Bilder Richters auf einmal kaufen möchte, was würde das kosten?
Winckler zögert. Dietmar Elger lässt sich am Telefon zu einer vorsichtigen Rechnung überreden. „Etwas über eine Milliarde“, sagt er.
„Mir ist klar“, hat Gerhard Richter zuletzt in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ gesagt, „dass Kunst immer mit Geld verbunden war, deswegen gab es in Holland oder Venedig fantastische Kunst und in Russland und Polen eben nicht. Es funktioniert eben nur auf diese seltsame, harte, grausame Weise.“
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