Arztbrief: Depression
Unser Experte Arthur Mackert ist Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie I an den Kliniken im Theodor-Wenzel-Werk. Die Klinik ist das von den niedergelassenen Psychiatern und Psychotherapeuten Berlins für die stationäre Therapie einer Depression am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).
ERKLÄRUNG Die Depression ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen und kann jeden treffen - unabhängig von Beruf, Alter und Herkunft. Jeder fünfte Mensch erkrankt heute im Laufe seines Lebens an einer Depression. Frauen sind dabei rund doppelt so häufig wie Männer betroffen. Eine Depression kann auch körperliche Beschwerden wie Magen-, Kopf- oder Rückenschmerzen auslösen. Daher ist die richtige Diagnose oftmals schwer zu stellen. Eine frühzeitige Behandlung ist aber wichtig, denn die Krankheit kann lebensbedrohlich werden: Zehn bis 15 Prozent der Betroffenen begehen Suizid. Depressionen sind in vielen Fällen jedoch heilbar oder können mit Psychotherapien und Medikamenten zumindest erfolgreich gemindert werden.
SYMPTOME „Das häufigste Symptom der Depression ist eine gedrückte Stimmung in besonderem Ausmaß“, sagt Arthur Mackert, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie I an den Kliniken im Theodor-Wenzel-Werk. „Menschen, die unter einer unipolaren Depression - also ohne manische Phasen -, leiden, fühlen sich müde und abgeschlagen.“ Sie verlieren die Freude am Leben und an ihren Hobbys. Es fehlt ihnen der Antrieb zu Aktivitäten, die vorher Freude bereitet haben, sagt der Chefarzt. „Sie ziehen sich sozial zurück.“
Auch Angehörige können bemerken, wenn ein Mensch an einer Depression erkrankt ist. Denn häufig sind die Betroffenen morgens besonders niedergeschlagen und antriebslos. Nicht selten begleiten Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Willenlosigkeit die Gefühle innerer Leere und Niedergeschlagenheit. Auch kognitive Beeinträchtigungen wie verminderte Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisstörungen sind möglicherweise Ausdruck von Depressionen.
Als Folge der negativen Gefühle sinkt auch das Selbstwertgefühl der Betroffenen, nicht begründbare Selbstvorwürfe und Schuldgefühle machen sich breit, sagt Mackert. In schlimmen Fällen plagen den Betroffenen Suizidgedanken. Diese Depression lässt sich dann nicht ohne professionelle Hilfe bekämpfen.
Bei der sogenannten manisch-depressiven Erkrankung - Ärzte nennen sie bipolare affektive Störung - können sowohl depressive als auch manische Phasen auftreten. Im manischen Zustand schlafen die Betroffenen meist wenig, geben plötzlich zu viel Geld aus oder treffen ungewöhnliche Entscheidungen. Bei Mischzuständen schwankt die Stimmung des Betroffenen zwischen Euphorie und starker Niedergeschlagenheit.
URSACHEN Häufig machen Familienprobleme, Trennungsschmerz oder finanzielle Sorgen psychisch krank. Diese Form der Depression bezeichnet Mackert als reaktiv: Die Depression entsteht als Reaktion auf unerwartete Lebensereignisse. Es muss aber nicht immer ein traumatisches Ereignis oder der Verlust eines geliebten Menschen sein, der zu einer Depression führt. Oftmals bricht die Krankheit in einen bis dahin gut funktionierenden Alltag ein. „Eine solche Depression tritt ohne konkreten Auslöser und in Phasen auf“, sagt Mackert. „Sie kommt und geht in Abständen von Monaten oder sogar Jahren.“ Die Neigung zur manisch-depressiven Erkrankung kann vererbbar sein. Das Rückfallrisiko ist bei Depressionen vergleichsweise hoch. Wer einmal eine Depression durchlebt hat, kann erneut erkranken.
DIAGNOSE „Um einzuschätzen, ob ein Patient nur anlassbezogen traurig oder wirklich depressiv ist, ist eine ausführliche Anamnese nötig“, sagt der Experte für Depressionen. „Der Arzt spricht mit dem Patienten über sein bisheriges Leben: die Jugend, die Beziehung zu den Eltern, das Leben im Hier und Jetzt sowie eventuelle Schicksalsschläge.“ Auch kann es hilfreich sein, Angehörige zu befragen, wenn der Patient die Erlaubnis gibt. Handelt es sich um eine Depression, bestimmt der Arzt anhand des Befundes die Schwere der Erkrankung. Spezielle Fragebögen können helfen einzuschätzen, ob es sich um eine leichte, mittelschwere oder schwere Depression handelt. Die Stärke der Erkrankung ist ausschlaggebend für die Art der Therapie.
THERAPIE Wird eine Depression richtig erkannt und behandelt, haben die meisten Patienten gute Heilungsaussichten, sagt Mackert.
Die verschiedenen Ausprägungen einer Depression werden unterschiedlich behandelt. Bei Patienten mit einer leichten Depression können ambulante Gesprächs- und Verhaltenstherapien oder Medikamente, sogenannte Antidepressiva, helfen. Bei mittelschweren und schweren Depressionen sollte eine Behandlung mit Antidepressiva erfolgen. In diesen Fällen ist aber eine stationäre Behandlung meist unumgänglich. Das gilt vor allem, wenn der Patient suizidgefährdet ist. Die klinische Behandlung von Depressionen ist meistens eine Kombination aus Medikamenten, Psychotherapie und soziotherapeutischen Maßnahmen.
Eine ganze Medikamentengruppe ist nach der Krankheit benannt worden: die Antidepressiva. Sie wirken stimmungsaufhellend, antriebssteigernd oder beruhigend. Bei leichten reaktiven Depressionen reichen manchmal Gespräche, sagt Mackert. „Ist die Depression schwer, wahnhaft oder suizidal, ist die Einnahme von Antidepressiva nötig, um eine Psychotherapie überhaupt erst zu ermöglichen.“ Der Chefarzt schätzt, dass 80 bis 85 Prozent der Depressionspatienten in der Klinik Antidepressiva benötigen. Diese Psychopharmaka greifen in das Gleichgewicht von Botenstoffen im Gehirn ein, das bei einer Depression gestört ist. Antidepressiva beeinflussen das Verhältnis der Botenstoffe. Zum Beispiel erhöhen sie die Verfügbarkeit des stimmungsaufhellenden Serotonins im Gehirn. Das Antidepressivum stört das Transportsystem, das das „abgefeuerte“ Serotonin wieder in die sendende Nervenzelle zurückbringt. Durch diese Hemmung der Wiederaufnahme des Serotonins bleibt es länger mit den Rezeptoren in Kontakt - die Stimmung hellt sich auf. Antidepressiva wirken allerdings erst nach rund zehn bis 15 Tagen. Kritiker bemängeln zudem, dass sich möglicherweise eine Abhängigkeit von dem Antidepressivum entwickeln kann. Denn der Organismus passt sich an die Wirkung des Medikaments an. Auch unerwünschte Nebenwirkungen wie Blutdruckschwankungen oder eine ungewollte Gewichtszunahme können auftreten.
Neben der medikamentösen Behandlung erhalten depressive Patienten in der Klinik 50 Minuten Psychotherapie. Sie kann tiefenpsychologisch und verhaltenstherapeutisch sein. Die Verhaltenstherapie soll dem Patient helfen, negative Denk- und Verhaltensmuster zu überwinden. Er soll seine Umwelt wieder positiver wahrnehmen. Eine tiefenpsychologischfundierte Therapie hilft, wenn die Depression auf einen unbewussten inneren Konflikt zurückgeht, der durch negative Erfahrungen in der Kindheit oder Jugend entstanden ist. In der Therapie soll der Konflikt bewusst gemacht werden, um gelöst werden zu können.
Zusätzlich helfen Ergo- und Bewegungstherapie, das graue Einerlei des Alltags zu durchbrechen. Mit der Tanztherapie soll wieder Bewegung ins Leben kommen - und in den Körper. Denn das kann die Stimmung verbessern. „Das hilft vor allem Menschen, die ihre Gefühle nicht so gut in Worte fassen können“, sagt Chefarzt Mackert. Es kann zunächst einfacher sein, Emotionen statt mit Sprache besser körperlich auszudrücken und zu verarbeiten. Patienten können sich anschließend besser in Worten ausdrücken, sagt Mackert. Wer sich bei Tanz- oder Musiktherapie nicht wohlfühle, könne sich stattdessen über Sport aktivieren.
Obwohl Depressionen heilbar sind und mit Medikamenten und Therapien erfolgreich behandelt werden können, werden viele der Betroffenen erneut krank. Fachleute schätzen, dass bis zu 30 Prozent der Patienten innerhalb eines Jahres einen Rückfall erleiden - auch weil oft eine zweite, die Depression begleitende Erkrankung unerkannt geblieben ist, meist eine Angststörung. Um die Patienten auf das Leben nach dem Klinikaufenthalt vorzubereiten, ist es wichtig, die Patienten für einen Rückfall zu sensibilisieren, sagt Mackert. „In Gruppen betrachtet man mit den Patienten die Frühwarnsymptome einer Depression, damit sie auf Alarmzeichen vorbereitet sind und sie ernst nehmen.“
Die Redaktion des Magazins "Tagesspiegel Kliniken Berlin 2016" hat die Berliner Kliniken, die diese Erkrankung behandeln, verglichen. Dazu wurden die Behandlungszahlen, die Krankenhausempfehlungen der ambulanten Ärzte und die Patientenzufriedenheit in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt, um den Patienten die Klinikwahl zu erleichtern. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel Shop.
Gwendolin Gurr