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Kürbiscremesuppe mit Biss: Kürbiskerne und Toast
© Istock

Suppenläden boomen: Wo es in Berlin die besten Suppen gibt

Was kann bei Kälte schöner sein als ein Teller heiße Suppe? Und gesund ist sie auch! Kein Wunder, dass sie nun wiederentdeckt und Berlin zur internationalen Suppenmetropole wird.

Wer nie in England war, weiß nicht, was frieren heißt. Die Wände: papierdünn, das Innenleben: eiskalt, die Heizung: ein Witz. Durch die Fenster stürmt der Wind. Auch wenn sie geschlossen sind. Die Einheimischen stört das nicht, selbst in der finstersten Jahreszeit laufen die Mädels mit Spaghettiträgern durch die Straßen. Ein deutsches Weichei muss Maßnahmen ergreifen. Erstens – Wärmflasche kaufen. Zweitens – Suppe kochen. Das habe ich gelernt, als ich zwei Wintermonate lang in London bibberte.

Mein belgischer WG-Mitbewohner hat mich angesteckt. Zur Küche gehörte ein Mixer, in den er alle möglichen Gemüsesuppen kippte und innerhalb von Sekunden zur feinen Creme veredelte. Der Dampf entfaltete seinen Duft im ganzen Raum, und als ich die erste Schale davon aß, die ich erst mal mit meinen Händen zu deren Enteisung umschloss, überkam mich das Gefühl: Ich hab ’ne Heizung im Bauch. Eine Zentralheizung. Wohlig breitete sich die Wärme im ganzen Körper aus, legte sich wie eine Wolldecke über die angeschlagene Seele.

Vom Suppenkasper zum Fan

Und das Zeug schmeckte! Pastinaken, Petersilienwurzeln, Topinambur, all jene alten, geschmacksintensiven Gemüsesorten, die in Deutschland erst später wieder entdeckt wurden, zusammen mit Roter Bete, Kürbis und Süßkartoffeln, steckte Gérard in den Topf. Zu würzen wusste er auch. Dazu gab’s geröstetes Sauerteigbrot, damit wir was zu beißen hatten. Seitdem bin ich, die einstige Suppenkasperin, süchtig. 18 Jahre ist das her.

Katharina Körner brauchte kein Erweckungserlebnis, sie war schon lange Fan. Aber zu jener Zeit machte die Ost-Berlinerin aus ihrer Leidenschaft ein Geschäftsmodell und eröffnete 1998 ihre erste, winzige Suppenbar, am Kudamm. Heute sind es vier. Die „Soup Kultur“, wie sie ihren Laden nannte, ist schon längst keine Subkultur mehr, sondern Mainstream, der Pionierin sind viele andere gefolgt.

Denn Büro-Angestellte und digitale Bohème, Einkäufer und Touristen wissen es gleichermaßen zu schätzen, was Warmes in den Bauch zu kriegen, jeden Tag frisch gekocht. Eine Mahlzeit mit Brot, die satt macht, ohne zu belasten, die sich schnell essen lässt. Damals, sagt Körner, gab es ja kaum Fastfood jenseits von Hamburger, Döner und Currywurst.

Echte Möhren, kein Pulver

Katharina Körner macht sich keine Illusionen. Es sind keine kulinarischen Höhenflüge, die ihre Mitarbeiter aus den Töpfen schöpfen. Am Ende muss alles auch noch wirtschaftlich sein, und die Kunden sind knausrig – bei einem Euro mehr für Neulandfleisch zucken sie schon zurück. Aber für die einstige Schauspielerin ist das Kultur: Etwas Anständiges zu servieren, was aus realen Möhren und Zwiebeln, nicht aus Pulver und Geschmacksverstärker gekocht wird, und mit den unterschiedlichsten Kulturen zu tun hat.

In dieser Woche zum Beispiel gab’s südamerikanische Kartoffel-, deutsche Linsen- und indische Kürbissuppe, dazu Pastinakentopf à la Ottolenghi. In meiner Kindheit gab’s beige-braunen Einheitsbrei, Erbsen-, Linsen- oder Bohnensuppe. Das zentrale Gewürz hieß Maggi und stand, mit Pfeffer und Salz, auf jedem Gasthaustisch.

Höhere Löffel-Kultur

Kürbiscremesuppe mit Biss: Kürbiskerne und Toast
Kürbiscremesuppe mit Biss: Kürbiskerne und Toast
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Wie hätten wir da kapieren sollen, was für ein Wunder zum Löffeln die Suppe eigentlich ist, eine der sozialsten Speisen. Was noch ein Grund für Katharina Körner war, schon im Namen von Kultur zu sprechen. Seit jeher werden die Armen damit gespeist, können Obdachlose sich daran wärmen. „Fünf sind geladen, zehn sind gekommen, gieß Wasser zur Suppe, heiß alle willkommen“, lautet das Sprichwort. Notfalls können sogar alle aus einem Topf löffeln. Überhaupt spart die Suppe Abwasch – ein Topf, ein Teller, ein Löffel, mehr braucht man nicht für die Mahlzeit.

Als „Produkt einer späteren und höheren Kultur,“ pries schon das 1894 in Wien erschienene „Appetit-Lexikon“ die Suppe, „denn der Löffel musste natürlich erst erfunden sein, bevor man ihn gebrauchen und auf seinen Gebrauch eine neue Gattung von Gerichten gründen konnte“. Wobei davor noch der wasserdichte Topf für das ultimative Comfort Food erfunden werden musste.

Wunder über Wunder

Um die Suppe nicht zu verwässern, könnte man auch gleich von vornherein die doppelte Menge kochen; durchs Aufwärmen werden die meisten nur noch besser, intensiver. Die Reste friert man einfach ein. Man kann auch Reste von anderen Gerichten zur Suppe machen (aber Vorsicht, der Suppentopf ist kein Mülleimer, es soll immer noch nach was schmecken). Möhren-, Zwiebel- und Kartoffelschalen, Knochen und Abschnitte vom Fleisch und was sonst so beim Suppenkochen abfällt, schmeißt man nicht weg, sondern kocht seinen eigenen Fond daraus, der ohnehin die Basis jeder guten Küche ist. Wie? Das erklärt Zwei-Sterne-Koch Christian Lohse in seinem gerade erschienenen ersten Kochbuch, das er Suppen und Eintöpfen gewidmet hat („Lohses Mundwerk“, Umschau Verlag).

Wunder über Wunder: Vitamine und Mineralstoffe werden nicht mit dem Kochwasser ausgeschüttet, Schluck für Schluck löffelt man sie sich rein. Geballtes Kraftfutter. Gerade die segensreiche Hühnersuppe, auch „jüdisches Penicillin“ genannt, wurde schon oft besungen. Selbst von Wiglaf Droste.

Was Fans so lieben, ist die unglaubliche Vielfalt des Gerichts. Man kann sie dick oder dünn machen, kalt oder warm, mit billigen oder edlen Zutaten, kann mit ihr um die ganze Welt reisen. „Das wird nie langweilig!“, schwärmt Hagen Franke vom „Suppengrün“. Wenn er mit seiner Frau (und Geschäftspartnerin) Christiane verreist, hat er immer ein Notizbuch dabei, adaptiert, verwandelt, fügt neue Details hinzu. Dann gibt es zum Beispiel Thailändische Kokossuppe („Kokos läuft immer“), Kartoffel-Mangoldsuppe mit Kapern und Parmesan oder scharfe portugiesische Kohlsuppe. Der winzige Laden am Märkischen Museum brummt, die meisten Mittagsgäste sind jung.

Was übrigens weder Franke noch Körner auf dem Speiseplan haben, sind passierte Cremesuppen. Erstens sind die ihnen zu undurchsichtig, man sieht denen nicht an, was in ihnen steckt, zweitens zu langweilig – da schmeckt ein Löffel wie der andere, es fehlen Abwechslung und Biss. Wobei die Einlage bei Suppen ohnehin so wichtig wie die Flüssigkeit ist: Hackbällchen, Eierstich, Röstzwiebeln...

Heißes Glück im Teller

Kürbiscremesuppe mit Biss: Kürbiskerne und Toast
Kürbiscremesuppe mit Biss: Kürbiskerne und Toast
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Hagen Franke gibt auch kurz vor dem Servieren ein paar knackige Scheibchen Stangensellerie in die portugiesische Kohlsuppe und frischen Koriander als grünen Farbtupfer oben drauf, was Frisches muss immer sein. Im Laufe der Zeit hat er ein paar Tricks gelernt. So gibt er als Erstes Zitronensaft in die Suppe, damit das Gemüse nicht verkocht, „da bleiben die Kartoffeln bis zum Schluss fest.“ Er lässt die Suppen auch nur kurz aufkochen, dann ziehen, „damit sich der Geschmack entfalten kann“. Die Chorizo für die portugiesische Kohlsuppe brät er separat an, damit sich kein unappetitlicher rötlicher Ölfilm über den Eintopf legt.

Zur großen Suppenrenaissance in Berlin haben nicht zuletzt die Asiaten beigetragen. Auch der legendäre Monsieur Vuong fing anno 1998 mit einem kleinen Imbiss in Mitte an, wo er knackiges Gemüse und weiche Nudeln in die klare Brühe legte, eine Augenweide mit viel Geschmack. „Heißes Glück im Teller“, wie der Vietnamese seine Kreation nannte. Im Moment sind Ramen-Bars mit ihren japanischen Nudelsuppen der Hit. Im Cocolo Ramen schlürfen die Hipster, dicht gedrängt, hingebungsvoll die sanfte Brühe, aus der sie mit Stäbchen Schweinebauch, Nudeln und Eier fischen.

Knochenbrühe to go

„Suppen sind die neuen Smoothies“ steht kurioserweise auf der Ankündigung eines neuen, veganen Suppenbuchs, „Soup Up Your Life!“ („für ein neues Körpergefühl“). War das nicht umgekehrt, waren die Smoothies nicht die neuen Suppen? Egal, jetzt steht schon der nächste Trend vor der Tür, und der ist gar nicht vegan: Knochenbrühe. Die New Yorker sind ganz heiß darauf, sich für 6,50 Dollar ein Pappbecherchen voll Rinderbrühe to go zu kaufen, mit Knoblauchpüree oder Knochenmark extra, als neues „Superfood“, das sogar Falten wegzaubern soll.

In Berlin hat Aishah Bennett so was gerade in Deutschlands erster Brühe-Bar, als Kaffee- oder Tee-Ersatz ausgeschenkt, die Pop-Up-Bar ist wieder zugepoppt, jetzt serviert Bennett ihre selbstgemachten Hühner-, Schweine-, Rinderbrühen mit Sherry und Härterem zu Drinks vermischt im „Geist im Glas“ zum Brunch.

Mit den „Broth Bars“ schließt sich der Kreis. Denn die ersten Restaurants in Paris servierten ausschließlich konzentrierte Kraftbrühe aus besten Zutaten – zu Preisen, die sich nur Wohlhabende leisten konnten. „Se restaurer“ heißt sich stärken. Also: Ran an den Suppentopf.

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