Sternekoch Michael Hoffmann im Gespräch: „Die Seele muss mit dem Kürbis fühlen“
Michael Hoffmann würzt mit Asche, fotografiert Tomaten und verachtet Tofu. Hier verrät er auch, wie man richtig Gemüse kocht und Auberginen in Fleisch verwandelt.
Herr Hoffmann, der Doyen der Restaurantkritik, Wolfram Siebeck, nennt Sie einen „großen Avantgardisten“, weil Sie als Sternekoch den Gästen ganze Menüs aus Rüben und Salat servieren. Sie sind nun Deutschlands Gemüseartist Nummer 1.
Das begann alles mit einem großen Ekel. Vor Jahren jagte ja ein Skandal den anderen: Rinderwahn, Schweinegrippe, Geflügelpest. Ich sah die Bilder, wie Kühe aus den Ställen gezogen wurden, Tiere baumelten an Seilen und wurden in Container geworfen, bergeweise wurde Vieh erschlagen und verbrannt. Ein widerlicher Anblick war das …
… und dann sagte ein cleverer Businessberater zu Ihnen: Mit dem Fleisch ist es aus, die Zukunft isst grün!
Nein, nein, von diesen Leuten halte ich nicht viel. Es war so: Ich komme eines Morgens in meine Küche und bereite das Essen vor, so drei, vier Fleischgerichte waren immer auf der Speisekarte. Und auf einmal fragte ich mich, was tue ich hier eigentlich? Ich habe mich vor meiner eigenen Arbeit geekelt! Es war also kein raffinierter Geschäftsplan, ich hatte ethische Gründe, mich vom Fleisch abzuwenden. Ein Jahr lang habe ich damals kein Fleisch serviert, ich habe es nur nicht an die große Glocke gehängt, keiner hat’s gemerkt. Durch einen lustigen Zufall lernte ich gleichzeitig einen Gärtner aus Werder kennen, der Kräuter und merkwürdige Gemüsesorten angebaut hat. Der hat nicht jeden beliefert, nur weil der ein berühmter Koch ist. Er wollte seine Kinder, die er da aus der Erde holte, nur in gute Hände legen. Er suchte Leute, die mit Herz und Seele kochen.
Oha, jetzt wird es esoterisch!
Es war halt so. Solche Gemüse hatte ich noch nie gegessen. Gestreifte Rote Bete, die Erfurter Lange, die Grapaudine. Plötzlich hat sich mir ein völlig neues Geschmacksfeld eröffnet. Was ist das denn für ein Rübchen? Unglaublich! So intensiv. Seine Möhren waren nicht stangengerade, sondern auch mal ineinander verschlungen wie ein Hefezopf, das fand ich einfach schön. Dieser Gärtner wurde mein Lieferant.
Weil Sie gerade so begeistert sind: Es gibt immer mal wieder Studien, nach denen Bioprodukte sich nicht von konventionellen unterscheiden. Hand aufs Herz, schmecken Sie, ob eine Rübe bio ist?
Ja, sie ist besser, intensiver. Ich würde sogar sagen, ich sehe es ihr an, denn das heftig gedüngte Gemüse wächst viel zu schnell.
Sie bieten ein Gemüsemenü und ein traditionelles, doch auch dieses wirkt radikal ausgemistet von allem, was mit edler Gastronomie verbunden wird.
Kein Hummer, keine Gänsestopfleber, kein Steinbutt. Kein Wild aus dem Gehege, nur geschossenes Wild. Kein Wildschwein mehr, weil Aasfresser. Und überhaupt keine Kinder mehr …
… bitte?
Ich meine damit Kalbfleisch, Milchlamm, Stubenküken, Zicklein, all diese kleinen, nicht ausgewachsenen Tiere, die kommen mir nie mehr in die Küche. Ich kann es moralisch nicht mehr verantworten. Sie sind auch nicht nötig, um gut zu kochen. Trotzdem kann ich mich ab und zu an einem tollen Sauerbraten erfreuen oder meinem geliebten Wiener Saftgulasch.
Vegetarier sind Sie nicht geworden?
Ein halber. Ich ernähre mich vier bis fünf Tage die Woche von Gemüse, Pasta, Risotto, Salat. Und wenn ich im Restaurant Fleisch anbiete, kommt es von kleinen Betrieben, die ich persönlich kenne. Mein ganzes Geflügel beziehe ich von einem erstklassigen Züchter aus Frankreich.
Beim Wort vegetarisch denkt man an Tofu, an Sojawürstchen …
… und das ist für mich alles pseudo. Was will ich mit Tofu? Wir haben hier Hunderte von Gemüsesorten. Wo kommt denn der Soja her? Jedenfalls nicht aus der Region Brandenburg. Dafür werden in Südamerika oder sonst wo Wälder abgeholzt. Ich finde das absurd, Sojaprodukte sind ein absolutes Tabu.
Wer ist denn Ihr persönlicher Star unter all dem Grünzeug aus dem Garten?
Der Knollensellerie. Er ist super ergiebig und vielfältig einsetzbar. Er hat Power, das ist der Bodybuilder unter den Gemüsen. Durch ihn brauche ich keine Kalbsknochen, um Kraft in einen Fond zu bekommen. Da geben wir die Schalen vom Sellerie rein, die Wurzeln, das Grün und die Blätter - wumm! Ich kann Sellerie kandieren und süß-würzig machen, ich kann daraus mit Butter und Sahne ein herrlich zartes Püree kochen, ich kann Scheiben der Knolle braten. Aus der Schale mache ich „Erde“, in Anführungszeichen, die wird gewaschen, getrocknet, gemörsert, diesen Crunch streue ich über Salat, das hat Wucht wie geröstete Speckwürfel. Ich verwende sogar die Wurzeln vom Sellerie, die sehen aus wie Rastalocken. Warum soll ich die wegschmeißen? Die Stiele vom Sellerie werden klein geschnitten, getrocknet und kommen ins Kräutersalz. Die Blätter werden blanchiert, püriert und eingefroren, als Basis für Sellerieeis. Von so einer Knolle bleibt nichts übrig.
Dass Sie mal derart am Herd zaubern, kann nicht am Einfluss Ihrer Heimat liegen. Sie kommen aus dem nördlichen Hessen.
Katastrophe. Da gibt es Ahle Wurst, ansonsten ist das kulinarisches Brachland, leider.
Irgendwer muss Sie inspiriert haben.
Meine Oma. Sobald ich laufen konnte, war ich bei ihr in der Küche, stellte mich auf einen Schemel und guckte ihr zu. Die Düfte müssen mich angelockt haben. Es gab deftige, energiereiche Kost. Eintöpfe mit Kohl und Trockenfrüchten, Wirsing, Kartoffeln, Gänseschmalz, auch mal einen Rehbraten, wir wohnten in einer waldreichen Gegend mit Jägern. Oma machte eine intelligente Resteküche. Wenn Fleisch übrig war, gab es am nächsten Tag Bauernbrot mit Butter, kaltem Braten und Gewürzgurken drauf. Alles wurde verwertet. Die Sachen aus dem Garten hat sie eingeweckt. Sonntagnachmittags durfte ich in den Keller, eine Wunderwelt. Da standen Gläser mit Kirschen, Äpfeln, Pflaumen, Aufschrift 1956, die waren viel älter als ich. Dazu machte sie Grießbrei, Quarkknödel oder Dampfnudeln, Süßes war bei meiner Oma sehr, sehr gut. Ich konnte mit acht Jahren schon kochen, aber kein Fahrrad reparieren. Sie war sicher die Initialzündung für meinen Beruf.
Hatten Sie als Kind ein Leibgericht?
Spiralnudeln mit Soße und kleinen Fleischfetzen drin. Das gab es jeden Montag. Die Soße war übrig vom Sonntagsbraten.
Und an welche weihnachtlichen Traditionen erinnern Sie sich?
Wir hatten keine. Mal gab es Gans, mal Hase …, nicht jeden Heiligen Abend Würstchen mit Kartoffelsalat wie in anderen Familien. Was ich noch in der Nase habe, sind Zimt, Vanille und Zitrusfrüchte – diese Backgerüche. Ich durfte die Plätzchen ausstechen und den Teig fürs Spritzgebäck durch so einen Fleischwolf drehen, später die Schüssel auslecken. Das Gebäck kam dann in einen Kopfkissenbezug und der wurde im Schlafzimmer versteckt, weil das der kühlste Ort war. Erst an Weihnachten wurden die rausgeholt. Nicht so wie heute, wo man im September schon über Nikoläuse stolpert.
Es ist ein weiter Weg vom hessischen Wald in Ihr Luxusrestaurant gegenüber vom Hotel Adlon. Da servierten Sie uns im vegetarischen Menü einen Gang, der heißt „Hokkaido, Valenciano, Hibiskus, geaschte Kräuter, Rotkohljus“. Auf dem Teller ein Feuerwerk von Farben: Gelb, Orange, pinke Tupfen, grüne Streifen, dunkle Flocken. Wie kommen Sie denn auf so was?
Hokkaido und Valenciano sind Kürbisse, die haben im Moment ebenso Hochsaison wie Rotkohl. Viel wichtiger ist die Art des Garens. Und da hilft nur testen, testen, testen. Erst mal probiere ich den Kürbis roh. Dann wird er weich gekocht, püriert, gebraten, frittiert, im Ofen geschmort nur mit Oberhitze, damit er ankokelt, da wird der Wecker gestellt und alle 20 Minuten reingeschaut, Hitze mal etwas niedriger, braucht der Wasser, nee, Gemüsefond schmeckt auch nicht, nehmen wir mal Apfelsaft …, und immer wieder probiere ich: Wie verändert sich der Geschmack, die Konsistenz? Letztlich war der Valenciano-Kürbis auf Ihrem Teller zu einem Quader geschnitten, mit etwas Apfelsaft und Salz mariniert, dann vakuumiert und bei 68 Grad eineinhalb Stunden im Wasserbad gegart. Dabei verliert der Kürbis Flüssigkeit und wird fester.
Sous-vide nennt man diese Methode. Es müssen aber 68 Grad sein?
Ein, zwei Grad hin oder her tun dem Kürbis nichts. Gemüse ist toleranter als Fleisch und Fisch. Ich pochiere einen Hering zum Beispiel in Öl bei exakt 47 Grad, schon 49 Grad können ihn ruinieren.
Und dieses Gekruschel war …
… Asche aus Lauch und Petersilie mit Stängel. Einfach rein in den Ofen, bis sie schwarz werden. Die Wikinger haben früher mit Asche gewürzt, ich habe die Idee aufgegriffen. Kohl ist als Asche prima, im Juni asche ich Fichtensprossen, tolles Aroma. Asche bringt etwas sehr Elementares, Erdiges ans Essen.
Sie haben ein Buch über Kräuter verfasst und unzählige davon genau beschrieben. Haben Sie ein Lieblingskraut?
Zitronenverbene. Diese Frische, diese Leichtigkeit – wie ein Violinkonzert. Ich mache mir abends zur Beruhigung einen Tee davon, das Aromatisieren von Speisen gelingt damit wunderbar.
Und am meisten überschätzt ist?
Pfffff, überschätzt? Safran. Es wird zu viel Hype um dieses an sich gute Gewürz gemacht.
Erklären Sie bitte mal: Was ist denn der Hauptfehler, den wir mit Gemüse im Haushalt machen.
Die meisten Menschen schneiden Gemüse in Stücke und kochen das in viel Wasser. Die Gewiefteren blanchieren zum Beispiel Zuckerschoten nur kurz, schrecken mit Eiswasser ab und erwärmen dann in Butter wieder …
… was schon die hohe Schule wäre, denn so steht es in besseren Kochbüchern.
Das ist alles Mumpitz. Der Geschmack landet im Wasser, er verliert sich auch durchs Abschrecken. Nehmen wir mal Mohrrüben, die schneide ich klein, gebe sie in einen kalten Topf, etwas Butter dazu und einen Schuss Mineralwasser, meinetwegen auch aus der Leitung, dass das Gemüse gerade so bedeckt ist – das gilt als grobe Faustregel. Wer’s exotisch mag: ein paar zerdrückte Korianderkörner dazu. So, kurz aufkochen und ohne Deckel simmern lassen, bis die Flüssigkeit verdampft ist. Die Karotten sind gar und schön glasiert, der ganze Geschmack ist im Topf.
Sie kochen mit Mineralwasser? Ganz schön dekadent.
Überhaupt nicht. Unser Leitungswasser ist sehr kalkhaltig, ich habe es ausprobiert. Mit Mineralwasser schmeckt Gemüse frischer, mineralischer, der Eigengeschmack kommt besser zur Geltung.
Als junger Kerl haben Sie zweieinhalb Jahre in München bei Eckart Witzigmann gearbeitet, sogar als seine rechte Hand. Der Mann ist ein lebendes Denkmal, er wurde zum Koch des Jahrhunderts ernannt. Was haben Sie dort gelernt?
Alles. Er ist der Größte, eine Legende. Klar, in seiner Küche herrschte Psychoterror, das würde heute kein Jungkoch mehr mitmachen, völlig zu Recht. Aber ich bin dankbar für die Zeit im „Aubergine“. Witzigmann brachte jeder Scheibe Lachs so viel Gefühl entgegen, jeder Zwiebel. Ich hatte mal Karotten auf dem Herd und die kochten richtig sprudelnd. „Ey!“, schrie er mich an, „stell dir vor, du sitzt da in dem Topf!“ Ich dachte, was will der denn von mir? Und heute sage ich zu meinen Mitarbeitern, deine Seele muss mit dem Kürbis fühlen. Ich will auch nicht hören „wir produzieren heute …“ Produziert wird in der Fabrik, wir richten an. Der Fisch wird auch nicht in die Pfanne geschmissen, wir legen ihn sanft hinein. Und dann bleiben wir dabei und rennen nicht weg und tun etwas anderes, bis der Fisch umgedreht wird. Diese Hingabe und Leidenschaft hat einen Witzigmann gelehrt. Wenn heute ein Gast sagt, man merkt, dass hier mit Liebe gekocht wird, ist das für mich das größte Kompliment.
Witzigmann hat mal, nur durch das Kauen von rohen Kartoffelstücken, die jeweilige Sorte herausgefunden.
Roh! Unglaublich schwer. Er hat einem auch über die Schulter geschaut und gesagt, die Soße schmeckt nicht. Er hat nicht probiert, er hat das gesehen!
Auf Ihrer Visitenkarte steht inzwischen: Koch und Gärtner. Sie bewirtschaften zwei Gärten mit einem Hektar Fläche bei Potsdam, auch drei Gewächshäuser. In einem Porträt über Sie stand, Sie würden 100 Stunden pro Woche arbeiten – dann muten Sie sich noch das Gärtnern zu?
Ja. Ich will meinen Weg weitergehen, und der alte Gärtner hatte aufgehört. Ich bin seit drei Jahren jede Woche drei bis vier Mal da draußen, ich wollte mit den eigenen Händen in der Erde wühlen, ich möchte wissen, wie das wächst und gedeiht, was in unsere Küche kommt. Am Anfang saß ich vor den Saatgut-Katalogen, da sind so hübsche Illustrationen drin, wie ein Bub im Spielzeugladen: Die Lok muss ich noch haben, diesen Bahnhof … Honigmelonen, Wassermelonen, Kiwano Zackengurke, ich habe alles bestellt, roter Spitzkohl, Groninger Rosenkohl, Helgoländer Wildkohl, Braunkohl Rote Palme … Es ist ein laufendes Experiment. In der ersten Saison waren es 200 verschiedene Gemüse, diesen Sommer noch 140.
Die Kiwano Zackengurke hat es nicht gebracht?
Sie sah sehr witzig aus, wie ein kleiner Feuersalamander. Als ich reingebissen habe, boah, nur bitter, nur bitter, diese Pflanze taugt höchstens für die Herstellung von Arzneimitteln.
Wenn man mit Ihnen durch den Garten geht, schwärmen Sie von Schönheit, Formen und Farben, zupfen begeistert an der Fetten Henne, dem Bronzefenchel, dem Römischen Ampfer. Es hat Sie gepackt.
Sicher, und ich lerne jeden Tag dazu. Von den zehn Sorten Tomaten kommt das Stierblut weg. Vom Stangensellerie brauche ich nur noch 100 Pflanzen, sie wachsen rasch nach, wenn man sie nicht ganz abschneidet. Das ganze Gartenmanagement – ich will möglichst lange frisches Zeugs ernten, und nicht nur drei Wochen dies und zwei Wochen das. Alpina, die weiße Erdbeere, ist zuckersüß und trägt fünf Monate lang Früchte. Sensationell!
In dem einen Garten, der mit dem alten Schornstein und dem Storchennest drauf, sind mehrere Kameras installiert. Werden denn Ihre Paprikagewächse und Erdbeeren videoüberwacht?
Quatsch. Wir machen Zeitrafferaufnahmen. Eine Kamera zeigt den Garten in der Totalen, jede Minute ein Bild, 1440 Bilder pro Tag, 525 600 Fotos in einem Jahr. So ein Garten hat ja auch mit Vergänglichkeit zu tun. Zuerst sieht man, wie die Sachen so langsam aus der Erde kommen, wie alles wächst und leuchtet, mit der Kälte verfärben sich die Kräuter, sie bekommen weiße Stellen, Pflanzen fallen in sich zusammen. Die Vegetation ist bezaubernd. Der erste Teil des Films ist gerade im Schnitt, wir wollen das Ganze auf der Berlinale zeigen.
Wir haben auch eine Kamera gesehen, die war starr auf eine schrumpelige Frucht gerichtet.
Eine Ananas-Tomate. Sie wird von der Blüte an fotografiert, bis sie verfault und abfällt.
Was ist denn die positivste Überraschung für Sie – als kleiner Tipp für Hobbygärtner.
Die chinesische Keule, ganz klar. Ich hatte die nie zuvor gesehen, nie gegessen. In der Beschreibung stand in Klammern: Spargelsalat. Das hat mich neugierig gemacht. Ich würde sie für jeden kleinen Vorgarten empfehlen, die Pflanze wird bis 1,30 Meter hoch, die Blätter kann man pflücken und hat immer frischen Salat, doch die eigentliche Delikatesse ist der Stiel, er wird so vier, fünf Zentimeter dick und schmeckt nach Kohlrabi und Spargel. Im ersten Jahr hatte ich 20 Pflanzen, im kommenden werden es 600 sein. Genial!
Kennen Sie den Anteil des eigenen Gemüses in Ihrer Küche?
Übers Jahr gerechnet? Da sind wir bei 60 bis 70 Prozent. Diesen Sommer habe ich nichts dazugekauft. Wir haben gerade in großen Bottichen verschiedene Rote Bete in Sand eingemietet, auch Topinambur, Karotten, Sellerie, Kohlrabi, das wird reichen bis März, April. Und dann schaut auch schon das erste Grün der Winterheckenzwiebel aus dem Schnee.
Und Ihre Gäste schätzen, was Sie tun, und verlangen tatsächlich Gänge wie „Gemüse – Textur und Bouillon“ oder „Ein Teller Spinat, Eigelb, knusprige Kartoffeln“?
Es sind schon 35 bis 40 Prozent, die das vegetarische Menü bestellen, Tendenz steigend. Seit wir so klar unsere Haltung zu Gemüse zeigen, ist die Auslastung des Restaurants besser geworden. Das war ja ein Risiko.
Auf so einem Gemüseteller liegt eine Auswahl von mehr als 20 Sorten, jedes Stück kleiner als eine Fingerkuppe. Ein Menu kostet 160 Euro, ganz ohne Langusten, Austern und Lammcarrée. Schon ein stolzer Preis.
Richtig. Doch Gemüse zu ziehen und zu kochen ist sehr, sehr viel mehr Handarbeit als ein Filet in Stücke zu schneiden. Ich habe für den Garten jemanden eingestellt, das macht ja keiner für Ehre.Jetzt müssen Beete winterfest gemacht werden, Pflanzen werden vorgezogen, der Boden gefräst, wir fahren da jedes Mal eine Stunde hin und eine zurück, Gemüse und Kräuter werden gezupft, geschält, frisch gehalten, im Sand vergraben, mal sitzen Schnecken drauf … Wir trocknen, mörsern, kandieren, wecken ein. Eine Heidenarbeit.
Im Fenster des „Margaux“ sind programmatisch Einweckgläser ausgestellt, mit getrockneter Lauchwurzel, Moos, Fichtensprossen in Sirup, Fenchelstängel in Essig etcetera. Und wenn man sich im Keller umschaut, da sieht es aus wie in einem anatomischen Institut. Jede Menge Gläser mit eigenartigem Inhalt. Es müssen hunderte sein.
Mehr als 5000 Gläser. Getrocknetes wie wilde Basilikumblüten, Himbeeren, Möhrenstaub, Wachsbohnen oder Sellerieblätter. Eingemachtes wie grüne Tomaten, Rotkohl, Paprika, insgesamt 50 verschiedene Sachen. Davon zehrt unsere Küche den ganzen Winter über.
Um ein Problem kommen Sie nicht herum. Irgendwann in einem Menu kommt der Rotwein, und dazu fehlt Ihnen das Fleisch.
Das geht auch mit Gemüse. Ich koche einen Rotkohl, da legen Sie sich rein. Sie hatten doch die Aubergine zum Rotwein, ja? Und war da nicht die Konsistenz von Fleisch?
Schon etwas. Sonst schmeckt Aubergine nach Matsch oder Styropor.
Sehen Sie! Der Weg dahin dauert drei Wochen. Die Aubergine wird pikiert, Löcher mit dem Zahnstocher, dann kommt sie in einen Sud aus Essig, Wasser, Gewürze wie Lorbeer, Nelke, Meersalz und Isomaltzucker, der ist nicht so süß. Jeden Tag wird das Ganze auf 85 Grad erwärmt und dann ausgekühlt. Nach und nach dringt der Sirup in die Aubergine, sie verliert Wasser und schrumpelt und schrumpft. Schließlich wird sie vakuumiert, dabei wird der restliche Saft herausgepresst. Wenn ein Gast diesen Gang bestellt, schneide ich Medaillons von der Aubergine und brate sie langsam in gesalzener Butter, dabei bekommt sie eine leichte Karamellnote. Frisch geriebene Limonenschale drauf, fertig. Im Moment legen wir sie nach dem Vakuum noch mal in Olivenöl ein, mal sehen, ob das in eine rassige Richtung führt. Das Experimentieren geht weiter.
An Weihnachten hat das Restaurant geschlossen. Was gibt's dann zu Hause für Ihre Frau und Sie?
Vielleicht stehe ich mit der Wollmütze auf dem Balkon und bewache eine Ente im Grill. Ich habe nämlich mit dem „Outdoorchef“ den besten Grill der Welt.
Der Film über Hoffmanns Garten ist auf der Berlinale 2013 zu sehen. Dort wird auch das beste Eingeweckte von Hobbyköchen prämiert; wer möchte, kann bis zum 28.12. sein selbst Eingemachtes einreichen. Alle Informationen dazu bei www.berlinale.de unter „Kulinarisches Kino, Essbare Erinnerungen“.
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