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Neue Satzzeichen: Wie Typojis Missverständnisse verhindern sollen

Die Interpunktionsfamilie wächst: Ein österreichischer Grafikdesigner hat 30 Ergänzungen zu . ! ? entwickelt. Ist dies der Beginn einer neuen Eindeutigkeit?

Satzzeichen sind mächtige Werkzeuge. Jeder Smartphonebesitzer weiß, dass ein Semikolon und eine Klammer Freundschaften retten können. Braucht es doch nur diese zwei Symbole und eine Beleidigung wird zum Witz ... ;) Selbst mit nackten Satzzeichen lassen sich mitunter noch ganze Konversationen gestalten. Als Victor Hugo 1862 im Urlaub weilte und neugierig war, wie sich sein Roman „Die Elenden“ verkauft, ließ er seinem Verleger ein schlichtes „?“ kabeln. Wenig später erhielt er die ebenso knappe wie präzise Antwort: „!“

Legende oder nicht, wenn man sich die den Satzzeichen innewohnende Gestaltungskraft anschaut und sich vergegenwärtigt, dass täglich tausende Therapeuten nur damit beschäftigt sind, zwischen Partnern zu dolmetschen, ist es doch rätselhaft, dass der Mensch nach Erfindung der Schrift noch Jahrhunderte brauchte, diese Strukturelemente überhaupt zu entwickeln.

Noch rätselhafter ist, dass die Satzzeichen sich in all der Zeit nicht vermehrt haben, nachdem sie der venezianische Drucker Aldus Manutius und sein gleichnamiger Enkel im 16. Jahrhundert erstmals standardisierten.

Bedarf nach größeren Ausdrucksmöglichkeiten scheint jedenfalls bestanden zu haben. Anno 1762 bemängelte der Gelehrte Johann Christoph Gottsched, dass es im Deutschen kein Zeichen für Staunen oder Mitleid gibt. In der Philosophie, glaubte er, könnten solche durchaus nützlich sein.

Natürlich muss man die Zeichen erst mal lernen

Jetzt hat ein Wiener Grafikdesigner seinen Wunsch erhört. Gefördert vom österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft hat Walter Bohatsch 30 sogenannte Typojis entwickelt. Sie sollen geschriebene Texte „auf direktem Wege semantisch konnotieren – ähnlich wie es in der durch Mimik, Gestik und Stimme angereicherten gesprochenen Sprache oft in Bruchteilen einer Sekunde stattfindet“, schreibt er in dem kürzlich erschienenen Buch „Typojis – Einige neue Zeichen“ (Verlag Hermann Schmidt). Spezielle, dem Ausrufe- oder Fragezeichen gleichgestellte Symbole für Ironie, Ablehnung oder Skepsis geben eindeutig an, wie ein Satz gemeint ist. Bohatsch hofft, „dass ihre Verwendung zur inhaltlichen Präzision von Geschriebenem beitragen kann“. Auch jenseits des Handydisplays, in Büchern, Briefen, Zeitungen.

SMS-Sprache. Heute wird immer knapper kommuniziert.
SMS-Sprache. Heute wird immer knapper kommuniziert.
© imago/photothek

Natürlich muss man die Zeichen erst mal lernen, weil sie absichtlich abstrakt gehalten sind, um international verwendet werden zu können. Doch mit ein wenig Übung zeigt sich der praktische Nutzen schnell. Dem geschriebenen Satz „Das hast du sehr gut gemacht“ merkt man schließlich von sich aus nicht an, ob er als ehrliches Lob oder ätzende Ironie gemeint ist. Auch Drehbuchautoren dürften die Typojis eine nützliche Hilfe sein.

Eine überfällige Revolution? Oder nur nette Spielerei? Hans Jürgen Scheuer, Experte für Literatur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, sitzt in seinem Büro an der Humboldt-Universität und betrachtet die an Buchstaben aus dem in Indien gebräuchlichen Devanagari-Alphabet erinnernden Typojis. „Ihr Auftauchen könnte tatsächlich als Anzeichen für eine neue, dritte große Phase in der Geschichte der geschriebenen Sprache gedeutet werden“, sagt er.

Vom lauten Vortrag zum stummen Leser

Als Ur-Satzzeichen gelten die Markierungen in einem Text auf der sogenannten Mescha-Stele aus dem 9. Jahrhundert vor Christus. Rund 2500 Jahre nach den ersten Schriftzeichen trennen darin Striche Sinneinheiten und Punkte die Worte.

Dass es damals schon Satzzeichen gab, heißt aber nicht, dass sie auch allgemein Verwendung fanden. Werke der griechischen und lateinischen Dichter und Redner sind aufgezeichnet in der sogenannten scriptio continua. Dabei reiht sich Buchstabe an Buchstabe, Wort an Wort. Nahtlos. Scheuer erklärt das so: In jener ersten Phase ist Schrift primär eine Erinnerungsstütze für den professionellen Vortrag. Die Notwendigkeit, sie für andere möglichst einfach lesbar zu machen, besteht nicht. Es kann ja kaum jemand lesen.

Erst im Mittelalter kommen irische Mönche auf die Idee, diese Textschlangen, die sie täglich in ihren Scriptorien abschreiben, mit Zeichen (vor allem Leerzeichen) zu versehen, um anderen Lesern das Leben einfacher zu machen. Spätestens der Buchdruck läutet dann die zweite große Phase ein. Text ist nicht mehr primär gedacht zum Vortrag, sondern für einen stummen Leser. Damit entwickelt sich laut Scheuer ein neues Verhältnis zur Sprache. „Mittelalterliche Handschriften wollten Bilder in Hirn und Seele der Hörer oder Leser wachrufen, frühneuzeitliche Drucke hingegen Wissen illustrieren.“ Schrift wird vom vieldimensionalen Interpretationsgegenstand zum möglichst präzisen Informationsspeicher. Es vollzieht sich ein Wandel von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit der Sprache.

... und dann kommt das Handy

Natürlich dauert es nicht lange, bis sich Kritik regt: Rousseau bemängelt in seinem „Essai sur l’origine des langues“, dass es einer niedergeschriebenen und festen Regeln unterworfen Sprache an leidenschaftlichem Charakter mangele. Scheuer hat dafür ein gewisses Verständnis. „Präzisierung ist immer auch Einengung und Disziplinierung“, sagt er. Dabei kann damals von festen Regeln gar keine Rede sein. Goethe verwendet Punkt und Komma noch nach Gutdünken. 1876 gibt Konrad Duden zwar seinen „Versuch einer deutschen Interpunktionslehre“ heraus, eine amtliche Leitlinie wird aber tatsächlich erst 1996 anlässlich der Rechtschreibreform veröffentlicht. Neue Zeichen führt jedoch auch diese nicht auf.

Dann kommt das Handy. Die extreme Verknappung der schriftlichen Kommunikation mittels SMS und später Whatsapp oder Facebook-Messenger, sagt Scheuer, verlange anscheinend wieder nach einer Simulation von Mündlichkeit. Der Erfolg der Emojis, die ja zuerst auch noch aus Satzzeichen wie :( bestanden, entspringe dem Wunsch, Affekte in geschriebene Sprache zu überführen. Was wir derzeit erleben, ist quasi die Rückkehr des Mündlichen ins Schriftliche – Phase drei.

Dass sich einzelne Typojis durchsetzen, vermag sich Scheuer schon vorzustellen. An einen Selbstläufer aber glaubt er nicht. Das 1962 erfundene Interobang, das Ausrufe- und Fragezeichen vereint (?! ), ist schließlich bis heute nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen und das große ß brauchte fast 100 Jahre, um diesen Juni endlich ins deutsche Alphabet aufgenommen zu werden. Aus der Dudenredaktion ist jedenfalls zu vernehmen, man wolle die Sache „interessiert beobachten“.

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