Heilkur in Indien: Wie ich eine Woche lang ayurvedisch lebte
Unsere Autorin war ständig krank und überarbeitet. Bis sie in Indien lernte, Kümmel zu kauen, stundenlang zu sitzen und durch nur ein Nasenloch zu atmen.
Tag eins
Die Erholung beginnt mit Kopfschmerzen. Ich habe seit Stunden keinen Kaffee getrunken, weil mein Ayurveda-Diätplan das nicht vorsieht, und bin auf Entzug. Normalerweise trinke ich ein paar Tassen pro Tag. Außerdem sitze ich zu viel, drücke mich vor Sport und esse oft Pommes. Und seit etwa drei Monaten huste ich mich von einer Erkältung in die nächste.
Vor mir sitzt ein junger indischer Arzt mit goldenen Ringen an den Fingern und notiert mit ernster Stirn meine Beschwerden. Hinter seinem edlen Schreibtisch hängen Aquarelle von Koriandersamen und Ingwerknollen. Durchs offene Fenster rauscht der Bambus.
Hier im Norden Indiens, in der Provinz Uttarakhand, im Hotel „Ananda“, wollen sie sich eine Woche lang um mein physisches, geistiges und spirituelles Wohlergehen kümmern. Ich schaue erschrocken. Nein, entgegnet der Arzt mit hoher Stimme: Spirituell meint nicht nur Gott oder Buddha, sondern alles, was friedlich macht. Die ayurvedische Lehre, vor 5000 Jahren in diesem Teil Indiens begründet, geht davon aus, dass alles mit allem zusammenhängt, und wir krank werden, wenn die Elemente in uns aus dem Gleichgewicht geraten.
Wollen die mich aushungern?
Dieser Arzt will mich ruhiger machen – das soll er mal versuchen! Was er nun erklärt, ist wie Horoskop-Lesen. Ich glaube nicht dran und freue mich doch, wenn eine Aussage zutrifft. Die ayurvedische Lehre teilt die Menschen in Körpertypen ein. Charismatische Führungspersönlichkeiten sind oft „Pitta“, Feuer und Wasser. Wer zur Molligkeit neigt und psychisch stabil ist, ist wahrscheinlich „Kapha“, Erde. Wer Untergewicht hat, sich leicht ablenken lässt und selbst jetzt, an einem indischen Sommertag, friert, ist Typ „Vata“. Luft.
Ich bin Vata. Der Arzt schreibt eine Notiz für den Chefkoch. Künftig werde ich gegen meine innere Kälte warm und würzig anessen, in vielen kleinen Mahlzeiten. Ich kann jederzeit aussteigen und Pommes bestellen, verspricht er. Unter schattenspendenden Salbäumen nehme ich mein erstes Vata-Mahl ein. Gedünsteter Apfel mit Pinienkernen und Balsamico, danach Fenchel-Knödel mit Hüttenkäse. Miniportionen, wollen die mich aushungern?
Anschließend laufe ich sieben Runden im Bademantel auf spitzen Steinen in unterschiedlich warmem und kaltem Wasser, während meine Hand eine Art Zepter umschließt, dann reibt mich eine Frau mit grobem Salz ab. Damit meine Haut das Öl der kommenden Tage besser aufnehme. Ich ahne noch nicht, mit welchen Ölmengen man hier operiert.
Vor der ersten Yogastunde entscheide ich mich gegen den weißen Leinenanzug, den sie mir auf mein Hotelzimmer gelegt haben. Müssen schließlich nicht alle gleich aussehen. Der Lehrer fragt mich nach meinen Zielen. Ich erkläre, dass ich viele Stunden am Computer arbeite, oft Nackenschmerzen habe, dass ich gar nicht mehr weiß, wie sich ein Tag ohne Stechen in den Lendenwirbeln anfühlt. Dass ich gern meine Muskeln stärken will und mir Schmerzlinderung von den Dehnungen verspreche.
Ich merke, wie ich abdrifte
Der Lehrer in blauer Uniform blickt mich lange und traurig an. So vielen Westlern, sagt er, ginge es immer nur ums Äußere. So viele stellten ihre waghalsigen Yogaposen auf Instagram. Er zieht seine weißen Socken energisch nach oben. Wie mein Smartphone funktioniert, das wisse ich wohl – meinen Körper aber, den kennte ich gar nicht. Ich beginne zu wackeln. 15 Minuten im Schneidersitz.
Eigentlich weiß ich kaum, wie mein Smartphone funktioniert ... Yoga, fährt er fort, als hätte er meine Gedanken gelesen, solle den Körper auf die Meditation vorbereiten. Es sei erfunden worden, um ihn auf stundenlanges Sitzen einzustimmen. Ich nicke schuldbewusst. Yoga meint Einheit. Wann immer wir bei uns sind, machen wir Yoga. Ganz ohne herabschauenden Hund.
Ich merke, wie ich abdrifte. Zur goldfarbenen Zimmerdecke hinaufblicke, die Ornamente an den Wänden mit meinen Augen nachfahre, den intensiven Geruch nach tropischer Lilie und Orangen wahrnehme, der hier durch alle Flure strömt. In jeder Ecke des Raumes blütene Opfergaben. Wie viele Ringelblumen wohl täglich für uns Gäste sterben müssen?
Ein paar Sonnengrüße, Kriegerposen, Vierfüßlerstände und drei sehr kurzatmige Ommms später verlässt der strenge Lehrer kurz den Raum. Ich döse sofort weg. Fünfeinhalb Stunden Zeitverschiebung, daheim ist es Nacht. Als ich erwache, beobachte ich, wie der Lehrer eilig sein Smartphone in der Hosentasche verschwinden lässt.
Wie schön es sein kann, allein zu sein
Tag zwei
Um 6.15 Uhr klopft es an meiner Tür. Ich öffne, und finde eine gelbe Kanne mit honigsüßem Ingwertee. Vom Balkon aus schaue ich dem breit im Tal fließenden Ganges beim Aufwachen zu. Zwischen uns liegt nur ein durchsichtiges Plastikrollo. Gegen Affenbesuch. Da unten glitzert Rishikesh, die Yoga-Hauptstadt. Aus aller Welt kommen jährlich Tausende in die Ashrams, Tempel und Yogazentren am heiligen Flussufer. Die Zikaden lärmen so laut, unmöglich sich auf die Lektüre der „Hindustan Times“ zu konzentrieren.
Ich beschließe, wenigstens das weiße Leinenoberteil anzuziehen, um unter den sich bereitwillig uniformierenden Gästen nicht aufzufallen, und wandere durch Oleander zum Yogapavillon. Ein Pfau schlägt sein Rad für mich. Der Chefkoch steht am Rand einer Lichtung und betet. Wer mir entgegenkommt, verbeugt sich mit vor der Brust zusammengepressten Händen. Über dem prunkvollen Maharadscha-Palast, wo sich schon Lord Shiva zur Askese zurückgezogen haben soll, geht gerade die Sonne auf.
Der strenge Lehrer tadelt mich, weil ich Arme und Beine unkoordiniert bewege. Ich sei wohl noch nicht ganz da. Im Moment. Ich erinnere mich, dass es beim Yoga nicht um Leistung geht, und fühle mich ziemlich einsam.
Das Kopfweh wird immer schlimmer
Zum Frühstück bringt mir der Chefkoch eine gelbe Brühe: Kurkuma und Apfelessig, Zitronenschale, schwarzer Pfeffer. „Golden Detox“. Ich muss mit viel – verdauungsfreundlich stillem – Wasser nachspülen. Mein Körpertyp Vata beschert mir drei winzige Haferpfannkuchen, die bitter schmecken. Die frischen Früchte vom Buffet dürfen andere essen.
Das Kopfweh wird immer schlimmer. Nach der Fußreflexzonenmassage frage ich die Masseurin, ob meine Füße ihr etwas über mich erzählt haben. „Ja“, sagt sie, ohne zu zögern: „Sie haben ziemliche Kopfschmerzen!“
Zurück auf meinem Zimmer bin ich verführt, aufzugeben und mir einen Kaffee zu bestellen. Doch da stehen vier Gläser voller Snacks. Mandeln, Müsliriegel, Rosinen und Aniskekse! Die Zwischenmahlzeiten, von denen der Arzt sprach! Hastig probiere ich mich durch und erschrecke: Das soll noch vier Tage reichen? Einen Kiosk gibt es nirgends.
Vata-Menschen brauchen viel Ruhe
Den ganzen Tag habe ich kaum gesprochen. Wie schön es sein kann, allein zu sein. Ich nehme einen lindgrünen Schmetterling wahr, der mich beim Abendessen besucht. Ohnehin hat der Arzt gesagt, man soll während der Mahlzeiten nicht so viel sprechen. Vata-Menschen wie ich brauchen viel Ruhe, sollen nicht zu viel reisen, sich nicht zu viel unterhalten. Unpraktisch für eine Journalistin.
Während ich meine Pferdebohnensuppe schlürfe, denke ich darüber nach, ob man wirklich so weit weg fahren muss, um sich zu entspannen. Drei Flugzeuge nehmen, Busse, Autos. Erst durch Berliner Verkehr an den Flughafen reisen und dann durch einen Dschungel voll wilder Elefanten. Fühle ich mich weniger gestresst, weil ich weiter weg von meiner Heimat bin?
Ein alter Schotte tritt an meinen Tisch. „Wenn du ganz lieb fragst, bringen sie dir auch einen Burger“, raunt er und zwinkert. Nachts träume ich von Schokolade.
Die Europäer haben das Atmen verlernt
Tag drei
Der junge Arzt mit der hohen Stimme hat gesagt, es sei gesünder, mit einem Ruck aufzustehen. Dabei wurde die Snooze-Taste für mich erfunden. Ich verbiete mir, meine E-Mails zu checken.
Essen wird zur Arbeit. Alles schmeckt nach Kokosmilch und Linsen und ein wenig so, wie Spas riechen. Dabei kochen sie hier wirklich erfinderisch. Ich fühle mich schwach. In meinem Bauch blubbert es. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als eine Tasse Kaffee. Wozu habe ich denn so lange durchgehalten? Leise schimpfe ich die Kellner Sadisten.
Beim morgendlichen Yoga wird mir vom Vorwärtsbeugen schwindelig. Plötzlich sehe ich helle Punkte, wo keine sind. Ich lerne meine neue Lehrerin kennen, Rushika. Eine zarte Frau mit samtener Stimme. Rushika misst zunächst mal meinen Blutdruck. 60 zu 102. Ob das immer so sei, fragt sie mich. Ja, meistens.
Sie erklärt mir, dass niedriger Blutdruck unterschätzt würde, weil mehr Menschen hohen hätten, und beschließt, ein paar der ganz sedierenden Massagen von meinem Programm zu streichen. Zum Beispiel die, bei der man in feuchtwarme Decken gehüllt stundenlang vor sich hin modert.
Bin ich gefühlskalt?
Weniger Meditation, Atemübungen. Sie bringt mir bei, den Bauch beim Einatmen mit Luft vollzupumpen und danach noch die Brust – dann den Atem anzuhalten und sehr lange auszuatmen. Wir Europäer hätten das verlernt. Meine Organe würden auf diese Weise besser durchblutet. Wir atmen abwechselnd durchs rechte und durchs linke Nasenloch. Das soll Allergien und Erkältungen vorbeugen. Auf jeden Fall hält es meine Gedanken zusammen.
Rushika hilft mir in den Schulterstand, Hände in die Hüften, Füße in den blauen Himmel, jetzt noch fünf Minuten durchhalten. Das Blut rauscht in meinen Kopf, meine Arme werden müde, Rushika lächelt.
Kurz darauf liege ich erneut auf einem Massagebett und soll nach der „Reiki“-Methode geheilt werden. Ohne mich zu berühren, will die Therapeutin die Energien in meinem Körper lenken. Ich spüre eine Stunde nichts. Der palästinensische Ingenieur im Nebenzimmer weint bei der gleichen Behandlung vor Schmerz. Bin ich gefühlskalt? Die Therapeutin sagt, meine Chakren, also meine Energiezentren, seien im Ungleichgewicht. Sie nennt mich „hyper“, weil in meinem Kopf die Gedanken kreiseln.
Das Abendessen lasse ich zur Hälfte stehen. Alle außer mir tragen die weißen Leinen. Der Kenianer da vorn kaut auf den gleichen Linsen wie ich – Typ Vata. Ob er auch so schnell friert? Ich erspähe die Inder, die mir am Nachmittag von ihrem Programm erzählt haben: Couple Connect. Sie sind seit 20 Jahren verheiratet und sollen einander hier, zwischen Faszienrollen und Detox-Elixier, neu entdecken.
Der Schotte tritt mal wieder an meinen Tisch und erzählt, dass er und seine Frau seit Jahren hier Urlaub machen. Im ersten Jahr habe er einen Handgepäckkoffer voller Marsriegel eingeschmuggelt. Wenn seine Frau schlief, naschte er davon.
Ich lerne neue Zonen an meinem Körper kennen
Tag vier
Was wohl die Kellner von uns körnermampfenden Weißen auf unserem Egotrip denken? Die ganze Zeit geht es nur um mich: mein innerer Frieden, mein Immunsystem, meine Verdauung. Ist das angemessen, in einem Land, in dem Menschen Hunger leiden?
Jetzt sogar mein Sesamöl! Für meinen gestressten Körper und meine geschundene Seele rackern sich zwei winzige Frauen an mir ab. Die eine massiert meine Füße mit Steinen, die andere verteilt heißes Öl in meinem Nacken und auf meiner Stirn. Das Öl soll meinen Blutdruck normalisieren und entschlacken. Ich lerne neue Zonen an meinem Körper kennen. Wie wohl es tut, wenn die Knie beknetet werden! Was für eine wunderbare Ohrmassage!
Gerade als ich denke, ich halte diesen Salatgeruch nicht länger aus, ohne wenigstens Salat zu essen (was ich nicht darf, weil ich Vata bin und Salat kalt ist), geleiten mich die beiden in ein kleines Dampfbad. Damit das Öl auch richtig einzieht. Ich schaue an mir herunter. Ich bin golden. Dann dusche ich mit hausgemachtem Gel – klarer Fall von Guacamole.
Jetzt den Geist frei machen
Frisch geölt besuche ich meine erste Vorlesung. Den ganzen Tag den Körper gelockert, jetzt den Geist. Ein Glatzkopf in langem weißem Tuch und Holzpantinen spricht vor einer Flipchart über Stress. Er sieht aus, als könne er nicht wissen, was das Wort bedeutet.
Er sagt, dass Stress eine gesellschaftlich akzeptierte Geisteskrankheit sei. Eine Bypassoperation sei heute eine Auszeichnung. Die Banker, Architekten, Ingenieure in den Reihen vor mir lachen ertappt. Manche nicken, schreiben mit.
Der kahle Prediger ist ein Jünger der Vedanta-Philosophie, die in Indien extrem populär ist. Es ist die Wissenschaft des glücklichen Lebens. Stress, sagt der Glatzköpfige, ist ein internes Problem, meine Unfähigkeit auf eine externe Situation angemessen zu reagieren. Kein Chef und keine Schwiegermutter sind schuld, nur ich selbst. Ich finde, es reicht jetzt mal mit dem ständigen Ich.
Rushika kümmert sich weiter um meinen Blutdruck. Der Koch passt mein Menü an. Jeden Mittag streut er mir nun ein paar schwarze Samen in die Hand. Scharfen Schwarzkümmel kauend wandere ich über den verwaisten Golfplatz. Soll den Blutdruck hochtreiben. Nach dem Essen bekomme ich Espresso. Die Kopfschmerzen verschwinden beim ersten Schluck. Meine Quinoa-Fladen enthalten jetzt eine Prise Salz. Und ständig sehe ich rot: Beeren, Rote Bete, Paprika.
Teufelsdreck passt zu meinem Körpertyp
Meine Ommms klingen plötzlich lang und tief. Mit jeder Atemübung nehme ich mehr Luft auf. Das Prana, die Lebensenergie, fließe nun schon besser, sagt Rushika. Daheim soll ich weiter daran arbeiten. Aber nicht, dass ich gleich wieder einen Wettbewerb daraus mache. Ich solle mir ruhig ein bis zwei Jahre Zeit lassen, bis ich die Luft jeweils acht Sekunden einatme, halte, ausatme. Rushika niest. Auch eine Yogagöttin kriegt Schnupfen.
Abends trage ich zum ersten Mal den weißen Leinenanzug und lege sogar die Holzperlenkette um, die ich am ersten Tag geschenkt bekommen habe. Gleich setzt sich der alte Schotte an meinen Tisch. Er erzählt mir von seiner großen Liebe, die früh gestorben ist. Von seinen Kindern, die er allein großgezogen hat. Von seiner ältesten Tochter, deren Fehler er so gern an ihrer statt machen würde. Und von seiner Verdauung.
Am Ausgang nehme ich ein paar Fenchelsamen für den Heimweg mit und ein gummiartiges Bonbon, das nach Knoblauch schmeckt und zu meinem Körpertyp passt. Asafetida, Teufelsdreck. Im Spätmittelalter wurde dieses Harz verbrannt und als Stinkwaffe eingesetzt. Ich schlafe lang und tief.
Die Friedlichwerdung hat funktioniert
Tag fünf
Während des morgendlichen Ingwerteerauschs betrachte ich mich im Spiegel. Ich nehme meine Haut als glatter wahr, meine Augen als ringlos, meine Wangen als rosig. Mein Haar ist auch nach sieben Wäschen noch ölig wie am Vorabend.
Den Fernseher habe ich bislang nicht einmal eingeschaltet, mich nur sporadisch daheim in Deutschland gemeldet. Auch im Pool war ich noch nie. Ich habe keines der mitgebrachten Bücher angerührt, dafür alle Meditationen und Vorlesungen besucht.
Ich merke, wie ich mich geschmeidiger bewege und ein bisschen großzügiger mit mir bin. Die Friedlichwerdung – sie hat funktioniert. Zumindest für den Moment.
In der Yogastunde frage ich mich, ob ich überhaupt noch ohne Anleitung atmen können werde. Ich lerne, dass ich einen langen Hals habe, bei der Entspannungsübung ein Kissen unter dem Kopf brauche. Mit einer Gruppe anderer Gestresster besteige ich mühelos einen kleinen Gipfel in den Vorhügeln des Himalaja.
Man soll seinen Mitarbeitern nichts predigen
Bei der Meditation denke ich zum ersten Mal weder ans Wäschewaschen noch daran, dass ich meine Oma lange nicht mehr angerufen habe. Ich denke nichts. Sondern sehe tatsächlich eine Flamme zwischen meinen Augenbrauen, wie es mir der Trainer rät. Beobachte meinen Atem, ganz ohne teilzunehmen. Und merke nicht einmal, wie mich eine Wespe ins Handgelenk sticht.
Einer der Köche führt mich durch den Kräutergarten. Er fragt, wie ich mich daheim ernähre. Ich erzähle von Gorgonzola Pasta, vom Hackbraten in der Kantine. Er zeigt mir Langpfeffer für Leute mit Schlafstörungen, Brahmi, das mein Vata reduziert, und Kugellauch, der nach mildem Kohlrabi schmeckt. Spargel bauen sie an, den sollen die erdigen Kapha-Typen essen. Er erklärt mir, dass das Tässchen Wassermelonensaft, das ich vor jeder Mahlzeit mit Zitrone, Meersalz und Minze trinke, den Speichelfluss anregt und so eine leichte Verdauung vorbereitet.
In den Vedanta-Sessions nicke und schreibe nun auch ich mit. Ich verstehe, dass man die Liebe zu einem Kind nicht mit Egoismus verschmutzen, seinen Mitarbeitern nichts predigen, sondern vorleben und dass man Freundschaften, die einen zurückhalten, beenden soll. Ich hatte geglaubt, hier würde Esoterik verzapft. Jetzt analysiere ich begeistert zusammen mit den anderen Leinenträgern Shakespeare.
Tag sechs und danach
Zur Feier meines letzten Tages bestelle ich Ei und Toast zum Frühstück. Gierig greife ich nach der frischen Papaya vom Buffet. Sie schmeckt himmlisch! Beim Abschlussgespräch mit dem Arzt ist mein Blutdruck deutlich gestiegen. Von den Mandeln und Körnern, die mir der Koch hat aufs Zimmer stellen lassen, ist noch ziemlich viel übrig. Zum Abschied springe ich in den Pool, obwohl ich Schwimmen hasse. Ich schwimme die meisten Bahnen meines Lebens.
Während meiner Auszeit in Indien habe ich mich ständig gefragt, wie viel sich von der hart erlernten Entspannung in den Alltag übertragen lässt. Noch am Flughafen halte ich mir abwechselnd ein Nasenloch zu, um in Übung zu bleiben. Zurück in Berlin kaufe ich mir sofort eine Yogamatte. Kaue ab und an mal auf Schwarzkümmel. Stopfe zunehmende Mengen Kekse in zunehmend langen Schreibtischnächten in mich hinein. Schaffe es immer seltener zum Yoga. Atme bald wieder falsch.
Und bleibe dennoch monatelang gesund. Kein Keim bezwingt mein indisches Immunsystem.
Dann kommt der Berliner Winter.
Reisetipps für Nordindien
Hinkommen
Mit Jet Airways über Amsterdam und Delhi in 15 Stunden nach Dehra Dun – das Ticket kostet etwa 700 Euro. Von dort mit einem Shuttle oder Taxi eine gute halbe Stunde lang bis in die Yoga-Stadt Rishikesh oder noch tiefer in die Vorhügel des Himalaja.
Unterkommen
Das Fünf-Sterne-Hotel Ananda bietet Paketaufenthalte an: Fünf Tage ayurvedische Vollpension inklusive Massagen, Ausflügen, Einzeltraining in Yoga und Meditation kosten ab 3500 Euro: anandaspa.com.
Spas und Yoga-Retreats in allen Preisklassen gibt es rund um Rishikesh. Das Devina Ganges Cottage ist ein Guesthouse mit Flussblick für alle, die mehr Komfort als in den Ashrams suchen: divinegangacottage.com.
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