Gefahren der Selbstzensur: Wie geht man richtig mit Nazi-Symbolen um?
Was passiert, wenn wir Zeichen mehr Macht einräumen als der Fähigkeit, sie zu deuten.
Etwas an dem Bild stimmt nicht. Etwas fehlt. Nicht das Eiserne Kreuz an der Brust, nicht das Ordensband, das historisch korrekt am zweiten Knopfloch befestigt wurde. Auch das U-Boot-Kriegsabzeichen sitzt an der richtigen Stelle der marineblauen Uniform. Die Ausstatter der Neuverfilmung von „Das Boot“ haben sich offensichtlich Mühe gegeben, den historischen Gegebenheiten gerecht zu werden.
Wer die Werbeposter der gerade angelaufenen TV-Serie allerdings etwas genauer betrachtet, dem fällt doch ein Detail auf. Im Zentrum des Eichenlaubkranzes unter dem Reichsadler und auch in der U-Boot-Medaille sollte sich ein Hakenkreuz befinden. Zu sehen ist jedoch - nichts.
Ein Fehler? Nein. „Es ist richtig, dass im Rahmen der Marketingkampagne zur Bewerbung von ,Das Boot bei den Printmotiven das Hakenkreuz ersatzlos retuschiert wurde, um eine großflächige Bewerbung mit diesem Symbol zu vermeiden“, erklärt die Pressesprecherin des ausstrahlenden Senders Sky. Verweist aber darauf, dass sowohl in den Episoden wie im Trailer keine Veränderungen vorgenommen wurden.
Von Seiten des Senders ist die Entscheidung verständlich. Die Verantwortlichen wollten wohl keinen Ärger. Die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen stellt nach Paragraph 86a StGB eine Straftat dar, wobei die Bereiche Bildung, Berichterstattung, Wissenschaft und auch Kunst davon in Absatz 3 explizit ausgenommen sind.
In Tokio will man Swastikas von den Stadtplänen verbannen
Im Detail jedoch war und bleibt das Ganze eine hakelige Angelegenheit. 2014 wurde der Künstler Günter Wangerin verurteilt, weil er Angela Merkel mit Hakenkreuzbinde gezeigt hatte, um gegen die Sparpolitik in Griechenland zu protestieren.
Ego-Shooter, in denen Computerspieler sich durch eine Naziburg kämpfen, bekamen Probleme. Nicht nur wegen der Gewaltdarstellung, sondern auch wegen der gezeigten Symbole. In Tokio überlegt man, vor den Olympischen Spielen 2020 die Swastikas von den Stadtplänen zu entfernen, wo sie traditionell den Standort eines Tempels kennzeichnen. Nachträgliche Bearbeitungen gab es bei Bildern zum Film „Der Untergang“ und auch den „Hellboy“-Comics von Mike Mignola, in denen der deutsche Verlag die Hakenkreuze lange Zeit in Fensterkreuze verwandelte. Inzwischen verzichtet Cross Cult wieder darauf. Aus Respekt vor dem Werk des Künstlers.
Man könnte die retuschierten Poster also einfach als einen weiteren Ausdruck von selbstzensierender Übervorsicht zu den Akten legen. Allerdings lässt sich der Vorgang auch als Symptom einer weitgreifenden Wahrnehmungsverschiebung lesen, die zunehmend unsere Debattenkultur bestimmt. Mit bedenklichen Folgen.
Ein Symbol erklärt sich niemals allein durch sich selbst
Wie ist es dazu gekommen? Ein Symbol ist nach Umberto Eco zunächst einmal ein wahrnehmbares Zeichen, das auf etwas anderes, oft nicht wahrnehmbares, verweist. So steht das konkrete Herz für die abstrakte Liebe.
Nur erklärt sich ein Symbol niemals allein durch sich selbst. Ein auf die Brust tätowiertes Hakenkreuz ist anders zu verstehen als das auf einem T-Shirt des Punk-Musikers Sid Vicious. Der auf einer Neonazi-Demo gezeigte Hitlergruß ist etwas anderes als der auf einer Theaterbühne dargebotene. Ein Symbol steht immer auch im engen Kontakt mit der Situation und seinem Träger. Mit faschistischer Ästhetik hantierende Künstler wie Laibach, Rammstein oder Jonathan Meese, der wegen eines auf der Bühne vollführten Hitlergrußes angezeigt wurde, gründeten auf dem Spiel mit Mehrdeutigkeiten ihre Karrieren.
In vielen aktuellen Diskursen aber verschwindet dieser lange als selbstverständlich geltende Konsens zunehmend. Immer häufiger wird dem Symbol eine eigenständige Macht zugestanden, was zu absurden juristischen Verrenkungen führt. So mussten sich in Deutschland Menschen verantworten, weil sie einen Button mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz trugen. Das Ding ist, was es ist, was es ist: „Ambiguitätsintoleranz“ nennt der Philosoph Thomas Bauer diese sich ausbreitende Unfähigkeit zur mehrdimensionalen Betrachtung in seinem lesenswerten Essay „Die Vereindeutigung der Welt“.
Sprachliche Retusche infantilisiert die Debatte
Die Folgen dieser Denkweise zeigen sich jedoch nicht mehr nur im Gerichtssaal. Im Sommer schrieb ein Kollege während der Fußball-WM über eine Kneipe, die ein Hausverbot für Rechte ausgesprochen hatte. Es dauerte nicht lange, da standen die sich angesprochen Fühlenden auf den digitalen Barrikaden. Den Inhalt der Hassmails aber gab der Reporter nur verklausuliert wieder: „In einer wird das rassistische N-Wort über 20 Mal verwendet.“
Was aber ist die Folge dieser sprachlichen Retusche? Erst mal eine sachliche Unschärfe, weil nicht klar wird, ob nun „Nigger“ - wofür die Umschreibung im Englischen einst geprägt wurde - oder „Neger“ gesagt wurde, was zwei unterschiedliche Stufen von Beleidigung darstellt. Schlimmer aber: Sie infantilisiert die Debatte. Auch ein Wort ist ein Symbol und erlangt seine Bedeutung erst im Kontext. Wenn der schwarze Rapper 2Pac das Wort „Nigger“ benutzt, ist das ein fundamental anderer Sachverhalt als wenn ein Großer Hexenmeister des Ku-Klux-Klan es tut.
Die Vorstellung, der Journalist würde sich durchs Zitieren mitschuldig machen, ist nicht Political Correctness. Die definiert der Duden als eine „Einstellung, die alle Ausdrucksweisen und Handlungen ablehnt, durch die jemand aufgrund seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, seiner körperlichen oder geistigen Behinderung oder sexuellen Neigung diskriminiert wird“. Die Vorstellung ist eine Absurdität, die Berichterstattung mit Erziehung verwechselt, und den Leser auch noch für dumm erklärt. Weil sie ihm abspricht, ein Zeichen in seinem Kontext bewerten zu können. Nun besitzt das Symbol Macht über den Deutenden, nicht umgekehrt.
Ein Beschneiden enge die Gedanken ein
Wenn aber nichts verhandelbar ist, wenn Wahrheit immer schon feststeht, kann man nicht mehr diskutieren. Und man tut es auch zunehmend weniger. Das zeigt sich, wenn die Autorin Margarete Stokowski eine Lesung in einer Buchhandlung absagt, weil dort Bücher rechter Autoren verkauft werden. Der Besitzer glaubt, man muss etwas kennen, um es bekämpfen zu können. Das zeigt sich an Universitäten, einst gegründet als Arenen intellektueller Dispute, wo unliebsamen Gästen das Rederecht verweigert wird. 2017 beispielsweise wurde der aus gutem Grund umstrittene Polizeigewerkschafter Rainer Wendt von einer Veranstaltung der Uni Frankfurt nach Protesten wieder ausgeladen. Als sei der Zuhörer dem Wort hilflos ausgeliefert.
Vor gut 70 Jahren schrieb George Orwell in dem Roman „1984“, wie wichtig Präzision und Vielfalt für den Diskurs sind. Ein Beschneiden und Beschweigen, argumentierte er, enge die Gedanken ein.
Das heißt nun nicht, dass Rassismus als Ausdruck der freien Meinungsäußerung einfach geduldet werden muss. Faschisten, die den Arm zum Hitlergruß heben, gehören angezeigt. Jemand, der einen Schwarzen als „Nigger“ beschimpft, sollte sich wegen Volksverhetzung zu verantworten haben. Aber zu glauben, man bekämpfe Rassisten, indem man ihr Vokabular und ihre Insignien aus falsch verstandener Vorsicht bemäntelt, ist ein Kurzschluss.
Aus dem Auge, aus dem Sinn?
Das Ganze erinnert an die Strategie der Zauberer in der „Harry Potter“-Saga, in der der finstere Voldemort nur als „Der, dessen Name nicht genannt werden darf“ firmiert. Wer die Bücher gelesen hat, weiß, wie schlecht diese Strategie aufgegangen ist. Warum sollte es in der Realität besser funktionieren? Wie viele Verbohrte wurden je durch Tabuisierung erreicht? Wie viele durch Konfrontation? Und wie viele Menschen sind allein durch den Anblick eines Hakenkreuzes zum Faschisten geworden?
Was zurück zu „Das Boot“ führt. Gerade im Falle der Nazis sollte man die Dinge benennen, um sie nicht zu verharmlosen. Die Protagonisten der Serie sind nicht irgendwelche Soldaten, sie sind Angehörige der deutschen Kriegsmarine. Sie kämpfen für den Sieg Nazideutschlands. Ob nun widerwillig, zynisch oder todesmutig? Egal. Das Hakenkreuz zu tilgen, reißt sie aus den geschichtlichen Zusammenhängen und schafft ein zeitweise vermeintlich bereinigtes Alternativuniversum. Aus dem Auge, aus dem Sinn. Wie Kinder, die sich die Hände vors Gesicht halten, weil sie glauben, dass nicht existiert, was sie nicht sehen.
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