"Das Boot" bei Sky: Ausweitung der Kampfzone
Von wegen Männerdomäne und Film-Remake: Die achtteilige Serie „Das Boot“ bringt ungewöhnliche Perspektiven.
Was war zuerst da? Die Marke oder das Produkt? Nur wenige erinnern sich noch daran, dass der Film „Das Boot“ 1981 unterzugehen drohte. Nicht mal eine Filmpreisnominierung gab es zunächst, was bei Produzent Günther Rohrbach zu einem Tobsuchtsanfall führte. Es war dem Lizenzverkauf in die USA zu verdanken, dass der Film sechs Oscarnominierungen einheimste und auch in Deutschland Bewusstsein für das Pfund weckte, das nach einer Vorlage von Lothar Buchheim entstanden war. 37 Jahre später provoziert eine achtteilige Serie, die „Das Boot“ heißt, sich musikalisch des gleichen Themas bedient und auch von der Bavaria produziert wurde, weltweit Neugier.
Zumindest liegen die Auslandsverkäufe schon vor Ausstrahlung weit über den Erwartungen. Tatsächlich handelt es sich um ein komplett neues Produkt, das mit Versatzstücken wie U-Boot, Zweiter Weltkrieg und Männerritualen dealt. Nur dass die Macher des neuen „Boots“, die Bavaria und der Bezahlsender Sky, die Kampfzone um das Doppelte erweitert haben.
Ein neuer Handlungsstrang wurde eingezogen, der komplett den Frauen gehört. Sei es, dass sie sich als deutsche Übersetzerinnen in La Rochelle etablieren oder dass sie im französischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer kämpfen und sich bis aufs Blut foltern lassen. „Diese Serie ist auch ein Ereignis für uns Frauen“, sagt Sky-Fictionchefin Elke Waldhelm. Am Ende sind die Frauen nun auch in der eigentlich nach Männerschweiß stinkenden Männerdomäne U-Boot das stärkere Geschlecht.
Dabei beginnt die Handlung klassisch: Das deutsche U-Boot U-113 gerät so unter Beschuss, dass keine Hoffnung mehr für Ulrich Wrangels (Stefan Konarske) Besatzung besteht. Dann erst geht die neue Geschichte im Herbst 1942 los, als der U-Boot-Krieg brutaler wird und der deutschen Marine nach herben Verlusten das Personal ausgeht. So gerät Klaus Hoffmann (Rick Okon), Sohn einer U-Boot-Legende, an das Kommando des U-Boots U-612, das vor seiner Jungfernfahrt nach einem Brand an Bord einen neuen Funker benötigt.
Der, Frank Strasser (Leonard Scheicher), ist nicht nur der Bruder der Übersetzerin Simone (Vicky Krieps), sondern offensichtlich auch mehr in den französischen Widerstand verwoben, als ihr lieb sein kann. Denn auf einmal bekommt Simone Strasser unter konspirativen Umständen Morphinspritzen, die nur ein Ziel haben können ...
"Da stecken zwei Jahre Lebenszeit drin“
Allein für die Szenen mit Vicky Krieps ist die achtteilige Serie jede Minute Lebenszeit wert. Regisseur Andreas Prochaska schwärmte nach 105 Drehtagen: „Vicky ist ein absoluter Glücksfall für das Projekt. Sie bringt mit ihrer zweisprachigen Biografie alles für die Rolle mit.“ Machte der Österreicher sich bislang einen Namen als Meister der Klaustrophobie, etwa auf der „Spur des Bösen“, so transferierte er nun sein gesammeltes Wissen um Leben in engen Ausnahmesituationen in die acht Teile des „Boots“.
Was nun so zwingend wirkt und seine Wirkung auf den Betrachter nicht verfehlt, hat einen hohen Preis gefordert. Zwar ist Prochaska „extrem stolz“ auf sein Werk, „da stecken zwei Jahre Lebenszeit drin“. Das täuscht nicht darüber hinweg, dass der Regisseur hier an seine Grenzen stieß: „Ich hatte auch meinen Zusammenbruch. Natürlich darfst du das niemandem zeigen. Man muss zumindest suggerieren, dass man weiß, wo es langgeht. Es ist immer besser, eine schlechte Entscheidung zu treffen als gar keine.“
Konkret erinnert sich Prochaska an den Drehtag 90. „Das war ein Moment im Januar. Wir drehten die Episode sechs, die technisch extrem aufwendig ist, hatten eine Situation, die noch klaustrophobischer war, und im Minutentakt kommen Leute vorbei, die eine Antwort von dir wollen. Da war ich kurz vor meinem breaking point.“ Ein richtiges Lachen will Prochaska auch jetzt nicht gelingen. Bis zur letzten Minute bastelte er an den acht Episoden, bevor nun Sky-Kunden ab Freitag das Werk sehen können.
Die Kritik, dass der Zuschauer am Anfang die Besatzung nicht so leicht auseinanderzuhalten weiß, weil gefühlt alle Männer und vor allem Okons Gegenspieler Tom Wlaschiha, einem Modekatalog der Marke Boss entsprungen sein könnten, trifft den Regisseur. Natürlich, sagt Prochaska, sei es eine große Herausforderung bei 120 Sprechrollen, zu zeigen, „dass sich so ein großes Ensemble unterscheidet, nicht nur in den Typologien der Gesichter, die in die Zeit passen müssen. Wenn man in den ersten eineinhalb Folgen da Schwierigkeiten hat, sollten sie spätestens ab Folge drei beseitigt sein“.
Dranbleiben lohnt sich. Die beiden Head-Autoren Tony Saint und Johannes W. Betz haben ihm ein Drehbuch an die Hand gegeben, das so gar nichts mehr mit der Vorlage Lothar Günther Buchheims zu tun hat. „Wir mussten dem internationalen Publikum in den ersten zwei Minuten klarmachen, dass wir eine komplett andere Geschichte erzählen“, sagt Saint.
Co-Autor Betz wird konkreter: „Wolfgang Petersen hat eine Abenteuergeschichte erzählt. Wir müssen im 21. Jahrhundert ganz anders vorgehen und mindestens genauso viel über die Charaktere wie über die Situation erzählen. Wir haben zwischen den Zeilen der Logbücher der heimgekehrten U-Boote gelesen. 70 Prozent blieben ja im Meer.“
Vor allem wird mit den Mythen des Krieges aufgeräumt. Die Sinnlosigkeit allen Krieges zu zeigen, genau das sei heute, „in Zeiten, da die Rechtspopulisten Europa wieder ein Gesicht geben, das manchmal an die 30er Jahre erinnert, eine wichtige Botschaft“, sagt Bavaria-Produzent Oliver Vogel. Dass sich die Kreativen aller Länder sich darin einig sind – auch darin liegt ein Verdienst des neuen „Boots“.
„Das Boot“, Sky, alle acht Folgen via Sky Go
Jörg Seewald
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