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Still sitzen nervt. Restaurantbesuch mit Kindern kann unter Umständen zu einer echten Belastungsprobe werden.
© Getty Images/iStockphoto

Mit Kindern Essen gehen: "Wie, du magst heute keinen Brokkoli?"

Normale Gäste dürfen im Restaurant einfach essen, Familien werden geprüft. Aber mal ehrlich: Das größte Problem sind wir Eltern selbst.

DER WIRT

Er ist die Hauptfigur in diesem gastronomischen Dramolett. Denn er bestimmt die Regeln. Wie etwa Antonio Ferrari, der sich neulich in seinem Lokal in Padua zu einer ungewöhnlichen Aktion hinreißen ließ. Da war der lange Tisch, an dem vier Eltern mit sechs Kindern saßen und aßen. Stundenlang. Ferrari war begeistert. Keines der Kinder lief Slalom zwischen den Tischen, niemand warf mit dem Salzstreuer um sich, es gab nicht mal Prügeleien. Der Geräuschlevel erlaubte es den anderen Gästen, sich ganz normal zu unterhalten. Das belohnte der Wirt mit einem Rabatt von fünf Prozent. Und weil sich plötzlich die halbe Welt für ihn interessierte, behielt er die Regelung einfach bei. Familien mit ruhigen Kindern bekommen nun immer Rabatt.

Die Belohnung ist die postmoderne Form der Bestrafung, das hat Jesper Juul mal gesagt, der von vielen Eltern als Erziehungsgott verehrt wird. Normale Gäste dürfen einfach essen. Familien müssen sich einer Prüfung unterziehen. Und so fühlt sich der Restaurantbesuch mit Kindern auch oft genug an: als müsste man Erwartungen entsprechen. Nicht, als wäre es eine Selbstverständlichkeit.

Natürlich endet es selten so dramatisch wie in den USA, wo eine Restaurantbesitzerin, als ein Kind anfing zu brüllen, einfach zurückgeschrien hat. Das Kind war dann laut Augenzeugenberichten still. Die Debatte danach umso schriller.

Eltern wollen nicht in ein Kindercafé

Doch oft genug läuft es so: eine Minute nach 18 Uhr. Das Restaurant mit der hübschen Terrasse ist gerade fertig eingedeckt, alle, wirklich alle Tische sind noch frei, doch kaum nähert man sich mit zwei Kindern einem Platz, stürzt der Wirt herbei, wedelt mit den Armen und erklärt: Alles reserviert! Vielleicht darf man noch an den Katzentisch zwischen Küche und Toilette. Aber nur bis 18.45 Uhr.

Es geht gar nicht darum, dass jedes Restaurant eine Spielecke haben muss, Buntstifte in allen Farben des Regenbogens oder gar eine Kinderbetreuung, wie es das „Brenner“ in München sonntagmittags anbietet oder – nur für Mitglieder – das Berliner „Soho House“ am Wochenende tagsüber. Und schon gar nicht wollen Eltern in ein spezielles Kindercafé. Sondern dahin, wo alle anderen auch sind. Da wäre ein Signal, dass man mit Nachwuchs grundsätzlich willkommen ist, schon gut. Reicht ja eine kleine Geste. Ein Blick in die Küche vielleicht. In Neapel bekommen die Bambini in mancher Pizzeria ein Stück Teig zum Kneten. Kinder beschäftigt, Eltern entspannt.

DER KOCH

Er hält sich fein raus. Steht in seiner Küche und bleibt da auch. Warum er aber meint, dass Kinder sich ausschließlich von Frittiertem ernähren, das würde man ihn schon gern mal fragen. Eine durchschnittliche Kinderkarte – übrigens eine deutsche „Spezialität“ – bietet Schnitzel mit Pommes, Chicken Nuggets mit Pommes, Fischstäbchen mit Pommes. Diese orthogonal zusammengepressten Tiefkühltruhenbewohner heißen dann meist Nemo, Arielle oder Dorie.

Selbst das kann man noch downgraden. Dann gibt es eben nur Pommes. Mit oder ohne Ketchup. Den mögen Kinder übrigens auch deshalb so gerne, weil sie ihn meist selbst portionieren können. Essen ist ja ein Stück Selbstbestimmung. Und das finden schon die Kleinen gut.

Das Dreiste daran: Der kulinarische Ehrgeiz ist zwar in der Fritteuse weggeblubbert, nicht aber die Wertschöpfung. Der Kinderteller mag arm an Fantasie und Nährstoffen sein, billig ist er nicht – vor allem gemessen am Wareneinsatz.

Ein Ausweg ist die halbe Portion, die nie die Hälfte kostet, sondern nur zwei Euro weniger. Oder gleich der Piratenteller (Kinder klauen von den Eltern). Immerhin probieren die Kleinen dann mal etwas, das sie noch nicht kennen. Schließlich prägen frühe Esserlebnisse den Geschmack fürs ganze Leben.

DER SERVICE

Sie kriegen die volle Breitseite. Erst müssen sie den Kinderstuhl ranschleppen, dann dauert die Bestellung mit Sonderwünschen doppelt so lange wie die Abrechnung am Monatsende, und nachdem sie die Apfelschorle (nur mit stillem Wasser, keine Zitrone, zwei Eiswürfel) aufwischen musste, die der Junior umgekippt hat, werden sie von ihm angeplärrt, dass auf dem Teller ein Nanopartikel Petersilie zur Garnitur ist: „Die Pflanze soll weg!“ Am Schluss müssen sie auf dem Boden rumkriechen, um die großräumig verteilten Essensreste wieder aufzuklauben.

Kellner kämpfen an vorderster Front. Da ist es natürlich ungemütlich. Aber, sobald Kinder den Raum betreten, reflexhaft zu schauen, als müssten sie jede Nudel einzeln per Hand aus dem Kochwasser fischen, macht die Sache nicht einfacher. Ein kleiner Witz, ein Augenzwinkern, etwas wohlwollende Gelassenheit – das würde einiges erleichtern. Einfach das Gefühl vermitteln, dass man etwas ganz Normales macht, wenn man Kinder mit ins Restaurant nimmt. Ach ja: Ein schnell gebrachter Brotkorb kann auch ein effektiver Quengelschutz sein.

Die Eltern wiederum sollten sich den Service was kosten lassen. Kinder machen Extraarbeit. Also ruhig mal zwei Euro mehr Trinkgeld geben – sei es als Schmerzensgeld.

Ein Trost: Eltern sitzen nicht stundenlang vor einer Weißweinschorle. Keine Familie bleibt eine Sekunde länger als nötig im Restaurant. Denn da sind ja noch ...

Ein großer Teil des Problems sind wir Eltern selbst

In Restaurants im südafrikanischen Franschhoek werden statt Fischstäbchen und Nuggets gebratener Fisch und gegrilltes Hähnchen serviert.
In Restaurants im südafrikanischen Franschhoek werden statt Fischstäbchen und Nuggets gebratener Fisch und gegrilltes Hähnchen serviert.
© Felix Denk

DIE ANDEREN GÄSTE

Sie haben eine Nebenrolle, aber Statisten sind sie deshalb nicht. Die wenigen Worte, die sie sagen, fühlen sich an, als bekäme man eine Gabel in die Hand gerammt: „Ach nee, nicht neben den Schreihälsen.“ In Ruhe essen kann man dann meist nicht mehr, weil das Blut in den Schläfen pocht. Bloß: Was soll man bitte darauf sagen?

Irgendwann haben Kinder aufgehört, etwas Alltägliches zu sein. Vielleicht, weil es so wenige von ihnen gibt. Entsprechend niedrig ist die Akzeptanz selbst für ganz normales kindliches Verhalten. Gerade im Restaurant. Da sitzt man wie auf dem Präsentierteller. Was zu einem merkwürdigen, irgendwie schuldbeladenen Verhalten führt.

Überlässt man den Kindern, wenn sie am Tisch rumnölen, kurz das Handy zum Spielen, können zwar alle in Ruhe essen, man muss aber mit den spitzen Kommentaren der Umsitzenden leben. Die bekommt man allerdings auch, wenn man die Kinder nicht mit dem Handy spielen lässt. Dann eben dafür, dass sie rumnölen.

DIE EIGENEN KINDER

An ihnen liegt es nicht. Die Kinder sind im Restaurant eigentlich wie immer. Leise sein – nervt. Still sitzen – nervt. Warten – nervt. Wenn sie eine halbe Stunde am Tisch ausharren sollen, bis das Essen kommt, machen sie es sich schon irgendwie lustig.

Mit dem Essen haben es die ganz Kleinen eh nicht so. Bis etwa fünf Jahre stecken sie in der neophoben Phase. Was sie nicht kennen, essen sie nur im Notfall. Dann haben sie noch sonderbare Ticks. Manche können nur mit grünen Strohhalmen trinken, andere weigern sich, mit kleinen Gabeln zu essen, wieder andere rasten aus, wenn die Serviette nicht rechtwinklig zur Tischkante liegt.

Dazu kommt: Kinder haben kein Zeitgefühl. Suchen sie sich Kartoffelbrei aus, heißt das noch lange nicht, dass sie ihn dann, wenn er kommt, auch wirklich wollen. Ist ja schon ewig her, dass sie ihn bestellt haben. Und in der Zwischenzeit kam am Nachbartisch das Eis. Das ist natürlich interessanter.

DIE ELTERN SELBST

Seien wir ehrlich: Ein großer Teil des Problems sind wir Eltern selbst. Zu Hause lässt man am Esstisch ja so einiges durchgehen. Ellbogen auf dem Tisch, egal; noch ’ne Apfelschorle, von mir aus; ein Honigbrot als Vorspeise, okay, aber nur heute; mit Lego am Tisch spielen, na ja.

Lecker! Der Kartoffelbrei kann auch als Schneemann daherkommen.
Lecker! Der Kartoffelbrei kann auch als Schneemann daherkommen.
© Felix Denk

Klar, Schimpfen nervt, Erziehen ist anstrengend, Autorität ideologisch fragwürdig, und am Abend mag man auch mal seinen Frieden haben. Im Restaurant erwarten wir von den Kindern plötzlich jene vorbildlichen Manieren, für die wir zu faul sind, sie ihnen daheim nahezubringen.

Was dann kommt, ist meist eine unselige Rückkopplung. Kinder führen sich auf, Eltern führen sich noch mehr auf, weil ihnen das peinlich ist. All die versäumten Erziehungsmomente werden dann überkompensiert.

Meist äußert sich das in einem merkwürdigen uneigentlichen Sprechen. Eltern sagen dann sonderbare gedrechselte Sätze wie: „Wie, du magst heute kein Gemüse?“, „Du weißt doch: Ellbogen runter vom Tisch“ oder „Kannst du bitte Messer und Gabel benutzen?“ Die sind gar nicht an die Kinder gerichtet, jedenfalls nicht in erster Linie, sondern auch an den Wirt, den Service, die anderen Gäste. Entsprechend bewirkt dieses Show-Erziehen nichts. Das ist nur Propaganda.

Besser wäre es, sich unabhängig zu machen von den Erwartungen anderer. Und schön wäre es auch, wenn die anderen ihre Erwartungen runterschrauben könnten. Wenn das nur so einfach wäre.

Felix Denk

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