Reise durch Nordkorea: Wie die Menschen in Kims Reich wirklich leben
Uniformen und Armut: Nordkorea ist ein Land der Widersprüche, die man nur schwer ertragen kann. Das wahre Leben sehen Touristen aus dem Bus.
Auf einmal stehen sie neben uns. Yun trägt einen schwarzen Anzug, der ihm ein wenig zu groß ist, wie es in den 1980ern Mode war. Auf einem Anstecker an seinem Revers sind Kim Il-Sung und Kim Jong-Il zu sehen. Kia ist im bunten koreanischen Trachtenkleid gekommen. „Willkommen in Nordkorea, ich bin Ihr Reiseführer“, sagt Yun und lächelt dabei unsicher. Gelächelt haben auch die Soldaten, als sie zuvor unser Gepäck auseinandergenommen und dabei auf der Suche nach geheimen Kameras und versteckten USB-Sticks selbst unsere Brillen und Armbanduhren kontrolliert haben.
In der Glas-und-Granit-Halle des 2015 neu gebauten Airports in Pjöngjang treten Yun und Kia an uns heran. Wir brauchen keine Erkennungszeichen. Wie wir aussehen, wissen sie bereits. Er erklärt, sie kümmert sich um die Dokumente. In den kommenden sieben Tagen werden die beiden unser Schlüssel zum Land sein, unsere Bewacher und Beschützer. „Kommen Sie, wir haben wenig Zeit“, sagt Yun und geht los.
Das Gefühl, überwacht zu werden ist allgegenwärtig
Wer Nordkorea bereisen will, muss akzeptieren, dass das nur als Pauschalreise inklusive Rundumbegleitung möglich ist. Etwa 20 000 Menschen würden so jedes Jahr ins Land kommen, erklärt uns Yun, mehr als die Hälfte davon aus China. Internationale Reiseagenturen bringen die Touristen bis vor die Haustür. Sobald man nordkoreanischen Boden betritt, übernimmt der Staat in Gestalt von Yun, Kia und ihren Kollegen. Die Guides treten immer mindestens zu zweit auf. So können sie Gäste und sich gegenseitig kontrollieren. Denn Kritik äußern dürfen die Reiseleiter nicht. Wir haben Glück: Kia versteht nur Französisch, Yun spricht aber Deutsch mit uns. Durch die Überwachungslücke können wir mehr fragen, und er kann ein wenig freier antworten.
Das Gefühl, überwacht zu werden, bleibt dennoch. Wie alle westlichen Touristen wohnen wir in Pjöngjang im Yanggakdo-Hotel. Es liegt auf einer Insel im Taedong-Fluss, im 47. Stock befindet sich ein rotierendes Restaurant.
Spaziergänge auf eigene Faust sind verboten. Eine penibel geputzte Fensterscheibe liegt zwischen uns und Nordkorea: Wir werden in einem beigefarbenen Kleinbus von Station zu Station gefahren. Draußen sehen wir die Nordkoreaner, mit ihnen reden können wir nicht. Obwohl ihnen bei Strafe verboten ist, mit uns Kontakt aufzunehmen, winkt uns ab und zu ein Kind, manchmal wagt sogar jemand ein Lächeln. Die meisten schauen aber einfach durch uns hindurch.
Unterwegs auf den großen Paradestraßen Pjöngjangs sehen wir Wohnblöcke in verblasstem Grün und Rosa. Dunkle Flecken zeigen, wie durchnässt das Mauerwerk ist – in den wenigsten Häusern, das habe ich gelesen, gibt es funktionierende Heizungen; die Luft in Hotels und Restaurants riecht meist ein wenig süßlich und muffig. Dafür stehen in fast allen Fenstern Solarpaneele, eines je Wohnung. Offen bekennt Yun: „Strom ist bei uns immer noch ein Problem.“ Regelmäßig liegt das Land im Dunkeln. Nordkorea versucht, aus der Not eine Tugend zu machen, und nutzt Sonnenenergie.
Kim Il-Sung ist auch 22 Jahre nach seinem Tod Präsident des Landes
Unerwartet modern sind auch die Ampeln, die mit stromsparenden LEDs leuchten. Eine Verkehrspolizistin steht in der Mitte der Straße in grau-grüner Uniform, ihr Kopf verschwindet unter einer riesigen Polizeimütze. Vor Autos mit getönten Scheiben salutiert sie, alle anderen, die Militärjeeps und alten Lkws, dirigiert sie mit roboterhaften Bewegungen. Die LED-Ampeln schaltet sie mit einer Fernbedienung von Hand.
Für Gäste in Nordkorea ist normalerweise der Antrittsbesuch bei Staatsgründer Kim Il-Sung und seinem Sohn Kim Jong-Il obligatorisch. Als 20 Meter hohe Bronzestatuen schauen die beiden auf Pjöngjang und seine Besucher herab. Gleich am ersten Tag zeigt sich aber, dass Yun sich nicht so streng an die Regeln hält. Wir lernen die Kims gleich im Original kennen – als konservierte Leichname im Palast der Sonne. „Die Sonne Nordkoreas ist Präsident Kim Il-Sung. Er hat die Juche-Ideologie erschaffen“, sagt Yun. Er spricht den Begriff „Tsutse“ aus. „Das heißt, unser Volk ist selbst für sein Schicksal verantwortlich. Niemand soll sich einmischen“ – außer Kim Il-Sung, der sich gottgleich ins Zentrum von Juche gesetzt hat. Auch 22 Jahre nach seinem Tod ist er Präsident des Landes.
Seinen Palast darf man nur mit leeren Taschen und in förmlicher Kleidung betreten. Nordkoreaner kommen als Delegation von der Armee oder ihrem Arbeitsplatz hierher, in Uniformen, grauen Anzügen oder den bunten Kleidern, die wir schon von Kia kennen. Einheitlich sind auch ihre Frisuren. Beim Friseur dürfen Nordkoreaner nur unter zehn möglichen Schnitten für Männer und unter 18 für Frauen wählen. Die Entscheidung richtet sich offenbar nach dem Job, nicht nach dem eigenen Geschmack. Yuns Haare sind sportlich kurz.
Ein Museum zeigt Geschenke von Honecker und Stalin
Er führt uns erst durch eine Sicherheitskontrolle, danach durch eine Art begehbaren Fön. Wir sollen keinen Staub in die dunkelrote Marmorhalle mit dem Glassarg tragen. „Zuerst eine Verbeugung“, sagt er. Ab jetzt werden wir uns sogar vor Statuen des Staatsgründers verbeugen. „Die Hände an die Seiten, sonst ist es unhöflich.“ Wir beginnen bei Kim Il-Sungs Füßen, aus der Hüfte abgeknickt, 90 Grad, bis Yun das Zeichen zum Weitergehen gibt. Der Vorgang wiederholt sich an allen Seiten des Sarges, außer am Kopfende. „Vielen Dank für die Kooperation“, meint Yun. Wir haben uns an die Regeln gehalten und ihn nicht in Schwierigkeiten gebracht, er wirkt auf einmal erleichtert.
Während der Woche in Nordkorea besuchen wir Museen, Theater, ein Kinderferienlager, einen Zirkus, wir sehen Soldaten im Gleichschritt und Bauern, die uns von absurd hohen Ernteerträgen erzählen. So sehr sich die Orte unterscheiden, zwei Dinge sind immer dabei: Kim Il-Sung und der Versuch, uns durch Zahlen von der Bedeutung Nordkoreas zu überzeugen. Im Sonnenpalast werden Kims Eisenbahnwaggon unter Angabe der gefahrenen Kilometer, seine Limousine und sogar sein Golfcart gezeigt.
Dies übertrifft nur noch das Museum der internationalen Freundschaft, ein gigantisches Lager in den Myohyang-Bergen etwa 150 Kilometer von Pjöngjang. Hier wurde gesammelt, was Auslandsgäste den Kims geschenkt haben. „Wenn wir pro Geschenk fünf Minuten brauchen, würde ein Jahr nicht reichen, um alles zu sehen“, übersetzt Yun unsere Führerin durch das Museum. Mit atemloser Begeisterung treibt sie uns durch die Säle. Hier ein Fernglas, das Erich Honecker 1984 geschickt hat, da ein Koffer mit Davidoff-Aufdruck, der vor Jahrzehnten als Werbegeschenk ins Land kam.
Und wenn Stalin Kim Il-Sung eine Iljuschin überlassen hat, dann wird eben im Berg ein ganzes Flugzeug ausgestellt. Dieser Geltungsdrang ist belastend – für Yun, der gelangweilt, aber diszipliniert jede Beschreibung übersetzt und dabei immer hoffen muss, dass wir ihn nicht blamieren. Und für uns. Der Widerspruch zwischen der luxuriösen Selbstdarstellung und dem Hunger der Bevölkerung ist schwer zu ertragen.
Über die Armut erklärt uns Yun nichts
Die Armut sehen wir aus dem Bus. Stundenlang geht es vorbei an Feldern, die Bauern wie im Mittelalter mit Ochsen pflügen. Manchmal ziehen zwei Menschen den Pflug. Jedes freie Stück Land wird beackert, trotzdem werden viele nicht satt. Für uns hingegen gibt es Menüs mit mehreren Gängen: mariniertes Fleisch, Fisch, Gemüse und Kimchi, scharfer, fermentierter Kohl. Als wir in einem Hotel zufällig sehen, wie das Küchenpersonal die Reste unseres Abendessens verspeist, schämen wir uns.
Über die Armut erklärt uns Yun nichts. Stattdessen fragt er: „Was ist euer Lieblings-,Tatort‘?“ Yun gehört zu den Privilegierten. Im Studium durfte er einen Blick in den westlichen Giftschrank werfen. Obwohl er das Land nie verlassen hat, weiß er Bescheid über deutsches Fernsehen, Joachim Gauck und den Bundestag. Yun und Kia gelten als loyal und entstammen offenbar den richtigen Familien.
Im Bus sitzt Kia vorn, mit dem Smartphone in der Hand, und bearbeitet Selfies. Das Bild ist uns aus Deutschland vertraut, hier aber völlig überraschend. In einem Land ohne Internetzugang, wo Smartphones Marke „Pjöngjang“ erst seit Kurzem erhältlich sind, in dem die Gemeinschaft alles ist und das Individuum nichts, fallen Selfies seltsam aus dem Rahmen. Telefonieren kann Kia nur innerhalb Nordkoreas, statt Google gibt es ein begrenztes nordkoreanisches Intranet.
Über die komplett leeren Autobahnen fahren wir zurück nach Pjöngjang, immer auf der Spur, die gerade in besserem Zustand ist, vorbei an Fußgängern, an Kontrollpunkten und Panzersperren durch die tiefgrünen Landschaften.
"Die Partei entscheidet, wer welchen Beruf hat"
Wieder in der Hauptstadt zeigen uns Yun und Kia den Palast der Wissenschaft, eine hypermoderne Bibliothek. Ihr Grundriss hat die Form eines Atoms, drei Ellipsen, die ineinandergreifen, in der Mitte der Nachbau einer nordkoreanischen Rakete. Hunderte Computer stehen neben Modellen, die zeigen, wie ein Kraftwerk oder ein Satellitentelefon funktioniert. Das Gebäude ist fast leer.
„Lasst uns gemeinsam den 70-Tage-Kampf zum Erfolg führen“, übersetzt Yun eine der Parolen, die auf Fahnen und Plakaten die ganze Stadt verhüllen. „In dieser Zeit arbeiten alle besonders viel. Es gibt keine Freizeit“, sagt er. Du auch? Statt einer Antwort deutet er auf eine Gruppe von Frauen, die an der Straße Musik machen. „Sie motivieren die Arbeiter im Kampf.“ Der Gegner scheint das Unkraut zu sein, das Menschen auf dem Bürgersteig hockend aus den Fugen kratzen. Als wir nachfragen, sagt Yun: „Die Partei entscheidet, wer welchen Beruf hat.“
Er als Reiseleiter, Ende 20, verdiene 80 000 Won, ungefähr 800 Dollar, und damit etwa das 50fache dessen, was ein einfacher Arbeiter bekommt. Trotzdem wohnt Yun noch bei seinen Eltern: „Erst wenn ich verheiratet bin, darf ich eine Wohnung haben. Aber Geld ist bei uns ohnehin nicht wichtig.“ Miete und Steuern gebe es nicht, und Essen werde über Lebensmittelmarken ausgegeben, alle 15 Tage Eier, einmal im Monat Reis. Glaubt man Yun, bekommen alle dieselbe Ration. Geflüchtete berichten jedoch von einem Kastensystem, in dem sich die Essensmenge nach der Parteinähe richtet.
Nordkorea befindet sich im Krieg mit dem Süden. Seit 1950, bis heute. „Die Atombombe beschützt uns. Ohne sie hätten wir schon dasselbe erlebt wie der Irak“, sagt Yun, als wir in die DMZ, die demilitarisierte Zone an der Grenze, fahren. „Deshalb hat Genosse Kim Jong-Il die Son’gun-Ideologie entwickelt. Das heißt: Militär zuerst.“ Der Waffenstillstand, auf den sich Nord und Süd nach dem Krieg 1953 einigten, wird 2013 von Kim Jong-Un aufgekündigt. Verwaiste Luxushotels erinnern an die Zeiten, als Südkoreaner wenigstens bis ins Grenzgebiet reisen und manchmal sogar ihre nordkoreanischen Verwandten treffen durften.
Wäre Nordkorea ein offenes Land, Yun wäre Kosmopolit
Hinter dem Minenfeld, nachdem wir durch eine schmale Gasse mit absenkbaren Panzersperren gefahren sind, kommen wieder Bauern. 240 Familien leben in der Zone. Bei einem Angriff würden sie als Erste sterben. Trotzdem, das Feld muss bestellt werden, erklärt Yun. Und hier, zwischen den Geschützen Nord- und Südkoreas, macht er etwas Unerwartetes: Er widerspricht dem Regime.
Kim Il-Sung hat die friedliche Wiedervereinigung Koreas zum obersten Staatsziel gemacht, und Yun sagt: „Ich glaube nicht, dass Korea eine friedliche Vereinigung erleben wird.“ Unser Guide hat seine Rolle als Repräsentant Nordkoreas verlassen, genauso wie mit allen Informationen über Gehälter und Lebensmittelmarken, mit jedem Reisschnaps und jeder Tischtennisrunde abends im Hotel. In Yun spiegelt sich die ganze Schizophrenie Nordkoreas wider: Der junge Mann, der die Welt außerhalb seiner Heimat so intensiv studiert hat, ohne das Land je verlassen zu haben, der inmitten der Armut selbstverständlich mit seinem Smartphone hantiert und sich trotz Spitzengehalt keine Wohnung leisten darf – wäre Nordkorea ein offenes Land, Yun wäre Kosmopolit.
Oft fragen wir uns, ob es ihn nicht zerreißt. Aber Yun beherrscht seine Rolle: Bis zum Schluss ist nicht klar, ob er nicht doch ganz einfach überzeugt ist vom Kommunismus nordkoreanischer Prägung. Auf die Frage, ob er glaubt, dass es statt einer friedlichen Vereinigung Krieg geben wird, lächelt Yun und schweigt. Mal wieder.
Die Namen von Autor und Reiseführern haben wir geändert, um die Guides nicht in Gefahr zu bringen.
Die Bilder zum Artikel stammen aus dem Buch „North Korea – The Power of Dreams“ von Xiomara Bender. Die Fotografin stellt vom 19. Mai bis 16. Juni 2017 Werke in der Galerie Paul Sties (Berliner Platz 3-5, 61476 Kronberg, www.galerie-paulsties.de) aus. Die Eröffnungsfeier findet am 19. Mai ab 18 Uhr statt.
Reisetipps für Nordkorea
ANREISE
Über eine der internationalen Agenturen für Nordkorea lässt sich die Tour unproblematisch buchen. Ab Peking ist man mit knapp 2000 Euro dabei, der Preis variiert je nach Anzahl der Reisenden. Ein Visum zu erhalten, ist mit Hilfe der Agentur meist weder kompliziert noch teuer. Für Journalisten, Fotografen und Schriftsteller ist es schwieriger, aber nicht unmöglich.
VORBEREITUNG
In „Kim und Struppi: Ferien in Nordkorea“ (Ullstein) – ein Buch, das besser ist als sein Titel – berichtet Autor Christian Eisert von seiner Reise durch Nordkorea. Mehr über das Alltagsleben in dem abgeschotteten Staat erfährt man in Barbara Demicks „Im Land des Flüsterns“ (Knaur), das auf Aussagen von Flüchtlingen beruht.
Mirjam Abel
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