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Autonome randalieren am 07.07.2017 während des G20-Gipfels im Hamburger Schanzenviertel.
© dpa/ Markus Scholz

Hamburg: Wie der G20-Gipfel das Schanzenviertel verändert hat

Budnikowsky und Rewe brannten, am nächsten Tag räumten die Menschen im Viertel auf. Hamburgs Schanze und ihr G20-Trauma.

Im Schaufenster vom Budni steht eine Tafel mit Grußbotschaften. Mehrere Wochen war die Drogeriemarkt-Kette, die eigentlich Budnikowsky heißt, geschlossen. Als der Laden endlich wiedereröffnete, schrieben die Kunden aus der Nachbarschaft mit Buntstiften Nachrichten. „Schön, dass ihr wieder da seid“ steht da in Pink, „No G20“ in Schwarz, „Anti-Kaputtalismus“ neben einem Herzen. Eine typisch unterkühlte Hamburger-Art, mit dem umzugehen, was im Sommer 2017 passiert ist und so gar nicht unterkühlt war.

„Wer in der Schanze lebt, der weiß, dass es da manchmal ein bisschen Remmidemmi geben kann. Leider scheint die Stimmung auch durch Krawalltouristen erheblich gewalttätiger geworden zu sein. Da muss man einen klaren Strich zwischen Protest und Gewalt ziehen“, sagt Christoph Wöhlke. Der 41-Jährige ist Geschäftsführer von Budnikowsky. Auch nach anderthalb Jahren ist ein Stadtteil ratlos.

Als im Hamburger Schanzenviertel die Flammen losbrechen, hören die mächtigsten Frauen und Männer der Welt gerade die „Ode an die Freude“. In der Elbphilharmonie, geschützt von hochgerüsteten Hundertschaften. In der Schanze sind sich die Ladenbesitzer derweil selbst überlassen. Die Polizei traut sich nicht, vorzurücken. Zu riskant. Und so können die Randalierer einen ganzen Kiez praktisch ungestört ausräumen und in seine Einzelteile zerlegen. Handyläden, Bankfilialen, einen Rewe-Markt erwischt es besonders hart. Der Schaden geht weit in die Millionen.

In einer Spielhalle werfen Kunden ihr Kleingeld in Bimmelkisten und plötzlich Randalierer von draußen die Milchglasscheiben ein. Die Budni-Filiale ist am Ende der Nacht nur noch schrottreif. Das Schulterblatt, die Hauptstraße des Schanzenviertels, gleicht einer Kampfarena. Olaf Scholz, damals noch Hamburgs Erster Bürgermeister, hatte vor dem Gipfel angekündigt: „Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist.“ Er sollte sich täuschen.

Es war zu erwarten, dass es heftige Proteste gegen den politischen Gipfel geben würde. Es war angekündigt, dass an vielen Orten Hamburgs friedliche Demos stattfinden würden. Es war absehbar, dass der Schwarze Block, vermummte Linksradikale, es nicht bei Spruchbändern belassen würde. Die Polizei hatte zuvor erklärt, dass sie eine Null-Toleranz-Linie fahren wolle. Aber dass ein komplettes Viertel zerstört wird, so, dass es sich nachhaltig verändern wird, das hatte niemand kommen sehen. Ausgerechnet jenes Viertel, das als Heimat der linken Szene gilt. Verwüstet nicht von Einsatzkräften, sondern von vermeintlichen Demonstranten.

Wie in einem Kriegsgebiet

Der Schlussakkord von Beethovens Neunter ist in der Nacht noch nicht ganz verhallt, da setzt Christoph Wöhlke sich zu Hause auf sein Rad und fährt in die Schanze. Dort hatte die Polizei das Viertel nach Stunden endlich geräumt. Er kennt jemanden beim Sicherheitsdienst, der ihn ins Sperrgebiet schleust. „In der gesamten Schanze war zu dem Zeitpunkt nur Polizei und kein Zivilist zu sehen. Gespenstisch.“ Der Geruch von Diesel und verbranntem Plastik in der Luft, das Donnern der Helikopter über den Köpfen, die Straßen hell vom Feuer und den Suchscheinwerfern der Polizisten, in den Seitengassen rollen noch die Räumpanzer und Wasserwerfer. „Es hat sich angefühlt wie in einem Kriegsgebiet.“

Die Regale im Laden sind leergeplündert und umgeworfen, Waren liegen überall verstreut, die Fensterfront ist zersplittert, selbst den Boden werden sie hier später auswechseln müssen. Sechs Wochen wird es bis zur Wiedereröffnung dauern. Wenn man Umsatzeinbußen und die Kosten für Reparaturen zusammenzählt, kommt man auf eine üppige sechsstellige Schadenssumme.

Heute sitzen im Café „Herr Max“, nur wenige Schritte vom Budni entfernt, die Kundinnen und ziehen ihre Schuhe aus, um bei Schokokuchen die Füße auf der Heizung zu wärmen, und treffen sich alleinerziehende Väter zu Tinderdates am Kinderwagen. Jemand von der Stadtreinigung läuft am Schaufenster vorbei und sammelt mit einer Zange die Verpackung eines Schokoriegels auf.

Alles wie immer. Fast.

In der Schanze sind sie misstrauisch geworden

„Welcome to Hell“ lautete das Motto der größten Anti-Gipfel-Demo. Der Mitarbeiter eines Plattenladens ein paar Türen weiter sagt: „Was für ein blöder Slogan. Wollen wir die Hölle sein? Wohl kaum!“ Die Nacht, wie sie die Nachbarn beschreiben, klingt jedoch nicht viel angenehmer. In der Schanze hat sich etwas verändert, ohne dass man es gleich sehen würde.

Sie sind enger zusammengerückt und gleichzeitig ein bisschen misstrauischer geworden. Gegenüber der Politik, wegen der das alles überhaupt so weit kam. Gegenüber der Polizei, die sie quälend lange Stunden im Stich gelassen hat, weil sie das Viertel lange den Randalierern überließ. Und gegenüber der eigenen Nachbarschaft, weil man ja doch nicht so genau weiß, wer nun mitgemischt hat und wer nicht. Auf gerade mal einen halben Quadratkilometer kommen 13000 Einwohner.

Geschlossene Front. Randalierer vor der Budni-Filiale im Schanzenviertel
Geschlossene Front. Randalierer vor der Budni-Filiale im Schanzenviertel
© dpa

Der Elektroladen mit den teuren Fernsehern im Schaufenster wurde verschont. „Ich bin seit 30 Jahren hier, die Nachbarn kennen mich“, sagt der Inhaber. „Die Krawalle, das waren keine Leute von hier. Die waren von außerhalb.“ Nur: Woher sollten die wissen, dass ein Elektroladen zu den vermeintlich Guten gehört? Christoph Wöhlke glaubt nicht, dass es alles Krawalltouristen waren: „Es gibt leider Menschen, die extra anreisen, um an den Krawallen teilzunehmen. Beim G20 waren das deutlich mehr als bei sonstigen Anlässen.“ Alle Seiten hätten hinterher versucht, die Geschehnisse für ihre Geschichte zu vereinnahmen. „Eine differenzierte Aufarbeitung aller Beteiligten hätte der Sache sicherlich gut getan.“

Hunderte Nachbarn halfen am nächsten Tag beim Aufräumen, manche gingen danach zu einer der friedlichen Anti-G20-Demos. Andere hatten die Stadt lieber schon vor dem Wochenende verlassen. Und einige derer, die heute wieder Rasierschaum und Bio-Smoothies im Budni kaufen, warenmutmaßlich auch in der Krawallnacht hier. Ist Budnikowsky nun der profitgierige Klassenfeind oder das solidarische Familienunternehmen im Kiez? In den Filialen kann man gerade Duschgel kaufen, das Budnikowsky gemeinsam mit dem FC St. Pauli produziert hat. Es steht nur ein paar Schritte entfernt von Produkten der Marke „Fa“. Und heißt „Anti-Fa“.

Christian Vooren

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