Schweiz: Was kostet die Welt in St. Moritz
Wo auf den Preis schauen, wenn nicht hier: Vom Espresso für zwei Franken bis zur Villa des reichsten Polen.
0 CHF/ 0 EUR
Danach gefragt, ob es im teuren St. Moritz auch etwas umsonst gebe, muss Susi Wiprächtiger nicht lange überlegen: „Wasser!“ Wiprächtiger sitzt für die konservative CVP im Gemeindeparlament, sie ist eine sportliche Frau Ende 50, die hastig die Via Maistra hinunterläuft. Die Straße ist von Geschäften globaler Luxusmarken gesäumt. Wiprächtiger holt ihren Peugeot aus der Tiefgarage, fährt den Hang nach St. Moritz Bad hinab, hinter ihr der Rolls-Royce des Palace-Hotels, der Gäste zum Bahnhof bringt. Schließlich parkt sie vor einem Betonriegel am Ortsausgang. Auf dem Dach steht in gelben Leuchtbuchstaben „Heilbad“.
Aus zwei Rohren hinterm Haus füllten sich Einheimische das mineralreiche Wasser der Mauritiusquelle kanisterweise ab, erklärt sie. Drinnen im „Medizinischen Therapiezentrum“, Spezialisierung auf Essstörungen, Demenz und Sportverletzungen, gibt es extra einen Trinkbrunnen und Plastikbecher. Zur Verkostung schöpft Susi Wiprächtiger etwas Wasser aus dem Becken. Es schmeckt süßlich, das kommt vom hohen Eisengehalt. Mit der Heilquelle begann im 19. Jahrhundert der Tourismus in St. Moritz. Damals bestand eine Kur darin, stetig mehr davon zu trinken. Ziel: zehn Liter am Tag. Susi Wiprächtiger rät davon ab, sich ein paar Flaschen als Mitbringsel abzuzapfen. Das Eisen setze sich schnell ab, und dann sei das Wasser ungenießbar.
2 CHF / 1,71 EUR
Ausgerechnet in einer von der Familie Gucci betriebenen Bar „Balthazar“ gibt es den billigsten Espresso von St. Moritz. Sie liegt nur wenige Meter neben dem verkehrsumtosten Kreisverkehr, an dem sich die Straßen aus den Ortsteilen Bad und Suvretta treffen. Die Wände der Bar leuchten dunkelgrün, eine typische Gucci-Farbe, hinter der Theke stehen Dom-Perignon-Flaschen. Auf kleinen Tischen sind Bildbände drapiert. Erst im Dezember hat das „Balthazar“ aufgemacht. Allegra Gucci ist die Urenkelin des Label-Gründers, ihre Mutter hat ihren Vater von einem Auftragsmörder umbringen lassen, 16 Jahre saß diese dafür in Haft. Hinterm Tresen steht nicht Allegra, sondern ein junger Mann, Saisonkraft aus Como. Das mit dem Billigkaffee hat sich offenbar noch nicht herumgesprochen: Man ist der einzige Gast.
8,50 CHF / 7,27 EUR
Das Suvretta House, ein Hotel mit fünf Sternen und 100-jähriger Geschichte, liegt anderthalb Kilometer außerhalb des Dorfes. Kein Linienbus fährt hin, jedoch ein Hotel-Shuttle. Man darf sich vom Schild „Nur für Hausgäste und Mitglieder des Suvretta-Clubs“ nicht abhalten lassen. Einfach einsteigen. Wer 400 Euro für ein Zimmer zahlt, wird nicht nach einem Ausweis für die Minibusfahrt gefragt.
Das Suvretta House ist ein wuchtiger Bau im altenglischen Stil. In der Lobby tragen die Männer zum Afternoon Tea dunkle Anzüge, eine Tasse Earl Grey kostet 8,50 CHF. Das gesellschaftliche Leben von St. Moritz erinnert an englische Upper Class, vielleicht weil Briten Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Wintertouristen am Ort waren. Riesige, halbrunde Fenster öffnen den Saal zum zugefrorenen Silvaplanersee. Dabei liegt die interessantere Aussicht auf der entgegengesetzten Hausseite. Dort stehen die Villen der Guccis, Agnellis, Bogners. Vom „Hundert-Milliarden-Dollar-Hang“ sprach der ehemalige Bundesbank-Präsident Karl Otto Pöhl, der unterhalb wohnt.
49 CHF / 41,86 EUR
Schnell einen Nachmittagsskipass gekauft, denn das Reichenviertel ist vom Lift aus am besten zu besichtigen. Der Schah von Persien wohnte in den 1960er Jahren neben dem Übungshang, in einer Tudor-Stil-Villa mit Türmchen. Ein späterer Mieter hieß Silvio Berlusconi. Auf dem Sessellift passiert man die Anwesen der Familie Onassis und des Rüstungsunternehmers Diehl aus Nürnberg. Sie sehen ein bisschen aus wie Hotels in Tirol: Schrägdach, verschnörkelte Holzbalkone. Nur dass eine einzige Familie drin lebt, wenn überhaupt. Viele Läden sind heruntergelassen. Die meiste Zeit im Jahr ist Suvretta ein Geisterhang, was die Bewohner von St. Moritz wenig stört. Die Villen müssen trotzdem instand gehalten werden. Arbeit für Einheimische.
Spektakulär wird es an der Bergstation. Keine Bäume mehr, stattdessen der Ausblick auf die weißen Gipfelzacken der südlichen Alpen. Freier Fall heißt der Starthang der Abfahrt für den Weltcup, der hier oben ausgetragen wird. Bei 100- prozentigem Gefälle werden die Fahrer in sechs Sekunden 130 Kilometer pro Stunde schnell. Für alle anderen gibt es am St. Moritzer Hausberg Piz Nair kilometerlange Pisten, die fast leer sind. Die Hänge des Dreitausenders Corvatsch auf der gegenüberliegenden Talseite sind steiler und schattiger, dafür bis in den Mai befahrbar. Und im Sessellift kann man im sonst so diskreten St. Moritz mitbekommen, was die Menschen hier umtreibt. Sie: „Sehr gern können wir nächstes Jahr noch mal in die Wohnung deines Vaters fahren.“ Er: „Dann laden wir uns einfach den Kofferraum mit Lebensmitteln voll.“
„Die gute Luft hier ist gratis“
72 CHF / 61,51 EUR
Alice Bührer, eine Frau mit grauem Pagenkopf und weitem Wollpulli, führt mit ihrer Cousine Nina Glattfelder einen alteingesessenen Lebensmittelladen, der in einem an die Via Maistra grenzenden Hinterhof liegt. Dort verkauft sie Lachs, Kaffee und Kaviar, die 30-Gramm-Dose der Sorte Baeri für 72 Franken. Eine Spezialität, die seit Längerem jedoch weniger nachgefragt wird. Gerade die Deutschen würden auf Meerestiere verzichten. Früher, erzählt Bührer, seien bei Partys zum Wodka einfach die 1,6-Kilo-Büchsen mit den Stör-Eiern auf den Tisch gestellt worden. Gegessen wurde mit Suppenlöffeln.
90 CHF / 77,02 EUR
Eine Abkehr vom gepflegten Exzess, für den St. Moritz steht, spürt auch Skilehrerin Sabrina Nussbaum. Doch was danach kam, ist ihrer Ansicht nach nicht besser. „Die Städter bringen ihren Stress zu uns auf den Berg“, sagt sie zu Kursbeginn an der Bergstation Corviglia (drei Stunden, 90 CHF). Sie hat ein gebräuntes Gesicht, blonde lange Zöpfe, die unterm Helm herausschauen. Um diese „Energie“ zu verändern, wie sie es ausdrückt, integriert sie Yoga in ihren Kurs. Wenige Meter neben der Paradiso-Piste haben ihr Mann und sie vier Holzstangen in den Schnee gerammt, das Symbol Om hineingeschnitzt und die erste Yoga-Piste eröffnet.
Nussbaum steuert eine der Stangen an. Dort fordert sie ihre Schüler auf, tief einzuatmen. „Die gute Luft hier ist gratis.“ Man solle „den Berg unter den Füßen“ spüren. Viele krallten sich in ihren Skischuhen fest, erklärt sie. Das Gegenteil sei beim Skifahren wichtig: Bodenhaftung. Die restliche Abfahrt muss man mit hochgezogenen Zehen fahren, ein anderes Mal sich die Ohren zuhalten, um die Vibration der Bretter zu spüren. Sie wolle ihren Schülern beibringen, intuitiv Ski zu laufen und keinen Stil aus Youtube-Videos zu kopieren. Bei besonders schweren Fällen spricht sie Handyverbot aus. „Die führen ihr Business im Sessellift einfach weiter“, sagt sie, lacht kurz auf, denn ihr Handy vibriert. „Entschuldigung, eine Lady, Freundin der Queen, die ich unterrichte.“
11 000 CHF / 9413 EUR
Zurück ins Dorf: Bei Bally, dem 150 Jahre alten Schweizer Luxusunternehmen, das so etwas wie der offizielle Ausstatter der St. Moritzer Gesellschaft ist, trägt die Schaufensterpuppe einen Herrenpelzmantel: genauer einen Trenchcoat aus beigem Fell für 11 000 Franken, kombiniert mit Bergsteigerstiefeln und einem weiß-blau gestreiften Pulli. Die Bally-Filiale liegt gleich neben der Dorfkirche, die den höchsten Turm des Engadins hat. Kurz rein ins Geschäft, nachfragen, ob es sich um Webpelz handelt. „Wiesel“, antwortet die Verkäuferin knapp.
500 000 CHF / 427 904 EUR
200 Meter oberhalb der Kirche, gegenüber dem Kulm-Hotel, dem ältesten des Dorfes, hat vor zwei Jahren der New Yorker Vito Schnabel seine Galerie aufgemacht. Schnabel ist der Sohn vom Künstler Julian Schnabel und Patensohn des in Suvretta ansässigen Galeristen Bruno Bischofsberger. Dessen Verdienst war es, dass in St. Moritz bereits seit den 1970ern moderne Kunst verkauft wurde, während es in Zermatt nur das Matterhorn in Öl gab. Vito Schnabel war außerdem der Freund von Heidi Klum, und das hat im ansonsten abgeklärten St. Moritz am meisten Eindruck gemacht. Bei Schnabels Galerieeröffnung umringten die Fotografen Klum und ihre Eltern. Belustigt wird in St. Moritz erzählt, es komme seitdem immer wieder vor, dass Touristen das Kulm-Hotel mit vollem Ernst das Klum-Hotel nennen.
Schnabels freundliche Assistentin Andrea gibt eine kleine Führung durch die aktuelle Ausstellung des Konzeptkünstlers Sol LeWitt, den sie immer „der Sol“ nennt, als stünde sie ihm sehr nahe, dabei ist LeWitt bereits elf Jahre tot. Auf die schwarze Rückwand der Galerie ist das Werk „Square, circle and triangle superimposed“ mit Kreide gemalt: ein Quadrat, ein Kreis und ein Dreieck übereinander. Für die halbe Million, die es kostet, erwirbt der Käufer nur eine Anleitung. LeWitt wollte damit die Kunstkunden ins Werk einbeziehen. Ein bisschen wie Malen nach Zahlen. Doch Andrea versichert, dass im Fall eines Kaufs ein Mitarbeiter vom Nachlass vorbeikommt, um die Ölkreide „exakt aufzubringen“.
185 000 000 CHF /158 324 668 EUR
Jan Kulczyk, der es mit Öl, Bier und Telekommunikation laut „Forbes“ zum reichsten Mann Polens gebracht hatte, ließ die Villa „The Lonsdaleite“ am Suvretta- Hang erbauen, ist aber kurz vor Fertigstellung verstorben. Jetzt verkaufen seine Kinder. Ein Protzbau mit sieben Etagen, gotischen Fensterbögen, sechseckigem Treppenhaus und einem mit Echtgold bemalten Frühstücksraum in Ei-Form. Doch der Milliardärshang scheint auch nicht mehr das zu sein, was er mal war: Die Villa steht bereits seit Monaten zum Verkauf.
Reisetipps für St. Moritz
Hinkommen
Von Berlin mit dem Flugzeug nach Zürich und von dort aus mit dem Zug bis St. Moritz. Der Flug dauert anderthalb Stunden und kostet bei der Swiss ab 100 Euro (hin und zurück), weitere drei Stunden Bahnfahrt (ab 36,90 Euro einfache Fahrt).
Unterkommen
Das Kulm-Hotel liegt zentral, es ist das älteste im Dorf. Bar, mehrere Restaurants, Wellnessareal mit 34,5 Grad warmem Außenpool. Der angrenzende Kulm Country Club wurde von Norman Foster restauriert. Preis pro Person im DZ: ab 242 Euro.