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Kurz und bündig. Die Docker Caps sind wieder da.
© imago/runway manhattan

Stylische Kopfbedeckung: Warum die Mützen der Saison nicht mehr wärmen

Erst zeigten alle selbst bei Minusgraden ihre Knöchel, jetzt liegen auch noch die Ohren frei:„Helixing“ ist der neue Wintertrend.

Sie hat etwas von einem Eierwärmer. Einem Teemützchen. Einem gehäkelten Topflappen. Behaglichkeit strahlt sie aus, Wärme, ein bisschen erinnert sie an eine vermeintlich einfachere Zeit. Dummerweise tut sie aber bloß so: Sonderlich bequem ist sie nicht, warm hält sie an einer eher unnützen Stelle, ja, sie erfüllt überhaupt kaum eine Funktion, außer gut auszusehen, oder wie das, was momentan als gut aussehend gilt. Und diesen Winter bestimmt das Coolnesslevel nicht unwesentlich die Mütze, genauer: ihre Kürze.

Modetrends interessieren sich oft nicht für Praktikabilität. Seit Jahren hält sich etwa die knöchelfreie Jeans, eine von Frauen und Männern ganzjährig praktizierte Hosentrageweise, die vielleicht ein bisschen sexy ist, vor allem aber sehr kalt. Auch schon einige Winter lang legen höchstens noch Innenarchitekten ihren Schal in Schlingen um den Hals, alle anderen lassen ihn lose herunterhängen wie eine Art Stola – lässig, aber es zieht dann halt etwas am Rachen.

Jetzt rutscht auch noch die Mütze rauf. Das Modell des Winters, wahlweise als Docker Cap, kurzes Beanie oder Fischermütze bezeichnet, ist eine kleine, meist oben am Hinterkopf sitzende Strickmütze, die auf keinen Fall vollständig über die Ohren reicht. Je nach Radikalität des Trägers lässt sie die sogar gänzlich frei, sodass die Ohrmuscheln in der Kälte glühen, und weil deren wulstige Ränder bei Medizinern Helix heißen, lautet der englische Name für den Trend des Winters „Helixing“.

Warum wurde ausgerechnet eine Kopfbedeckung zum Trend, die ihre einzige Funktion, den Kopf warmzuhalten, unzureichend erfüllt?

Ein bisschen Kälte macht keine Erkältung

Der Besorgte-Eltern-Spruch „Die meiste Wärme verliert der Mensch über den Kopf“ ist zwar Unsinn, exponierte Körperteile mit gleich großer Oberfläche strahlen ähnlich viel Wärme ab. Und ein bisschen Kälte, egal ob an Ohren, Händen oder Füßen, macht sowieso keine Erkältung, dafür muss man mit den Krankheitserregern in Berührung kommen. Allerdings sitzen in der Kopfhaut viele Nervenenden, sodass wir Kälte dort deutlicher spüren. Wenn sich eine Kopfbedeckung auf den Teilbereich des Kopfes zurückzieht, der dank Behaarung in der Regel am ehesten warm bleibt, wird es nicht gleich ungesund, aber zumindest ungemütlich.

Der „Guardian“ investigierte schon vor längerer Zeit in Sachen Helixing. Ihre Recherche führte sie zum Sänger der britischen Popband One Republic, Harry Styles, als, nun ja, Kopf des Trends. Styles, ein langjähriger Mützenträger, habe bis etwa 2014 seine braune Lockenmähne mit großen, der Surf- und Snowboardszene entstammenden Mützen gebändigt („er sah aus wie ein Löwe“). Dann aber seien Styles Kopfbedeckungen geschrumpft, kleiner und kleiner geworden – und mit ihnen die Mützen auf der ganzen Welt.

Beg your pardon, dear „Guardian“, aber dass ein britischer Löwe die Welt verändert hat, ist lange her. Harry Styles ist ein Castingshowboybandsänger, der sich vielleicht von hellsichtigen Modeberatern einkleiden lässt, erfunden hat Styles das Helixing sicher nicht. Höchstens von früheren Helixern übernommen.

Marvin Gaye solidarisierte sich mit der Arbeiterklasse

Der verstorbene Schauspieler River Phoenix zum Beispiel trug seine Mütze schon 1991 im Roadmovie „My Own Private Idaho“ ohrenfrei, Jack Nicholsons Strickmütze in „Einer flog über das Kuckucksnest“ von 1975 reichte gerade so über die Spitze der Ohrmuscheln. Und Marvin Gaye ließ sich quasi die gesamten 70er Jahre hindurch den Hinterkopf, und nur den, von seinem hochgerollten roten Strickmützchen wärmen.

Der Soulsänger war damals allerdings eine Ausnahme. Als früher Mützenfan solidarisierte der Star sich mit der Arbeiterklasse, der Masse, die billige Wollkappen trug. Denn ursprünglich stammt die gestrickte Mütze aus den Häfen, deshalb der Name Docker Cap. Ab Beginn des 19. Jahrhunderts zogen sie Schauerleute in Hamburg, Amsterdam und New York beim Löschen der Frachtschiffladung an. So kurz fiel das Docker Cap aus, weil es wohl weniger dazu diente, die Ohren zu wärmen, als die Haare der Arbeiter zu schützen: Ölschmiere und Kohlestaub sollten sie nicht verschmutzen.

Fischer, Matrosen und andere Schiffsleute übernahmen die Mütze, und bald rüstete auch die US-Navy ihre Soldaten im Ausguck mit der „Watch Cap“ aus. Wegen ihrer Enge blieb sie selbst bei starkem Wind auf dem Kopf, anders als manche Offiziersmütze. Befehle, Nebelhörner und Heulbojen hörten die Soldaten im Ausguck trotzdem bestens – auf den Ohren hatten sie ja nichts.

Kommt jetzt eine neue Aufmerksamkeit?

Früher Mützenfan. Marvin Gaye trug schon in den 70er Jahren hochgerollte Wollkappen.
Früher Mützenfan. Marvin Gaye trug schon in den 70er Jahren hochgerollte Wollkappen.
© imago/

Lange blieb das Docker Cap eine Arme-Leute-Mütze, bestenfalls getragen von einfachen Marinesoldaten, oft auch von Tunichtguten in den Häfen, die sich als Schauerleute ausgaben und Frachtgut stahlen; bis heute versieht Lego seine Gaunerfiguren mit hochgerollten Mützen, auch einige Verbrecher-Emojis haben sie (wenn es sich dabei auch möglicherweise um hochgerollte Sturmhauben handelt).

Unwahrscheinlich, dass die Modeindustrie die Kopfbedeckung nun entdeckt hat, um sich, im Gayeschen Sinn, mit den kleinen Leuten zu solidarisieren. Die Anzahl echter Hafenarbeiter dürfte in den meisten Industrieländern längst unter der Menge bestrickmützter Werbeagenturmitarbeiter liegen.

Nein, die Omnipräsenz des Docker Caps muss einen anderen Grund haben. Tragen gerade vielleicht deshalb so viele ohrenfreie Mützen, damit sie, eine verwegene Idee, besser … hören?

Nicht unbedingt die Befehle eines Vorgesetzten, falls die überhaupt noch Befehle geben, eher die Sorgen der telefonierenden Sitznachbarin in der U-Bahn? Kommt nach den Jahren des Ohrenstöpsel-Rein und Dicke-Studio-Kopfhörer-Auf eine neue Aufmerksamkeit? Der Wunsch, zuzuhören, in einer Zeit, in der angeblich alle immer gleichzeitig aneinander vorbeireden?

Die kleine Strickmütze war schon in den 90ern in

Das wäre schön. Bald ist ja auch Weihnachten. Ein bisschen zu schön. Um einen Epochenwandel auszurufen, die neue Wertschätzung eines Sinnesorgans zu verkünden, ist das vermehrte Tragen von Strickmützen wohl kein ausreichender Beleg. Es ergibt schon Sinn, den Grund für einen Modetrend in der Mode zu suchen und erst danach im Zeitgeist, der die Mode inspiriert.

Denn das Aufkommen des Strickmützchens ab 2013, 2014 fällt nicht zufällig zusammen mit dem Boom um amerikanische Skatemarken wie Palace, Supreme und Thrasher. Geprägt vom Stil der 90er kleiden sie seit einigen Jahren die Jugend der Welt mit Logo-T-Shirts, Jogginghosen und absurd gemusterten Windjacken ein. Damals, in den 90er Jahren, hatte die kleine Strickmütze zwischen all den umgedrehten Baseballkappen, den übergroßen Beanies und den grellen Pudelmützen bereits eine erste Hochphase, nachzusehen in den Kultfilmen dieser Zeit. Außer River Phoenix trägt zum Beispiel auch Jean Reno als Auftragskiller in „Léon – Der Profi“ eine hochgerollte Wollmütze: Mit seinem schwarzen Mantel und der runden Sonnenbrille käme er so heute wieder in die meisten Technoclubs rein.

Im Gegensatz zu den anderen Kopfbedeckungen jener Jahre, die in jüngster Zeit alle auch mal dran waren – sogar der den IQ des Trägers sofort halbierende Eimer- oder Anglerhut –, fehlt der Strickmütze alles Übergroße, Herumhängende, Demonstrativentspannte. Teenager können sie mit Trainingsjacke und Bauchtasche tragen, aber sie sieht auch zum Anzug nicht daneben aus.

Die Ohren sind das neue Dekolleté

Damit passt sie perfekt in die momentane Modeübergangsphase. Während der lässige Turnschuhstil der vergangenen Jahre noch immer die Fußgängerzonen beherrscht, kommen klassischere Kleidungsstücke zurück: Anzughosen, Rollkragenpullover, die Ballon- und Schiebermützen von Zeitungsboten und Bäckerjungen, alle für Männer und Frauen.

Wahrscheinlich ist es aber nicht allein die Sehnsucht nach einer Zeit, in der Hafenarbeiter Anzüge trugen und Zeitungsjungen Schirmmützen, die nun die Docker Cap zurückgebracht hat. Banal, aber es ist wohl schon auch das Hochrollen. Denn das verbindet die Strickmütze mit den hochgekrempelten Hosen und den T-Shirts, deren Ärmel Rapper wie Casper vor ein paar Jahren ständig aufrollten: Alle legen Haut frei – Knöchel, Oberarme, Ohren.

Wenn sich die Kleidung von Männern und Frauen annähert, sie eher hochgeschlossen ist und ohne Ausschnitt, braucht es andere Wege, um zu zeigen, was man hat. Ist es da so abwegig, die Ohren als eine Art Ersatzdekolleté zu sehen?

Immerhin sind sie eine der schöneren erogenen Zonen. Sinnlich. Wer will nicht sofort wärmend über ein kälterotes, weiches Ohrläppchen streichen? Hineinflüstern, es ankn … Naja, vielleicht geht das zu weit.

Florentin Schumacher

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