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Lässig. Die Modefans von heute wählen dezente Designs von Roberta Oaks.
© promo/Roberta Oaks/Paul Strouse

It-Piece des Sommers: Das Hawaiihemd ist zurück

Es war nur noch eine Lachnummer, doch jetzt ist das Aloha-Shirt der Sommertrend schlechthin. Zwar ohne Kokosnussknöpfe, aber für eine laue Prise Südseeromantik reicht es.

Eigentlich müsste irgendwo ein Denkmal stehen, eine Statue vielleicht oder wenigstens eine Gedenktafel. An Stolz mangelt es den Hawaiianern nicht und ebenso wenig an Liebe zu allem, was mit ihren schönen Inseln mitten im Pazifik zu tun hat.

In den paar Straßen nördlich von Downtown Honolulu, die Chinatown genannt werden, obwohl hier weder ein Gewirr an engen Gassen zu finden ist, noch Pagoden rumstehen, geschweige denn glasierte Enten in den Fenstern der Restaurants hängen, in diesem also nur dezent chinesischen Chinatown liegt die Geburtsstätte eines Welterfolgs der Herrenmode. Hier wurde vor etwa 80 Jahren das Aloha-Shirt erfunden – das alle nur Hawaiihemd nennen.

Tatsächlich gibt es was viel Besseres zu entdecken als eine Statue. Ein paar Bars mit Craft-Cocktails, Farm-To-Table-Restaurants, neben einigen Vintageläden, die von besserem Trödel bis echter Schatzgrube reichen, auch ein paar angesagte Boutiquen. Hier, wo früher der Hafen, der Fischmarkt und auch das Rotlichtmilieu waren, ist Honolulu cool. Und der coolste Laden weit und breit ist der von Roberta Oaks.

Lachnummer für Bad-Taste-Partys

Die Designerin verkauft im Geschäft allerhand Mid-Century-Chic-Kleider, Accessoires, Schmuck, Bücher. Die Stars sind aber ihre Hemden. Die sind enger geschnitten, die Muster smarter, minimalistischer, dabei schon eine Verneigung vor den Looks der goldenen Jahre des Hawaiihemds in den 1940er und 1950er Jahren. Nur eben nicht der schrille Kram, den die Touristen in Waikiki tragen, deren Oberteile oft so quietschbunt sind als wären ein paar Mai Tais im Spiel gewesen, als der Stoff entworfen wurde.

Was man bei Roberta Oaks sehen kann: Das Hawaiihemd geht auch hip. Und das schien lange unmöglich. Gute zwei, eher drei Jahrzehnte lang galt es als ideal für alte Männer, die ihren Bauch unter einem Zelt parken wollten, eine Lachnummer für Bad-Taste-Partys oder Junggesellenabschiede. Nur Jürgen von der Lippe hielt dem Blumenhemd die Treue, was einer Trendwende eher den Weg versperrte.

Vom Catwalk ins Weltall

Die kam dann vor zehn Jahren. Als der New Yorker Modeschöpfer Adam Kimmel die polynesischen Muster in seine Kollektion aufnahm, konnte man das noch als Gag eines Exzentrikers abtun. Dann aber zogen Prada, Saint Laurent, Valentino und Balenciaga nach, gefolgt von Urban Outfitters, Gap, Zara und H&M. Das Hawaiihemd mit seinem retro-tropischen Stil war vergangene Sommersaison das High-Fashion-Thema. Diese Sommersaison ist es endgültig ein Highstreet-Trend – also unübersehbar. Auf einer durchschnittlichen Open-Air–Party im Berliner Frühsommer tragen von zehn Männern mindestens vier Kurzarmhemden, die in engerem oder (meist) weiterem Sinne mit dem klassischen Aloha-Shirt verwandt sind. Sogar im Weltraum ist der Trend angekommen. Als Alexander Gerst mit der Sojus-Raumkapsel kürzlich an die ISS andockte, drückten die Astronauten, die ihn empfingen, ihre Freude mit türkisfarbenen Hemden voller weißer Hibiskusblüten aus.

Klar, die haben wohl eher keine Kokosnussknöpfe, wie es die originalen Hawaiihemden hatten. Und nicht die aufwändig bestickten Etiketten. Ebenso wenig das waagerechte Knopfloch, noch so eine Eigenheit, die sich die Schneider aus Chinatown ausgedacht haben. Aber eine laue Prise Südseeromantik verströmen selbst diese Urenkel des Aloha-Shirts.

Eine Postkarte zum Anziehen

Tom Selleck trug als „Magnum“ bevorzugt kreischbunte Hemden.
Tom Selleck trug als „Magnum“ bevorzugt kreischbunte Hemden.
© imago/ZUMA Press

Restlos geklärt ist nicht, wer das erste Shirt geschneidert hat. Halbwegs sicher ist jedoch, dass die Surfboys von Waikiki Anfang der 1930er Jahre anfingen, sich in Chinatown Hemden schneidern zu lassen. Da dort Yukata-Stoffe vorrätig lagerten, die eigentlich für japanische Kimonos gedacht waren, wurden kurzerhand diese verwendet. Bei der Erfindung des Hawaiihemds waren fünf Kulturen beteiligt, wie Linda B. Arthur sagt, die an der Universität von Hawaii dazu geforscht hat: ein westlicher Körper, ein japanisches Material, chinesische Schneider, eine hawaiianische Herstellung – und ein philippinischer Schnitt. Auf den dortigen Inseln war es üblich, Hemden lose und nicht in die Hose gestopft zu tragen.

Schriftlich verbürgt ist, dass am 28. Juni 1935 im „Honolulu Advertiser“ eine Anzeige erschien, in der Musa Shiya, genannt „The Shirtmaker“, seine „Aloha Shirts“ bewarb. Ein Jahr später ließ der hawaiianische Geschäftsmann Ellery J. Chun den Begriff markenrechtlich schützen.

„In gewisser Weise machte das Hawaiihemd Hawaii bekannt“, sagt John Keoni Meigs, ein früher Meister des Textildesigns. Tatsächlich war es ein wichtiges Werbemittel in einer Zeit, als Hawaii-Urlauber noch mit dem Kreuzfahrtschiff kamen. Quasi eine Postkarte zum Anziehen. Entsprechend feierten die Hemden alles, was das Leben auf dem Pazifikparadies ausmachte. Surfer in der Brandung, Kokospalmen im Passatwind, Sonnenuntergänge in Technicolor, glückliche Polynesier in ihren Kanus, anmutige Hula-Tänzerinnen, leuchtende Regenbogen, imposante Wasserfälle – und alles vor der dramatischen Kulisse der erloschenen Vulkane. In ihren besten Jahren hatten die Hawaiihemden einen ausgeprägten Hang zum Plakativen.

Elvis lieferte den Höhepunkt

Und zum Praktischen: Faserrayon trägt sich kühl auf der Haut, knittert kaum, und die Farben verblassen auch nach wiederholtem Waschen nicht. Die Idee, dass man ein Hemd unten nicht abgerundet, sondern gerade schneiden könnte, geht übrigens auf Duke Kahanamoku zurück. Ihn als lokale Gottheit zu bezeichnen, wäre eine fahrlässige Untertreibung. Er gilt als Erfinder des modernen Surfsports, war dreimaliger Olympiasieger im Schwimmen, er war mit Promis wie Bing Crosby eng befreundet und rettete einmal zwölf Menschen aus einem Sturm – nur mit seinem Surfbrett. Und er war das Gesicht einer äußerst erfolgreichen Linie an Hawaiihemden. Ein früher Fall von Influencer-Marketing also.

Den maßgeblichen Popularitätsschub erlebten die bunten Hemden in den 50er-Jahren. Einerseits waren sie eine gängige Ausbruchsfantasie der Prä-Hippie-Generation. In der konservativen Nachkriegszeit hatte der textile Südseetraum mit der Leichtlebigkeit, die ihn umwehte, etwas dezent Subversives. Andererseits war der Pazifik auch ein Hauptschauplatz des Zweiten Weltkriegs. Und die dort stationierten Soldaten zogen es als Zeichen an, dass sie die Kämpfe überlebt hatten.

Als Hawaii 1959 zum 50. US-Bundesstaat wurde, surfte die halbe Nation auf der Tikiwelle. Hotels, Bars, Möbel, Kleidung – alles sollte plötzlich polynesisch sein. Den Höhepunkt dieses Trends lieferte Elvis mit seinem „Blue Hawaii“-Film und dem zugehörigen Album. Das rote Hemd im südpazifischen Tapa-Design, das der King auf dem Cover trug, gestaltete Alfred Shaheen. Für seine Entwürfe werden von Sammlern heute weit über 10 000 Dollar gezahlt.

Ein Erbe ist nachhaltig

Wer weiß, was mit den ganzen Hawaiihemden passieren wird, wenn der Herbst kommt. Vielleicht werden sie nächstes Jahr noch eine Saison getragen. Möglicherweise wird es wieder 20, 30 Jahre dauern, bis sie erneut ihren Cool-Moment bekommen.

Immerhin ein Erbe ist nachhaltig: Die Tradition des Casual Friday, dass man also am Freitag nicht im Anzug ins Büro kommen muss, die geht auf das Hawaiihemd zurück. 1966 wurde in Hawaii der „Aloha Friday“ eingeführt, der die Kleiderordnung für den letzten Tag der Arbeitswoche verbindlich als leger regelte.

Felix Denk

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