zum Hauptinhalt
Wurzelbehandlung. Viele Trails in Tschechien integrieren natürliche Hindernisse, um den Fahrspaß zu erhöhen.
© Peter Slavik

Mountainbiken in Tschechien: Waldwaden: Protzen auf den Trails von Trutnov

In Tschechien erfinden sie derzeit das Rad neu. Hier landen Mountainbiker auf weichen Wurzeln statt auf kantigem Geröll. Man will sich schließlich nicht gleich am ersten Tag die Knochen brechen.

Dusan Mihalecko ist ein Angeber. Einer von denen, die früher auf dem Schulhof allen beweisen mussten, wie weit sie werfen können und welche tollen Tricks sie mit dem Skateboard draufhaben. Heute, mit Mitte 30, zeigt er gern waghalsige Stunts mit dem Mountainbike. Nur statt auf dem Pausenhof in den Wäldern im Norden Tschechiens. Mihalecko arbeitet als Mountainbike-Guide, und Angeberei gehört quasi zum Job. „Da, die schwarze Piste.“ Vor der Abfahrt stehen drei Totenkopf-Schilder zur Warnung. „Für euch ist das eher nichts, aber schaut mal, wie ich runterfahre.“ Das blondbärtige Gesicht verzieht sich zum Grinsen eines Viertklässlers.

Er rollt auf einen Findling zu, mannshoch, am Ende fast senkrecht abfallend. Mihalecko bremst, lehnt sich mit der Brust über den Lenker, das Hinterrad schiebt sich in die Luft. Ein Satz nach vorn, und der Tscheche ist unten angekommen. Ohne Sturz. „Soll ich nochmal? Ihr habt ja gar keine Fotos gemacht!“ Er klingt fast ein bisschen beleidigt.

Der Tscheche hat dennoch gute Gründe, zu protzen. Erstens fährt er wirklich gut. So gut, dass er sogar ein paar Jahre im kanadischen Whistler als Guide gearbeitet hat – für Mountainbiker als Sehnsuchtsziel ungefähr so wie Las Vegas für Pokerspieler. Zweitens hat Mihalecko gemeinsam mit ein paar Freunden einen der spaßigsten Bikeparks des Landes gebaut. Als kommunales Projekt, mit wenigen finanziellen Mitteln. In den Wäldern von Trutnov, einer 30 000-Einwohner-Kleinstadt im Norden Tschechiens. Für die Expertise haben sie extra einen Trailbauer aus eben jenem Whistler eingeflogen, der die Steilkurven und Hügel mit der Präzision eines Schönheitschirurgen formte. „Flow“ nennen das die Mountainbiker, wenn eine Strecke sich so intuitiv fahren lässt, als würde man sich auf einer Achterbahn einfach mitreißen lassen. 17 Kilometer Strecke sind auf die Weise bisher entstanden, bis zu 60 sollen es mal werden.

Gut erreichbar von Berlin aus

Tschechien galt unter Radfans bislang nicht als Hotspot, ist aber seit einiger Zeit dabei, sich einen guten Ruf zu erarbeiten. In Nove Mesto na Morave findet jedes Frühjahr ein World-Cup-Rennen statt, die Strecke wurde mehrfach hintereinander als beste der Saison ausgezeichnet. In den vergangenen zehn Jahren entstanden unzählige neue Trails und Bikeparks. Gut erreichbar von Berlin aus, ideal, um sich ein langes Wochenende auszutoben.

Die Trails von Trutnov sind jedoch eher was fürs Finale. Wer’s am ersten Tag lieber ruhig angehen mag, fährt Crosscountry, also eher hügelig als bergig, auf und ab, mal vorbei an Gasthäusern, mal durch kleine Dörfer und über Forststraßen. Wem das zu langweilig ist, der biegt links oder rechts auf einen der vielen Trails in den Wäldern ab. 48 000 Kilometer Rad- und Wanderstrecke ziehen sich durchs Land. Manchmal hat man stundenlang seine Ruhe, niemand kommt einem in die Quere.

Besonders gut geht das in Vysocina, etwa 50 Kilometer südöstlich von Prag. Totenkopfgeschmückte, schwarz markierte Angeberpisten findet man hier keine, die meisten Strecken sind einfach bis mittelschwierig. Ein guter Auftakt der Tour. Einerseits, weil sich die Schwierigkeitsgrade praktisch stufenlos steigern lassen. Von breiten Schotterpisten über kurvige Pfade und Wurzelwerk bis zu steileren, moosbewachsenen Felspassagen, die einen durchschütteln, als säße man in einem Cocktailshaker. Andererseits, weil die Beine noch frisch sind – beim Crosscountry braucht es Ausdauer und Muskelkraft gleichermaßen.

Enge Kurven, weicher Untergrund

Die Wege sind gut ausgeschildert, es lohnt sich trotzdem, einen ortskundigen Guide dabei zu haben. Schon allein deshalb, weil die jeden Meter auswendig kennen und – nicht zu unterschätzen – wissen, wo man nach der Hälfte des Tages zünftig einkehren kann.

Denn die Infrastruktur unmittelbar an den Radwegen ist überschaubar. Und genau das macht ihren Reiz aus. Das Schönste etwa an den Trails von Vysocina ist schließlich, dass sie weitgehend natürlich verlaufen. Niemand hat hier künstlich den Boden umgegraben, keine breiten Schneisen in den Wald geschlagen, um Sprungschanzen oder anderen Schnickschnack einzubauen. Es gibt keine Après-Ski-Hütten und keine Sessellifte, wie so oft üblich in den Bergregionen, die im Sommer die Skiresorts für den Radsport umrüsten. Sportliche Herausforderung und Nähe zur Natur – hier gibt es beides.

Künstlich angelegt sind dagegen die Single Trails in Pod Smrkem. Der Bikepark liegt im äußersten Norden des Landes, beinahe im Dreiländereck Deutschland-Tschechien-Polen. 80 Kilometer Streckennetz, enge Steilkurven, kleine Sprünge, weicher Untergrund. Darauf fällt es sich im Notfall auch angenehmer als auf Geröll. Man will sich schließlich nicht gleich am zweiten Tag die Knochen brechen. Die Schwierigkeitsgrade hier bestimmt man im Wesentlichen selbst. Sehr langsam kann die Strecken prinzipiell jeder problemlos meistern. Wer schnell fährt, sollte wissen, wie man sich richtig in die Kurve legt, sonst geht’s womöglich ungewollt geradeaus weiter.

Vielleicht die schwarze Totenkopfpiste?

Die Trails von Trutnov sind gut ausgeschildert. Trotzdem lohnt es sich, einen ortskundigen Guide dabei zu haben.
Die Trails von Trutnov sind gut ausgeschildert. Trotzdem lohnt es sich, einen ortskundigen Guide dabei zu haben.
© imago/CTK Photo

Zeit fürs Finale, die Trails in Trutnov, wo Dusan Mihalecko so gern zeigt, was er kann. Die Strecken hier, nur wenige Autominuten östlich von Pod Smrkem, sind von Hand angelegt, haben jedoch die natürlichen Hindernisse integriert. Liegt ein Findling im Weg, gibt es entweder die Möglichkeit, drumherum zu fahren – oder drüber. Im Zweifelsfall gilt: Augen auf und durch! Beziehungsweise drauf. Denn es ist oft eine der paradoxen Regeln im Sport, die beim Mountainbiken über Stürzen oder nicht Stürzen entscheidet – je schneller, desto sicherer. Das heißt, wenn es bergab geht und vor einem ein Hindernis auftaucht, der Fahrer panisch wird und bremst, wird er zwar langsamer, kann sich aber darauf verlassen, zu fallen. Je schneller die Abfahrt, desto leichter lässt sich die Balance halten. Über kleinere Unebenheiten schwebt man praktisch hinweg. Das ist die fortgeschrittene Version des Versuchs, an einer roten Ampel mit dem Rad stehen zu bleiben, ohne die Füße auf den Boden zu stellen. Jedoch, nur um das klar zu stellen, die Regel gilt nicht in Kurven!

Dass es in Tschechien kaum Lifte gibt, die einen den Berg hochtragen, bedeutet auch, dass jeder, der runterfahren will, vorher rauffahren muss. Enduro heißt die Disziplin, bei der der Spaß einer steilen Abfahrt im Vordergrund steht, man sich den allerdings zuvor verdienen muss. Das funktioniert in Trutnov nur über einen brutal langen und steilen Anstieg. Kaum Gelegenheit, zwischendurch zu verschnaufen. Selbst erfahrene Biker sagen: Mehr als zwei, maximal drei Mal an einem Tag ist das nicht drin. Hat man den Schwung einmal verloren, kommt man bloß noch zu Fuß weiter.

Die Stimme im Kopf: „Uff“, „Fuck“, „Yeah“

Ziehen, Drücken, Treten und Schieben. Die Oberschenkel brennen, die Muskeln sind sauer, irgendetwas in der Richtung hatte man in Bio jedenfalls mal gelernt. Wahrscheinlich sind sie sauer, weil sie sich so abrackern müssen. Die Knie werden müde vom ständigen Strecken und Beugen. Bergauf geht es klar zu Lasten der Beine.

Ohne das alles wäre das, was anschließend kommt, nichts wert. Die Abfahrt. Steil, mal mehr, mal weniger. Manchmal gerade so, dass man sich möglichst tief hinter den Lenker presst, als könne man sich hinter dem Gartenschlauch-dicken Rohr verstecken. Um dem Wind zu entgehen, dem Luftwiderstand, weil der Abschnitt hier viel größeren Spaß macht, wenn man ihn schnell nimmt. Sich mit Anlauf in die enge Kurve pressen lässt, um am anderen Ende der Wendung wieder rauszuschießen. Plötzlich geht es richtig fies runter. So steil, dass man die Zeigefinger beider Hände vorsorglich etwas fester auf die Bremsen legt – immer nur mit einem Finger! – die übrigen vier pro Hand umklammern den Lenker. Die Muskeln anspannt, den Blick verengt, den Po fast aufs Hinterrad drückt, um nicht vornüber zu stürzen. Meist sehen die kurzen Passagen aus dieser Haltung viel spektakulärer aus, als sie sind. Die Stimme im Kopf sagt „Uff“, dann „Fuck“, dann „Yeah“.

Süchtig nach dem nächsten Kick

Der Rücken verhärtet sich von der dauerhaften Anspannung, das Greifen fällt schwer. Der Unterarm sträubt sich dagegen, zuzupacken. Diesmal zieht’s in den Oberkörper. Es geht um Körperspannung, um Konzentration, Gleichgewicht, Überwindung. Ums Aufbauen von Spannung, um Nervosität. Um die Millisekunde des Zögerns.

Trail um Trail, Abfahrt um Abfahrt wird die Vernunft leiser, der Nervenkitzel treibt einen voran auf schwierigeres Terrain, über spitzere Felsen, größere Sprünge. Wie ein Süchtiger auf der Suche nach dem nächsten Kick. Vielleicht die schwarze Totenkopfpiste? Ein bisschen Restverstand im Hirn ist zum Glück noch übrig.

Reisetipps für Tschechien

Hinkommen

Am bequemsten von Berlin nach Prag mit dem Bus oder dem Zug. Mehrmals täglich vom ZOB, darunter Flixbus. Tickets ab 19 Euro. Ein tschechischer Anbieter ist Regiojet. Zwischen vier und sechs Stunden Fahrzeit. Auch die Bahn fährt in vier Stunden, Tickets meist um 40 Euro.

Unterkommen

Eine urige Pension in der Region Vysocina ist das Gästehaus Pod Dratnikem. Nur Mehrbettzimmer. Übernachtung inklusive Frühstück ab 36 Euro. (poddratnikem.cz)

Rumkommen

Die Guides von Czech MTB Holidays kennen die Trails der Region bestens und planen Acht-Tages-Touren inklusive Unterkunft, Verpflegung und bei Bedarf Leihrad. Ab 960 Euro, je mehr Teilnehmer, desto günstiger wird es. (czechmtbholidays.com)

Mehr Infos unter czechtourism.com.

Zur Startseite