Bund verurteilt Ausnutzen von Krisensituation: Verbreitung von Falschmeldungen im Flutgebiet „niederträchtig“
Die Bundesregierung hat auf Attacken auf Helfer in den Katastrophengebieten reagiert. Aus der rechten Szene sollen auch Falschmeldungen verbreitet worden sein.
In den westdeutschen Flutgebieten wird mit Hochdruck aufgeräumt, mancherorts wird mit dem Wiederaufbau begonnen. Mit dabei sind auch freiwillige Helfer und viele ehrenamtliche Einsatzkräfte aus dem ganzen Bundesgebiet. Obwohl sich sehr viele der Flutopfer wegen der großen Verluste, die nicht nur materiell sind, in einem emotionalen Ausnahmezustand befinden, zollen sie den Helfern großen Respekt, manche sind überwältigt von der Solidarität.
Doch das gilt offenbar nicht für alle. So sollen ehrenamtliche Helfer des Technischen Hilfswerks (THW), das mit insgesamt 4000 Kräften in den Katastrophengebieten aktiv ist, mitunter unfreundlich empfangen worden sein. „Das geht dann soweit, dass unsere Helferinnen und Helfer beschimpft werden“, sagte die Vize-Präsidentin des THW, Sabine Lackner, am Samstag im RTL/ntv-„Frühstart. „Wenn sie mit Einsatzfahrzeugen unterwegs sind, werden sie mit Müll beschmissen“, fügte Lackner hinzu.
Hinter den Angriffen steckten vor allem Querdenker oder Menschen aus der Prepper-Szene, die sich als Betroffene der Flutkatastrophe ausgäben. Es würde von diesen Menschen bewusst Stimmung gemacht.
Die Bundesregierung verurteilte nun Angriffe auf Helfer in den Hochwasser-Gebieten scharf. Die Meldung des THW sei leider nicht der erste vergleichbare Vorfall gewesen, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer der Nachrichtenagentur dpa zufolge am Mittwoch in Berlin. „Wir tolerieren keine solchen Angriffe auf Helferinnen und Helfer. Und wir tolerieren auch nicht die Ausnutzung der Lage durch extreme Kräfte.“
Demmer verurteilte auch die Verbreitung von Falschmeldungen und Desinformation in den Hochwassergebieten. Dies verstärke die „angespannte Situation“ und die „Verunsicherung der betroffenen Menschen“, sagte Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer am Mittwoch in Berlin. „Das halten wir für besonders niederträchtig und verwerflich und das verurteilen wir auf das Schärfste.“
Die Polizei im Katastrophengebiet an der Ahr hatte von möglichen Aktivitäten von Rechtsextremisten und der sogenannten „Querdenker“-Szene berichtet. Aus einem Fahrzeug sei auch eine Falschmeldung verbreitet worden.
Nach Informationen aus Sicherheitskreisen waren an den Aktionen in Bad Neuenahr-Ahrweiler auch prominente Vertreter der „Querdenker“-Bewegung beteiligt, die zuvor bei Corona-Protesten aufgefallen waren.
„Eine Instrumentalisierung dieses schlimmen Geschehens, das Konterkarieren von unmittelbar wichtigen Hilfsleistungen und das Ausnutzen der angespannten Lage der Menschen vor Ort, verbunden mit Mobilisierungsversuchen, ist hier klar zu erkennen“, sagte Demmer mit Blick auf die Hochwassergebiete insgesamt. Details nannte sie nicht.
Bereits in der Corona-Pandemie sei zu sehen gewesen, wie sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter, Verschwörungsanhänger und Rechtsextremisten versucht hätten, die Gesellschaft unter dem Deckmantel der Demonstrations- und Meinungsfreiheit und einer legitimen Kritik an staatlichen Maßnahmen zu spalten.
Die THW-Vizepräsidentin hatte weiter gesagt, es gebe auch einige frustrierte Flutopfer. Sie könne zwar Enttäuschungen einiger Betroffener gerade in kleineren Gemeinden verstehen. Einige Orte seien lange komplett abgeschnitten gewesen. „Wenn es dann Kräfte gibt, dann ist man auf der einen Seite natürlich froh, dass endlich jemand da ist, fühlt sich aber vielleicht ein bisschen benachteiligt.“
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Das THW werde vor Ort eingebunden und eingesetzt durch die örtliche Gefahrenabwehr, sagte Lackner, die die erste Frau in der Führungsspitze des THW und seit 2020 Vizepräsidentin ist. Man sei den zivilen Freiwilligen dankbar, die sich spontan auf den Weg gemacht hätten, um vielerorts Keller mit eigenem Gerät etwa Keller leer zu pumpen.
„Unsere oberste Priorität geht darüber hinaus, also zum Beispiel, dass wir einen ganzen Stadtteil oder Ortsteil mit Strom versorgen können.“ Für das einzelne Flutopfer, dass sich frage, warum kommt denn jetzt niemand, sei das manchmal schwer zu verstehen.
Die Einsatzkräfte seien bei ihrer Arbeit auch von Menschen gefilmt worden, die sich nicht als Pressevertreter erkenntlich gemacht hätten, sagte Lackner. Zum Schutz habe das THW veranlasst, dass die Kollegen ihr Namensschild von der Kleidung abnehmen. „Das ist sehr bedauerlich und belastet unsere Einsatzkräfte zudem“, sagte Lackner. Ihr selbst sei dazu geraten worden, in zivil und nicht als THW-Mitarbeiterin erkennbar ins Flutgebiet zu reisen, so Lackner. Sie werde dies aber „selbstverständlich“ nicht tun.
[Bei T+ lesen Sie hier: „Wir wussten nicht, was auf uns zukommt“ – Wo Deutschlands Hochwasser-Warnsystem funktioniert hat und wo nicht]
Es seien noch keine Einsätze wegen der Vorfälle abgebrochen worden. Die Lage werde auch von der Polizei sehr genau beobachtet. Für die ehrenamtlichen Helfer sei die Situation psychisch belastend. „Ich bin unseren Einsatzkräften unendlich dankbar, dass sie recht unerschrocken weitermachen und für die Menschen Erleichterungen schaffen“, sagte Lackner. Es gebe zudem speziell ausgebildete Teams für die Einsatznachsorge, „die schicken wir jetzt schon mit“.
Die Polizei Koblenz zeigte sich bestürzt über die Berichte. „Sollte die Polizei von einem solchen Vorfall Kenntnis erhalten, werden wir sofort und mit aller Entschiedenheit dagegen vorgehen“, schrieb sie am Samstag auf Twitter. Derzeit könne die Polizei in Koblenz die Schilderungen aber „in keiner Weise“ bestätigen. „Wir selbst haben erst aus den Medien von diesem angeblichen Vorfall erfahren und dies sofort beim THW und unseren Polizeikräften überprüft“, so die Polizei.
Lackner zufolge haben in den Flutgebieten rund 30.000 Menschen derzeit kein Trinkwasser, keinen Strom oder müssen auf beides verzichten. „Wir gehen derzeit davon aus, dass wir noch einige Wochen vor Ort sein werden.“
Im Moment sei das THW dabei, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass möglichst viele Menschen wieder in ihre Häuser können. Man begleite Statiker und Baufachberater und prüfe, ob Strom, Gas, Wasser und Abwasser funktionieren. Man stelle zudem gerade ein Team aus Experten zusammen, das die örtlichen Kräfte beraten solle, zum Beispiel beim Brückenbau. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz seien mehr als 80 Brücken zerstört oder schwer beschädigt. Am Samstag werde mit 24-stündiger Verspätung etwa der Bau einer Behelfsbrücke im rheinland-pfälzischen Ahrweiler durch das THW beginnen, sagte Lackner.