Mulacks neue Berliner Küche - die Rezeptkolumne: Vegetarische Soljanka
Sie war die Suppe des Sozialismus, ein Klassiker der DDR. Der pikante (Reste-)Eintopf schmeckt auch heute noch als zeitgemäß vegetarische Version.
Die Ursprünge dieses gehaltvollen Eintopfs liegen in der russisch-ukrainischen Küche. In Kochbüchern des 18. Jahrhunderts soll es bereits Rezepte für „Seljanka“ geben, die allerdings alle möglichen rustikalen Suppen beschrieben, mal mit Fisch, mal mit Fleisch und oft mit Kraut.
Lediglich die Beigabe von Salzgurken und deren Lake erinnert an die bei uns verbreitete Version, wobei sich „Verbreitung“ im Wesentlichen auf das Gebiet der ehemaligen DDR bezieht, genau genommen auf einschlägige Ausflugsgaststätten, in denen Würzfleisch, Steak au four und Jägerschnitzel (mit panierter Jagdwurst!) die kulinarische Unverwüstlichkeit des Arbeiter- und Bauernstaates postulieren.
Es gibt nicht nur ein Rezept für Soljanka
Die offene Form der russischen Vorlage war ein wichtiger Faktor, der die Soljanka in der DDR so erfolgreich machte, kam sie doch der sozialistischen Planwirtschaft entgegen: Gab es keine Kabanossi, nahm man eben Salami, gab es kein Kasseler, wurde der Aufschnitt von gestern verwertet oder Bratenreste oder Schweinenackensteaks. Und seit Mitte der sechziger Jahre stand in den von Rudolf Kroboth für die HO-Gaststätten konzipierten Fischrestaurants „Gastmahl des Meeres“ immer auch eine „russische Fischsoljanka“ auf der Karte, wechselnde Fischeinlagen nach Marktlage garantiert.
Zur Wiedererkennbarkeit einer Soljanka benötigte es lediglich eingelegte Gurken, den Klecks Sauerrahm obenauf und vor allem die großzügige Beigabe von Letscho. Das ungarische Fertiggemüse aus eingekochter Paprika, Zwiebeln, Tomaten und Gewürzen bringt mediterrane Exotik in das ansonsten von Spreewaldaromen dominierte Gericht. Letscho schmeckte nach Sonne, Freiheit, Reisen in ferne Länder und war praktisch immer verfügbar: zum Mitnehmen im Einweckglas.
Kulinarische Reisen zu den Brüderländern
Soljanka wurde die Suppe des Sozialismus, sie schlug die Brücke zu den Küchen der „Bruderländer“. Staatliche Organe propagierten in den Sechzigern und Siebzigern „kulinarische Reisen“ in die Sowjetunion, nach Polen, Bulgarien und Ungarn – zweifellos Reisen in fiktive Länderküchen, die meisten DDR-Bürger erlebten Borschtsch, Kebabscheta, Huhn Tabaka, bulgarische Mussaka nur so, wie sie in den HO-Gaststätten angeboten wurden: Speisen, bei denen sich die Qualität mit der Versorgungslage veränderte.
Nach dem Mauerfall war die Soljanka einer der wenigen DDR-Klassiker, der praktisch unverändert in den gesamtberliner Speiseplan aufgenommen wurde. „Sich an den Geschmack von gestern zu erinnern, bedeutet, sich an einen Tisch zu setzen mit denen, die wir waren und nicht mehr sein wollten, ein Resteessen mit der Vergangenheit“, schreibt Jutta Voigt in ihrer heiter erhellenden Spurensuche „Der Geschmack des Ostens“ (Kiepenheuer). Kantinenküchen nahmen die Einladung zur Resteverwertung gerne an, und Spitzenköche nutzten die Freiheit, aus den vagen Rezeptvorgaben den Eintopf in ausgefeilte Kreationen zu überhöhen.
Herausragendes Beispiel war der „Signature Dish“ des leider inzwischen geschlossenen Restaurants „Slate“ in Mitte. Küchenchef Lukas Bachl dekonstruierte die Soljanka als Tatar, tupfte darauf fein säuerlich abgeschmeckte Gurkentexturen und setzte das alles in eine mutig angeschärfte Rote-Bete-Brühe. Wobei man bei Bachl die Gnade seiner süddeutschen Geburt gelten lassen muss; Soljanka wird nie mit Rote Bete gemacht, sonst wäre sie ja eine Art Borschtsch.
Sehr frei geht auch Koch Kristof Mulack an die Soljanka heran. Dass seine Version rein vegetarisch ist, könnte man noch als Anleihe an das russische Original sehen, bei dem Fleisch nicht vorgeschrieben war. Dass er Gewürz- statt Salzgurken verwendet, ist schon ungewöhnlicher. „Es geht gar nicht darum, dass die Gewürzgurken knackiger sind, das verliert sich sowieso beim Kochen. Ich mag aber das süß-saure Einlegewasser der Gewürzgurken lieber als die muffige Salzlake“, sagt Mulack. Immerhin, seine Gurken kommen immer aus dem Spreewald, wo er – lange nach dem Mauerfall – in einem Imbiss zum ersten Mal Soljanka gegessen hatte.
Das Raucharoma, das sonst von Wurst oder Kasseler beigesteuert wird, simuliert er mit geräuchertem Paprikapulver. Statt Letscho verwendet er eingelegte, gegrillte Paprika für den Geschmack und sautierten Puszta-Salat für den Biss. Mit der koreanischen Gochujang-Paste reißt er dann das Tor zu einer fernen Welt auf, die in diesen Zeiten noch viel weiter entfernt scheint als Ungarn für den DDR-Bewohner der siebziger Jahre.
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Rezept - vegetarische Soljanka
Zutaten für 6 Personen
1 Kilo gegrillte Paprika (eingelegt, aus dem Glas) 850 ml Spreewaldgurken mit dem gesamten Einlegewasser 500 g doppelt konzentriertes Tomatenmark z.B. von „Mutti“ 4 El Gochujang (scharfe, fermentierte koreanische Gewürzpaste aus dem Asiamarkt) 1 Gemüsezwiebel 350 g Pusztasalat 2 EL Butter 500 ml Wasser 1/2 Zitrone 1 Bund Dill 250 g saure Sahne 2 El Öl 1TL geräuchertes Paprikapulver Salz und Pfeffer
Zubereitung
Die Gemüsezwiebel grob zerschneiden und dann in etwas Öl in einem Topf glasig anbraten, ohne dass sie Farbe annimmt.
Das Tomatenmark und die Gochujang-Paste dazugeben und leicht karamellisieren lassen.
Dann die gegrillte Paprika mit dem Einlegewasser dazugeben und mitschmoren lassen.
Die Spreegurken ebenfalls grob zerschneiden und hinzugeben, das Einlegewasser durch ein Sieb gießen und dann auch in den Topf schütten.
Nun mit Wasser auffüllen und alles für ca. 15 Minuten kochen lassen.
Anschließend die Butter hinzufügen und alles mit einem Mixstab zu einer möglichst glatten Suppe pürieren (wer will, kann die Suppe auch noch einmal durch ein Sieb passieren).
Danach mit Salz und Pfeffer abschmecken.
Den Pusztasalat in einem Sieb abtropfen lassen und dann mit etwas Butter und dem geräucherten Paprikapulver in einer Pfanne anrösten, bis fast die gesamte Flüssigkeit verdampft ist.
Anrichten
Die Saure Sahne aufschlagen und mit etwas Salz und Zitronensaft abschmecken.
Dill grob hacken.
Suppe in tiefe Schüsseln portionieren, einen Klecks Saure Sahne und etwas Dill darüberstreuen.
Lesetipp.
Die Zeitzeugin und Journalistin Jutta Voigt erzählt erfrischend selbstironisch von Versorgungsengpässen, Blüten der Mangelwirtschaft und der Kunst zu improvisieren: Ein unterhaltsamer Rundumschlag zur Esskultur in der DDR.
„Der Geschmack des Ostens“, Kiepenheuer 2005, 214 Seiten, 14,95 Euro (Das Taschenbuch ist im Aufbau Verlag erschienen, 9,90 Euro).
Hier finden Sie weitere Rezepte aus der Serie "Mulacks neue Berliner Küche"
Teil 1: Königsberger Klopse
Teil 2: Blumenkohl polnisch
Teil 3: Hackepeter Deluxe
Teil 4: Senfeier mit marinierter Bete