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Pure Romantik? Wer heiraten will, muss leider auch viel Papierkram erledigen.
© imago/Westend61

Kolumne: Angie Pohlers sucht die Liebe: Traut euch doch – aber lasst die Kirche im Dorf!

Meldebescheinigung und Reisepass reichen aus, um auf der dänischen Ostseeinsel Ærø zu heiraten. Wer schert sich da noch um die perfekte Tischdeko?

Ja, ich will. Haben Sie diesen Satz kürzlich auch gehört? Vielleicht als direkt Betroffener, wahrscheinlicher aber als geladener Gast, als bester Freund, Onkel oder Kollegin. Mussten Sie dafür rausfahren, Schloss in Brandenburg? Oder haben Sie zwei Wochen Urlaub genommen, weil die Trauung auf Bali stattfand? Hoffentlich hatten Sie ein bisschen was zurückgelegt, denn Anreise und Unterkunft waren nicht billig. Und das Geschenk kam noch dazu.

Es ist wieder so weit: Die Hochzeitssaison erreicht ihren Zenit. Bekannte stöhnen schon, dass sie kein Wochenende mehr für sich haben. Ich bin neu im Geschäft, mein Freundeskreis hält sich bislang eher zurück, manche sagen sogar: Heiraten – wozu? Bourgeoises Gehabe, private Steueroase, you name it. Natürlich kann man auch ohne Ring am Finger glücklich (und unglücklich) sein. Ich finde beides in Ordnung.

Hochzeitsplaner und Designertorte - muss das sein?

Das Heiraten hatte es ja lange schwer in Deutschland, nach dem Mauerfall hatte sich ein Knick in die Statistik geschlichen – waren die 90er zu verheißungsvoll? Zu unsicher? Wie dem auch sei, die Kurve erholt sich langsam, und wenn es heute zwei tun, muss es oft richtig knallen: Wedding Planner, Zeremonie im toskanischen Landhaus, Designertorte, geschmackvolle Fotos für Facebook. So viel Aufwand, weil hier die hoffentlich ewig währende Liebe gefeiert wird. Auch das finde ich in Ordnung. Aber zwischen all den Hochzeitsphobikern und denen, die feiern wollen wie Harry und Meghan, gibt es ein gefühltes Vakuum. Warum? Traut euch doch – aber bitte lasst die Kirche im Dorf.

Dazu passt die Geschichte von Saoirse und Tom. Sie Kanadierin, er Deutscher. Saoirse hatte in Freiburg studiert und machte gerade ein Praktikum, als es vor einem Jahr Probleme mit dem Visum gab. Nach vielen ermüdenden Besuchen bei der Ausländerbehörde sagte eine Beamtin: Am besten wäre es, Sie heiraten. Das wollten die beiden auch, aber eigentlich erst später und nicht, weil eine Dame vom Amt es vorschlägt. Nun, die beiden fanden sich damit ab, dass das Leben andere Vorstellungen von Romantik hatte und begannen sich um alles zu kümmern. Doch die kanadischen Behörden stehen ihren Berliner Pendants bei Langsamkeit und Schludrigkeit offenbar in nichts nach, und so kam die benötigte Geburtsurkunde einfach nicht an. Die Zeit bis zum Ende des Visums lief davon.

Heiraten im Zehn-Minuten-Takt

Da erfuhren Saoirse und Tom von einer Insel, die als europäisches Las Vegas gilt – ohne die Casinos, aber mit den Hochzeiten. Dank liberaler dänischer Gesetze hat Ærø eine ansehnliche Hochzeitsindustrie aufgebaut. Meldebescheinigung und Reisepass reichen aus, Termine gibt es auch kurzfristig. Ein halbes Dutzend Standesbeamte und etwa 25 Agenturen produzieren an manchen Tagen Ehen im Zehn-Minuten-Takt. Die bekannteste Agentur bietet Pakete ab 990 Euro, Registrierungs- und Raumgebühren sowie alles Bürokratische inklusive. Bei knapp 6000 Einwohnern gab es hier 2017 mehr als 4200 Trauungen, die meisten hatten ausländische Pässe. Manche kommen, weil sie in ihrer Heimat als gleichgeschlechtliches Paar nicht heiraten dürfen. Und viele suchen so wie Saoirse und Tom nach Lösungen für ihre globalisierte Liebe. Wer schert sich da noch um die perfekte Tischdeko?

Und so standen die beiden bald vor einem nüchternen Flachbau auf der sonst recht schönen Insel. Die Trauung war kurz, den schnell besorgten, billigen Ring verlor Tim noch am selben Tag beim Planschen in der dänischen Südsee. Nicht schlimm, sagen sie. Das Wichtigste hatten sie: sich.

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