Nordkap-Kreuzfahrt: „Traumschiff“-Fans machen den Reality-Check
Seine Familie schaut seit Jahren fanatisch die TV-Serie. An Bord eines Kreuzfahrtschiffes fragt sich unser Autor aber: Wo bleiben die Verwicklungen?
„Papa, wo ist denn der Kapitän?“ Da steht man vor so einem Kreuzfahrtschiff, Anlegestelle Kieler Hafen. Unser elfjähriger Sohn hat uns hierher gebracht. Er hatte zig „Traumschiff“-Folgen im Fernsehen geschaut. Irgendwann kam der Wunsch: „Können wir da nicht auch mal mitfahren?“ Tja. Können wir? Man hat da ja seine Vorbehalte, seinen David Foster Wallace gelesen, die schrecklich-amüsante Reportage über eine Kreuzfahrt. Doch was trägt schon Kulturkritik gegen die Macht eines Kindes? Halb fielen wir, halb sanken wir hin, am Ende wurde gebucht: Einmal von Kiel zum Nordkap und zurück, 14 Tage All-Inclusive. All-Inclusive-Erwartungshaltung, versteht sich.
„Traumschiff“-Kapitän Sascha Hehn wurde bei meinem Sohn schon zu einer Art ewigem Navigator. Pol der Sicherheit. Steter fürsorglicher Reisebegleiter. Fast eine Vaterfigur. Und dann das am Tag der Anreise: Du landest mit Familie vorm Bauch so eines Riesenschiffs – und wirst freundlich und ohne Umwege in deine Kabine gewiesen. Von wegen großer Mann mit weißer Mütze, der seine Gäste mit Sektglas an der Reling begrüßt. Der Kapitän auf unserem Schiff, der AidaAura, zeigt sich erst viel später, und dann auch nur spärlich.
Wir gehen natürlich trotzdem rein. Staunen über die Ausmaße des schwimmenden Hotels, das 14 Tage lang unsere Heimat sein wird. Schier endlose Gänge und Treppengeländer, zwölf Decks, auf jedem handballfeldgroße Unterhaltungscenter. 1440 Passagiere, mehrere Restaurants, emsige Bedienungen, Pool-Deck, Theaterraum, Shuffleboard. Von der Ausstattung her ist die AidaAura mit der kleineren MS Amadea vergleichbar, auf der die „Traumschiff“-Crew um Sascha Hehn als Kapitän Burger, Nick Wilder als Doktor Sander und Harald Schmidt als Kreuzfahrtdirektor Schifferle über die Weltmeere schippert.
Die AidaAura fährt noch mit Schiffsdiesel
Seit 1981 läuft das Format, mehr als 80 Folgen. Das hat viele der sieben, acht Millionen „Traumschiff“-Gucker offenbar zum Nachmachen angestiftet. Nicht nur hier auf der Nordkap-Route, in der Hauptreisezeit von Mai bis September mit den unzähligen Aida- und Hurtigruten-Schiffen, die sich in den Fjorden drängeln.
Rund eine Million Menschen steigen laut Fachzeitschrift „FVW“ jedes Jahr in Deutschland auf ein Kreuzfahrtschiff. Es werden stetig mehr. Selbst Skeptiker können sich der Faszination eines schwimmenden Hotels mit Fulltime-Service nicht ganz entziehen, wenn man es schafft, das Thema Umweltschutz auszublenden. Einiges soll da gerade besser werden, demnächst geht das erste mit Flüssiggas betriebene Kreuzfahrtschiff in Betrieb.
Die AidaAura fährt noch mit Schiffsdiesel. Unterwegs wird die eine oder andere schwarze Wolke aus dem Schornstein geblasen. Ignoriert von den Passagieren auf dem Sonnendeck. Die nippen an ihren Cocktails und fühlen sich, wer weiß, so privilegiert wie Heinz Hoenig oder Michaela May, jene Stars aus 37 Jahren „Traumschiff“.
Man muss sich da als Kleinfamilie schon sehr mögen
Wobei, ganz so privilegiert ist das auf der AidaAura dann doch nicht. Einige wenige Suiten wie im Fernsehen gibt es zwar. In der Hauptsache drängen sich aber erst mal 1800 Menschen, inklusive Crew, auf einem 200 Meter langen und 28 Meter breiten Schiff. Was für ein Kontrast: Hier die Größe des Schiffes, allein das Sonnendeck misst mehr als 3000 Quadratmeter, dort unsere 17-Quadratmeter-Kabine mit Miniatur-WC. „Papa, wo ist der Balkon?“ Zähneputzen muss generalstabsmäßig geplant sein. Man sollte sich da als Kleinfamilie schon sehr mögen.
Andererseits, wen hält es länger in der Kabine, wenn es mit dem Schiff in den Geirangerfjord geht? Draußen-Frühstück im Calypso-Restaurant. Rechts die hohen Felsen, ein Rauschen, „Sieben Schwestern“, die berühmten Wasserfälle. Möwen umschwirren das Steuerbord. In dem Takt geht es weiter. Bodo, Leknes, die Lofoten. Von Seetag zu Landtag, von Landtag zu Seetag. Langsam hat sich der Gleichgewichtssinn ans Wellenschaukeln gewöhnt. Reisetabletten können nicht schaden.
Und wenn nicht, gibt es auf der AidaAura ja auch einen Schiffsarzt. Der kann mit der wilden Lässigkeit vom „Traumschiff“-Doc Nik Wilder allerdings nur bedingt mithalten. Dazu muss man sich bloß die nächste Weihnachts-Ausgabe anschauen. Da spielen Wilder und Kapitän Burger Poker, um einen Kombüsenkoch als Erpresser zu enttarnen, der die Gäste vergiften will. Darauf können wir in der Realität gerne verzichten. Dort geht’s friedlicher zu.
Was Lustiges, was mit Liebe, was mit Spannung
Einmal schon ist auch die „Traumschiff“-Crew an Norwegens Küsten entlang geschippert. Wir Fernsehfüchse wissen daher: Schlafbrillen in den Koffer! Denn richtig dunkel wird es auf den Lofoten im Spätsommer nicht. Das hilft uns dagegen beim nächtlichen Ausflug am Ziel dieser Reise: das Nordkap, das – entgegen der weit verbreiteten Auffassung – gar nicht der nördlichste Punkt Europas ist. Der heißt Kinnarodden und liegt etwas weiter östlich.
Noch eine Illusion also, aber trotzdem ein spektakulärer Ausflug, der Start ist auf 23 Uhr gelegt. Leider verschwindet das ins Nordpolarmeer ragende Kap in Dunstschwaden. Unwirkliche Landschaften im Halbdunkel, ewiges Morgengrauen, wie in „Herr der Ringe“. Ein guter Ort eigentlich auch für Landausflüge im Fernsehen. Vielleicht wäre es Sascha Hehn aber zu kalt.
Acht, neun Grad. Kurzzeitig reißt der Nebel auf. Freier Blick aufs Meer. Hier ist Europa fast zu Ende. Oben auf dem Nordkap warten Touristenscharen. 1000 Selfies. Massentourismus, wie ihn uns die Fernsehfiktion vorenthält. Von den Gästen auf dem Fernseh-Traumschiff sieht man immer nur die, die für die Geschichte wichtig sind.
„Egal, was ihr tut, habt Spaaaaß!“
Zurück zur Eingangsfrage: Wo steckt der Kapitän? Und: Wo bleiben die Verwicklungen? Lecker essen, stressfrei relaxen, Verwöhnprogramm schön und gut, aber nach Sichtung von 30 Traumschiff-Folgen ließ sich mein Sohn nicht von dem Glauben abbringen, dass sich unter so vielen Passagieren an Bord doch die eine oder andere verzwickte Geschichte ergeben müsse. Es ist ja kein Entkommen. Man sieht sich mindestens zwei Mal. Wie in 90 Minuten Traumschiff, das sich an drei Personenkonstellationen, drei Geschichten entlang erzählt. Was Lustiges, was mit Liebe, was mit Spannung. Wo Kapitän, Chefhostess, Schiffsarzt und Kreuzfahrtdirektor ihr Möglichstes tun, um für alle Beteiligten ein Happy End zu schaffen.
Auf der AidaAura führen Hoteldirektor Michael und Entertainment-Managerin Silvia unablässig Unterhaltungsprogramm auf. Revue, Theater, Comedy, Vorträge, Singletreff, Chorsingen. Silvia sagt in 14 Tagen über Bordlautsprecher so oft aufgekratzt: „Egal, was ihr tut, habt Spaaaaß!“, dass man bald nie wieder Spaß haben will und sich die entspanntere Heide Keller als Chefhostess Beatrice aus der alten Traumschiff-Crew herbeiwünscht.
Oder jetzt endlich doch mal den leibhaftigen Kapitän – scheinbar allmächtig wie im Traumschiff-Ableger „Kreuzfahrt ins Glück“, der sonntags gleich hinter der klassischen „Traumschiff“-Folge kommt. Dort schreitet Kapitän Burger an Bord persönlich zur Trauung. Man möchte glauben, dass solch eine Ehe doppelt lang hält.
Das Captain’s Dinner ist nur ein Mythos
Das mit der Trauung ginge prinzipiell auch auf See, mit einer speziellen Lizenz, sagt Sven Laudan, der Kapitän der AidaAura. Kurz vor Ende der Reise zeigt er sich nämlich doch noch, der Chef, der Souverän: ein Kurzbesuch auf der hermetisch abgeriegelten Brücke. Passagiere dürfen hier nicht rein. Anders als bei Victor Burger, der Kindern mit der charmanten Autorität eines Nachrichtensprechers die Kommandowelt oben im Traumschiff erklärt. Das lässt Laudan, Typ norddeutsch-lakonisch, aus Sicherheitsgründen sein. In 16 Jahren als wichtigster Mann auf einem Schiff hat er auch noch keine Trauung vollzogen.
Das Traumschiff im Fernsehen? Ja, klar, das hat sich der echte Kapitän schon öfter angesehen. Er ahnt, dass die Glotze über die Jahrzehnte etwas mit der Wertschätzung seines Berufsbilds gemacht hat. Da sind viele Mythen im Spiel. Zum Beispiel die Sache mit dem Captain’s Dinner. Das ist dieser rituelle Einzug der Köche am Ende einer jeden Folge. Torten und Wunderkerzen, die, scheinbar endlos und immer gleich, ins Restaurant getragen werden, bevor der Kapitän eine Abschiedsrede hält. Schöne Illusion. Tischzeiten, steife Kleiderordnungen als Markenzeichen der traditionellen Kreuzfahrt seien an Bord seit Jahren ebenso passé wie das Captain’s Dinner.
Torten und Wunderkerzen und Happy-Ends mit unserem Sohn wird es wohl erst wieder zu Weihnachten und Neujahr geben, vorm Fernseher. Zum letzten Mal übrigens. Sascha Hehn verlässt das erfolgreiche Schiff. Sven Laudan nicht.
Als wir ihn Tage später bei der Ankunft in Kiel, seinem Heimatort, für ein paar Stunden Landurlaub von Bord gehen sehen, trägt der Kapitän T-Shirt und Jeans. Er verschwindet die Gangway runter. Eine weiße Mütze hat er nie aufgehabt.
Reisetipps fürs Nordkap
Hinkommen
Mit der Bahn von Berlin nach Kiel, etwa dreieinhalb Stunden Fahrzeit, ab 19,90 Euro. Die Anlegestelle ist fußläufig entfernt, auch Shuttlebusse stehen bereit.
Rumkommen
14 Tage Norwegen mit Lofoten und Nordkap ab Kiel im Juni kosten in der günstigsten Kabine 2320 Euro pro Person mit Vollpension. Ausflüge an Land sind individuell gebucht manchmal günstiger, aida.de.
Reinkommen
Als Inspiration für die Reise kann man am Zweiten Weihnachtstag und an Neujahr im ZDF (20.15 Uhr) die nächsten Folgen vom „Traumschiff“ schauen.
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