Grillfest in Argentinien: Steakholder: Auf der Jagd nach dem besten Fleisch von Buenos Aires
Dry-aged, auf Holz vom Apfelbaum gegrillt, die Kruste karamellisiert. Das Rind ist den Argentiniern heilig. Selbst Stars haben ihre Lieblings-Parillas.
Drei Dinge, sagte El Gordo, der Fette, und kurbelte das Autofenster runter, durch das nun kühler Nachtwind hereinzog. Drei Dinge musst du in Argentinien sehen: Frauen, Maradona und Fleisch. Draußen stieg der Mond über Buenos Aires auf, El Gordo, der Taxifahrer, grinste. Wenn du Maradona triffst, sagte er, bist du ein König, wenn du eine Argentinierin küsst, bist du ein Gott, aber vielleicht reicht es, wenn du ein ordentliches Stück Fleisch zwischen die Zähne bekommst. Er streckte seine wurstige Hand Richtung Beifahrersitz. Deal?
Die Krux an dieser Aufgabe versteckte sich im Wort „ordentlich“, das verstand der Beifahrer sofort. Der Fette hatte es beiläufig ausgesprochen, aceptable. Er konnte nur sensationell gemeint haben.
60 Kilogramm Fleisch isst ein Argentinier im Jahr. Mehr schaffen nur die Uruguayer, und Uruguay ist für Argentinier argentinisches Hinterland. 2017 exportierte Argentinien 308 638 Tonnen Rindfleisch in die Welt. Knapp 600 offizielle Grillbuden verströmen ihren Geruch in Buenos Aires. Dazu kommen Schwenkgrills an Straßenecken in La Boca, Kugelgrills im schicken Recoleta, und draußen, vor der Stadt, graben sie Erdlöcher und backen darin, wie es Argentiniens Überkoch Francis Mallmann in der Netflix-Serie „Chef’s Table“ lehrt. Sein Vater, sagte El Gordo im Auto, habe an jedem Tag seines Lebens Fleisch gegessen. Na gut, nicht als Baby, das gab er zu. Zog an seiner Zigarette. Tippte einen Namen in sein Navi. La Cabrera. Fuhr los.
800 Gramm, gut zum Reinkommen
Leandro Bouzada hat die Sorte Hals, die man gemeinhin Stiernacken nennt. Er ist der Cocinero des „La Cabrera“, der Küchenchef. Er trägt eine Schürze und sticht gerade mit einer halbmeterlangen Gabel in ein Stück Fleisch. Nimmt es, schiebt die Nase ran und schnuppert. Wendet es und legt es zurück auf den Rost. Parilla, so nennen die Argentinier den, sie sprechen es „Parischa“ aus.
Zusammen mit Chefkoch Gaston Riveira, rote Brille, Strolchgrinsen, brät Bouzada an manchen Tagen 300 Kilogramm Fleisch. Sie gehen nun zu einem Tisch, ein Kellner serviert Malbec. „Das hier hat 800 Gramm“, sagt Riveira und schubst dem Gast ein Stück auf den Teller. „Gut zum Reinkommen.“
Riveira hat das Restaurant 2002 eröffnet, am Höhepunkt der argentinischen Wirtschaftskrise, im bürgerlichen Palermo. 23 Prozent der Argentinier waren damals arbeitslos, die Armutsrate betrug 57 Prozent. Zu Beginn blieb das Restaurant leer. „Wir haben dann statt großen Weingläsern kleine gekauft“, sagt er und schiebt die Brille zurück auf die Nase.
Riveira und Bouzada dirigieren ein Spektakel
Riveira hat ein paar Regeln aufgestellt, nach denen die Steaks bei ihm zubereitet sein müssen. Erstens: Die meisten seiner Steaks hängen nach der Schlachtung 15 Tage im Restaurant, dry-aged, sagen Schlauberger. Zweitens: Riveira grillt mit Kohle und Holz vom Apfelbaum, weil der Rauch Aroma verleiht. Drittens: Je heißer der Grill, desto besser karamellisert die Kruste, und es entstehen geschmackvolle Röststoffe. Und viertens: Isst der Gast nicht so viel, dass er danach zu detonieren droht, war er nicht im Cabrera.
Riveira und Bouzada dirigieren ein Spektakel. Der Kellner rauscht auf ihren Befehl zwischen Grill und Gastraum hin und her und serviert: Asado, Rippchen. Ojo de Bife, ein Schnitt mit viel intramuskulärem Fett. Lomo, von der Lende, extrem fein, weil die Kühe den Muskel so selten benutzen. Cuadril, Rumpsteak. Am Ende detoniert der Gast nur nicht, weil er sich mit Dulce-de-Leche-Eis herunterzukühlen versteht.
Hier aßen Maradona und Francis Mallmann
Aus dem Stadtteil La Boca erhebt sich die Bombonera wie eine Kirche. Steil ragen die blau-gelben Tribünen auf, Bombonera, so heißt das Stadion der Boca Juniors, des Clubs, bei dem Diego Maradona seine Weltkarriere begann und zu dem er später, längst Nationalheld, zurückkehrte. Draußen spritzen Arbeiter gerade die Straße ab, Hunde streunen umher, Händler preisen die Qualität ihrer Fake-Trikots. Aus der Bude an der Straßenecke strömt schon wieder kokeliger Duft, drinnen kommt noch der von Schweiß dazu. Hier, im „Don Carlos“, kocht Carlos, der schon Maradona bedient hat. Und Francis Mallmann. Und Francis Ford Coppola. Er nennt diese Namen, weil er zeigen will: Fleisch ist in Argentinien eine Sache von solch heiligem Ernst, dass selbst Stars ihre Lieblings-Parillas haben und nicht in den teuren Restaurants essen. Im Cabrera sei man gewesen? Pah, das sei für Touris und Snobs.
„Die Linken bestellen blutig, die Rechten durchgebraten“
Carlos führt den Gast zu einem Tisch, an dem seine Freunde sitzen. Er stellt den Deutschen einem braungebrannten Mittsechziger vor. Er selbst geht zum Grill.
Der Braungebrannte, Federico, lacht, und seine Zähne funkeln dabei, als habe er sich hinter jeden einzelnen ein Lämpchen geschraubt. Er behauptet, fast fließend Deutsch zu sprechen, und beantwortet die Frage, was er denn sagen könne, mit einem lauten: „Hitler!“ Er lacht, im Raum wird es hell.
Wie war das jetzt mit den Steaks?
Auf dem pechschwarzen Rost liegen sie, daneben Würste, Innereien. Fett tropft ins Feuer. Es brutzelt und dampft, sengt und schwelt, und ab und zu taucht aus dem Rauch der Kopf des Grillmeisters auf, der sich über die Brunst beugt, um die Temperatur zu erfühlen. Wichtigste Regel: „Wenn man die Hand nicht mal für eine halbe Sekunde über den Rost halten kann, ist es gerade heiß genug.“ Er hebt die Hand, sie ist innen schwarz. Federico hat währenddessen tatsächlich Champagner bestellt. Auf Argentinien!
Ein wahres Grillfest findet zu Hause statt
Es gibt keine Speisekarte in Carlos’ Imbiss, wer kommt, erklärt sich einverstanden, dass der Koch auftischt, was er für richtig hält, und am Ende auch abrechnet, was er für richtig hält. Hat man ein Steak verspeist, bringt er das nächste, dazwischen Salat, Teigbällchen, Suppe, Polenta. „Rico?“, fragt er, „lecker?“ Als der Gast nickt, tippt er auf einen Aufkleber über dem Grill. Dort steht: „Aplauso para el asador“, Applaus für den Grillmeister. Die Rechnung kommt auf einem handgeschriebenen Zettel. Umgerechnet 26 Euro. Für acht Steaks und zwei Würste ein fairer Preis. Federico verabschiedet sich mit vier Küssen.
Einen Tag später sagt Mauri, dass man der argentinischen Seele bei Carlos zwar nahegekommen sei, ein wahres Grillfest in diesem Land aber zu Hause stattfinde. Mauri hat eine deutsche Freundin und nun zu sich eingeladen. Auf seiner Terrasse im Stadtteil Parque Chas sitzen nachmittags ein Dutzend Freunde und kiffen das Gras, das Mauri im Wohnzimmer anbaut. Mauri ist ein Mann, der allein ein Festzelt unterhalten könnte, Irokesenschnitt, das Hemd offen. Er erklärt: „Wir Argentinier nennen das Schwein Schwein, das Huhn Huhn, das Rind aber Fleisch. Auf meinen Grill kommt Fleisch.“ Er verspricht, bald ein Feuer zu machen, baut vorher aber noch einen Joint.
Als stolzer Argentinier sagt Mauri nicht, dass die Kuh eigentlich kein argentinisches Tier ist. Columbus brachte sie aus Europa mit. Verschweigen wir’s, es gibt ein heikles Thema zu besprechen.
Fressen die sich langsam zu Tode?
Alkohol, Fett, Kohlenhydrate: Die Zutaten einer Grillparty sind so schlecht für den Körper, dass die Argentinier das Phänomen des Feiertagsherzens kennen. Herzinfarkt durch eine Überdosis Fleisch. Fressen die sich etwa langsam zu Tode?
Keine Sorge! 1958 aßen die Argentinier noch beinahe doppelt so viel Fleisch wie heute, fast 100 Kilogramm pro Jahr. Im Cabrera hat Riveira längst auch Hühnchenfleisch im Angebot, „und plötzlich fragen die Leute nach mageren Steaks“, sagt Kollege Bouzada. Don Carlos tischt mittlerweile auch mal eine vegetarische Pasta auf, beschweren dürfen sich die Kunden bei ihm sowieso nicht.
Als Mauri endlich den Grill anmachen will, fällt ihm noch etwas ein. Netflix. Die Doku „Todo sobre el Asado“, er will sie zeigen. Nebenher dreht er einen Joint. In der Sendung erzählt ein Fleischsommelier, er könne anhand der bevorzugten Garstufe erkennen, welche politische Einstellung der Esser habe. „Die Linken bestellen blutig, die Rechten durchgebraten.“
Mauri tanzt. Er regt an, auf ein Konzert zu fahren. Also rein ins Auto, mit offenen Fenstern durch die Nacht, die Band heißt „Chimmichanga“ und spielt Cumbia, argentinische Rums-Bums-Musik, bis früh in den Morgen. Steak zum Frühstück, Mauri? Seine deutsche Freundin schüttelt den Kopf. Sie hat bei einem lokalen Händler einen Korb voller Tomaten, Gurken, Paprika bestellt. Heute gibt’s Gemüse.
Reisetipps für Buenos Aires
Hinkommen
Mit Air Europa ab Frankfurt über Madrid nach Buenos Aires. Ab 800 Euro.
Unterkommen
Zum Beispiel im L’Adresse in San Telmo. Die Nacht im Doppelzimmer kostet ab 52 Euro, das Frühstück ist inbegriffen und reichhaltig. Der Chef hilft gern mit Tipps, Dos und Don’ts. (ladressehotel.com)
Rumkommen
Steakessen im La Cabrera (lacabrera.com.ar), im Don Carlos (Brandsen 699) oder im El Obrero. Informieren, wo man sich nachts besser nicht aufhält!
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