Käse und Joghurt aus der eigenen Küche: So ein Käse
Emmentaler selbst gemacht! Oder Camembert – das war der Plan. Leider ist Käse ein Mimöschen. Wie unsere Autorin Demut lernte.
Irgendwas ist schiefgegangen. Irgendwas geht immer schief. Mein Käse hat Haarwuchs. Keine kleinen Stoppeln, nein, richtig lange Schimmelhaare sprießen aus seinem Laib. Keine Angst vor Schimmel, hat uns die Käse-Lehrerin ermuntert. Aber so was hatte sie bestimmt nicht im Sinn, das sieht weder nach Camembert noch Roquefort aus. Wahrscheinlich war es meinem Exemplar zu warm. Oder zu luftig. Ein andermal ist es ihm dann zu kalt. Oder zu hermetisch. Vielleicht hat er auch nur seine Tage. Käse ist ein Mimöschen.
Meine Mutter hat nie Angst vor Schimmel gehabt, das hat sie uns oft genug demonstriert. Sie hat ihn einfach von der Marmelade gelöffelt und vom Brot geschnitten und dann reingebissen in das, was übrigblieb. Dreck reinigt den Magen, hieß ihre oberste Erziehungsdevise. Was die häusliche Hygiene anging, war sie als Ärztin so laisser-faire wie in der Aufzucht ihrer fünf Kinder. Der Dreck scheint nicht die schlechteste Medizin gewesen zu sein. In meinen 57 Jahren habe ich erst dreimal Antibiotika geschluckt. Und jetzt stehe ich in der Küche und lese in meinen Ratgebern, dass der Dreck mein größter Feind ist: „Für die Käseherstellung ist es von äußerster Wichtigkeit, dass alle Utensilien gründlich sterilisiert werden. (…) Die Arbeitsfläche muss peinlich sauber gehalten werden.“
So was habe ich schon geahnt. Deswegen bin ich ja in das Seminar im Kreuzberger Laden „Kunst & Käse“ gegangen. Betreutes Selbermachen, das hat was Beruhigendes. Kursleiterin Ute Rohrbeck hat es schließlich auch erst lernen müssen. Als sie vor gut 20 Jahren von Hamburg an den Schaalsee zog, hatte sie ungefähr so viel Ahnung wie ich. Denn eigentlich ist sie Theatermalerin und ihr Mann Herstellungsleiter beim Film, in Rögnitz haben die beiden sich eine Ziegenherde zugelegt, um die sich der benachbarte Bauer kümmert. Man kann, ja, soll nicht alles selbermachen, sagt sie. Aha. Inzwischen läuft die Ziegenkäseproduktion so gut, dass die Familie in Berlin noch einen Hofladen eröffnet hat.
An diesem Samstagnachmittag stehen wir, ein Dutzend Käsefans, im Hinterzimmer, und rühren in Riesentöpfen warme Milch bei 34 Grad, schütten erst Milchsäurebakterien, dann vegetarierfreundliches Lab aus Pilzen hinein, so dass die Flüssigkeit zu flocken scheint. Mit viel Gefühl und einer Harfe schieben wir weiche Brocken in der Molke herum, schöpfen sie heraus, lassen sie durchs Mulltuch abtropfen, pressen sie in eine Form und lassen sie ruhen. Das ist die Kurzversion, das Prinzip ist immer das Gleiche, wobei es je nach Ziel natürlich Variationen gibt, etwa Zitronensaft oder -säure statt Lab, Sahne unter die Milch mischen...
Aus erhitzter Milch wird noch lange kein Joghurt
Naturwissenschaften galten auf meinem Mädchengymnasium (neusprachlicher Zweig) als vernachlässigenswert. Die eine Hälfte des Unterrichts fiel aus, die andere war eine Katastrophe. Unser Chemielehrer war dem Alkohol sehr zugeneigt, weswegen er recht oft fehlte, was uns freute, denn wenn er kam, erstarrten wir vor Angst. Dann ließ er seine Dämonen auf uns los. Aber vielleicht hätte auch ein besserer Pädagoge bei mir nichts vermocht. Einen Chemiebaukasten habe ich mir als Kind nie gewünscht. Dafür einen Zauberkasten.
Für das häusliche Experiment hatte ich mir nun doch eine Art Chemiebaukasten bestellt. Der Anblick beim Öffnen lähmt mich wieder: Lab-Tabletten. Thermometer. Winzige Maß-Löffelchen. Ein Fläschchen Kalziumchlorid. Ein paar Tütchen Starterkulturen… Wochenlang bin ich um die Kiste herumgeschlichen. Das Mad- Millie-Set für Einsteiger (so was gibt’s von verschiedenen Firmen im Internet), ist bestimmt richtig gut. Für Menschen mit naturwissenschaftlichem Sachverstand und mehr Geduld und Ehrgeiz als ich habe. Ich koche gern, aber nach der Devise: minimaler Einsatz bei maximalem Effekt.
Auf der Suche nach einem Erfolgserlebnis mache ich einen kleinen Schlenker und begebe mich auf die niedrigste Stufe des Milchprodukte-Do-it-yourselfs. Es muss ja nicht gleich ein Emmentaler sein – Joghurt, home made, ist doch auch schon schön. Von meiner Schwägerin habe ich ein idiotensicheres Rezept bekommen: Einen halben Liter Milch erhitzen, bis sie anfängt zu schäumen. (Natürlich, wie bei allen Experimenten auf diesem Gebiet, eine, die noch Leben in sich hat und nicht zu Tode erhitzt und pasteurisiert wurde; unsere Seminarleiterin hat die Demeter-Milch aus Brodowin empfohlen.) Abkühlen lassen, zwei Teelöffel Biojoghurt rein verrühren. Über Nacht an einen warmen Ort stellen. Da er sich beim momentanen Wetter verkühlen würde, stelle ich ihn ins Bad, den einzigen Raum, den ich im Moment beheizen kann. Nicht sehr ökologisch. Aber er soll’s ja gut haben. Hat auch nichts geholfen. Am nächsten Tag ist er so flüssig wie – na ja, wie gekochte Milch. So schmeckt er auch.
Dann bin ich nach Amerika gefahren, und habe auf einem Bio-Weingut ein Zauberkästlein entdeckt. Es misst zehn mal sechs Zentimeter und kommt ganz ohne technische Utensilien aus. Der Inhalt des Pappköfferchens für Großstädter wie mich: ein Mulltuch, ein Tütchen Zitrussäure, ein Tütchen Cheese salt (Salz ohne Jod, so wie koscheres), eine Anleitung auf einem Faltbogen mit lustigen Zeichnungen und das Versprechen, Bauernkäse in weniger als einer Stunde herzustellen (exklusive Wartezeit, versteht sich). Käsemachen für Doofe von Urbancheesecraft.
Zwei Liter Milch für ein kleines Stück Käse
Brauche ich nur noch eine halbe Gallone Milch. Zwei Liter?! Für einen handtellergroßen flachen Schnittkäse? Das ist nämlich alles, was dabei rauskommt. Für mich übrigens die beeindruckendste Lektion bei der ganzen Sache: wie viel in so einem kleinen Ding drinsteckt. Und wie viel draußen bleibt, die ganze Molke, die ja furchtbar gesund sein soll, aber nicht sehr hübsch aussieht, grünlich-gelb, und viel Geschmack hat sie auch nicht. Aber vermischt, zum Beispiel mit Rhabarbersaft, ist sie gar nicht so schlecht. Dreisternekoch Daniel Achilles, der im „Reinstoff“ mit der Herstellung von Milchprodukten experimentiert, macht daraus Saucen und Fonds.
Der Zauberkasten-Laib, der wie ein Klumpen Mürbeteig aussieht, schmeckt am nächsten Tag überraschenderweise – nicht schlecht, gewürzt mit Schnittlauch. Das Exemplar aus dem Kreuzberger Seminar ist anspruchsvoller, da fängt die Arbeit nach dem Festwerden erst an. Das Mimöschen will gehätschelt und gewendet, mit Salzlauge begossen und mit Rotwein bepinselt werden. Das war der Punkt, an dem ich versagt habe.
Käseselbermachen ist was für Leute, die gern experimentieren. Der Appetit kommt mit dem Machen. Vielleicht probiere ich es sogar mal mit dem veganen Nuss-„Käse“, den meine Nachbarin Emilia gemacht hat: viel Geschmack und wenig Chemie. Ansonsten ist es was für jene, die zu viel Milch haben und irgendwas damit anstellen müssen, bevor sie schlecht wird. Aber warum soll ich als Großstädterin literweise Milch aus dem Bioladen nach Hause schleppen, wenn ich dort Joghurt, Ricotta und Heublumenkäse in feinster Qualität bekomme? Sparen kann man nix dabei, weder Geld noch Zeit. Das lohnt sich, wenn man auf dem Land lebt, fernab von Käseläden, von denen es in Berlin zum Glück immer mehr gibt.
Trotzdem kann ich nur wärmstens empfehlen, es mal auszuprobieren – gerade jenen, die sich beschweren, dass Käse so teuer sei. Es ist eine gute Schule. Weil es Demut lehrt und Achtung: vor dem, was in so einer kleinen Kugel steckt, die Arbeit des Produzenten und Affineurs. Am Schluss unseres Seminars können wir selber schmecken, was Profis so draufhaben. Das schlechteste Exemplar auf der großen Platte ist jenes, das ein Teilnehmer vom letzten Kurs zurückgelassen hat.
Kunst & Käse, Solmsstr. 26, Kreuzberg, Tel. 030/810 302 66. Der Kurs kostet 79 Euro incl. Verkostung und Getränke, nächster offener Termin: 19. Juli. In dem Käse-Laden gibt es auch einige der Utensilien und Zutaten für die Eigenproduktion.
Das Zauberkästchen für Farmer’s Cheese (gibt’s auch für andere Sorten) kann man online bestellen: http://www.urbancheesecraft.com/buy/online/
Als Anleitung sehr zu empfehlen, nicht nur für Käse, auch für Wurst und überhaupt Diverses zum Thema Eigenproduktion (Brot backen, Räuchern, Essig oder Nudeln selber machen): Bettina Snowdon, "Gutes Essen. Lebensmittel selber machen", Stiftung Warentest, 24,90 Euro.
Susanne Kippenberger
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