Invasion der Insekten im Osten Afrikas: Schwerste Heuschreckenplage seit 25 Jahren
Ostafrika, Indien und Pakistan sind bereits betroffen: Milliarden Insekten vernichten die Ernte von Millionen Menschen. Eine Hungerkrise steht bevor.
Der Himmel verdunkelt sich, als ob ein Sandsturm näher käme. Dann fängt es zu zirpen an. Die kreischende Wolke entpuppt sich als ein riesiger Schwarm von Heuschrecken, die das Horn von Afrika derzeit in ein Untergangsszenario von biblischem Ausmaß verwandeln. Sobald sich die Vierflügler auf der Erde nieder- lassen, verwüsten sie blühende Landschaften innerhalb von Minuten zu trostlosen Steppen.
Im Nordosten Kenias wurde jüngst ein Heuschreckenschwarm von 80 Kilometer Länge und 40 Kilometer Breite ausgemacht, dessen Insekten am Tag so viel Nährstoffe aufnehmen wie 80 Millionen Menschen.
In Äthiopien musste ein Düsenjet der staatlichen Luftfahrtgesellschaft in der Hauptstadt Addis Abeba notlanden, nachdem er in einen Heuschreckenschwarm geraten war. Bilder zeigen seine Nase von Insektenmatsch bedeckt.
Mittlerweile haben die ersten Schwärme Eritrea und den Sudan erreicht. Bis sie im Hungerland Südsudan und in Uganda ankommen, scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Selbst Ruanda und Tansania müssen damit rechnen, von den gefräßigen Insekten heimgesucht zu werden.
Somalias Regierung verhängte den Ausnahmezustand über das Bürgerkriegsland. In Äthiopien wurde bereits die Ernte von 2500 Quadratkilometern an Feldern vernichtet. Derzeit sind die fliegenden Hüpfer in Richtung des ostafrikanischen Grabenbruches unterwegs, das dem weit über 100 Millionen Einwohner zählenden Gebiet als Kornkammer dient.
„Die Schwärme werden immer mehr und immer dichter“, sagt Daniele Donati, Chefin der Heuschrecken-Task-Force der Welternährungsorganisation FAO. Wenn nichts Entscheidendes passiere, könnten sich die Vierflügler bis in einem halben Jahr um das 500-Fache vermehren.
Schon jetzt steht fest, dass die Plage zu einer weiteren Verschlimmerung der Ernährungskrise der ohnehin von Dürren und Überflutungen gepeinigten Bevölkerung führen wird. Wegen der Wetterkapriolen und politischer Unruhen sind am Horn von Afrika bereits elf Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen: Gelingt es nicht, den Vernichtungsfeldzug der Insekten in den Griff zu bekommen, könnte sich deren Zahl mehr als verdoppeln, heißt es bei der FAO in Rom, denn in einigen Monaten beginnt in der Landwirtschaft die Pflanzperiode.
Wüstenheuschrecken leben normalerweise als Einzelgänger
In diesem fortgeschrittenen Stadium kann die Plage nur noch mit aus Flugzeugen versprühten Insektenvernichtungsmitteln bekämpft werden, sagen Experten: Schonendere biologische Maßnahmen nützen nichts mehr.
Doch während über Somalia wegen des Bürgerkriegs keine Flieger verkehren können, war der Luftkampf gegen die Heuschrecken auch in Äthiopien und Kenia bislang nur begrenzt erfolgreich. Das liegt einerseits an der Immunität, die viele der Insekten gegen das Gift entwickelt haben, andererseits an einem Mangel an Sprühflugzeugen. Zudem legen die Schwärme in den befallenen Gebieten Eier unter die Erde, aus denen innerhalb kurzer Zeit neue Insekten schlüpfen.
Die FAO rief die internationale Gemeinschaft zur Bereitstellung von 70 Millionen US-Dollar auf, um weitere Spezialflugzeuge und Insektenvernichtungsmittel in das Krisengebiet bringen zu können.
Preiswerter und für Menschen harmloser wäre die Bekämpfung der Plage im Stadium ihres Entstehens gewesen. Wüstenheuschrecken leben normalerweise als Einzelgänger. Sie beginnen erst in Schwärmen zu migrieren, wenn ihre Population eine bestimmte Dichte erreicht hat.
Gewöhnlich passiert das nach ausgiebigen Regenfällen in Halbwüstengebieten: Die derzeitige Plage wurde im Oktober 2018 von einem Zyklon in der Region um Jemen auf der arabischen Halbinsel ausgelöst. Der dort tobende Bürgerkrieg verhinderte, dass die Heuschrecken-Task-Force auf die Gefahr rechtzeitig reagieren konnte.
Anschließend breiteten sich die Schwärme gen Osten nach Indien und Pakistan aus – wo sie zunächst über Baumwolle, Weizen, Mais und anderes Getreide herfielen. Die Regierung in Pakistan hatte vergangene Woche den Notstand ausgerufen. Vom Jemen hatten es die Insekten auch nicht mehr weit nach Äthiopien. Dort hatte es Ende des vergangenen Jahres ungewöhnlich viel geregnet, was den Heuschrecken Futter für ihre explosionsartige Vermehrung bescherte.
Der Klimawandel könnte auch an der Insektenplage schuld sein
Meteorologen führen sowohl die zunehmende Zahl der Zyklone wie die heftigen Regenfälle in Ostafrika auf das „Dipol“-Phänomen im Indischen Ozean zurück. Dessen Wasser ist derzeit im Westen um mehrere Grad wärmer als im Osten: Das führte zur Dürre und den schweren Waldbränden in Australien, während die afrikanische Küste außergewöhnlich starke Niederschläge erlebte. Wissenschaftler bringen das immer häufiger auftretende „Dipol“-Phänomen mit der Klimaerwärmung in Verbindung.
In Somalia und Äthiopien hat es eine vergleichbare Plage schon seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gegeben, in Kenia sogar seit 70 Jahren. Die letzte große Heuschreckenplage im Nordwesten Afrikas richtete einen Schaden von 2,5 Milliarden US-Dollar an.
Die Bevölkerung am Horn von Afrika versucht sich gegen die Invasion mit Schüssen in die Luft, Schlägen gegen Töpfe oder mittels Baseballschlägern zu wehren: Keine angemessene Antwort auf die gefräßigen Hüpfer, die am Tag bis zu 150 Kilometer zurücklegen.
Hinzu kommt, dass ihr Kot schädlich für Nutztiere ist. Um wenigstens das Vieh am Leben zu halten, rief ein kenianischer Experte dazu auf, die Heuschrecken mit zwischen Flugzeugen gespannten Netzen einzufangen und als Futtermittel für Tiere zu verwenden. Die proteinreichen Flügeltiere seien „äußerst nahrhaft“, sagte Muo Kasina, Direktor der Entomologischen Gesellschaft des Landes.
In Somalia bieten Restaurantbetreiber bereits Gerichte mit gerösteten Heuschrecken an: Zumindest müssen sie im Beschaffungswesen keine Engpässe befürchten.
Johannes Dietrich
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