Die Geschenkkolumne: Schenken ist Einkaufen mit gutem Gewissen
Ich bin ein Hamster. In Schubladen und Truhen horte ich Geschenke. Die ganze Kunst besteht nur darin, sie im passenden Moment zücken zu können.
Ich hatte mal die Motten. Sie steckten überall, im Müsli, im Mehl, in allen Ecken, ich wurde sie einfach nicht los. In meiner Verzweiflung rief ich die Kammerjäger. „Sie backen aber gerne!“, rief der eine durchaus bewundernd aus der Speisekammer heraus. „Die Frau kauft einfach gerne ein“, erwiderte sein Kollege nüchtern.
Ich fürchte, er hat recht. Das habe ich von meiner Mutter geerbt.
Mit zwölf hatte sie den Höhepunkt ihrer sportlichen Laufbahn erreicht: Als sie beim Hochsprung die Ein-Meter-Marke knackte. Damit hatte niemand gerechnet. Die Lehrerin war so entzückt, dass sie ihr eine Tafel Schokolade schenkte. Damit war der sportliche Ehrgeiz meiner Mutter erschöpft. Sie hatte zwei linke Füße und schwere Beine, ihr Sport hieß fortan: schenken. Mochten andere wandern oder Tennisspielen, meine Mutter trabte los, Präsente kaufen.
Wann immer sie was Interessantes sah, ob im Schlussverkauf oder auf Reisen, schlug sie zu. Fing es in den großen Ferien in Holland an zu regnen, bekämpfte sie Anflüge von schlechter Laune mit Ausflügen zu de Bijenkorf, dem bienenkorbgleichen Kaufhaus in Amsterdam, und breitete am Abend ihre Beute selig vor uns aus. Hatte jemand Geburtstag oder war ein Dankeschön fällig, musste sie nur noch in die Geschenkekiste greifen.
Nichts ist schlimmer, als auf Kommando einzukaufen
So mache ich es auch. Ich bin ein Hamster. Nur dass ich statt der Backen die Taschen vollstopfe – ich reise grundsätzlich mit großem Gepäck. In Schubladen und Truhen horte ich dann, worüber X sich freuen könnte, was ich für Y beim letzten Londonbesuch besorgt habe.
Schenken braucht Aufmerksamkeit und langen Atem. Hinweise, die fallen gelassen werden, müssen aufgefangen, gespeichert und rechtzeitig umgesetzt werden. Nichts ist schlimmer, als auf Kommando einzukaufen: Z hat heute Geburtstag, was kann ich da zwischen Dienstschluss und Dinnerparty noch besorgen? Bestimmt nichts Persönliches.
Schenken ist Einkaufen mit gutem Gewissen. Ist ja für andere. Neulich habe ich „Nordliebe“ entdeckt, eigentlich ein Online-Shop, jetzt mit analogem Schöneberger Laden. Ganz schön hyggelig dort. Kein Wunder, dass beim jüngsten Welt-Glücksreport Finnen, Norweger und Dänen wieder auf den ersten drei Plätzen standen. Die wissen es sich schön zu machen. Am liebsten würde man nach dem Ladenbesuch sofort losziehen, sich ein Landhaus und einen Haufen Kinder zulegen. Nicht nötig. Es reicht, wenn andere so was haben. Die kann man dann mit gestreiften Milchkrügen, blauen Schemeln und Löwentellern erfreuen.
Ich muss dauernd suchen, wie meine Mutter
Man muss sie nur im passenden Moment zücken können. Auch das habe ich von meiner Mutter geerbt: Schenken war ihre Leidenschaft, Ordnung nicht ihre Stärke. Weihnachtspräsente, im Sommer erstanden, hat sie so gut versteckt, dass sie diese nie wiederfand. Auch ich muss dauernd suchen. Manchmal entdecke ich ein halbes Jahr zu spät, dass ich für das Geburtstagskind längst was besorgt hatte. Egal, bald ist Weihnachten.
Ach ja, die Motten. Die meisten kamen nicht aus der Speisekammer, sondern aus dem Hängeboden, haben die Jäger herausgefunden. Die Tierchen hatten sich im Teppich meiner Oma festgefressen, den ich nie ausgerollt hatte. Nicht mein Geschmack. Wegschmeißen? Hab’ ich nicht übers Herz gebracht. Was zur kniffligen Frage führt: Was macht man mit unerwünschten Geschenken? Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Susanne Kippenberger erzählt an dieser Stelle ab sofort alle vier Wochen vom Schenken und Beschenktwerden.
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