Die Ausweglosigkeit der Rohingya: "Wir werden hier sterben, in der Nässe im Frühjahr, der Hitze im Sommer"
Rund 900.000 Rohingya leben im Flüchtlingslager Cox's Bazar. Drei von ihnen berichten hier - von Bomben, Flucht und der Sehnsucht nach der Heimat.
Ziaur Rahman aus Maungdaw findet, dass das, was sich im Flüchtlingslager Cox's Bazar Schule nennt, jeder Beschreibung spottet. „Da gehen die Kinder hin, sie sitzen eine Weile rum, spielen und am Ende bekommen sie ein paar Kekse“, sagt der Rohingya, der daheim einen Fischereibetrieb hatte. Ein blauer Ring und ein goldenes Armband lassen ahnen, dass er nicht zu den Ärmsten gehört. Wie so viele andere hat auch er ein Handy, obwohl ihnen das offiziell nicht gestattet ist. Hier im Lager, sagt er, arbeite er nun Lehrer. Bis zur fünften Klasse unterrichte er Rohingya, Mathematik und Englisch – auch wenn er Englisch offenkundig allenfalls rudimentär versteht. Morgens, so erzählt er, gingen 80 Rohingya-Kinder (Mädchen und Jungen) erst in die Koranschule, dann zu ihm und seinen beiden Kollegen, später wieder in die Koranschule und am Nachmittag nochmal zur Schule. Nur die Kinder der fünften Klasse müssten zahlen, von dem Geld hätten sie eine Tafel und Kreide gekauft.
Er braucht Baumaterial für seine Hütte
Der 33-Jährige hat eine ganze Weile noch daheim ausgeharrt. Sie hätten vom Nachbarort Tulatuli gehört, wo der Dorfvorsteher seine Leute zusammengerufen habe, die seien dort dann alle vom Militär erschossen worden, erzählt er. „Als auch unser Dorfvorsteher uns zusammengerufen hat, sind wird geflohen.“ Ihren Dorfvorsteher habe das Militär mitgenommen, als keiner gekommen sei. Jetzt sorgt sich Ziaur Rahman um seine Hütte. Die falle schon auseinander. Er braucht neues Baumaterial. Sein Haus daheim sei zerstört, er war nach der Flucht noch einmal dort und hat nachgeschaut.
Rahman ist empört, dass Myanmars Armee behauptet, er gehöre zu den Rebellen. Er kenne keine Arsa-Rebellen, aber „für die Regierung sind alle Rohingya Arsa, für die bin ich Arsa“, schimpft er. Es heißt, inzwischen versuchten Arsa-Rebellen in einigen Camps von Cox’s Bazar, Flüchtlinge für den Kampf daheim zu rekrutieren. Davon, sagt Ziaur Rahman, wisse er nichts. Aber sie, die Rohingya-Minderheit, hätten in Rakhaing früher geherrscht, jetzt wollten die anderen sie zerstören. Zuhause habe er ein zweistöckiges Haus gehabt, Gemüse anbauen können, im Schatten von Bäumen gesessen. „Hier gibt es nicht einmal Platz, um eine eigene Toilette zu bauen.“
"Sie werden Minen verstecken und irgendwann zünden"
Ziaur Rahman will unbedingt wieder nach Hause, aber den Versprechen der Regierung in Myanmar traut er nicht. Auch den Rohingya, die man in der Rakhaing-Hauptstadt Sittwe in Lager gebracht habe, habe man gesagt, es sei nur für kurze Zeit. „Das dauert jetzt schon zehn Jahre.“ In die von Naypidaw angebotene so genannte Sicherheitszone würden sie jedenfalls nicht gehen, sagt er nun sehr erregt. „Die Regierung ist sehr schlau. Sie werden dort Minen verstecken und irgendwann zünden – und dann werden sie sagen, das sei Arsa gewesen.“ Er will, wie alle anderen auch, endlich die Staatsbürgerschaft und Sicherheitsgarantien. Er habe gehört, dass in seiner Heimatregion inzwischen Chinesen Fabriken aufmachten. „Warum sollten wir bei Chinesen arbeiten?“ fragt er aufgebracht. Und wenn es nach ihm geht, dann müssten die Rakhaing, die auch Anspruch auf die Region als ihre Heimat erheben, das Gebiet verlassen. „Dort ist nur Platz für Rohingya.“
Monira Begum ist voll verschleiert, sie trägt ein schwarzes Gewand mit gelben und lila Blüten. Die 30-Jährige, so erzählt sie es, ist mit sechs Mitgliedern ihrer Familie geflohen, nachdem ihr Mann in einem Nachbardorf umgebracht wurde. Das Militär sei „wie im Krieg“ gekommen und habe auf alle geschossen, erzählt sie in ruhigem Ton. Ohne Mann sei es im Lager schwierig, manchmal bezahle sie jemanden, damit er ihr Hilfsgüter nach Hause trägt. Einen Teil davon verkauft sie normalerweise. „Nicht die Seife, die brauchen wir.“ Inzwischen gebe es aber weniger Dinge, die sie verkaufen könnten, sagt Monira.
Die Hilfsorganisationen haben ihre Pakete angepasst. Damit die Menschen bekommen, was sie wirklich brauchen, sagen sie. Viele Helfer würden den Geflüchteten auch gerne ein wenig Geld auszahlen – der Menschenwürde, aber auch des logistischen Aufwands wegen. „Sie können schon nicht entscheiden, wie und wo sie wohnen“, sagt der Rotkreuz-Mitarbeiter Christopher Bachtrog. Als Angestellter des Deutschen Roten Kreuzes kann er nicht gutheißen, wenn Hilfsgüter auf dem Markt landen, wo die Flüchtlinge sie gegen frischen Fisch oder Gemüse tauschen. Aber als Mensch kann er die Rohingya durchaus verstehen. Zumal er Studien kennt, wonach mehr als 90 Prozent von Geflüchteten, die Geld bekämen, „genau das kaufen, was wir denken, das sie kaufen sollten“ und keinen Unfug damit anstellten. Die Ausgabe von Geld an Flüchtlinge ist international ein politisch umstrittenes Thema.
"Das ist mein Land"
Kurz erwähnt Begum, wie heiß es auch nachts unter dem Plastikdach ihrer Hütte ist, sie und ihre vierjährige Tochter könnten oft nicht schlafen. Zum Spielen gebe es auch keinen Platz. Am liebsten, sagt sie, und blinkert jetzt hinter dem Sehschlitz mit den Augen, gestikuliert mit den Händen, würde sie wieder zurück nach Hause gehen. „Das ist mein Land.“ Aber nur, wenn sie sicher seien und auch als Bürger anerkannt werden. Woanders werde sie nicht hingehen. Aber was soll werden, wenn ihre Tochter sechs ist und in die Schule gehen müsste? Ein heikles Thema, auch darüber wird immer wieder diskutiert. Dürfen Rohingya in Bangladesch offiziell unterrichtet werden? Wenn ja, in welcher Sprache?
Der Religionslehrer Hadayet Ullah aus Taung Bro erzählt, er habe sich schon Jahre vor der Flucht immer wieder im Wald versteckt, damit die Armee ihn nicht findet. Der Mann, der sein Alter mit 28 angibt, sagt, bis 2012 hätten sie ihre Religion frei ausüben können, danach sei das Militär immer freitags zum Gebet aufgetaucht. 2016 sei es noch schlimmer geworden. Als eines Tages „von allen Seiten“ Soldaten gekommen seien, Häuser in Brand gesetzt und Bomben auf ihren Ort abgeworfen hätten, sei er mit 18 Familienmitgliedern geflohen. Sein jüngstes Kind sei krank, sagt er, er sei schon bei verschiedenen Ärzten gewesen. Jetzt fürchtet er die Regensaison, in der alles noch schwieriger wird. „Ich muss meine Hütte stärker machen.“
Hadayet Ullah geht es besser als anderen: Er verdient als Imam regelmäßig Geld, sagt er. Die Leute aus seinem Heimatdorf geben ihm so viel wie zu Hause. Die, die er noch nicht kennt, weniger. Immerhin reicht es bei ihm für ein Smartphone. Auch er träumt davon, wieder nach Hause zu gehen. Von der de-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi ist der Religionslehrer jedoch schwer enttäuscht. „Wir dachten immer, mit ihr würde es friedlich. Aber die Situation ist viel schlimmer als früher.“ Und das Militär – er macht eine Bewegung, als würde er ein Gewehr durchladen – habe sie 2010 gezwungen, die Generäle zu wählen. „Wir werden hier sterben, in der Mitte von all dem, der Nässe im Frühjahr, der Hitze im Sommer“, sagt er.