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Jenny Böken auf der "Gorch Fock". Vor acht Jahren verschwand sie von Deck und ertrank. Keiner der anderen Soldaten will etwas gesehen haben.
© dpa

Tod auf der "Gorch Fock": Wie starb Jenny Böken wirklich?

Marlis Böken will wissen, wie ihre Jenny starb, vor acht Jahren auf der „Gorch Fock“. Für die Bundeswehr ist der Fall erledigt. Doch die Mutter kann nicht loslassen – und zieht zum sechsten Mal vor Gericht. Unser Blendle-Tipp.

Im Wohnzimmer von Marlis Böken ist die Zeit vor acht Jahren stehen geblieben. Ihre Tochter Jenny ist überall in diesem Raum. Auf den Tischen stehen gerahmte Fotos, von denen das blasse Mädchen mit den Sommersprossen in den Raum blickt, mal ernst, mal lächelnd. Fast immer im blau-weißen Matrosenanzug. „Ich habe bis zu Jennys Tod nicht allzu viel über die Schifffahrt und das Militär gewusst“, sagt Marlis Böken. Heute kennt die 58-Jährige die Führung der deutschen Streitkräfte persönlich, vom Chef der Marine bis zur Verteidigungsministerin.

Sie könne es bis heute nicht fassen, sagt Marlis Böken. Manchmal warte sie immer noch, dass es an der Tür klingele und Jenny davorstehe. „Und vor sich hin pfeift, wie sie es immer getan hat.“ Böken ist Biologielehrerin, eine quirlige Frau mit blonden Locken und strahlend blauen Augen. Seit acht Jahren kreisen die gleichen Fragen in ihrem Kopf, eine Endlosschleife.

In der Nacht vom 3. auf den 4. September 2008 verschwindet die damals 18-jährige Sanitätsoffiziersanwärterin Jenny Böken bei einer Ausbildungsfahrt in der Nordsee vom Oberdeck des Segelschulschiffs „Gorch Fock“. Elf Tage später ziehen Männer eines Fischereiforschungsschiffs nordwestlich von Helgoland ihre Leiche aus dem Meer. Wie Jenny Böken genau starb, ist nach wie vor unklar.

Marlis Böken sitzt in ihrem Wohnzimmer in Teveren in Nordrhein-Westfalen, einem Örtchen nahe der Niederlande, und greift in die Speichen ihres Rollstuhls. 2009 hatte sie einen Autounfall. Eine Wunde entzündete sich schwer, das linke Bein wurde vergangenes Jahr amputiert. „Ohne die Amputation hätte ich an multiplem Organversagen sterben können“, sagt sie und deutet mit dem Kopf auf ihren Stumpf. Sie erzählt das mit einer Selbstverständlichkeit, als sei der Verlust ihres Beines nur eine weitere Episode. Schon kurz nach Jennys Tod scheiterte ihre Ehe. Die Beziehung hat den Verlust der Tochter nicht ausgehalten.

Ihren Ex-Mann Uwe sieht Marlis Böken aber fast täglich: „Wir sprechen viel miteinander, besonders jetzt, wo der Prozess ansteht.“ Die Familie hat die Bundesrepublik auf eine Entschädigung von 20 000 Euro verklagt. Das Soldatenversorgungsgesetz sieht vor, dass Eltern einen Anspruch auf Unterstützung haben, wenn ihre Kinder bei der Berufsausübung unter besonderer Lebensgefahr sterben. Das Oberverwaltungsgericht Münster muss klären, ob Jenny Böken auf der „Gorch Fock“ einer solchen Gefahr ausgesetzt war.

Es ist der sechste Prozess, den die Bökens führen. Die Eltern haben in den acht Jahren mit Offizieren diverser Ebenen gesprochen, immer wieder nachgefragt. Nach dem Tod einer weiteren Kadettin der „Gorch Fock“ im November 2010 wurde die Offiziersausbildung vorerst ausgesetzt. Nach Vorwürfen über unmenschliche Ausbildungsmethoden und sexuelle Belästigung stellte der damals amtierende Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, „Führungsdefizite und Sicherheitslücken“ fest. Der Fall wird derzeit für die ARD verfilmt, 2017 soll das Werk ausgestrahlt werden.

Ob ihnen im anstehenden Prozess noch Geld zugesprochen wird, spielt für die Bökens keine Rolle. Es geht ihnen um fehlende Informationen, um die Wahrheit. Im aktuellen Prozess, der am 14. September beginnt, sollen der ehemalige Kommandant und der Schiffsarzt der „Gorch Fock“ aussagen, die bislang in keinem der Verfahren gehört wurden.

In Teveren haben Marlis Böken und ihr Ex-Mann Uwe zwei Söhne und die Tochter großgezogen. Die geklinkerten Häuser mit gestutztem Rasen, die getrimmten Hecken, zwei Kirchen und die Feuerwache sind von Feldern umgeben. Jenny ist auf dem Friedhof am Ortsende begraben. Nach dem Tod ihrer Tochter zog die Mutter aus dem Familienhaus aus. Das Haus, in dem sie seit der Trennung wohnt, ist nur 800 Meter von ihrem alten entfernt. Die beiden Söhne leben noch dort, einer ist lernbehindert, die Mutter wollte in der Nähe bleiben.

Am Esstisch im Haus seiner Ex-Frau sitzt Uwe Böken und ringt um Fassung. Der Mann ...

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Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, der Prozess richte sich gegen die Bundeswehr. Tatsächlich richtet sich die Klage formal gegen die Bundesrepublik Deutschland. Wir bitten die Ungenauigkeit zu entschuldigen und bedanken uns für den Hinweis.

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