Schmutzige Geschäfte mit Bauschutt: Wie ein Brandenburger Dorf gegen den Müll kämpft
Teerpappe, Styropor und Asbestplatten: Das Dorf Luggendorf wehrt sich seit Jahren gegen eine illegale Deponie. Die Landesregierung löst das Problem jetzt auf eigene Weise.
Von hier oben sieht es so aus, als ob man am Rande eines breiten Tals stünde. Erstaunlich, weil es in der Prignitz keine Berge gibt – und folglich auch keine Täler. Manche mögen das für langweilig halten. Bernadette Linden nicht. Die 53-Jährige liebt die tellerebene, offene Weite der Prignitz. Deshalb ist sie hergekommen, hat ihre alte Heimat im Siegener Bergland verlassen. Doch nun stößt sie in ihrer neuen Heimat an Grenzen. „Betreten verboten“, steht auf Schildern um das seltsame Tal.
Tatsächlich ist das da unten ein sehr großes Loch. 1990 begannen Bagger hier nach Kies zu schürfen. Bis 30 Meter tief gruben sie sich in den Grund. Nach zehn Jahren ging der Kies zur Neige, und die Natur sollte das Loch zurückbekommen. Doch die Menschen, die unweit dieses Loches lebten, in Luggendorf und in Groß Pankow, ahnten nicht, wie begehrt solche Löcher in Brandenburg sein können.
Das Geschäft flog auf
Eine neue Firma erwarb im Jahr 2000 das erschöpfte Kiesvorkommen, entwickelte ein ganz anderes Geschäftsmodell: Die Schmidt Kieswerke verwandelte die Grube heimlich in ein illegales Mülllager. Das Modell flog auf, der Betreiber landete vor Gericht. Und nicht nur Bernadette Linden glaubte, das sei es nun wirklich gewesen mit Luggendorfs Bergbauvergangenheit. Bis zum Sommer 2015: Am Rande einer Geburtstagsfeier sagte der damalige Amtsdirektor, da gebe es jemand. Der plane, aus dem Luggendorfer Loch eine Bauschuttdeponie zu machen. Diesmal offiziell, natürlich werde das ganz genau kontrolliert.
Seitdem ist dieses Tal, das keines ist, eine Kampfzone. Entlang der Hauptstraße hängen an vielen Zäunen Plakate mit Parolen wie „Deponie nie“ oder „Schutz statt Schutt“.
Das Misstrauen vieler Luggendorfer hat mit Brandenburgs jüngerer Geschichte zu tun. In den späten 90er Jahren wurde das Bundesland der Müllplatz der Nation. Zu verlockend waren die verlassenen Kiesgruben, die verwaisten Truppenübungsplätze, die nicht mehr genutzten Anlagen der einstigen LPGs. Und so brachten LKWs aus der gesamten Bundesrepublik ihre Fracht, die sie andernorts nur teuer losgeworden wären, heimlich hinter die Elbe.
Von all dem wusste Bernadette Linden nichts, als sie sich hier in Groß Pankow einen Traum erfüllte. Einen Traum in rotem Backstein. „Schauen Sie sich doch mal um“, sagt sie, während sie die Tür zu einem Nebengebäude ihres Vierseit-Hofes aufschließt. Richtige Dörfer, mit Kirche, kleinen Katen entlang der Straße und Höfen wie diesem hier, die seien in ihrer alten Heimat im Westen Deutschlands schon in den 70er Jahren verschwunden.
Drinnen hängt schwer ein würziger Duft in der Luft. „Seife“, sagt Bernadette Linden, ein Geschäft, wie es sauberer kaum klingen könnte „Wir sieden selbst“, sie und ihre 30 Jahre alte Tochter Meike. Seife herstellen, Pferde halten, Paddeltouren anbieten, Ferienzimmer vermieten, so sah das neue Leben aus, das die beiden hier führten. Dafür gab die Mutter ihren alten Beruf als Sozialarbeiterin auf. Ihr neues Leben sieht sie nun aber in Gefahr.
160 Millionen Euro für den Müll
2016 schätzte das Brandenburgische Umweltministerium die Gesamtmenge der im Land angehäuften illegalen Müllberge auf 1,6 Millionen Tonnen. Tatsächlich waren sie um einiges höher, weil sich die Zahl nur auf solche Halden bezog, für die das Landesamt für Umwelt zuständig war. Ehemalige Kiesgruben wie das Luggendorfer Loch unterlagen beispielsweise der Kontrolle des Landesamtes für Bergbau, Geologie und Rohstoffe in Cottbus. Ähnlich schwindelerregend wie die Höhe der Müllberge sind die Kosten für die Entsorgung solcher Massen. Das Umweltministerium rechnete im vergangenen Jahr, dass man zur Räumung allein der Abfalllager im Zuständigkeitsbereich des Umweltamtes 160 Millionen Euro aufbringen müsste – wenn kein zahlungsfähiger Verursacher greifbar ist. Das Land hat dieses Geld nicht. Gerade einmal 4,2 Millionen Euro hat Brandenburg dafür im Etat 2017 vorgesehen.
Der Kies war alle, das Geschäft blühte trotzdem
Durch die roten Backsteinwände des Hofes von Bernadette Linden weht das Zischen der Druckluftbremse eines Lastwagens herein. Es ist das einzige Geräusch, dass von draußen im Verlauf einer Stunde zu hören ist. Doch Bernadette Linden fürchtet, wenn dort drüben eine Deponie eröffnet, dann würde dieses Geräusch zu ihrer ständigen Hintergrundmelodie, denn die Lastwagen kämen unmittelbar bei ihr vorbei.
Die Plakate an den Zäunen von Luggendorf und Groß Pankow sind ein Werk der Bürgerinitiative „Schutz statt Schutt“. Sprecherin ist Caroline von Wolff, auch sie eine Zugereiste. Vor 25 Jahren kam sie mit ihrem Mann aus Südafrika zurück nach Deutschland. Ihr Mann ist Mitbegründer der Augentagesklinik drüben im Groß Pankower Gutshaus.
„Die Leute tun immer so, als ob hier am Rand der Prignitz die Welt untergeht", sagt die schlanke 56-Jährige, die in den Townships von Pretoria gearbeitet hat. Sie und ihr Mann sind angetreten, das Gegenteil zu beweisen. Die Prignitz mag dünn besiedelt sein. Doch die Klinik versorgt jeden Tag 200 Patienten. In einem Nebengebäude hat Frau von Wolff ihr Büro. Normalerweise stehen hier nur Bücher der Klinik. Jetzt sind ein paar Ordner dazugekommen. Auf dem Schreibtisch liegen Kinderzeichnungen, sie stammen aus der örtlichen Grundschule. Die Ordner und die Zeichnungen haben ein Thema: die Mülldeponie.
Die Begrünung war schon geplant
Der Anwalt der Bürgerinitiative hat im Mai einen Antrag auf Akteneinsicht zum Luggendorfer Loch beim Cottbuser Bergbauamt gestellt. „Zum Glück hatten wir einen schlechten Sommer“, so hätte sie Zeit gehabt, sich einzulesen in rund 500 Seiten voller Versprechungen, Gutachten, Kontrollberichten und Absprachen, von denen die Luggendorfer erst durch diese Akten erfuhren.
Tatsächlich wurde der Betrieb in der Kiesgrube 1999 eingestellt und ein Abschlussplan erarbeitet. Auf den dazugehörigen Zeichnungen stehen schon die Kiefern und auch ein paar Lärchen, 79 000 DM hätte die Bepflanzung die Firma gekostet. Sie mussten nicht bezahlt werden, die Bäume wurden nie gepflanzt. Denn im Jahr 2000 fand sich ein neuer Betreiber, der die Grube erwarb: Die Firma Günther Schmidt und Sohn aus Perleberg. Fünf Jahre lang wurde die Firma vom Bergbauamt immer wieder aufgefordert, über den Stand der Wiedernutzbarmachung zu berichten, einer Forderung, der sie nicht nachkam. Das Verfahren zog sich hin, bis die Grube ein Fall für die Polizei wurde.
Im Kommissariat für schwere Umweltkriminalität
Kriminalhauptkommissar Harry Jäkel hat sein Büro in einer ehemaligen Kaserne in Eberswalde, dort ist der Sitz des brandenburgischen Landeskriminalamtes. Der 57-Jährige, ein kräftiger Typ mit grauem Haar, war früher Brandermittler, bis 2011 war dieses Ressort auch für Umweltdelikte zuständig. Erst dann wurde ein Kommissariat für schwere Umweltkriminalität eingerichtet. Denn inzwischen türmten sich Brandenburgs Müllberge immer höher.
Richtig in Fahrt war das schmutzige Geschäft 2005 gekommen, erinnert sich Jäkel, damals wurde das Abfallwirtschaftsgesetz geändert. Müll sollte in viel stärkerem Maße als zuvor aufbereitet, im besten Fall recycled werden. Es fehlten allerdings die Kapazitäten. „So entstand ein Abfallstau“, der musste irgendwo hin.
Jäkel ruft die Gebührenordnung des „Südbrandenburgischen Abfallzweckverbandes" auf seinen Bildschirm. Bauschutt kostet den Anlieferer 25 Euro die Tonne. Sind etwa Dämmmaterialien dabei, werden 44 Euro fällig, stecken gar gefährliche Stoffe darunter, Asbest zum Beispiel, macht das 176 Euro. „Anhand der Differenzen können sie sich ja die Gewinnspannen ausrechnen“, sagt Jäkel. Wenn das Zeug nicht fachgerecht entsorgt, sondern irgendwo hingekippt werde.
38 Urteile in 1500 Verfahren
Jäkel spricht bedächtig, fast ein wenig zögerlich. Nein, das sei keine Resignation, es ist nur so, dass es sich um eine komplizierte Materie handele: „Wir müssen nachweisen, woher ein bestimmter Stoff kommt“, sagt er. Außerdem müsse die Tat einer bestimmten Person zugeordnet werden können. Zwischen 2009 und 2016 wurden in Brandenburg 1517 Verfahren wegen unerlaubten Umgangs mit Abfall eingeleitet, 20 Mal kam es zu einer Geldstrafe, 18 Mal zu Freiheitsstrafen auf Bewährung. Frustriert ihn das? Jäkel antwortet nicht.
Auch die Verantwortlichen der Firma Günther Schmidt und Sohn konnten damit rechnen, dass mit dem Luggendorfer Loch gefahrlos auch ohne Kies noch Geld zu machen wäre. Wann genau sie mit dem illegalen Geschäft begannen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Wann es das erste Mal aufflog, geht aus Caroline von Wolffs Akten hervor.
Das LKA kam mit dem Hubschrauber
Bei einer Routineuntersuchung stießen Kontrolleure des Bergbauamts 2007 erstmals auf „bergbaufremde Materialien“, die einplaniert worden waren. Das war ungefähr die Zeit, als Bernadette Linden ihren Hof kaufte. 2010 kam ein anonymer Hinweis, dass da noch mehr sei. Ermittler von Bergbauamt und LKA stießen auf „widerrechtlich eingelagerte Materialien“ wie Mineralwolle, Teerpappe, Styropor, vergraben in bis zu drei Metern Tiefe. Ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet.
Am 9. März 2011 verschafften sich Abgesandte des Bergbauamts in Luggendorf einen Überblick, sie fanden wieder Abfälle vor. Nicht erschienen zu dem Termin waren Mitarbeiter der Firma Schmidt. Dafür meldete nun eine neue Firma, die PS Kieswerke, ebenfalls aus Perleberg, Interesse an der Grube an. Die neue Firma hatte zwei Tage zuvor ihr neues Gewerbe angemeldet.
Unter den Kies einplaniert
Die Geschichte der alten Firma Schmidt und Sohn war damit noch nicht zu Ende. 2012 erhielt das LKA einen anonymen Hinweis, man möge doch einmal ein wenig tiefer graben. Am 28. August holte ein Löffelbagger aus sieben Meter Tiefer Asbestplatten ans Licht, Schrott, Lacke, Holzschutzmittel. Die Abfälle waren unter dem restlichen Kies sorgfältig einplaniert worden.
Die Vorwürfe wogen diesmal schwerer. Doch das juristische Nachspiel zog sich bis Ende 2016 hin, der Juniorchef der Firma Schmidt war inzwischen krankheitsbedingt verhandlungsunfähig. Für zwei seiner Angestellten endete das Verfahren mit einer Geldstrafe.
Insgesamt waren im Luggendorfer Loch rund 11000 Kubikmeter kontaminierter Schutt und Müll gefunden worden, darunter 200 Kubikmeter Asbest. Der Gutachter schätzte 2013 die Entsorgungskosten auf rund 500 000 Euro. Doch das Land musste sich nicht um die Entsorgung kümmern, denn das Areal gehörte inzwischen der PS Kieswerke. Die gab die Entsorgung in Auftrag. Unter anderem die Asbestplatten wurden an zwei Tagen im Dezember 2014 abgefahren. Auch das ist in den Unterlagen das Bergbauamtes festgehalten, sogar die Wiegeprotokolle liegen vor, das ist Vorschrift.
Wo blieb das Asbest?
Doch solche Kontrollen reichen Caroline von Wolff schon lange nicht mehr. „Kennen Sie die Massendichte von Asbest?“, fragt sie. 200 Kubikmeter Asbest wögen 300 Tonnen, wenn nicht mehr. Die Wiegeprotokolle weisen aber nur 37 Tonnen abgeliefertes Asbest aus. Wo ist der Rest? Es sind solche Widersprüche, die das Misstrauen von Caroline von Wolff und ihrer Mitstreiter schüren.
Steffen Schmelzer ist der Geschäftsführer der PS Kieswerke in Perleberg. Am Telefon kann er die Diskrepanz auf die Schnelle auch nicht erklären. Schließlich habe er eine Fremdfirma mit der Entsorgung beauftragt. Und das sei doch kontrolliert worden. Er jedenfalls habe sich an alle Auflagen gehalten. Da sei nichts mehr, die Grube sei sauber.
Acht Jahre sei er jetzt im Abrissgeschäft. Früher hätten sie den Bauschutt recyclen und wiederverkaufen können, heute wolle den keiner mehr haben. Nicht zuletzt, weil jeder fürchte, schon bald könne sich erweisen, da seien irgendwelche verbotenen Stoffe drin, selbst wenn die heute noch vollkommen legal seien. Also bleibt er auf dem Zeug sitzen. Und ohne neue Deponie sei ein Betrieb wie seiner gar nicht mehr zu führen.
Die neuen Deponie-Pläne
Die Kiesgrube, selbst wenn sie keinen Kies mehr hergibt, könnte sich für ihn als gutes Geschäft erweisen – wenn sie denn genehmigt wird. Die Chancen dafür stehen gut. Denn im brandenburgischen Umweltamt rechnet man mit einem neuen Müllnotstand, auch weil der Bauboom in Berlin so viel Abfall produziert. Schon 2019 könnten die Entsorgungskapazitäten nicht mehr ausreichen. Auf der Internetseite des Ministeriums für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft existiert dazu bereits eine Liste, die neben den 12 existierenden Müllhalden 15 geplante Deponien nennt, darunter auch Luggendorf.
Noch ist die Deponie nicht genehmigt, das Planfeststellungsverfahren hat noch nicht einmal begonnen. Interesse an solch einer Lösung bekundete das Cottbusser Bergamt aber bereits 2013 in einem Gespräch mit der PS Kieswerke. Gemeint war eine Deponie der Klasse 1, in der dann auch Asbest eingelagert werden dürfte, wie es ausdrücklich hieß. Die damals noch vorhandenen Altlasten spielten bei diesem Gespräch den Unterlagen zufolge keine Rolle.
Für Caroline von Wolff sieht das so aus, als wolle man hier einen Deckel über den alten Müll legen, weil das Land dringend Platz für neuen bräuchte. „Das wäre doch dann wie ein Verband auf einer nicht verheilten Wunde, die darunter weiter suppt“, sagt sie. Erklärungen des Bergbauamtes, eine Gefährdung des Grundwassers sei nach den vorliegenden Analysen ausgeschlossen, traut sie nicht.
Stattdessen plant sie den Kontakt zu anderen Bürgerinitiativen in der Prignitz, aber auch in Michendorf bei Berlin, wo sich Bürger vehement gegen ein ähnliches Projekt wehren.
Bernadette Linden wird sie unterstützen. „Alles, was ich habe", sagt sie, „steckt in diesem Hof“. Eine Seifensiederei und Feriengäste aber, die vertragen sich nur schlecht mit einer Mülldeponie.