Fälschungsaffäre in Steglitz-Zehlendorf: Wie der Machtkampf in Berlins CDU eskalierte
Intrigen und Urkundenfälschung im wilden Südwesten: Christdemokraten verstehen selbst nicht, dass sich die Rivalen Wellmann und Heilmann so verbeißen konnten. Aus Eitelkeit und Ehrgeiz. Nun prüft sogar der Staatsanwalt.
Klar, dass es so weit kommen musste – bei diesen Egos. Nötig hätten sie den Machtkampf beide nicht. Aber jetzt konkurrieren Karl-Georg Wellmann und Thomas Heilmann um einen Platz auf der CDU-Landesliste für die Bundestagswahl und ziehen ihre Partei in eine Auseinandersetzung, deren Ende nicht abzusehen ist. Eigentlich wollte die CDU-Führung am 25. März über eine feinjustierte Kandidatenliste für den Bundestag abstimmen lassen. Heute muss sie fürchten, dass diese Liste zum Gegenstand langer juristischer Auseinandersetzungen wird.
Am Montag ist ein im Berliner Südwesten seit Jahren schwelender Konflikt eskaliert. Da wurde ein Bericht des Justiziars der Partei bekannt, in dem dem Bundestagsabgeordneten Wellmann vorgeworfen wird, mit Hilfe von Mitarbeitern, die Unterlagen in einer parteiinternen Umfrage gefälscht zu haben. In der Umfrage ging es um die Art und Weise, wie im CDU-Kreisverband Steglitz-Zehlendorf der Bundestagskandidat bestimmt werden sollte – ob durch Delegiertenwahl oder durch Mitgliederentscheid. Wellmann war für das Delegiertenprinzip, Heilmann für die Mitgliederbefragung. Letzterer setzte sich im Januar durch.
Der Bericht über die Fälschung gelangt vor der Wahl an diesem Sonntag an die Öffentlichkeit. Die Mitglieder der Südwest-CDU sind eingeladen, über ihren Direktkandidaten für den Wahlkreis 079 abzustimmen: Wellmann oder Heilmann. Die letzte Versammlung war unentschieden ausgegangen – 245 gegen 245 Stimmen. Nun steht, zwei Wochen vor der Aufstellung der gesamten CDU-Kandidatenliste, die Entscheidung an.
Die Umfrage aus dem Winter hat mit der Wahl eigentlich nichts zu tun, doch alle fürchten, dass der Skandal das Ergebnis beeinflussen könnte. Und deshalb überschlagen sich in der Berliner Union Emotionen und Sorgen gleichermaßen. Die Partei, seit September mal wieder in der Opposition, fürchtet die Folgen der Streiterei, die juristisch und politisch nicht absehbar sind. Und warum? Hört man in die Partei hinein, heißt es: Da haben zwei ihren Ehrgeiz nicht unter Kontrolle – ihre Eitelkeit erst recht nicht.
Mit sorgenvollen Gesichtern sprachen sie von der Konkurrenz
Der eine: seit 1972 in der CDU, seit 1981 in der Berliner Politik, über das Abgeordnetenhaus in den Bundestag gelangt, dort quasi zu Hause. Dreimal gewann Karl-Georg Wellmann für die CDU das Direktmandat im Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf. Nirgendwo sonst in Berlin hat die CDU so viele Mitglieder. Wellmann gehört seit 16 Jahren zu den Granden der Südwest-CDU, sitzt dem Ortsverband Dahlem vor und spricht gern von „meinen Professoren“. Von Beruf Rechtsanwalt und Notar – ein gemachter Mann.
Der andere: kam als Quereinsteiger in die Berliner CDU, der einzige, der sich seit dem Mauerfall behaupten konnte. Thomas Heilmann, Mitbegründer der Werbeagentur Scholz and Friends, politischer Ideen-Generator in den Jahren 2009 und 2010, als sich die Berliner CDU anschickte, mit Frank Henkel wieder regierungsfähig zu werden. Ein Politiker aus Passion, und ein reicher Mann, wie man in der CDU gern erzählte. Heilmanns Passion entwickelte sich so weit, dass er – seit 2012 Senator für Justiz und Verbraucherschutz – auch etwas werden wollte: ein Machtfaktor. Und er hatte es ausgerechnet auf den Kreischef-Posten Steglitz-Zehlendorf abgesehen.
Kein Verband hat nach dem Machtverlust der CDU 2001 in der Bankenkrise die Partei-Justiziare so intensiv beschäftigt wie die rund 2200 Mitglieder zählende CDU in Steglitz und Zehlendorf. Zwei Parteifreunde beschäftigten in den Jahren nach 2001 sogar das Berliner Verfassungsgericht, weil sie einander die Nominierung auf dem Rechtsweg streitig machten. Der Streit zog sich über Jahre.
Seit ein paar Monaten ist die Erinnerung daran wieder Gegenwart. Mit sorgenvollen Gesichtern sprachen sie in der Berliner CDU von der möglichen Kandidatenkonkurrenz Wellmann/Heilmann. Nach außen war davon die Rede, solche Auseinandersetzungen um die Landesliste brächten „Unruhe“. Parteiintern, hört man heute, wussten seit Wochen zehn bis 15 führende CDU-Leute von Fälschungsvorwürfen.
Hinter dem Wechsel steckte Kalkül
Das Drama hat sich lange angekündigt. Die Beziehung zwischen Heilmann und Wellmann war schon seit der Kreischef-Wahl vergiftet. Es war der 13. Mai 2013, kurz vor Mitternacht. Heilmann, gerade mit 85 Prozent gewählt, sagte: „Das ist das beste Wahlergebnis der letzten 14 Jahre.“ Heilmann lächelte dabei. Doch wer genau hinhörte, ahnte, dass es auch ein Angriff war.
Zum Beispiel auf den früheren Abgeordneten und langjährigen Kreisvorsitzenden Michael Braun, der vor Heilmann acht Jahre den Verband geführt hatte. Und eben Wellmann, der damals ebenfalls darüber nachgedacht hatte, den Kreisvorsitz zu übernehmen. Andere Christdemokraten fühlten sich ebenfalls herausgefordert. Und nicht wenige bemerkten hämisch hinter Heilmanns Rücken, der Neue müsse erst einmal beweisen, dass nun gerade er „Einigkeit im Kreisverband“ herstellen könne.
Konnte er nicht. Der Verband zerfiel in das Heilmann-Lager und die Wellmann-Unterstützer. Zwei Jahre lang gab es zwar keinen offenen Streit, doch intern tobte ein Machtkampf. Heilmanns Leute wollten den langjährigen CDU-Bezirksbürgermeister Norbert Kopp loswerden. An seine Stelle sollte Cerstin Richter-Kotowski treten. Gegen einen Generationenwechsel hätte an sich auch kein Christdemokrat etwas gehabt. Doch hinter dem Wechsel steckte Kalkül. Heilmann brauchte die Stimmen von Richter-Kotowskis Ortsverband Steglitz für seine Wiederwahl.
Der kleine Putsch gelang. Heilmann setzte sich bei der Nominierung der Kandidaten für die Abgeordnetenhaus- und Kommunalwahl 2016 durch. Kein Michael Braun mehr, kein Bürgermeister Kopp, altgediente Abgeordnete wie Uwe Lehmann-Brauns, Stefan Schlede oder Joachim Luchterhand hörten auf. „Der Club der alten Männer ist nicht mehr da“, hieß es damals. Fürs Parlament mag das gestimmt haben. Doch hinter den Kulissen der Partei ist dieser Club nun umso aktiver. Und nach der Niederlage der CDU bei der Abgeordnetenhauswahl im September starteten Heilmann und Wellmann den Kampf um ihr eigenes politisches Überleben. Nun steht die entscheidende Runde bevor.
350 Bögen waren mit einem anderen Verfahren gedruckt worden
Thomas Heilmann glaubte von Anfang an, die Mehrheit der Mitglieder hinter sich zu haben. Kurz vor Weihnachten verschickte auf seine Initiative hin die Kreisgeschäftsstelle deshalb an die Mitglieder den Umfragebogen. Man konnte sowohl namentlich als auch anonym ankreuzen, ob man für oder gegen die Einführung eines Mitgliederentscheids ist. Die eingegangenen Bögen waren mehrheitlich namentlich gekennzeichnet. Fast 98 Prozent stimmten für das Mitgliederprinzip.
Dann aber öffneten die Mitarbeiter der Kreisgeschäftsstelle immer mehr Sendungen ohne Angaben der Personalien, dafür mit einem Kreuzchen gegen das Mitgliederprinzip. Der Kreisgeschäftsführer Thomas Bretschneider wurde stutzig und sah sich die Bögen genauer an.
Er entdeckte, dass 350 Bögen mit einem anderen Verfahren gedruckt worden waren und informierte den Kreisvorsitzenden. Heilmann berichtete dann Anfang Januar CDU-Landeschefin Monika Grütters über „Auffälligkeiten während der Durchführung einer rechtlich unverbindlichen Mitgliederumfrage“. Grütters bat den Justiziar Ernst Brenning, den Kreisverband als „neutraler Sachwalter bei der Aufklärung des Sachverhaltes zu unterstützen“. Brenning bezog zwei externe Rechtsanwälte mit ein und konsultierte „kriminalistische Fachleute“. So entstand die Untersuchungskommission.
Diese befragte sowohl Heilmann als auch Wellmann und entdeckte, dass ein Mitarbeiter von Wellmann auf einem gefälschten Bogen offen mit Nein abgestimmt hatte. Das gab der Mitarbeiter auch zu, sagte aber, er könne sich nicht erklären, wie er an den gefälschten Bogen gekommen sei. Die Kommission fand auch heraus, dass nur auf diesem gefälschten Blatt Fingerabdrücke sind. Die fehlten auf allen anderen gefälschten Bögen. Die Experten schlussfolgerten, dass jemand mit Handschuhen gearbeitet haben müsse.
Auf neun Bögen fanden die Anwälte allerdings handschriftliche Kommentare und baten um Schriftproben sowie Fingerabdrücke. Die sollen Heilmann und seine Mitarbeiter auch abgegeben, Wellmann und seine Leute aber verweigert haben. Wellmann wiederum behauptet, Schriftproben seien von ihm nicht verlangt worden, er sei aber jederzeit bereit, welche abzugeben, wenn Landeschefin Grütters ihn darum bitte.
Inzwischen interessiert sich auch die Staatsanwaltschaft für den Fall
Die Kommission gab schließlich am 1. März einen Zwischenbericht ab, der festhielt, es gebe keine Beweise, dass „einer der beiden Wahlkreiskandidaten an den Fälschungen beteiligt war oder diese veranlasst hat“. Wellmann behauptet auf Facebook, dass Grütters nach diesem Zwischenbericht „von den parteiinternen Ermittlern ein sofortiges Einstellen der Untersuchung gefordert“ habe. Ob das so war, beantwortet der Landesverband mit dem Satz, es sei Wellmann gewesen, der „weitere Ermittlungen angeregt“ habe. Wellmann weist diese Darstellung von sich: „Das trifft nicht zu.“ Grütters selbst schweigt zu den Vorgängen.
Wellmann sagt außerdem, er sehe sich „ungeheuerlichen Anschuldigungen ausgesetzt“. Die Untersuchung sei „mit dubiosen Mitteln“ geführt worden. Er kündigte an, gegen die Verfasser des Abschlussberichts Strafanzeige zu stellen. Also auch gegen den Justiziar der Berliner CDU.
Inzwischen interessiert sich auch die Staatsanwaltschaft für den Fall, prüft, ob ein Anfangsverdacht vorliegt. Sollte sich der Verdacht der Urkundenfälschung erhärten, kann die Behörde auch von selbst Ermittlungen aufnehmen. Eine Strafanzeige, etwa wegen Urkundenfälschung, liegt der Behörde bisher nicht vor.
Das dürfte es gewesen sein, mit dem Versuch der CDU in ihre Rolle als Oppositionsführerin zu finden. Wäre der Streit nicht eskaliert, hätte alles glatt gehen können: Grütters Parteiführung hätte eine Liste vorgelegt, auf der die bewährten Kräfte von Kai Wegner bis Jan-Marco Luczak abgesichert wären, je nach Ausgang der Mitgliederversammlung auch Wellmann oder Heilmann.
Jetzt muss Grütters fürchten, dass die Wahl in Zehlendorf kommenden Sonntag ihren Listenentwurf juristisch angreifbar macht – wie es 2011 ja schon einmal der Fall war. Deshalb verweisen führende Köpfe in der Berliner CDU auf die Praxis anderer Landesverbände. In Nordrhein-Westfalen, sagt einer, sei es völlig unüblich, Kandidaten auf einer Liste abzusichern, die ihren Wahlkreis direkt gewinnen könnten. Käme es so, hätten Wellmann und Heilmann den Kampf um einen Listenplatz gemeinsam verloren.