Nach den Terroranschlägen: Was Sri Lanka jetzt droht
Acht Explosionen, 290 Tote, 500 Verletzte – auf Sri Lanka hat die Jagd nach den Drahtziehern des Terrors begonnen. Für das Land steht viel auf dem Spiel.
- Agnes Tandler
- Sebastian Leber
- Torsten Hampel
- Frank Jansen
Die nächste Bombe, die explodiert, ist in einem Auto versteckt, es steht am Montag in der Nähe der St.-Antonius-Kirche in der Hauptstadt Colombo. St. Antonius, eine der drei Kirchen, in denen sich am Ostersonntag nahezu zeitgleich Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatten. Bombenentschärfer sprengen das Auto, der Polizei zufolge „kontrolliert“. Menschen fliehen in Panik, die Polizei nimmt in der Nähe einen Mann fest.
Mutmaßliche Zeugen, die es trotz der Sperrung sozialer Medien geschafft haben, auf Twitterkanälen von der Szene zu berichten, beschreiben die Menschen nach der Festnahme des Verdächtigen als zornig, die Polizei habe ihn schützen müssen. Anderswo in der Stadt, an einer zentralen Busstation, findet die Polizei 87 Bombenzünder.
Es ist Montag in Colombo. Die nächtliche Ausgangssperre ist vorbei. Die Zahl der Menschen, die wegen der insgesamt acht Anschläge – vor allem in den Kirchen und drei Luxushotels verübt – in Sri Lanka ihr Leben verloren, liegt mittlerweile bei 290. Weitere 500 Menschen, sagt ein Polizeisprecher, seien verletzt worden. Es ist der erste große Terroranschlag seit Ende des Bürgerkriegs 2009. Es spricht viel dafür, dass es nicht etwa der alte Konflikt zwischen der Bevölkerungsmehrheit der Singhalesen und der tamilischen Minderheit ist, der nun wieder aufgebrochen ist. Sondern dass dieser Terror, der sich hier materialisiert, andere Vorzeichen hat.
Ostersonntag, 8.45 Uhr
Was zunächst nur Gerücht war, bestätigt die Regierung in Colombo am Montag: Bei den Selbstmordattentätern soll es sich um Anhänger der kleinen islamischen Terrorgruppe „National Thowheeth Jama’ath“, kurz NJT, handeln. Einer ihrer Prediger soll sich mit in die Luft gesprengt haben. Knapp zehn Prozent der Inselbewohner sind Muslime, ähnlich groß sind die Anteile der Hindus und Christen, zumeist Katholiken. Die große Mehrheit in Sri Lanka ist buddhistischen Glaubens.
Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu Übergriffen radikaler Buddhisten auf Minderheiten – was zu radikaler Gegenwehr führt: Die NJT, heißt es, soll für die Schändung diverser Buddhastatuen verantwortlich gewesen sein. Wie nun bekannt geworden ist, hat der Polizeichef des Landes die Regierungsbehörden am 11. April vor Anschlägen der NTJ auf Kirchen und auf die indische Botschaft gewarnt. Kann eine kleine, regional operierende Gruppe wie NJT eine Terroraktion solchen Ausmaßes alleine durchführen?
Ostersonntag, 8.45 Uhr, lösen die Attentäter ihre Sprengsätze im Hotel Shangri-La in Colombo aus, im nahegelegenen Hotel Kingsbury und im Cinnamon Grand. Im Cinnamon Grand reiht sich der Attentäter mit einem Teller in aller Ruhe in die Schlange vor dem Frühstücks-Buffet ein. Fünf Minuten danach attackieren die Terroristen die Menschen in der St.-Antonius-Kirche und in der St.-Sebastian-Kirche in Negombo, 40 Kilometer weiter nördlich. Wieder 15 Minuten später trifft es die Besucher der Zionskirche in Batticaloa, mehr als 300 Kilometer entfernt von Colombo, an der Ostküste Sri Lankas gelegen.
Eine „völlig neue Art von Terrorismus“
St. Sebastian ist bis auf den letzten Platz besetzt, mehr als 1000 Gläubige haben sich eingefunden. Überlebende schildern Medien in Sri Lanka, sie hätten den Attentäter in die Kirche kommen sehen. Er habe eine große Tasche getragen und sei erst zum Ende der Messe erschienen. Die Detonation war so stark, dass das gesamte Dach der Kirche weggesprengt wurde. „Blut und Fetzen von menschlichem Fleisch waren überall an den Wänden“, beschrieb Edmond Tillekeratne, der Sprecher der Erzdiözese Colombo, die schreckliche Szene.
Vier Stunden nach der Anschlagsserie, um 13.45 Uhr, explodiert eine siebte Bombe im kleinen Hotel Tropic Inn, nahe bei Colombos Zoo. Eine halbe Stunde später, um 14.15 Uhr, kommt es zu einem weiteren schweren Zwischenfall, ein Fernsehteam hat ihn dokumentiert. Die Aufnahmen zeigen, wie Polizisten über eine Leiter auf den Balkon im ersten Stock eines Wohnhauses steigen und ins Gebäude eindringen wollen. Bei dem Versuch, Verdächtige festzunehmen, kommt es zur nächsten, der achten Explosion dieses Tages, drei Beamte sterben. Offenbar gerieten sie in eine Falle.
Am Sonntagabend wurde auf der Zufahrtsstraße zum Flughafen von Colombo eine zwei Meter lange Rohrbombe entdeckt, die Spezialisten aber entschärfen konnten. Bis Montagnachmittag hat die Polizei 24 Verdächtige festgenommen. Die Regierung teilt mit, alle Selbstmordattentäter seien Bürger von Sri Lanka gewesen.
„Es ist ein sehr, sehr trauriger Tag für uns alle“, sagt der Erzbischof von Colombo, Malcolm Ranjith. Die Regierung spricht von einer „völlig neuen Art von Terrorismus“, am Montag ruft sie den Ausnahmeszustand aus. „Dies ist ein Schock, und wir werden mit einer Schock-Therapie antworten“, erklärt Sri Lankas Wohnungs- und Kulturminister Sajith Premadasa. Muslimische Verbände im Land verurteilen die Angriffe scharf, fordern harte Strafen für die Komplizen der Attentäter.
Todesdrohungen, Steine und eine Geiselnahme
Rauff Hakeem, Minister für Stadtentwicklung, selbst Muslim und Gründer einer muslimischen Partei, spricht von einem „schändlichen, verbrecherischen Akt“, der drohe, die Gräben zwischen den Religionsgruppen zu vertiefen.
Motive hätten die Islamisten laut Beobachtern genug. Dass an einem der wichtigsten christlichen Feiertage Kirchen attackiert wurden, sei womöglich ein Racheakt für den rechtsextremen Anschlag auf die Moscheen in Neuseeland, heißt es. Und Hotels auf einer Ferieninsel wie Sri Lanka seien für Islamisten ebenfalls Symbole der verhassten „Kreuzritter“, wie Westler pauschal in der Dschihadistenszene bezeichnet werden.
In den vergangenen Wochen gab es bereits Angriffe auf Kirchen – wenn auch nicht annähernd so gewalttätiger Natur wie am Ostersonntag. Vor einer Woche, am Palmsonntag, überfiel eine Gruppe von bis zu 25 Jugendlichen eine Methodistenkirche 200 Kilometer nordöstlich von Colombo. Sie stießen Todesdrohungen aus, warfen Steine und Knallkörper. Sie verschlossen die Türen, nahmen 15 Gottesdienstbesucher und zwei Geistliche als Geiseln.
Der „Sunday Observer“, eine englischsprachige Wochenzeitung in Sri Lanka, berichtet, dass seit dem 3. Februar solche und ähnliche Angriffe an jedem Sonntag im ganzen Land stattgefunden haben. „Mindestens 13 Kirchen und ein Einzelner sind in diesem Jahr angegriffen worden“, schreibt die Zeitung, insgesamt habe es ungefähr 35 solcher Vorfälle gegeben.
39 Opfer stammen aus dem Ausland
Die indische Marine ist in Alarmbereitschaft versetzt, hat ihre Patrouillen vor der Küste verschärft. Sie soll so verhindern, dass sich mögliche Komplizen der Attentäter über den Seeweg nach Indien absetzen. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern war wegen des Bürgerkriegs in dem Inselstaat jahrzehntelang stark belastet, da im Süden Indiens viele Tamilen – die Volksgruppe war eine der Bürgerkriegsparteien – leben. Auch der Verlauf der Seegrenze war lange umstritten. In den vergangenen Jahren hatte es aber eine starke Annäherung gegeben.
Unter den Opfern befinden sich mindestens 39 Ausländer, darunter US-Amerikaner, Australier, Briten, Chinesen und ein Deutsch-Amerikaner. Drei der vier Kinder des dänischen Milliardärs Anders Holch Povlsen – er ist Zalando-Aktionär und -Aufsichtsrat – wurden getötet, berichtet „Danmarks Radio“. Zwei türkische Ingenieure, berichtet die Nachrichtenagentur Anadolu. Kaori Takahashi, eine Japanerin, starb beim Frühstück im Shangri-La, dort starb auch ein Geschäftsmann aus dem indischen Bangalore.
In Deutschland versuchen Polizei und Nachrichtendienste, die Anschläge in Sri Lanka zu analysieren, zu „lesen“, um die Hintergründe bewerten zu können – und die Gefahr, die sich womöglich für die Bundesrepublik ergibt. „Wenn es nur eine regionale Gruppe war, ist das schlimm genug, doch wenn eine größere islamistische Struktur wie Al Qaida oder der IS dahintersteckt, hätten die Anschläge eine weltpolitische Wirkung“, sagt ein hochrangiger Sicherheitsexperte. Dann hätten Al Qaida oder der IS demonstriert, „wozu sie aktuell fähig sind“.
Ein Hinweis und ein „ausländischer Geheimdienst“
Das wäre für beide Terrororganisationen gerade jetzt von Bedeutung. Al Qaida rüste in Südasien auf und versuche schon länger, dort Aufmerksamkeit zu erregen. 2014 verkündete Al-Qaida-Chef Aiman as Sawahiri die Gründung einer Filiale namens „Al Qaida in the Indian Subcontinent“, es folgten Attentate in Pakistan und Bangladesch. Der IS hingegen würde mit einem verheerenden Anschlag demonstrieren, dass er trotz der militärischen Niederlagen in Syrien und Irak immer noch global gefährlich sei. Die deutschen Behörden recherchieren nun, wie ihre Kollegen in Sri Lanka und weltweit, ob die beschuldigte Gruppierung NTJ auf eigene Faust gehandelt hat oder in ein Netzwerk militanter Islamisten eingebunden ist. Dass NTJ tatsächlich für die Anschläge verantwortlich ist, wie die Regierung des Inselstaates sagt, wird nicht bezweifelt. Doch nun geht es darum, Hintermänner ausfindig zu machen.
Ein starkes Indiz für eine Beteiligung internationaler islamistischer Strukturen, sagen deutsche Sicherheitskreise, sei jene Warnung des Polizeichefs vom 11. April – beziehungsweise die eigentliche Quelle, aus der sie stammt: ein „ausländischer Geheimdienst“.
Dass ein ausländischer Nachrichtendienst warnte, sei ein Hinweis auf die mögliche Einbindung von NTJ in eine internationale dschihadistische Vereinigung wie Al Qaida oder IS. Um welchen Nachrichtendienst es sich handelt, wissen die deutschen Behörden bislang nicht – oder wollen es nicht äußern. Zu hören ist nur, es könnten „die Amerikaner“ oder „die Inder“ gewesen sein.
Die US-Nachrichtendienste beobachten den islamistischen Terror weltweit, die indischen Behörden blicken vor allem auf die Dschihadisten daheim und in den Nachbarländern Pakistan, Afghanistan, Bangladesch, den Malediven und eben auch Sri Lanka.
Der Premier warnt vor Instabilität
Sri Lankas Justizminister Wijedasa Rajapakse habe von 32 Landsleuten gesprochen, die sich in Syrien der Terrormiliz IS angeschlossen hätten, berichtete im November 2016 die indische Zeitung „The New Indian Express“. Zwei Dschihadisten aus dem indischen Kerala seien auf Sri Lanka gewesen, bevor sie zum IS gereist seien. Im Juli 2015 hatten srilankische Medien gemeldet, bei einem Luftangriff in Syrien sei ein von der Insel stammender IS-Mann getötet worden. Wieviele der 32 Dschihadisten nach Sri Lanka zurückgekehrt sind, ist allerdings unklar. In deutschen Sicherheitskreisen geht man jedenfalls davon aus, dass die Attentäter von Ostersonntag im Umgang mit Sprengstoff geübt waren.
Für Sri Lanka könnten die Attentate auch eine wirtschaftliche Katastrophe bedeuten. Nach Ende des Bürgerkriegs hatte die Regierung auf eine Phase des Wachstums gehofft, besonders dank steigender Touristenzahlen. Neben Rucksacktouristen zog Sri Lanka in den vergangenen Jahren verstärkt Pauschalreisende an.
Dieses Wachstum ist nun in Gefahr. Die großen deutschen Reiseanbieter, die auch die jetzt betroffenen Hotels im Programm führen, gewähren kurzfristige Umbuchungen und Stornierungen. Die Lufthansa bietet ebenfalls Umbuchungen an. Das Auswärtige Amt hat seine Reisehinweise verschärft, warnt vor dem Besuch der Anschlagsorte.
Der langfristige Schaden für den Tourismus ist nicht abzusehen. Ranil Wickremesinghe, der Premierminister des Landes, warnt am Montag vor Instabilität. Er sagt aber auch, Sri Lanka habe in der Vergangenheit schon ähnlich finstere Momente erlebt – und verkraftet. Seine Landsleute seien erstaunliche Menschen.