Private Drohnen über Berlin: Warum sich Dirk Berscher jeden Tag strafbar macht
Drohnen werden bei Hobbypiloten immer beliebter. Wo sie in Berlin fliegen dürfen, ist vielen unklar. Daran ist auch die Politik schuld.
Knopf gedrückt, vier Leuchtdioden blinken. Hebel nach vorn, die Phantom 3 schießt in die Luft. An das Steuerpult, das Dirk Berscher mit beiden Händen umklammert, hat er sein Smartphone gestöpselt. Auf dessen Bildschirm sieht er, was die Kamera seiner Drohne oben in 30 Meter Höhe filmt. Baumwipfel, Mülltonnen aus der Vogelperspektive, Fußball spielende Jugendliche. Den Rosengarten, daneben den Biergarten, Zuschauerreihen des Freiluftkinos.
Die Phantom 3 kann bis auf 500 Meter steigen, anderthalb Berliner Fernsehtürme hoch, aber Dirk Berscher sagt, er wolle es heute nicht übertreiben. Er lässt die Kamera Richtung Südwesten schwenken, jetzt hat er die zwei Minarette der Sehitlik-Moschee auf dem Schirm, die Spitzen glänzen golden. „Da fliege ich nicht rüber“, sagt er. „Sonst denken die Muslime noch, sie werden vom Geheimdienst beobachtet.“
Er weiß, dass sich die Neuköllner Hasenheide innerhalb einer Flugverbotszone befindet - wie die meisten zentral gelegenen Viertel Berlins. Dirk Berscher bricht absichtlich das Gesetz. Mehrmals die Woche, seit über einem Jahr. Deshalb ist Berscher auch nicht sein richtiger Name. Als Straftäter sieht er sich nicht: „Ich bin ein verantwortungsbewusster Mensch.“ Aber einer, der nicht auf sein Hobby verzichten wolle, bloß weil der Gesetzgeber noch nicht in der Gegenwart angekommen sei.
Berscher ist 32 Jahre alt, hochgewachsen und hager, arbeitet in der Marktforschung. Auf seinem T-Shirt steht in roten Druckbuchstaben: „Und zack - wieder unbeliebt gemacht“.
In Deutschland fliegen schon 400.000 Multicopter
Das Wort Drohne hört er nicht gern, es klinge zu sehr nach Afghanistan-Einsatz. Er bevorzugt „Multicopter“. 400.000 Stück sind in den vergangenen Jahren deutschlandweit verkauft worden. Die Flugsicherung schätzt, die Zahl werde sich bis 2020 verdreifachen. Das bedeutet Millionengewinne für eine boomende Branche. Und Gefahren für die Allgemeinheit. Erst im April kollidierte eine Drohne beinahe mit einem Lufthansa-Airbus, solche Vorfälle nehmen zu. Im Dezember verlor ein Kleinkind in Großbritannien durch das Rotorblatt eines Multicopters ein Auge.
Hobbypiloten kennen oft die Regeln nicht, haben keinen Überblick, wo und unter welchen Bedingungen sie fliegen dürfen. Was nur zum Teil ihre Schuld ist, auch wenn Behörden das anders sehen. Brigitte Zypries, die zuständige Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, warnt vor „gefährlichem Wildwuchs im Bereich von Hobbydrohnen“. Dirk Berscher sagt: „Wildwuchs gibts höchstens bei der Fülle an schwachsinnigen Verboten.“
Aus der Nähe betrachtet wirkt die Phantom 3 wie ein typisches Apple-Produkt: ganz in Weiß gehalten, mit extrem wenig Kanten. Tatsächlich wurde das Gerät von DJI konstruiert, dem chinesischen Weltmarktführer für die Herstellung ziviler Drohnen. Ladenpreis: 600 Euro. Ein Modell der Phantom-Reihe stürzte voriges Jahr nachts in Washington auf den Rasen des Weißen Hauses. Das löste in den USA eine Debatte darüber aus, wie real das Risiko von Terroranschlägen mit Hobbydrohnen ist. Es stellte sich heraus, dass ein betrunkener Geheimdienstmitarbeiter beim Spielen die Kontrolle über sein Gerät verloren hatte.
Auf seinem Bildschirm sieht Dirk Berscher, wie die Phantom 3 über einen schilfbewachsenen Teich kreist. Er sagt: „Mich reizt gar nicht das Illegale - sondern die Lust auf außergewöhnliche, unfassbar schöne Bilder.“ Warum solle er diese Möglichkeit Fotografen überlassen, die sich Hubschrauber oder aufwendige Leiterkonstruktionen leisten könnten? Es gehe hier um nicht weniger als die „Demokratisierung des Luftraums“.
18 Berliner wurden vergangenes Jahr angeklagt
Würde Dirk Berscher erwischt, drohte ihm ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen Paragraf 63 des Luftverkehrsgesetzes: „Wer den Anordnungen über Sperrgebiete zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ 18 Berlinern ist das vergangenes Jahr passiert. Dabei ist es egal, ob die Drohne bloß einen halben Meter über dem Boden schwebte. Die Verbotsregelung sei „hysterischer Unfug“, sagt Berscher. Reflexhandlung einer Stadt, die „sich aus Imagegründen fortschrittsliebend gibt, in Wahrheit aber nicht mal kostenfreies W-Lan zustande bringt“.
Wer bald alles Drohnen einsetzen will
20 Minuten kann die Phantom 3 in der Luft bleiben, dann ist der Akku leer. Klingt nicht nach einer bahnbrechenden Technologie, die bald das Leben von Millionen Menschen verändern wird. Doch genau das ist sie, sagen Experten. Amazon und Google wollen Drohnen zur Paketzustellung nutzen. Der „Paketkopter 3.1“ von DHL kommt in Tests auf 70 Kilometer pro Stunde. In Ostchina werden Drohnen bereits regulär eingesetzt, um Waren in abgelegene, mit Lkw schwer erreichbare Dörfer zu liefern. Eine US-Firma baut gerade eine Drohne, die künftig Häuserwände anstreichen und Fenster putzen soll. In Südafrika beobachten Multicopter Elefantenherden, lösen Alarm aus, sobald sich Wilderer nähern. Die Bandbreite potenzieller Einsatzgebiete ist enorm.
Auch die Berliner Polizei hat sich eine Drohne angeschafft, für mehr als 50 000 Euro. Damit überfliegt sie Tat- oder Unfallorte und dokumentiert Spuren. Als im März dieses Jahres eine Bombe im Auto eines Mannes mitten auf der Charlottenburger Bismarckstraße explodierte, rückte gleich der „G4 Eagle“ an. Zur Observierung von Tatverdächtigen wird das Gerät nicht eingesetzt. Anders als in Sachsen, wo Drohnen Demonstranten und Hooligangruppen abfilmen. „Ich bin sicher, das wird auch hier kommen“, sagt Dirk Berscher. Und dass es dumm von der Polizei wäre, auf diese Möglichkeit zu verzichten. „Wenn ich zum Beispiel in der Hasenheide eine Wärmebildkamera unter meine Drohne montieren würde, könnte ich jetzt in aller Ruhe die Wege der Dealer bis zu ihren Drogenverstecken aufzeichnen.“
Flickenteppich aus Regelungen
Die Polizei darf ihre Drohne stadtweit einsetzen. Für alle privaten Nutzer gelten strikte Begrenzungen. Es ist ein Flickenteppich aus Regelungen, der für Laien kaum zu überblicken ist. Grundsätzlich ist das Fliegen in Berlin bis zu einer Höhe von 30 Metern erlaubt, nicht jedoch über Krankenhäusern, Kraftwerken, Gefängnissen, Privatgrundstücken und Menschenmengen. Außerdem dürfen Drohnen nicht näher als 5,556 Kilometer an den Reichstag heranfliegen, 3,704 Kilometer an das Helmholtz-Zentrum am Wannsee, wo ein nuklearer Forschungsreaktor steht, sowie je 1,5 Kilometer an die Flughäfen Tegel und Schönefeld.
Eine Karte, die alle Flugverbotszonen abbildet, bietet die Stadt nicht an. Schlimmer noch: Auf Berlins offizieller Internetseite werden die Regeln zwar detailliert aufgelistet - Hinweise auf die wichtigsten, weil größten Verbotszonen um Reichstag und Wannsee fehlen aber schlicht. Wer sich an die Empfehlungen auf berlin.de hält, macht sich leicht strafbar (Update siehe unten).
Eine Hinweispflicht für Händler, wie sie die Deutsche Flugsicherung fordert, fehlt bis heute. Dazu geben Verkäufer oft falsche Auskünfte. Etwa Samstagmittag in einem großen Südberliner Elektromarkt. Multicopter werden hier zwischen E-Rollern und Spielzeugrobotern angeboten. Frage an den zuständigen Verkäufer: „Dürfte ich damit am Landwehrkanal entlangfliegen?“
„Ja, klar doch.“
„Und geht das auch im Tiergarten beim Kanzleramt?“
„Solange Sie nicht direkt über Menschen fliegen, stört das keinen.“
Im Regal steht der Marktführer Phantom 3. Der Verkäufer öffnet die Verpackung und zeigt das Zubehör, auch ein Faltblatt des Bundesamts für Zivilluftfahrt liegt bei, es klärt auf, wo geflogen werden darf und wo nicht. Das Problem: In Deutschland existiert gar kein „Bundesamt für Zivilluftfahrt“. Es handelt sich um eine Schweizer Behörde. Das Faltblatt richtet sich in Wahrheit an Schweizer Piloten und klärt über die dort geltenden Gesetze auf. Das merkt der Käufer in Berlin bloß nicht.
Vom Nachbar gefilmt? Klage!
Da fast alle Drohnen über Kameras verfügen, verletzen Piloten regelmäßig die Privatsphäre anderer Menschen. Das Amtsgericht Potsdam gab gerade einer Unterlassungsklage statt: Eine Frau hatte sich im Garten auf einer Liege ausgeruht, als der Nachbar mit seiner Drohne auf sie zuhielt. Tut er das noch einmal, droht ihm ein Ordnungsgeld von 250 000 Euro.
Es gibt bis jetzt wenige Prozesse, in denen geklärt wird, was sein darf und was nicht, sagt Tim Hoesmann. Der Anwalt aus Prenzlauer Berg ist Justiziar des gerade gegründeten „Bundesverbands Copter-Piloten“. Hoesmann sagt, es sei wie damals nach der Erfindung des Automobils. Im 20. Jahrhundert hätte jede Gemeinde eigene Höchstgeschwindigkeiten festgelegt, es habe lange gebraucht, einheitliche Regeln zu finden. „Und natürlich gab es diejenigen, die Autos für komplett überflüssig hielten, weil die Postkutschen doch bestens funktionierten.“ Dieselben Auseinandersetzungen stünden jetzt den Drohnen-Freunden und -Gegnern bevor. Vergangenes Jahr streifte der Multicopter eines seiner Mandanten einen Kirchturm. Der Küster behielt das Gerät bei sich und weigert sich bis heute, es zurückzugeben. Hoesmann weiß selbst nicht, wie der Fall ausgehen wird.
Darf man Drohnen im eigenen Garten abschießen?
Eine der häufigsten Fragen, die Tim Hoesmann gestellt bekommt, ist die, wie man sich gegen Drohnen wehren kann, die in den eigenen Garten eindringen. Darf man versuchen, die Dinger vom Himmel zu holen? Nun, sagt er, es sei kompliziert. Grundsätzlich habe jeder das Recht auf Notwehr. Es muss jedoch verhältnismäßig sein und das mildestmögliche Mittel gewählt werden. Besitze die Fremddrohne im Garten erstens eine Kamera und werde sie zweitens von einem Piloten gesteuert, der nicht auffindbar und somit ansprechbar sei, dürfe man tatsächlich Gewalt einsetzen, auch wenn das Gerät dabei kaputt gehe. „Aber wie wollen Sie das anstellen“, fragt Hoesmann, „wenn es 30 Meter hoch schwebt?“
Es gibt Möglichkeiten. Eine französische Firma erfand eine Drohne namens „Copter Interceptor MP200“, die fremde Multicopter ansteuert und ein Netz über sie wirft. In den Niederlanden werden Raubvögel zur Drohnenjagd abgerichtet. Bei der Fußball-Europameisterschaft werden in allen Stadien Störsysteme eingesetzt. Sollte sich eine Drohne nähern, werde man die Kontrolle über sie übernehmen können, heißt es.
Multicopter mit radioaktiver Substanz
Das Bundeskriminalamt hält Terrorangriffe mit Drohnen für möglich. In Tokio landete 2015 ein Multicopter mit radioaktivem Material auf dem Dach des Amtssitzes von Premierminister Shinzo Abe. Der verhaftete Pilot wollte nach eigener Aussage allerdings keinen Terror verbreiten, sondern gegen Atomkraft protestieren. Anderswo haben Bastler Drohnen mit Pistolen oder Flammenwerfern ausgestattet. In Finnland befestigten welche eine Kettensäge an ihrer Drohne, dann machten sie Jagd auf Schneemänner.
Die Deutsche Flugsicherung fordert, dass jede Drohne künftig auf einen Nutzer registriert werden muss. In den USA ist genau das seit Dezember Pflicht.
In der Hasenheide hat Dirk Berscher seine Phantom 3 mit einem Ersatzakku ausgestattet. Die Drohne hat sich jetzt so weit vom Startpunkt entfernt, dass Berscher sie vom Boden aus nicht mehr sieht. Er steuert komplett über sein Smartphone, was in Deutschland ebenfalls illegal ist, allerdings auch die Strafverfolgung erschwert: je größer die Distanz, desto geringer das Risiko für den Piloten, erwischt zu werden. Zwar gibt es Peilsysteme, um die Steuerung einer Drohne zu orten. Aber die Berliner Polizei hat so etwas nicht.
Mit der Drohne zur Costa Concordia
Berschers Idole sind die Piloten der Gruppe „Team BlackSheep“. Aktivisten, die mit Drohnen in New York um die Fackel der Freiheitsstatue kurven, in London um den Big Ben, in der Mongolei um die Reiterstatue von Dschingis Khan. Sie wollen Bilder machen, die noch keinem gelungen sind, und beweisen, dass sich entschlossene Menschen nicht von fehlenden Genehmigungen aufhalten lassen. Dass Leidenschaft immer Bürokratie schlägt. Sie haben auch das Wrack der Costa Concordia aus der Nähe gefilmt. Anschließend wurden sie festgenommen.
Von Berlin findet man ebenfalls etliche Drohnen-Videos auf Youtube. Dirk Berscher hat selbst welche hochgeladen. Man dürfe nur nicht den Fehler machen, der einem Freund unterlaufen sei. Dieser habe Flugaufnahmen unter Klarnamen ins Netz gestellt. Nach fünf Wochen sei die Anzeige da gewesen. Er hatte das Beweismaterial selbst geliefert.
Dass die Gesetzeslage dringend vereinfacht werden muss, hat auch die Bundesregierung erkannt. Das Verkehrsministerium arbeitet an einer Novellierung der Luftverkehrsordnung. Experten bezweifeln aber, dass es noch in dieser Legislaturperiode Beschlüsse geben wird.
Wie undurchsichtig die derzeitigen Bestimmungen und deren Kommunikation sind, könne man in Berlin am besten am Beispiel des ehemaligen Flughafens Tempelhof erklären, sagt Dirk Berscher. Dort gebe es eine kleine Fläche am westlichen Rand, die als „Pionierfeld“ ausgezeichnet sei und auf der das Drohnenfliegen toleriert werde. Der Abschnitt am Tempelhofer Damm liege nämlich zufällig außerhalb aller in Berlin geltenden Verbotszonen. Tatsächlich wird der Bereich täglich von Drohnenpiloten genutzt, die Parkwächter vor Ort gestatten das, verweisen sogar ausdrücklich dorthin. „Ist leider Quatsch“, sagt Dirk Berscher. Wer auf der Karte nachrechne, merke, dass der Bereich sehr wohl in der Flugverbotszone um den Reichstag liege. Die Pressestelle der Grün Berlin GmbH, die das Tempelhofer Feld bewirtschaftet, bestätigt das. Wer dort seine Drohne steigen lasse, mache sich strafbar. Zwar gebe es auf dem Feld in der Tat eine kleine Fläche außerhalb der Verbotszone, aber die liege ganz am südlichen Rand des Parks. Und da brüte schon die Feldlerche.
Update: Nach Erscheinen dieses Artikels hat der Betreiber des offiziellen Hauptstadtportals Berlin.de die mangelhaften Hinweise zu den Flugverbotszonen auf seiner Seite korrigiert. Wo genau geflogen werden darf, steht jetzt hier.