Kulturkampf in Berlin: Warum Klaus Lederer Kultursenator in Berlin werden will
Er sang im A-Capella-Chor, geht mehrmals in der Woche ins Theater: Reicht das, um ein guter Kultursenator zu sein? Der Linken-Chef Klaus Lederer will Freiräume erhalten – für Unbequemes und Abstoßendes. Verlierer dürfe es nicht geben, sagt er. Geht das?
Feeling B war in den letzten Tagen der DDR eine Punkband, die keinen Aufschub duldete. Ihre Songs waren laut und schnell und unbequem, sie handelten von Menschen, die sich in ihrem Trott eingerichtet hatten. Aber irgendwas zerrte und riss an diesen Menschen. „Ich muss, ja ich muss gar nichts“, sangen sie.
Die Band, die aus drei festen Mitgliedern und wechselnden Schlagzeugern bestand, machte über das Ende der DDR hinaus weiter. Sie reiste sogar einmal durch die USA. Im Jahr 2000 starb ihr Sänger Aljoscha Rompe. Seine beiden Mitstreiter gründeten Rammstein. Mit der Band waren sie dann sehr oft in den USA.
Für die letzten Aufnahmen von Feeling B, die 1998 in einem Berliner Studio entstanden, engagierte Rompe einen befreundeten Männerchor. Man sollte die fünf Sänger später im Getöse des sich bereits ankündigenden Rammstein-Lärms kaum hören, aber für einen von ihnen, Klaus Lederer, einen Juristen, war es wohl der kulturelle Höhepunkt seines Lebens. Jetzt wird der 42-Jährige Kultursenator. Er wollte das so. Unbedingt.
Warum nur?
Als Klaus Lederer am Mittwoch mit seinen Koalitionspartnern vor die Hauptstadtpresse tritt, drückt er das Kreuz durch. Und obwohl er zuversichtlich lächelt, sieht es aus, als würde er angestrengt ein Bonbon lutschen. Als ließe er sich die heimliche Freude darüber auf der Zunge zergehen, dass sein Plan aufgegangen ist und er den Regierenden Bürgermeister Michael Müller um das Kulturressort gebracht hat. Er hört jedenfalls ungerührt, wie der SPD-Chef sagt, dass es „weh tut“, das Kulturressort abgeben zu müssen, das seit 2006 – zunächst aus Spargründen – in der Senatskanzlei angesiedelt war. „Ich glaube, dass auch viele gute Entscheidungen getroffen wurden“, fügt Müller hinzu.
Lederer redet nach Müller sehr viel und sehr schnell, wie es seine Art ist, über den angestrebten Politikwechsel. Sie hätten als Dreierkoalition „durchdiskutierte, durchsetzbare Konzepte“ entwickelt ... „keine Lyrik“ ... „ich würde das schon als progressive Reformregierung betrachten, was wir hier machen“. Die Bedeutung der Kultur für Berlin erwähnt Lederer nicht.
Er bindet sie ein in einen größeren Gedanken, als er von Erhaltung kultureller Freiräume redet und hinzufügt, man wolle die Stadt „den Menschen zurückgeben, die in ihr wohnen“.
Die Frage, wem die Stadt gehört, ist der Generalbass linker Debatten. Wird sie mit Klaus Lederer nun in den Sektor getragen, dem Berlin seine am stärksten wachsenden Einkünfte verdankt?
Eine Lösung für alle: Es soll keine Sieger und Besiegten geben
Als Lederer Ende August mitten in den Wahlkampf hinein mit einem Artikel im Tagesspiegel für einen „kulturpolitischen Neustart“ plädierte, rieben sich viele die Augen. Warum denn er? Seit er zehn Jahre zuvor Landeschef der Linken geworden war, hatte sich Klaus Lederer mit vielem Respekt erworben. Seine Ansichten über öffentliche Unternehmen und eine preisgekrönte Doktorarbeit über die Privatisierung des Wassersektors gehörten dazu. Hoch angerechnet wurde ihm darüber hinaus, dass er den Niedergang seiner Partei in der rot-roten Koalition und das Scherbengericht danach auf eine Weise moderierte, dass die Linke nicht an internen Richtungskämpfen zerbrach. Um Kultur ging es bei alledem nie. Dem Kulturausschuss im Abgeordnetenhaus hatte er nicht angehört.
Jetzt plötzlich Sätze wie: „Ich traue mir in der Kulturpolitik einiges zu.“
Suchte da einer, der der Rolle des Parteichefs müde war, bloß nach einer neuen Aufgabe? Er hätte auch eines der linken Kernressorts übernehmen können. In seinen Wahlkampfreden war es meist um die Mieten gegangen.
Wenige wussten, dass Lederer mehrfach pro Woche ins Theater geht, klassische Konzerte besucht, meist begleitet von seinem Lebensgefährten. Zehn Jahre lang war er als Tenor Mitglied eines A-Cappella-Ensembles namens Rostkehlchen. Es nahm, inspiriert von der früheren Zusammenarbeit mit Feeling B, eine CD mit Vokalversionen von deren Punksongs auf. „Ich gehe meinen Schlendrian“, sangen Lederer und seine Freunde, „Und trinke meinen Drink / Wenn ich nicht bezahlen kann / So wird der Wirt gelinkt.“
Aber reicht das, um sich zum Kultursenator berufen zu fühlen?
Es seien letztlich die Vorgänge an der Volksbühne gewesen, die ihn zur Veröffentlichung des Strategiepapiers veranlasst hätten, sagt Lederer vor wenigen Wochen. Mit dem raspelkurzen Haar, den zwei markanten Silberringen im linken Ohrläppchen und dem schwarzen Kapuzensweater wirkt er wie ein Informatiker. Das Café, in dem er Platz nimmt, liegt der Volksbühne direkt gegenüber, so dass er durch die hohen Scheiben auf die graue Trutzburg und die an ihr herabhängenden schwarzen Banner mit ihren Widerstandssymbolen blickt. All das ist ihm nur allzu vertraut. Von seinem Büro in der Parteizentrale, die sich gleich nebenan befindet, bietet sich ihm dasselbe Bild: ein Theater, das „in seiner Arbeitsweise die gesellschaftliche Selbstverständigung vorantreibt“, wie Lederer es formuliert.
Im Volksbühnen-Krach um die Ernennung des Kurators Chris Dercon als neuen Intendanten und Nachfolger von Frank Castorf hat sich Lederer deutlich aufseiten des Ensembles positioniert. Er fürchtet die Abwicklung einer Bühnentradition, die mit den Namen Brecht und Piscator verknüpft ist, ein Theater von unten sei das Haus anfänglich gewesen, ein Ort für Arbeiter, während die Konturen von Dercons Spielideen nebulös blieben. Lederer fand vor dem Eklat bereits, dass Kulturpolitik nur noch bestehende Zustände verwalte. Man sei zufrieden gewesen, dass der Etat erhöht wurde. Doch der Umgang mit Frank Castorf, die unwürdigen Umstände seines Abschieds hätten das technokratische Verständnis der Kulturpolitik vollends offenbart.
Kaum als Kultursenator auserkoren, die Linke muss der Personalie noch zustimmen, will er nun „die Situation neu bewerten“. Mit allen Beteiligten sollen Gespräche geführt werden darüber, ob es nicht für beide Seiten eine Lösung geben könne. Er wolle, sagt Lederer, etwas Besseres hinbekommen als jetzt, „wo es Sieger und Besiegte gibt“.
Als Landeschef der Linken hat sich Lederer den Ruf erworben, klug und offen zu sein. Und diejenigen, die das sagen, meinen es positiv. Er habe sich trotz seines Amtes nicht in den Vordergrund gespielt. Es gibt allerdings auch Parteitagsauftritte von ihm, die eine andere Seite zeigen. Mit sich selbst überholenden Wortkaskaden wehrt er die Auffassung ab, die Linke sollte sich als Oppositionskraft profilieren, weil es sie stärker mache. „Ich glaube, ich gehöre zum linken Flügel“, sagt er mit Blick auf diejenigen in den eigenen Reihen, die das auch von sich behaupten, ihn aber für zu rechts halten. „Links redet man nicht, links handelt man“, lautet einer seiner Lieblingssätze. Er hat ihn von Wolfgang Fritz Haug geborgt, dem marxistischen Philosophen.
"Finster, mit welcher Selbstgerechtigkeit die früheren Täter sich heute gebärden"
Wie er das meint mit dem Handeln, hatte Lederer dann vergangene Woche in einem Kinosaal der Kulturbrauerei Gelegenheit zu erläutern. Gezeigt wird „Ost-Komplex“, ein Dokumentarfilm über das Stasi-Opfer Mario Röhlig, homosexuell wie Lederer selbst, in denselben DDR-loyalen Verhältnissen aufgewachsen. Lederer und Röhlig hatten sich bei den Dreharbeiten kennen- und schätzen gelernt. Nun sitzen sie auf dem Podium nebeneinander, flankiert von dem Historiker Hubertus Knabe, der die Gedenkstätte der Stasi-Opfer in Hohenschönhausen leitet. Er hatte kurz zuvor vor einer „ideologischen Kulturpolitik“ gewarnt, sollte die Linke das Ressort übernehmen.
Mit seiner zerdehnten Art des Sprechens verkörpert Knabe das Gegenteil von Lederers hochenergetischem Plauderton. Der Historiker hält der Linken als SED-Nachfolgepartei einen „Erinnerungsverlust“ vor, sie wolle sich ihrem Stasi-Erbe nicht stellen, verharmlose es, sagt er, als müsse jedes seiner Worte in einen Hallraum der Geschichte gestellt werden.
„Finster“ findet auch Lederer, „mit welcher Selbstgerechtigkeit die früheren Täter sich heute gebärden“. Und: „Wer wie ich in der sozialistischen Tradition steht, kann sich nicht von deren Perversionen befreien.“ Worte wie hart angeschlagene Punk-Akkorde. Wam-wam-wam. Er sei nicht der Stellvertreter alter Stasi-Kader, sagt er. „Wir haben gegen die unseren Arsch hingehalten. Ich brauche Ihren Segen nicht.“
Die Diskussion strebt ihrem eisigen Höhepunkt zu, als Knabe sein Gegenüber vielleicht eine Spur zu süffisant nach Hohenschönhausen einlädt, um dort die Frage „Was ist Sozialismus?“ zu erörtern. Da wechselt Lederer die Tonart. Dass der andere das Diskussionsformat vorgebe und ihn dann „vorlade“, sei inakzeptabel, sagt er. Mit einem Kultursenator springt man so nicht um. Das ist die Botschaft.
Dabei hält Lederer insofern Wort, als dass dem ehemaligen Stasi-Knast im wenige Tage später ausgehandelten Koalitionsvertrag tatsächlich mehr Zuwendungen versprochen werden. Mit der Legitimität eines Senatorpostens könnte er die historische Aufarbeitung gegen die alten Kader sogar energischer vorantreiben.
Lederers Maxime lautet: Kultur für alle. Er fürchtet um die Experimentierfelder, das Unbequeme, Abgestoßene. Es gebe abschreckende Beispiele aus anderen Metropolen, wo das einst Widerständige zu einem Bestandteil des Stadtmarketings geworden sei. Wenn man an der Basis keine Freiräume erhalte, werde es bald auch keine Exzellenzkultur in der Stadt mehr geben. Man könne sich nicht darauf verlassen, das Spitzenpersonal international zusammenzukaufen. „Berlin ist spannend, aber nur insgesamt.“
Er denkt dabei an die Kellergemäuer in Mitte, in die er als Student hinabstieg, wo sich provisorische Bars und Clubs eingenistet hatten. Dieser Underground ist für ihn ein Kulturmodell, das er im Sinn hat, wenn es um alle geht. Entstehen konnte es aber nur, weil die Initiatoren der Dienstags- oder Donnerstagsbars mit ABM- oder Arbeitslosengeld frei davon waren, „sich am Arbeitsmarkt permanent neu zu bewerten, und mit ihrer Zeit andere Dinge angestellt haben. Vor der Marktwirtschaft geschützte Räume sind die Voraussetzung dafür, dass es Kulturwirtschaft geben kann.“ Wenn er so redet und sich dabei Fasern des Ingwertees von der Zunge zupft, spürt man hinter der linken Rhetorik ein in formaler Logik geschultes Mathematikergehirn mit ungeheurem Tempo Verknüpfungen herstellen.
Als 13-jähriger Oberschüler in Friedrichshain hatte er noch Astrophysiker werden wollen, fuhr mit seinem Fernrohr nachts in den Wald, um den Sternenhimmel zu beobachten. Das Ende des SED-Staates vereitelte seinen Plan. Die gesellschaftlichen Trümmer um ihn herum waren näher als der Himmel. Nun wollte er wissen, was links war von dem, was er immer für links gehalten hatte, wie er sagt. Wie eine Bewegung zur Befreiung des Individuums in dessen Unterdrückung münden konnte. Er las Marx, er wählte Mathematik und Physik ab. Er studierte Jura. Die Regeln zu kennen ist immer gut.
Was Kultur wert ist
Im Alten das Neue sehen, darauf läuft es hinaus. Der „progressive“ Ansatz von Lederers Denken schützt letztlich alte Nischen und Kulturräume, die bestehen sollen, weil es sie lange gab. Räumen künftiger Kreativität gilt seine Fürsorge nicht. Und zwar nicht nur, weil er nicht wissen kann, wo es sie geben wird, sondern weil es keine Besiegten geben darf. Aber Kultur, die nicht andere Kultur zu entwerten versucht – ist die überhaupt etwas wert?
Lederer stellt lieber die Frage, wie Institutionen zu ihren Leitungen kommen und was diese Leitungen dürfen. „Ich hätte nichts dagegen, Zielvereinbarungen mit Kulturinstitutionen über die Frage abzuschließen, inwieweit sie sich für eine immer diverser werdende Gesellschaft öffnen“, sagt er. „Oder inwieweit sie den Genuss von Kultur ermöglichen wollen, der in immer kleiner werdenden Nischen stattfindet.“
Schlendrian geht anders.