Thailand: Vier Jungen gerettet – aber was ist mit den anderen?
Sensation nach 15 Tagen: Die ersten vier der zwölf in einer Höhle in Thailand eingeschlossenen Jungen sind in Sicherheit. Doch während ihre Retter pausieren müssen, läuft unter der Erde die Zeit davon.
Wie so oft in diesem nunmehr 15 Tage andauernden Drama liegen auch im Moment der bislang größten Erfolgsmeldung Hoffen und Bangen, Euphorie und Ernüchterung nah beieinander. Gegen 14 Uhr 15 mitteleuropäischer Zeit kommt die Eilnachricht: Die ersten vier der zwölf Jungen haben die entscheidende Strecke geschafft! Das Basislager der Taucher im überschwemmten Tunnelsystem unter der Erde erreicht, von wo aus der Rest des Weges zu Fuß bezwungen werden kann. Zugleich kündigen Meteorologen für die Region um die thailändische Stadt Chiang Rai weitere Gewitter und Starkregenfälle an. Die 800 Meter dicke Gesteinsschicht über den Köpfen der Eingeschlossenen ist porös. Wasser sickert langsam, aber unaufhaltsam nach unten – es ist ein Kampf gegen die Zeit. Oder, wie der Einsatzleiter nicht minder drastisch sagt: ein Krieg gegen das Wasser.
Bis zum späteren Nachmittag erreichen alle vier Jungen den Höhlenausgang. Sie haben nach Aussagen dänischer Taucher bereits vorweg Beruhigungsmittel bekommen, werden umgehend mit Krankenwagen und Hubschrauber in ein 57 Kilometer entferntes Krankenhaus gebracht. Die einen Familien jubeln, danken den Göttern, die anderen harren weiter, so berichten es Reporter vor Ort, in einem Zelt aus und starren auf Bildschirme, auf denen der immer gleiche Nachrichtensender läuft.
Seit zwei Wochen leidet die Welt mit ihnen. In Deutschland zerlegt sich die Regierung fast selber, im Mittelmeer ertrinken erneut hunderte Geflüchtete, von russischem Fußballrasen verabschiedet sich ein Titelfavorit nach dem anderen. Was aber viele am meisten bewegt, ist das Schicksal dieser Nachwuchs-Fußballmannschaft, die vom Monsunregen überrascht wurde.
Keine wirtschaftlichen, ideologischen oder politischen Interessen stehen dahinter, sondern die reine Bereitschaft, das Äußerste zu geben um Menschenleben zu retten, sogar unter Gefährdung des eigenen Lebens. Dies zeigt doch, dass Mensch per se gar nicht so schlecht sein kann.
schreibt NutzerIn kyra
Die Geschichte hat alle Elemente eines Dramas. Es ist eine Freizeitfahrt, nach dem Training führt der mit 25 Jahren selber noch junge Trainer seine elf bis 16 Jahre alten Spieler in die weitverzweigte Tham-Luang-Höhle, ein bei Touristen beliebtes Ausflugsziel. Dann fängt es an zu schütten, die Höhle wird geflutet, weiter und weiter ziehen sich die 13 ins Innere der Höhle zurück.
Eine höchst riskante Angelegenheit
Neun Tage hört keiner von ihnen, dann sind es britische Taucher, welche die Gruppe in der Tiefe des Labyrinths entdecken. Alle Jungen sind abgemagert, aber leben. Die Bilder der blassen, heiteren bis verstörten Gesichter im Lichtkegel der Taucherlampen gehen um den Globus.
Schnell jedoch folgt dem befreiten Aufatmen die beklemmende Erkenntnis: Die Rettung wird eine höchst riskante Angelegenheit. Die einen wollen die Wassermassen abpumpen, die nächsten sich von oben zu den Jugendlichen durchbohren, andere ihnen das Tauchen beibringen. Es gibt viele Pläne. Nur keine echte Lösung.
Einen Schacht zu bohren – auch eine deutsche Spezialfirma aus Baden-Württemberg rückt an – dauert voraussichtlich acht Tage oder länger. Fast 150 Millionen Liter Wasser sollen aus der Höhle gepumpt worden sein, 50 Wettkampf-Schwimmbecken voll, illustriert ein Boulevardblatt. Doch neue Niederschläge machen die Arbeit zunichte. Die Sauerstoffsättigung der Luft, die normalerweise 21 Prozent beträgt, liegt in der Kammer, in der die Gruppe Zuflucht gefunden hat, inzwischen bei 15. Sinkt sie auf zwölf Prozent oder weniger, wird es kritisch. Unterstützer karren lasterweise Atemluft in Flaschen heran. Der vorläufige Schreckenshöhepunkt: Am Freitag stirbt ein freiwilliger Helfer unter Wasser auf halber Strecke zwischen den Hoffenden drinnen und den Hoffenden draußen – an Erschöpfung. Der 38-Jährige war früher Berufstaucher bei der thailändischen Marine. Einer mit besten Voraussetzungen.
Die Mehrheit der Kinder kann nicht einmal schwimmen, geschweige denn tauchen. Nach Tagen ohne Nahrung scheinen manche, so der Eindruck einiger Einsatzkräfte, selbst zu schwach für einen Crashkurs. Am Sonntagmorgen beschließt man dennoch, mit der Tauchrettung zu beginnen – aus Mangel an Alternativen.
Von 18 Tauchern kommen 13 aus dem Ausland
Es gehört zu den bemerkenswerten Seiten dieses Unglücks, dass angesichts einer Situation wie dieser, Helfer wie selbstverständlich länderübergreifend zusammenstehen. Den offiziellen Angaben nach sind 18 Taucher bei der Rettungsaktion im Einsatz, 13 davon sollen ausländische Spezialisten sein. Aus Chile senden die 2010 verschütteten Bergleute aufmunternde Videobotschaften, Milliardär und Tesla-Chef Elon Musk schickt Ingenieure seines Raumfahrtunternehmens SpaceX.
In keiner deutschen Höhle drohen Besucher von Wasser eingeschlossen zu werden, aber was die Mütter und Väter in ihrem Zelt gerade fühlen, kann jeder nachempfinden.
Die mediale Aufmerksamkeit ist enorm. Rettungskräfte, Soldaten und sonstige Helfer vor Ort haben von der thailändischen Regierung ein Redeverbot bekommen. Das Krankenhaus, in das die Geretteten am Sonntag gebracht wurden, wurde weiträumig abgeschirmt.
Auch, wenn alle den Umständen entsprechend wohlauf sein sollen: Die Zustände in der Höhle waren und sind katastrophal. Auf wenigen Quadratmetern haben sich die Gefangenen erleichtern müssen, Bakterien, Viren und Pilze breiten sich schnell aus. Allein dass Trinkwasser von den Stalaktiten tropft, sicherte ihnen tagelang das Überleben. Überall Dunkelheit, Matsch, Feuchtigkeit, die die Haut angreift. Einige haben Infektionen, berichten asiatische Fernsehsender.
Botschaft an die Eltern: "Macht Euch keine Sorgen"
Am Wochenende hatten Taucher auf karierten Notizzetteln Botschaften der Kinder an ihre Familien mit ans Tageslicht gebracht. „Bitte sagt dem Bruder, dass er mich zu einem Hühnchenrestaurant fahren soll“, schreibt einer. „Ich helfe dir im Laden, Mama, sobald ich wieder da bin“, ein anderer. Und immer wieder steht da: „Macht euch keine Sorgen.“
Die Jungen, sagt der Gouverneur der Provinz, Narongsak Osottanakorn, seien „bereit für jede Herausforderung“. Fünf Stunden dauert der Weg durch das schlammig-trübe Wasser in dem unterirdischen Labyrinth, in dem eine Stelle so eng ist, dass Sauerstoffflaschen vorweg geschoben werden müssen. Ein kilometerlanges Seil, das durch die Höhle gespannt wurde, dient als Orientierung. Daran hangeln sie sich entlang. Jedem Jungen stehen zwei bis drei Profitaucher zur Seite, die ihn im Zweifel vorandrücken und ziehen. Ein strapaziöser Weg, ein mühevolles, zentimeterweises sich Vorarbeiten Richtung Freiheit, Richtung Welt. Ein bisschen, vielleicht: gleichsam einer zweiten Geburt.
Weil die Jungen mit den Mundstücken herkömmlicher Tauchausrüstungen nicht vertraut sind, werden ihnen Atemmasken aufgesetzt. Unter Wasser, sagen Experten, kommt es vor allem auf ihre Psyche an: Panik kann tödlich sein.
Wie lange es dauert, bis alle Eingeschlossenen in Sicherheit sind, lässt sich am Sonntag schwer schätzen – es hängt auch vom Wetter ab. Sie gingen in die Höhle, um ein Wunderwerk der Natur zu bestaunen. Jetzt ist es die Gewalt und Unberechenbarkeit eben dieser Natur, die ihre Rückkehr so gefährlich macht.
Die Rettungsaktion wird erst Montag fortgesetzt
Am späten Sonntagnachmittag wird die Rettungsaktion unterbrochen. Die Sauerstoffvorräte, die Taucher entlang der gesamten Strecke postiert hatten, sind aufgebraucht, lautet die Begründung, müssen wieder aufgefüllt werden.
In einer thailändischen Zeitung heißt es, die Taucher hätten für ihren ersten Versuch die stärksten Jungen ausgewählt. Um erstmal selber Routine zu gewinnen, das Risiko zu minimieren.
Menschen überall hoffen mit den Eingeschlossenen in der Tham-Luang-Höhle und ihren Angehörigen. Freuen sich über jede gute Nachricht. Und hören doch nicht auf zu bangen.
Acht Kinder und der Trainer, der die Eltern in einem Brief um Verzeihung bat, dass er trotz Unwetterwarnung die Höhle betrat, sollen erst am Montag den kräftezehrenden Rückweg antreten. (mit AFP, dpa)
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