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Hauptsache. 3,9 Tonnen ist Lenins Kopf schwer. Um ihn im Köpenicker Forst aus dem Boden zu holen, brauchten die Arbeiter mehrere Tage.
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Denkmal in Berlin: Um Lenin wurde es laut

Einst wurde sie zertrümmert und nach Köpenick in den Wald geschafft: 24 Jahre war Lenins Statue verbuddelt. Nun fuhr ein Laster den Kopf aus Granit durch ganz Berlin. Und dann war da noch die Sache mit den Eidechsen.

Irgendwann wird Lenin da hängen und grimmig gucken. Eingerahmt von Bauarbeitern, einer links, einer rechts und dahinter der Arbeiter im Bagger. Frisch aus dem Hügel gehoben, hier im Köpenicker Forst an diesem Donnerstag. Gruppenbild für die Presse. Und dann wird der Arbeiter zu Lenins Linken einen Handfeger aus der Hose ziehen und ihm kurz die Stirn freiwischen. Der zu seiner Rechten wird ihm mit dem Handschuh den Hals schrubben. Soll ja nach was aussehen. Tut es.

Es scheint, als sei an diesem Donnerstagmorgen im Köpenicker Forst das vorläufige Ende einer Posse zu betrachten, einer deutschen Geschichte. Die harmlos anfing, aber das ist ja immer so bei deutschen Geschichten. Also erstmal abstrakt: Vor sechs Jahren erklärt Andrea Theissen als Museumsleiterin der Spandauer Zitadelle, dass sie eine Ausstellung ehemals bedeutender, dann geschliffener Denkmäler der deutschen Geschichte eröffnen wird. Dafür sammelt sie die Ausstellungsobjekte. Manche lagern in Depots, andere in Friedhofskapellen oder Kneipen. Nach und nach treffen die Denkmäler in der Spandauer Zitadelle ein, und eher beiläufig teilt die Museumsleitung mit, dass da ein Exponat sei, für dass sie sich auch noch interessiert: Lenin.

19 Meter war er mal hoch und stand am Leninplatz in Friedrichshain, der heute der Platz der Vereinten Nationen ist. Nach der Wende wurde das Denkmal zertrümmert und in den Wald geschafft. Das gab schon damals Ärger, und irgendwie hörte der Ärger nicht auf. Bis heute. Seit 24 Jahren liegt er da, begraben unter einem Hügel, in 111 Einzelteilen, darunter auch der 3,9 Tonnen schwere Granitkopf. Der aber ins Museum soll, und wenn es nach den Museumsleuten gegangen wäre, hätten sie ihn irgendwann still und leise da ausgegraben und nach Spandau geschafft. Wenn es nach der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und den zugehörigen Denkmalschützern gegangen wäre, hätte die ganze Sache ebenfalls sehr gern still und leise stattfinden können. Kleiner Unterschied: Der Kopf wäre im Wald geblieben.

Also Ärger, und so wurde es laut um Lenin. Gleichzeitig aber, auf eine etwas bemühte Art und Weise, auch wieder leise, denn diese Stelle hier im Wald sollte um jeden Preis geheim bleiben. Bloß keine Schaulustigen anlocken, die auf eigene Faust an Lenin herumgraben. Keine Pilgerstätte. Erst recht nicht, weil da ja noch die Sache mit den Eidechsen ist, doch dazu später.

Werbetechnisch jedenfalls hätte es kaum besser laufen können für Andrea Theissen: Lenin hier, Lenin da, seit Monaten. Eher anstrengend dürfte sich die Angelegenheit für die zuständige Pressesprecherin der Senatsverwaltung entwickelt haben, bei der seit einem halben Jahr mehrmals pro Woche das Telefon klingelt. Ständig will jemand dabei sein, wenn sie Lenin ausbuddeln. Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich froh, wenn der heutige Tag vorbei ist? Ja, ja, ja, ruft sie dann, und man glaubt es sofort. Vorher aber muss der Kopf aus der Erde.

Also dann. Showtime um kurz nach neun. Lenin kommt. Ein Ohr fehlt, im Kopf stecken vier Haken, an denen er einst angekettet wurde, als sie ihn hierher brachten. Stille im Wald, oder besser: fast Stille, wären da nicht die Drohnen, die die Museumsleitung der Zitadelle aufsteigen lässt. Man muss den Gaul reiten, so lange er noch trägt. Und wenn sich hier die Medienmeute versammelt, dann wären sie doch schlecht beraten in der Zitadelle, das ganze nicht festzuhalten für ihre Ausstellung oder was auch immer. Dann kurz Aufregung im Unterholz. Jenseits der Absperrung stehen plötzlich zwei Fotografen. Leichtes Spiel für die Pressesprecherin: Hallo, das ist Eidechsenhabitat, sagt sie, vergrämt die zwei Störenfriede, und es ist wieder Ruhe.

Dann ab auf den Tieflader. Wenn jemand seit 24 Jahren im Wald liegt, könnte man meinen, es käme auf ein paar Minuten mehr oder weniger nicht an. Stimmt aber nicht. Es ist 9.30 Uhr, und Lenin hat noch Programm: Pressetermin in der Zitadelle. In gut zwei Stunden, auf kürzestem Weg rund 40 Kilometer von hier entfernt. Mit dem Sattelschlepper einmal durch die Stadt. Kein Problem. Da ist er mehr Hektik gewöhnt.

1970 ist das Denkmal unter der Leitung des sowjetischen Bildhauers Nikolai Tomski fertig gestellt worden, wenige Tage vor Lenins 100. Geburtstag. Und auf der Berliner Denkmalschutzliste landete er erst am 2. Oktober 1990. Gerade noch rechtzeitig, einen Tag vor der Wiedervereinigung.

Was einmal auf dieser Liste steht, derzeit sind das rund 8000 Positionen in ganz Berlin, darf nicht so ohne weiteres umgestaltet werden. Theoretisch. Praktisch jedoch schickt der damalige Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) ein Jahr später eine auf Abriss spezialisierte Firma an den Leninplatz, die das Denkmal zersägt und in den Köpenicker Forst fährt. Weg isser.

Auf der erwähnten Liste steht Lenin nicht mehr drauf. Im Gegensatz zu den Wohnhäusern rund um das ehemalige Denkmal. Plattenbau, aber schwungvoller und farbenfroher als sonst üblich. Als „Wohnbauten Leninplatz“ sind die Gebäude bis heute denkmalgeschützt. Fehlt denn den Wohnbauten am Leninplatz ohne Lenin nicht etwas Wesentliches? Mit der Frage rennt man bei Jörg Haspel, Chef vom Landesdenkmalamt, offene Türen ein: Wenn es nach ihm geht, wäre eine „Kommentierung“ des Denkmals besser gewesen. Man hätte es mit Wasser unterspülen können, sodass Lenin leicht gekippt wäre. Oder mit Pflanzen beranken. Oder irgendetwas; alles wäre besser gewesen, als ihn einfach zu zerschlagen.

So aber ist der Fall klar: Das, was da bis heute im Köpenicker Forst lag, ist kein Denkmal. Warum nicht? Weil die Voraussetzungen für ein Denkmal entfallen, wenn es abgetragen wird, sagt Haspel. Anders gesagt: Wer ein Denkmal kaputt macht und im Wald vergräbt, hat anschließend ein Denkmal weniger. Wie es aussieht, wird 2016 in Spandau eine Ausstellung einst prominenter, unter die Räder der Geschichte geratener Denkmäler eröffnet, wobei das berühmteste Ausstellungsstück gar kein Denkmal ist.

Der Bezirksstadtrat von Berlin-Spandau für Jugend, Bildung, Kultur und Sport, Gerhard Hanke (L., CDU), und ein Arbeiter entfernen am 10.09.2015 die Plane um den geborgenen Kopf des 1991 demontierten Lenin-Denkmals.
Der Bezirksstadtrat von Berlin-Spandau für Jugend, Bildung, Kultur und Sport, Gerhard Hanke (L., CDU), und ein Arbeiter entfernen am 10.09.2015 die Plane um den geborgenen Kopf des 1991 demontierten Lenin-Denkmals.
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Vor einem knappen Jahr traten Landesdenkmalamt und Senatsverwaltung auf die Bremse. Zu teuer sei die Bergung, man wisse nicht genau, wo man suchen solle, alles so unübersichtlich. Und obwohl die Denkmalschützer von Anfang an in die Pläne der Museumsleitung eingeweiht waren, kamen jetzt auch grundsätzliche Zweifel auf. Nur den Kopf mitzunehmen sei problematisch. Schließlich hat das Landesdenkmalamt die Lenin-Trümmer als „archäologisches Interessensgebiet“ ausgewiesen, teilt Haspel mit. Ein Ort, von dem sie annehmen, dass es interessant sein könnte, dort zu graben. Auf die Idee seien aber auch schon andere Menschen gekommen, ist aus der Senatsverwaltung zu erfahren. Dabei habe Lenin das eine Ohr eingebüßt. Höchste Zeit, da mal hinzufahren.

Ein Sommertag im August, Badewetter. Hinter Müggelheim führt eine Straße in den Wald zum Forsthaus, dahinter Trampelpfade und unbefestigte Wege. Kein Wegweiser, natürlich nicht. So stolpert man durch die Gegend, rutscht Hänge hinab, krabbelt wieder hoch. Und steht irgendwann auf einer Lichtung im Wald, in deren Mitte ein großer Hügel liegt. Hügel gibt’s hier viele, aber dieser eine muss es sein, denn er ist eingefasst durch einen kniehohen Zaun mit einer Plastikplane. Das ist das Werk des Biologen Klaus-Detlef Kühnel. Als Denkmalschutz und Senatsverwaltung ihren Widerstand gegen die Bergung im Herbst des letzten Jahres schon längst aufgegeben hatten, kam irgendwann der Naturschutz ins Spiel. In Form der streng geschützten Zauneidechse, die rund um und auf dem Lenin-Hügel Quartier bezogen hatte. Bevor gebaggert wird, müssen die Eidechsen weg, und deshalb hat der Biologe leere Pudding- zu Fangeimern umfunktioniert und am Zaun befestigt. Springt eine Eidechse hinein, dann wird sie umgesetzt, und irgendwann springt halt keine mehr rein, weil keine mehr da ist. Und dann kann am Hügel gebaggert werden.

Ein deutscher Hügel. Unten liegen die Trümmer der Geschichte, oben drauf der Naturschutz und drum herum die Reste der Freizeitgesellschaft – ausgebrannte Grillfeuer und leere Bierflaschen. Sieht aus, als hätte die Senatsverwaltung recht gehabt: Völlig geheim scheint diese Stelle nicht zu sein. Vielleicht kamen sie ja auch, um Zauneidechsen zu besuchen.

Hätte es sie schon damals gegeben, Karl-Heinz Marx hätte ein Problem weniger gehabt. Als Oberförster war er damals für diesen Wald zuständig. Lenin sei sein Gast, stand vor 20 Jahren in der Zeitung, als sie ihm den Revolutionär in den Wald kippten. Schon damals fürchtete Marx, dass Lenin jetzt auf ewig sein Revier belagern würde. Der Weltgeist ist manchmal zu Späßen aufgelegt. Später ließ er Marx als Forstamtsleiter nach Tegel versetzen. Good Bye, Lenin? Von wegen. In Marx’ Zuständigkeitsbereich fällt seitdem auch Spandau – Lenin kommt.

Sofern die Zauneidechse es gestattet. Ach ja, die Zauneidechse. Dann schafft sie da halt weg, wo ist das Problem? Zauneidechsen sind ein Riesenproblem. Insgesamt 42 Seiten Behördenpapier sind in diesen Tagen aufgetaucht. Maßnahmen, Bergungskonzepte und Ausnahmegenehmigungen. Zusammengefasst: So eine Eidechse ist ziemlich empfindlich. Insgesamt fünf Tage sieht das Bergungskonzept für die Arbeiten vor. Einen Tag Baustelle einrichten, drei Tage graben, einen Tag abbauen. Die ganze Zeit muss ein Sicherheitsmann aufpassen, dem man deshalb einen „Container mit einer WC-Anlage“ zur Verfügung stellt. Das klingt nach einer langweiligen Woche für den Sicherheitsmann, ist aber wohl entspannter gewesen als die Arbeit der drei bis vier Personen, die in Handarbeit den Lenin-Kopf freischaufeln mussten. Die Erde haben sie dabei in die Schaufel eines danebenstehenden Baggers zu kippen, der wiederum kippt die Erde dann in einen danebenstehenden Container. So haben sie hier die letzten Tage gestaltet, und nun ist es wirklich Zeit für ihn. Lenin fährt los.

Der Kopf soll ab Frühjahr 2016 als Teil der Ausstellung «Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler» präsentiert werden.
Der Kopf soll ab Frühjahr 2016 als Teil der Ausstellung «Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler» präsentiert werden.
© dpa

Ab nach Spandau, kurz nach zwölf rollt der Tieflader durchs Tor. Begleitet von einem Lastenheber, links und rechts an den Seiten die Kamerateams. Vorne weg marschiert Gerhard Hanke (CDU), Spandauer Bezirksstadtrat, und weist den Weg. Eher unwahrscheinlich, dass sich der Tieflader-Fahrer hier im Innenhof der Zitadelle noch einmal verfährt, aber darum geht es doch gar nicht. Rechts, jetzt hier lang, gestikuliert der Stadtrat in die Luft, die Nummer gibt er nicht mehr aus den Händen. Dann rauf auf den Tieflader, Schlips-Mann zwischen Signalwesten-Männern, das sieht gut aus, zupackend und dann runter mit der Folie.

Herzlich willkommen, lieber Lenin, begrüßt Hanke den Granitblock, ein japanisches Fernsehteam filmt. Filmt staunend.

Dabei ist es ja nicht so, dass sie hier nur Lenin zeigen. Mehr als 100 Denkmäler haben sie in der Ausstellung. Die Figuren der ehemaligen Siegesallee beispielsweise, da ließen sich auch schöne Geschichten erzählen. Über Markgraf Waldemar zum Beispiel, Spitzname „Waldemar der Große“. Den der Bildhauer nicht machen wollte, der Kaiser aber darauf bestand, und dann gab er sich halt keine besondere Mühe, der Bildhauer. Andererseits: Wer ist schon Waldemar der Große gegen Lenin? Ein Niemand.

Vielleicht ist es auch ein Beitrag zur Chancengleichheit, dass sie Lenin nicht einmal vernünftig hinstellen werden. Er soll liegen, so wie sie ihn gefunden haben. 1,70 Meter ist allein der Kopf groß. Lenin – der Riese. Der echte war, von Kopf bis Fuß, fünf Zentimeter kleiner.

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