Ausstellung mit entsorgten Denkmälern in Berlin: Lenin ist wieder da - und so verschwand er 1991
Lenins Kopf kehrt zurück in eine neue Ausstellung - 24 Jahre später, nachdem sein Denkmal demontiert wurde. Unser Autor war beim Abriss dabei. Hier ist der Text von 1991.
Berlin bekommt nach jahrelanger Vorbereitung eine Dauer-Ausstellung mit entsorgten Denkmälern. Am heutigen Mittwoch wird sie in der Spandauer Zitadelle vorgestellt, von Freitag an ist sie für Besucher zugänglich. Zur Ausstellung gehört auch der tonnenschwere Kopf des Friedrichshainer Lenin-Denkmals, das 1991 abgerissen wurde. Hier ein Text aus dem Tagesspiegel über die Ereignisse vom 9. November 1991
Den Kopf hat man dem granitenen Lenin gestern noch nicht abgerissen. Er bleibt auch noch ein Weilchen dran. „Wir rechnen damit, dass der Kopf am Dienstag abgebaut wird", sagt Jürgen Erichson von der Naturstein-Vertrieb GmbH, die mit dem Abriss des roten Riesen von Friedrichshain beauftragt wurde. Nur die tonnenschwere Spitze der überdimensionalen Fahne der Revolution musste am späten Nachmittag weichen.
Der Leninplatz (künftig Platz der Vereinten Nationen) ist abgesperrt. An den Zaunfeldern baumeln verwelkte Nelken im Wind. „Wir protestieren gegen die primitive Bilderstürmerei", steht auf einem der aufgeweichten Plakate. Die Polizei hat drei Mannschaftswagen aufgefahren. Am Morgen schritt sie gegen Demonstranten ein, die die Baustelleneinfahrt blockierten.
Ab und an fährt ein hupendes Auto vorbei. Die Fahrgäste im 140er Bus wenden die Hälse, und vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch daran, wie er vor etwa 20 Jahren hier demonstrierte und neben dem russischen auch einem - damals noch quicklebendigen - sächsischen Spitzbart zujubelte. Ulbricht hatte vor 200 000 Menschen das Denkmal 1970 als ein Symbol für den Sieg des Sozialismus enthüllt.
Während die Arbeiter auf dem Baugerüst herumturnen, haben sich an der Ecke Leninallee unter einer DDR-Fahne etwa hundert Leute eingefunden, die im strömenden Regen gegen den Abriss des Denkmals protestieren. Fast jeder Hammerschlag wird mit Buhrufen und Pfiffen quittiert. Unterschriften werden gesammelt.
Der Himmel weint
Eine ältere Frau, die ihre politische Heimat als „da, wo das Herz schlägt" beschreibt, sagt mit Blick auf die dunklen Wolken: „Der Himmel weint." „Denkste", meint ein junger Mann trocken, „das sind Freudentränen." Ein Demonstrant in äußerster Bedrängnis erleichtert sich inzwischen in der Grünanlage zu Füßen des großen russischen Revolutionärs. Um einen Wartburg, auf dessen Dach Lautsprecher montiert sind, haben sich Anhänger einer „Bürgerinitiative Lenindenkmal" geschart. Ein Redner protestiert gegen den Abriss. Die wenigen, die sich trauen, für den Abbau des Monuments einzutreten, werden von der alten Garde unter der Zuhörerschaft niedergeschrieen.
Die Bauarbeiter rücken dem Monument mit Diamantbohrern und -sägen zu Leibe. Die Fugen zwischen den tonnenschweren Granitblöcken werden aufgemeißelt. Dann treiben die Männer in den gelben Öljacken mit gewichtigen Hammerschlägen Stahlkeile in die Zwischenräume. So wurden gestern zwei Granitblöcke gelockert.
Acht Tage Arbeit
Etwa acht Tage wird der Abriß dauern. „Aber es könnte auch länger dauern. Wir wissen nicht, woraus das Denkmal im Innern besteht", sagt Jürgen Erichson von der Baufirma. Die Blöcke kommen zunächst in eine Kiesgrube im Süden Berlins. Später werden sie in Buch aufbewahrt. Gegen 16 Uhr trifft ein großer Autokran ein, kurz danach ein Lastwagen. Auch sie werden mit Pfiffen bedacht. Der Ausleger wird ausgefahren, und eine Stunde später hängt die Fahnenspitze am Haken. Blitzlichter zucken, und Fernsehteams drängeln um die besten Plätze. Die Emotionen schlagen noch einmal hoch. Etwa ein Dutzend 12- bis 15jähriger Kinder versucht, ein Zaunfeld zu demontieren. Polizisten der Einsatzbereitschaft marschieren auf. „Hass, Hass" und „Haut sie, Haut sie" schallt ihnen entgegen.
Am Nachmittag hatte das Berliner Kammergericht die Beschwerde zurückgewiesen, mit der die Angehörigen des sowjetischen Bildhauers Tomski einen Abriss verhindern wollten. „Das Interesse am Abbau des Denkmals ergibt sich aus dem aktuellen Interesse der Allgemeinheit, eine Statue Lenins aus dem öffentlichen Straßenbild zu entfernen", hieß unter anderem in der Begründung des Gerichts.