zum Hauptinhalt
Immer wenn’s ernst wird, tagen die Führungsleute Klaus Lederer, Michael Müller und Ramona Pop in kleiner Runde. Es gilt oberste Geheimhaltungsstufe.
© Wolfgang Kumm/dpa

Koalitionsverhandlungen in Berlin: SPD, Linke und Grüne - die Erfolgsverdammten

Tausche Nachtflugverbot gegen Neubauten: Bis zu 18 Stunden am Tag verhandelten sie im Roten Rathaus. Heute wollen SPD, Grüne und Linke ihren Koalitionsvertrag präsentieren. Doch der Machtkampf beginnt erst.

Zweites Obergeschoss, Rotes Rathaus: Im Louise-Schroeder-Saal sind die Tische in einem gleichseitigen Dreieck zusammengestellt. Das war das Erste, worauf sich die künftige Koalition geeinigt hat. Es gibt Platz für drei Mal acht Unterhändler, die seltsame Sitzordnung soll betonen, dass sich hier gleichberechtigte Partner unterhalten. Michael Müller und seine SPD aber haben die schönste Reihe unter den hohen Bogenfenstern ergattert. Das lässt sie, jedenfalls an sonnigen Tagen, in einem guten Licht erscheinen.

In ihrer Mitte hat Müller, der Regierende Bürgermeister, Platz genommen und kann kaum verbergen, dass er sich doch noch etwas gleicher fühlt als die anderen beiden. Das macht die Sache nicht leichter. Wer verfolgt, wie zäh die Verhandlungen oft verlaufen, wie unterkühlt die Atmosphäre manchmal ist, der bekommt eine Ahnung davon, wie schwer es wird, mit diesem Bündnis in den kommenden fünf Jahren die Stadt zu regieren.

Sechs Wochen, Sitzungen fast jeden Tag liegen hinter den Spitzenleuten der künftigen Regierungsparteien. Ramona Pop von den Grünen, Linken-Chef Klaus Lederer und Michael Müller schauen nun aus kleinen Augen müde drein. 18 Stunden lang wurde an manchen Tagen gefeilscht und gerechnet, gelacht und gedroht. An diesem Montag sitzen die Delegationen bis halb zwei in der Nacht zusammen. Am Dienstag wird ebenfalls getagt, bis möglichst alles fertig ist. Immer wieder werden die Beratungen in großer Runde unterbrochen, spontane Arbeitsgruppen bemühen sich dann um die Lösung kleiner Konflikte.

Der Koalitionsvertrag, mindestens 250 Seiten stark

Die Zeit drängt. Ab 8. Dezember wird das Trio, wenn alles nach Plan läuft, in der Berliner Landesregierung sitzen. Müller erneut als Regierungschef. Lederer als Kultursenator, der das neue Bündnis im Sinne seiner Partei auf sozialpolitischem Kurs halten soll. Und Pop als Wirtschaftssenatorin, die das Kunststück fertig bringen muss, die hierarchiefeindlichen Grünen regierungsfähig zu halten. Am Montag haben die Schlussrunden der Verhandlungen begonnen. Bis zum heutigen Mittwoch soll der Koalitionsvertrag, 250 bis 300 Seiten stark, und die Verteilung der Senatsämter stehen. Neben dem Regierenden Bürgermeister sind es vier für die SPD und je drei für Linke und Grüne. Doch erst einmal wird um das Regierungsprogramm gerungen.

Dreiecksbeziehung. Die Verhandlungssitzordnung im Roten Rathaus soll Gleichberechtigung symbolisieren. Am Fenster die SPD.
Dreiecksbeziehung. Die Verhandlungssitzordnung im Roten Rathaus soll Gleichberechtigung symbolisieren. Am Fenster die SPD.
© dpa

Zwei dicke Brocken sollten in der Nacht zum Mittwoch endgültig beiseite geräumt werden. Grob verkürzt lässt sich die Problemlösung so formulieren: Tausche Wohnung in Pankow gegen Nachtruhe in Schönefeld. Letztlich folgen Koalitionsverhandlungen immer den gleichen Regeln. Konfliktstoff, der sich einem Konsens beharrlich verweigert, wird am Ende zur politischen Handelsware. In diesem Fall sind es das Nachtflugverbot für den Flughafen BER, das Grüne und Linke um drei Stunden verlängern wollten. Das war mit den Sozialdemokraten aber nicht zu machen.

Linke und Grüne wiederum forderten, die idyllische Elisabeth-Aue am nordöstlichen Rand der Stadt vor der Bebauung mit einer Großsiedlung zu bewahren. Die SPD wollte dort 5000 Wohnungen bauen. Ein Deal, der alle Seiten zufrieden stellt, musste gefunden werden.

„Es gab Tage, an denen waren wir fröhlicher“, erzählt ein Unterhändler. Eine recht euphemistische Beschreibung für die gemischte Stimmung in der Abschlussrunde. Längst haben sich unterschiedliche Mentalitäten, Befindlichkeiten und Verhandlungsstile herauskristallisiert. Auch geprägt von dem Spitzentrio Müller, Lederer und Pop.

Schon jetzt lassen sich aus diesen Befindlichkeiten Schlüsse ziehen, wie die künftige Regierung wohl arbeiten – und wo es haken wird. So beschweren sich Linke und Grüne darüber, dass der Regierende Bürgermeister trotz aller Beteuerungen, sich zu bessern, immer wieder versuche, mit der „Basta-Nummer“ durchzukommen. Er werde ärgerlich, wenn die Gespräche sich verhaken, reagiere gelegentlich „richtig ätzend“ und werfe einzelnen Unterhändlern mangelnde Sachkenntnis vor. Andere berichten, dass Müller angesichts der vielen Papiere ab und zu den Überblick verloren habe. Nicht immer, so hört man, habe er die aktuelle Fassung der Koalitionskonzepte zur Hand gehabt.

Der Linken-Chef Lederer wiederum wird vor allem von den Grünen misstrauisch beobachtet. Er stelle sich oft demonstrativ an die Seite der Sozialdemokraten und müsse sich offenbar ständig bei der eigenen Parteibasis rückversichern.

„Stimmt alles nicht!“, sagen die Linken. Lederer bemühe sich sehr um Vermittlung zwischen allen drei Seiten. Und er signalisiere den Sozialdemokraten immer wieder, dass sich seine Partei einem Führungsanspruch der SPD nicht unterwerfen werde.

Die Grünen wiederum nerven SPD und Linke manchmal, weil sie die Regierungsarbeit bis ins letzte Detail vertraglich regeln wollten. Das sei ziemlich anstrengend – und ein Spiegelbild der schwierigen Verfasstheit der Berliner Umweltpartei, mit ihren vielen Strömungen und dem Anspruch, auch in der eigenen Partei alles herrschaftsfrei auszudiskutieren. Außerdem spüren beide roten Parteien, die bis 2011 ein Jahrzehnt gemeinsam regiert haben, die Ängste der Grünen, bei Rot-Rot-Grün an den Rand gedrängt zu werden.

Draußen ertönen Trillerpfeifen, die Lehrer protestieren schon mal

Es ist also ziemlich kompliziert. Dazu kommt, dass die Verhandlungen nicht nur an den physischen Kräften zehren, sondern auch an der Psyche: „Man verliert das Gefühl für Raum und Zeit“, berichtet ein Teilnehmer.

Das Schlafdefizit wird immer größer, wer hält am längsten durch?

Es sind archaische Rituale, wie man sie aus nächtlichen Tarifverhandlungen kennt. Die drei obersten Abgesandten stehen, obwohl sie viele Erfahrungen aus dem politischen Geschäft mitbringen, mächtig unter Druck. Nicht nur durch die eigenen Parteien. Auch die Gewerkschaften, Verbände und Bürgerinitiativen wollen Einfluss nehmen. Was sich hier im Roten Rathaus abspielt, ist ein harter Macht- und Verteilungskampf.

So warnt der Geschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, Christian Amsinck, zum Beispiel vor einem ausgedehnten Nachtflugverbot. Der Flughafen BER müsse international konkurrenzfähig sein. Die Gewerkschaften Verdi und GEW fordern mehr Geld für Lehrer und Erzieher und drohen mit Streik. Und als die Arbeitsgruppe „Finanzen“ am vergangenen Donnerstag die haushaltspolitischen Leitlinien der Koalition festlegte, demonstrierten draußen ein paar Menschen mit Trillerpfeifen, was drinnen gut zu hören war. Gegenüber der Einfahrt zum Innenhof des Roten Rathauses, in dem die Dienstwagen parken, standen am Vormittag die Demonstranten. Ihre Forderung: „Weg mit der schwarzen Null“ im Berliner Haushalt. Es waren Vertreter sozialer Initiativen, die in der Jüdenstraße mit handgemalten Schildern für neue Staatsschulden warben. Obwohl es sich erkennbar nicht um eine machtvolle Großdemonstration handelte, gesellten sich Lederer und die Ex-Sozialsenatorin Katrin Lompscher, ebenfalls Linke, zu der Gruppe.

Wie so vieles bei diesen Verhandlungen war auch das ein Signal.

Der Linken-Landeschef weiß, was er seinen Genossen schuldig ist. Die Parteibasis will sich in der Koalitionsvereinbarung wiedererkennen. Ein Leben ohne existenzielle Not, die Anerkennung sozialer Menschenrechte, mehr Mitsprache für die Bürger – das wird im Leitantrag des Linken-Vorstands für den Landesparteitag am 10. Dezember gefordert. Die Überschrift des Antrags: „Die Stadt gehört euch – partizipativ und sozial im Bezirk, im Land und im Bund“. Rechtzeitig vor der Bundestagswahlkampf im Herbst 2017 wollen die 7800 Mitglieder der Berliner Linken von ihren Vertretern im rot-rot-grünen Senat Leistungen sehen, die bei den eigenen Wählern gut ankommen.

„Bloß nicht wieder klein machen lassen!“, hört man bei den Linken. Wie damals, als sie bei den Abgeordnetenhauswahlen 2006 und 2011 neben der dominanten SPD öffentlich kaum noch wahrgenommen wurden. Die Linken wollen jetzt Härte zeigen. Dafür ist Lederer, der den Parteivorsitz nach elf Jahren freiwillig abgibt, der richtige Mann. Doch erst einmal muss er für Rot-Rot-Grün die Parteibasis hinter sich bringen. Auf zwei Konferenzen diskutieren die Linken die Ergebnisse der Verhandlungen. Erst dann gibt es einen Mitgliederentscheid. Und nur, wenn der zustimmt, kann Müller im Dezember zum Regierungschef gewählt werden und die Senatsmitglieder ernennen. Die Parteiführung bittet die Genossen schon um Mithilfe beim Eintüten und Verschicken der Abstimmungsformulare. Die Zeit wird sonst zu knapp.

„Basis ist Boss“ gilt für die Grünen genauso. Eigentlich nutzen die diesen Slogan gerade für die bundesweite Urwahl des Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Doch er passt in Berlin auch ganz gut, denn über das, was Pop und andere in den Verhandlungen herausgeholt haben, entscheiden am 3. Dezember die Parteitagsdelegierten im Tagungswerk der Jerusalemkirche. Reine Formsache ist das nicht, sondern Stoff für viele Diskussionen. Und auch kein Selbstläufer für die designierte Senatorin Pop.

Seit 15 Jahren misstrauen die Grünen dem rot-roten Block

Schon im Wahlkampf-Quartett stach sie hervor. Nun profiliert sie sich als fleißige und eloquente Verhandlungsführerin ihrer Partei. Sie will an die Macht, will wie die Berliner Grünen überhaupt zum ersten Mal nach 15 Jahren unbedingt mitregieren. Damals verlor Rot-Grün schon nach einem halben Jahr bei der vorgezogenen Abgeordnetenhauswahl die Mehrheit. Anschließend führte der neue Regierungschef Klaus Wowereit mit Grünen und Liberalen Gespräche über ein Ampelbündnis, doch die Verhandlungen scheiterten. Ein Trauma, das bei den Grünen bis heute nachwirkt. Stattdessen handelten die Sozialdemokraten bei einem Geheimtreffen mit Gregor Gysi Anfang Dezember 2001 im Roten Rathaus die erste rot-rote Koalition aus SPD und PDS in Berlin aus. Das Angebot der SPD mitzuregieren, lehnte der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland strikt ab, denn sie wurden rein rechnerisch für eine Senatsmehrheit nicht gebraucht.

Das ist jetzt anders. Doch das Misstrauen der Grünen gegenüber dem „rot-roten Block“ ist nicht überwunden. Es hat seinen Grund, dass der Grünen-Fraktionschef im EU-Parlament und Mitverhandler Reinhard Bütikofer warnte: „Nach innen müssen alle drei Partner erfolgreich sein können.“ Auch dürfe Müller nicht Chef, sondern müsse „Primus inter pares“ sein. Die Grünen wollen im neuen Bündnis nicht untergehen.

Doch auch andere haben Sorgen: Durch die SPD geht ein Riss. Nicht erst seit dem desaströsen Wahlergebnis von 21,6 Prozent. Schon vorher lieferten sich Regierungschef Müller und der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh einen erbitterten Macht- und Richtungskampf, der quer durch die Parteiflügel geht. Für die Koalitionsverhandlungen haben die verfeindeten Lager einen Waffenstillstand ausgerufen, der vorerst hält. Müller verspricht, er wolle „kein Weiter-so“. Saleh gibt zu, dass man gemeinsam „zum Erfolg verdammt“ sei. Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Müller, Saleh und ihre jeweiligen Unterstützer derzeit einigen können, ist der Machterhalt.

Keine gute Basis für die Bundestagswahl 2017, bei der auch für die Berliner SPD viel auf dem Spiel steht. Der bevorstehende Wahlkampf könnte deshalb für die Parteien der Berliner Koalition eher zur Zerreißprobe werden – statt Vorbild für ein linkes Bündnis im Bund.

Der erste große Test steht bevor, wenn der neue Senat zu Jahresbeginn einen Nachtragshaushalt für 2017 aufstellen und bis zum Sommer einen Doppeletat für 2018/19 vorlegen muss. Es gibt viel zu wenig Geld für die vielen Projekte, die das Koalitionsprogramm füllen. Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer und Finanzexperte Torsten Schneider ist aber optimistisch: Bei Rot-Rot-Grün stimme die Chemie. Jedenfalls grundsätzlich. Trotz allem.

Zur Startseite