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Anhänger der Bewegung „Hogar Social“.
© imago/alterphotos

Die Aktivisten von "Hogar Social": Spanien schien lange immun gegen Rechtsextreme - das ändert sich gerade

Die rechtsextreme Bewegung "Hogar Social" besetzt Häuser und verteilt Lebensmittel an Obdachlose - aber nur an Spanier. Ihre Gründerin hat große Pläne.

Sie brachen in der Nacht in das Gebäude ein. Unauffällig und leise. „Wir sind eben professionell“, sagt Melisa Domínguez Ruiz mit Stolz in der Stimme. Sie steigt staubige Treppenstufen nach oben, dort angekommen führt eine Tür ins Freie auf ein weitläufiges Flachdach. Es gibt einen Aufzug, doch ihn zu betreten wäre lebensgefährlich. Das alte Bürogebäude in Madrid stand lange leer.

Bei jeder neuen Hausbesetzung, sagt Melisa Domínguez Ruiz und lacht, betritt sie als Allererstes das Dach. Um zu sehen, welche Aussicht es bietet. Die hier oben ist großartig: Ganz Madrid liegt unter ihr, und einen Moment lang wird Melisa Domínguez Ruiz, die sonst unablässig redet, ganz still. Domínguez Ruiz, die an der Universität „Nazi“ genannt wurde. Die auf dem Dach eines Hauses steht, auf dessen Fassade neulich jemand den rasch wieder übermalten Spruch „Fuera Fascista“ – Raus mit den Faschisten – gesprüht hat. Für Menschen, die so und ähnlich denken wie Domínguez Ruiz, geht es gerade aufwärts in Spanien.

Sechs Stockwerke weiter unten sind Flaggen über dem Eingang gehisst: Die rot-gelbe Nationalfahne weht neben einer blauen. Auf dieser steht: „Hogar Social“ – soziales Zuhause. „Hogar Social“ ist eine Gruppe von Aktivisten, und Melisa Domínguez Ruiz ist ihr Boss. Sie brechen in leer stehende Gebäude ein, geben dort Obdachlosen einen Schlafplatz und verteilen Essen in der Nachbarschaft. Melonen im Sommer, Konserven im Winter. Sie kämpfen für die Armen, sagen sie. Doch nicht für alle. Nur für die, die spanisch sind.

Domínguez Ruiz ist nicht nur der Kopf der Gruppe, sie hat sie 2014 auch gegründet, ist ihre Botschafterin. Hinter ihr stehen 200 Unterstützer in Madrid, oder „militantes“, wie Domínguez Ruiz sie nennt.

Spanien schien lange Zeit immun gegen Rechtsextreme und Rechtspopulisten zu sein. Mittlerweile gibt es „Hogar Social“ auch in Toledo, Granada und Saragossa. Nach der Regionalwahl in Andalusien Anfang Dezember zog zum ersten Mal seit der Wiedereinführung der Demokratie nach dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 eine rechtsnationalistische Partei in ein spanisches Regionalparlament ein. Sie heißt Vox, wurde vor fünf Jahren gegründet und bekam auf Anhieb elf Prozent der Wählerstimmen.

Melisa Domínguez Ruiz, 29 Jahre alt, blondierte Haare, teilweise verfilzt, Sneaker und gedehnte Ohrlöcher – nach den gängigen Klischees könnte sie auch am anderen Ende des politischen Spektrums stehen. Das Haus in Madrids Stadtzentrum, auf dessen Dach sie steht, hält „Hogar Social“ seit Anfang November besetzt. Bis 2013 hatte dort Spaniens größte Gewerkschaft ihre Zentrale.

"Wir sind Patrioten"

Wo immer Domínguez Ruiz in eine Kamera oder ein Mikrofon sprechen darf, erklärt sie bereitwillig ihre Sicht auf die Welt. Sie berichtet von „den korrupten Politikern“, spannt den Bogen von der „Masseneinwanderung“ zum „Dschihadismus“, hin zu „den Migranten“, die vom „Sozialstaat begünstigt“ würden auf Kosten des „spanischen Arbeiters“. „Wir sind Patrioten“, sagt Ruiz, die nicht nur überzeugt ist, sondern auch überzeugend wirkt, auch weil sie diese Sätze schon etliche Male ausgesprochen hat. „Wir sind stolz darauf, Spanier zu sein, und fordern soziale Gerechtigkeit.“

Melisa Domínguez Ruiz' Bewegung „Hogar Social“ ist im Aufwind.
Melisa Domínguez Ruiz' Bewegung „Hogar Social“ ist im Aufwind.
© Sofie Czilwik

Sie sagt, die Armut habe sich verändert in Spanien. „Plötzlich waren es nicht nur die Migranten, die arm waren.“ Auch einheimische Senioren wühlten in Mülleimern nach Essen, „das gab es in Spanien vorher nicht“.

Das Narrativ der Rechtsnationalisten Europas hat Einzug gehalten in Spanien, wohl auch deshalb, weil es oft stimmt.

Die politische Elite des Landes gilt als extrem korrupt. Im Mai fiel das Urteil in einem jahrelang geführten Prozess um ein kriminelles Netzwerk, in dem die damalige Regierungspartei Partido Popular eine maßgebliche Rolle spielte. 29 Angeklagte wurden verurteilt, darunter der ehemalige Parteischatzmeister zu 33 Jahren Haft. Es folgte ein Regierungswechsel.

Dass unter Einwanderern Terroristen waren, ist ebenfalls eine Tatsache. Spanien ist in diesem Jahr das Hauptankunftsland von Flüchtlingen in Europa, mehr als 50.000 sollen es nach Angaben des Innenministeriums bislang sein.

Und wer Essen an Bedürftige verteilt und ihnen Obdach gibt wie Domínguez Ruiz, tut an dieser Stelle mehr für die „soziale Gerechtigkeit“ als der Staat. Dass dies nur für bedürftige Einheimische gilt, erinnert an die Essener Tafel, die sich Anfang des Jahres dazu gezwungen sah, vorläufig nur noch bedürftige Deutsche aufzunehmen. Was Domínguez Ruiz von den Essenern unterscheidet, ist ihr Motiv.

Als vor zehn Jahren die größte Wirtschaftskrise der spanischen Demokratie beginnt, ist Melisa Domínguez Ruiz 19 Jahre alt. Während sie an der Madrider Universität Philosophie studiert, steigt die Arbeitslosenquote auf 26 Prozent; Hunderttausende junge Spanier verlassen das Land, um in Frankreich oder Deutschland nach Arbeit zu suchen. Domínguez Ruiz bleibt.

Sie wird Mitglied im „Movimiento Social Republicano“, einer rechtsextremen Partei mit Kontakten zum nationalsozialistischen Netzwerk „Blood and Honour“. Auf einem Demonstrationszug der Rechtsextremen in Barcelona 2013 hält sie, damals noch dunkelhaarig, eine spanische Flagge mit einem riesigen schwarzen Keltenkreuz.

Verbindungen auch zur NPD-Jugendorganisation

Auch wenn es rechtsextreme Gruppen in Spanien, vor allem Franco-Anhänger, seit Langem gibt, gilt das Land im europäischen Vergleich immer noch als Ausnahme. Zumindest hatten sie bislang kein Gewicht in den Parlamenten. Die konservative Volkspartei, die Partido Popular (PP), vereinigt in ihren Reihen alle möglichen Abstufungen der Rechten – von gemäßigt bis extrem.

Während der Wirtschaftskrise hat sich in Spanien die Rechte erneuert. Nicht nur auf der Straße, wie „Hogar Social“, sondern auch innerhalb der Institutionen. Ende 2013 gründete sich Vox, die Partei, die nun ins andalusische Regionalparlament gewählt wurde, rechts von der PP steht und sich als Teil der europäischen Rechten versteht. Vox, lateinisch für Stimme, für das politisch Unkorrekte, das in ihren Augen gesagt werden muss. Es kämen zu viele Einwanderer.

Es wirkt, als sei damit das Maß an Unsicherheit erreicht, das spanische Wähler bisher zu ertragen bereit waren. Nach den Verheerungen der Finanzkrise, nach dem beispiellosen Korruptionsskandal der PP und jenen anderen, in die das Königshaus verwickelt ist, das bislang stets integrierend wirkte.

Wenn Vox die AfD von Spanien ist, fehlt für „Hogar Social“ das deutsche Pendant. Die „Identitären“ sind zu unstrukturiert, die NPD zu steif. Inspiriert sind sie von der Casa-Pound-Bewegung in Italien, einer neofaschistischen Gruppierung, deren Programm sie übernommen haben: Gebäude besetzen und Einheimischen helfen.

Verbindungen bestehen auch zur NPD-Jugendorganisation, den „Jungen Nationalisten“. Nach Räumungen von „Hogar Social“ besetzter Häuser posten diese auf ihrer Webseite: „Wir Jungen Nationalisten solidarisieren uns mit der Hogar Social in ihrem sozialen Kampf um eine bessere Zukunft für unsere Völker und im Widerstand gegen staatliche Willkür und Repression!“

Am 9. Oktober 2015 trafen sich Rechtsextreme in der sächsischen Stadt Riesa. 200 Personen insgesamt, berichtet der sächsische Verfassungsschutz. Die „Jungen Nationalisten“ haben zur Europakonferenz „Reconquista Europa“ geladen, um sich mit anderen rechtsextremen Jugendorganisationen auf dem Kontinent zu vernetzen. Auch eine spanische Delegation ist angereist: die Neonazi-Partei Democracia Nacional und Melisa Domínguez Ruiz. Sie berichtet von „Hogar Social“, ihrer Gruppe, die sich anfangs noch „Hogar Social Ramiro Ledesma“ nennt, nach dem Mitbegründer der faschistischen Falange-Bewegung und späteren Staatspartei Francos.

Hilfe nur für Spanier - so ist die Regel

Im besetzten Haus von Madrid, in einem leeren Raum, liegen dünne Decken ordentlich aufgereiht auf dem Linoleumboden. Es riecht nach Putz und kaltem Zigarettenrauch. Früher arbeiteten in den Büros Gewerkschafter für die Rechte der Arbeiter. Aller Arbeiter, egal welcher Herkunft. Heute schlafen hier zehn Wohnungslose, die die Aufnahmebedingung von „Hogar Social“ erfüllen: spanisch zu sein. „Mir tut es unheimlich leid, wenn jemand bei uns Hilfe sucht und wir ihm nichts anderes anbieten können als einen Platz auf dem Boden“, sagt Domínguez Ruiz. Die Möbel stünden noch in jenem Gebäude, aus dem sie im September von der Polizei rausgeschmissen wurden.

Mit einem weißen Frauenschuh in der Hand steht Juan Antonio, ein älterer Herr in einer dicken Jacke, in der Eingangshalle vor einem Berg von alten Schuhen. „Spenden“, sagt Domínguez Ruiz. „Wir bekommen vor allem Kleidung, viel mehr als Essen.“ Juan Antonio ist obdachlos, er wohnte bereits in dem Haus, das „Hogar Social“ davor besetzt hielt.

Nach dem Rauswurf verlor er die Gruppe aus den Augen. Bis er davon erfuhr, dass sie in ein neues Haus eingezogen sind. Würde er nicht hier übernachten, müsste er auf der Straße schlafen, sagt Juan. Dass „Hogar Social“ nur Spaniern helfe – so sind für ihn nun mal die Regeln. Sowieso gebe es viel zu viele Ausländer in Madrid. Domínguez Ruiz sagt, man müsse keiner Ideologie angehören, um von ihnen Hilfe zu bekommen. Wer sie hier sucht, nimmt ihre politische Ausrichtung zumindest in Kauf. Wer kein Geld für Essen hat, dem ist die im Zweifel egal.

Jede Woche verteilt „Hogar Social“ in dem besetzten Haus Lebensmittel. Videos auf Facebook zeigen, wie eine kleine Gruppe vor der Eingangstür wartet. „Wie viele seid ihr?“, fragt Domínguez Ruiz eine Frau. „Vier“, antwortet diese und Domínguez Ruiz entscheidet daraufhin, wie viele Packungen Nudeln, wie viel Milch und wie viel Wurst ihr zustehen. Mehr als 90.000 Facebook-Follower hat die Gruppe mittlerweile. Ihre Mitglieder inszenieren sich nicht nur als Helden der Nachbarschaft, die Kinderfeste organisieren und Blumen pflanzen. Sie stellen auf öffentlichen Plätzen Hinrichtungen nach, wie man sie aus Videos vom Islamischen Staat kennt. Um vor Migranten zu warnen.

Gegen zwölf Mitglieder wird wegen eines Anschlags auf eine Moschee ermittelt, darunter auch Melisa Domínguez Ruiz. Am 22. März 2016 wirft eine Gruppe von 30 bis 40 Personen Feuerwerkskörper auf die Madrider Zentralmoschee. An einem Fußgängerweg drapieren sie ein Banner mit den Worten: „Heute Brüssel, morgen Madrid?“ Es ist der Tag der terroristischen Anschläge in der belgischen Hauptstadt.

Aus "Hogar Social" soll eine Partei werden

Häuser besetzen, Solidarität zeigen, Straßentheater. Es sind einst typisch linke Aktionsformen, die „Hogar Social“ adaptiert. Aus „Solidarität für alle“ wird „Solidarität für Spanier“, aus „Refugees Welcome“ wird „Terrorists Welcome“.

Mit ihrem Programm, der Mischung aus Ausländerfeindlichkeit und Hilfe für benachteiligte Spanier, würde „Hogar Social“ nur bei sehr wenigen Spaniern punkten, sagt die Politikwissenschaftlerin Carmen González Enríquez vom Thinktank „Real Instituto Elcano“. Und zwar bei denjenigen, die mit den Migranten auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren. Die meisten Migranten aus Afrika arbeiteten als Straßenverkäufer in den Städten oder als Feldarbeiter im Süden. Jobs, die selbst für weniger qualifizierte Spanier nicht infrage kommen. González Enríquez sagt aber auch, dass die Stimmung kippen könnte, je mehr Migranten ungeregelt über das Mittelmeer nach Spanien kommen.

Nach 20 bis 30 Tagen räumt die spanische Polizei üblicherweise die von „Hogar Social“ besetzten Häuser. Mehr als 40 Gebäude der Madrider Verwaltung stehen in der Hauptstadt leer. Seit ihrer Gründung hat „Hogar Social“ neun öffentliche Gebäude besetzt, vier davon in diesem Jahr. Mit jeder neuen Hausbesetzung nistet sich die Gruppe in einem neuen Madrider Stadtteil ein. Umziehen ist zwar anstrengend, hat aber auch einen Vorteil: Sie gewinnen an Bekanntheit. Sie helfen neuen Nachbarn und verbreiten so ihre Botschaft.

Auf dem Dach des besetzten Gewerkschaftshauses zeigt Melisa Domínguez Ruiz auf ein weißes Hochhaus. „Weißt du, was das ist?“, fragt sie. „Das Podemos-Büro.“ Die linke Partei Podemos entstand aus einer sozialen Bewegung heraus. Heute ist sie mit 65 Sitzen im spanischen Parlament vertreten. Eigentlich hatte Domínguez Ruiz damit gerechnet, sich es vielleicht auch gewünscht, dass Podemos auf ihre Hausbesetzung reagieren würde. Doch die Linke schweigt, „Hogar Social“ ist zu unbedeutend. Melisa Domínguez Ruiz will das ändern. Sie hat Größeres vor: Sie will aus „Hogar Social“ eine Partei machen.

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