Politik: Spaniens Konservative schüren die Angst
Lange prägte der Katalonienkonflikt die spanische Politik. Nun erlebt das Land die größte Migrationswelle der letzten Jahrzehnte - und lässt Spaniens Konservativen Ängste schüren.
Allein im Juli kamen 10000 Flüchtlinge und Migranten in mehr als 100 Booten in Südspanien an. Spanien erlebt derzeit an seinen Küsten die größte Migrationswelle der letzten Jahrzehnte. Das führt nicht nur zu chaotischen Zuständen in den Aufnahmezentren in Andalusien. Es bringt zunehmend Spannungen und es verändert die politische Tagesordnung. Plötzlich bestimmt nicht mehr die Katalonienkonflikt, sondern die Flüchtlingskrise die Debatte.
Spanien hat Italien als wichtigstes Zielland abgelöst
Der neue Chef der konservativen Partei, Pablo Casado, kritisierte dieser Tage die Regierung scharf. Er warf Spaniens sozialistischem Ministerpräsidenten Pedro Sanchez vor, durch die Aufnahme des humanitären Flüchtlingsschiffs „Aquarius“ Mitte Juni einen Sogeffekt erzeugt und so viele weitere Migranten angezogen zu haben. Sanchez hatte der „Aquarius“, die mit 630 Schiffbrüchigen an Bord in Italien nicht anlegen durfte, einen Hafen in Spanien geöffnet.
Die Regierung verweist derweil darauf, dass die Zahl der in Südspanien ankommenden Migranten bereits seit Jahren kontinuierlich wächst. 2017, als noch die Konservativen unter Mariano Rajoy regierten, hatten sich die Ankünfte schon auf rund 22000 verdoppelt. 2018 könnten, wenn sich die bisherige Entwicklung nicht ändert, erneut deutlich mehr als im Vorjahr ankommen. Spanien hat inzwischen Italien als wichtigstes Zielland für Migranten abgelöst.
"Ein Sozialstaat kann nicht Millionen von Afrikanern aufnehmen"
Das ist eine Veränderung, die in der Bevölkerung Ängste weckt. Die will der Konservative Casado nun offenbar ausschlachten. „Es ist nicht möglich, dass es Papiere für alle gibt“, verbreitete er über Twitter. „Ein Sozialstaat kann es sich nicht leisten, Millionen Afrikaner aufzunehmen, die nach Europa kommen wollen.“ Casados Tweet hat zwar mit der spanischen Wirklichkeit wenig zu tun: Spanien verteilt weder großzügige Sozialleistungen, noch Papiere an Migranten. Und es sind auch nicht Millionen, die ankommen. Aber Casados Botschaft reichte, um die Debatte zu vergiften.
Die Staatssekretärin für Einwanderungsfragen, Consuelo Rumi, warnte, dass sich der konservative Oppositionschef Casado auf gefährliche Weise den rechtspopulistischen Reden des italienischen Innenministers Matteo Salvini nähert. Sie forderte Casado auf, in der Bevölkerung keine Ängste zu schüren.
Auch „El País“, Spaniens auflagenstärkste Tageszeitung, zeigte sich beunruhigt, dass die Migrationskrise Spaniens rechtspopulistischen Strömungen Auftrieb geben könnte. „Es kommen schlechtere Zeiten“, schrieb das Blatt in einem Meinungsbeitrag, den es mit dem Namen „Pablo Salvini“ überschrieb. Eine klare Anspielung darauf, dass Spaniens neuer Chefkonservativer Pablo Casado mit seinem programmatischen Kurs die Volkspartei immer weiter nach rechts rückt.
Unterdessen bemüht sich die Sozialistenregierung, die seit Anfang Juni im Amt ist, die Lage in Südspanien in den Griff zu bekommen. Innenminister Fernando Grande-Marlaska warf der früheren konservativen Regierung vor, ohne jegliche Vorbereitungen in das absehbare Migrationsdrama getrieben zu sein. Der Minister kündigte einen Notfallplan an, um Spaniens unzureichende Aufnahmekapazitäten auszubauen. Zudem soll, zusammen mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die Seeüberwachung zwischen Spanien und Marokko verbessert werden.
Marokko vernachlässigt Grenzschutz
Derweil wächst in Madrid die Überzeugung, dass sich die Situation im westlichen Mittelmeer nur zusammen mit Marokko unter Kontrolle bringen lässt. Fast alle Boote, die derzeit in Südspanien ankommen, legen von der marokkanischen Küste ab. Nach Erkenntnissen des spanischen Geheimdienstes spielt dabei auch eine Rolle, dass Marokkos Grenzschutz in letzter Zeit weniger streng gegen die Bootsabfahrten vorgeht. Dabei gilt die Überwachung im Reich von König Mohammed VI. eigentlich als sehr effektiv.
„Kein Boot legt in Marokko legt ohne Wissen der dortigen Grenzpolizei ab“, hört man immer wieder aus spanischen Sicherheitskreisen. Dass Marokkos Grenzschutz derzeit offenbar wegschaut, könnte auch politisches Kalkül sein, heißt es: Um den Druck auf die EU zu erhöhen und den Preis für eine Zusammenarbeit nach oben zu treiben.