Andalusien: Geflüchtet in Spaniens ärmste Region
Mehrere Hundert Afrikaner landen jeden Tag in Andalusien. Doch die Bewohner sind arm und können den Flüchtlingen nur ein Brötchen und einen Pfirsich am Tag geben. Ein Bericht aus Los Barrios.
Die 15-jährige Claudia steht auf dem Kirchplatz von Los Barrios und schmiert Brötchen. Es sind Ferien in Spanien, und seit ein paar Tagen schon kommt die Schülerin hierher, um gemeinsam mit anderen Freiwilligen anzupacken. Die Verwaltung des kleinen Städtchens unweit der Meerenge von Gibraltar im Süden des Landes hat ihre Bürger um Hilfe gebeten. Jede Hand wird benötigt. Seit vergangener Woche sind 600 Menschen auf dem nahe gelegenen Sportgelände Andres Mateo untergebracht. Menschen, die von Afrika herüberkamen. Sie haben nichts zu essen, nichts zu trinken, keine Zahnpasta, kein Toilettenpapier oder frische Kleidung. Es sind viele Kinder dabei und Frauen, manche von ihnen schwanger.
Ohne Claudia und die Hilfsbereitschaft der anderen Einwohner müssten die Flüchtlinge wohl hungern. Auch der stellvertretende Bürgermeister Jose Antonio Gómez hilft in erster Reihe. Er verstaut Kisten mit Pfirsichen, die jemand gespendet hat, auf einem Kleinlaster. Danach greift er zum Besen und fegt den Müll zusammen. „Wir sind hier völlig auf uns allein gestellt bei der Versorgung der Menschen“, sagt Gómez. Von morgens um acht bis spät in den Abend hinein koordiniert der parteilose Politiker an vorderster Front den Hilfseinsatz. Nur zwischendurch eilt er ins Büro. Aber er will nicht klagen und macht niemandem Vorwürfe. Jetzt gehe es nur darum, den Leuten zu helfen, sagt er.
Die Flüchtlinge, die vornehmlich aus Schwarzafrika stammen, wurden in den vergangenen Tagen an den Küsten der Region aufgegriffen und hierhergebracht. Die Windbedingungen vor Gibraltar waren oft günstig in diesem Sommer, deshalb versuchten Tausende die lebensgefährliche Überfahrt von Marokko nach Europa in Schlauchbooten und kleinen Holzkähnen. Sie landeten an Stränden und Häfen überall in Andalusien, in Málaga, in Algeciras, am südlichsten Zipfel des Festlandes in Tarifa und auch weiter nördlich an der Atlantikküste. Nicht immer sind es Menschen von südlich der Sahara. Aus dem kleinen Fischerdörfchen Barbate machte ein Video die Runde, in dem ein Holzboot voll mit mehreren Dutzend Marokkanern am angrenzenden Sandstrand ankam.
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Die Zahl der Neuankömmlinge in Spanien hat sich drastisch erhöht, auch weil Italien seine Grenze dichtgemacht hat. 23000 sind es in diesem Jahr schon, mehr als im gesamten Jahr 2017. Allein am vergangenen Wochenende waren es 1500. Die andalusische Regierung weiß nicht mehr, wohin mit ihnen. Bislang fehlt ausreichend Unterstützung aus der Hauptstadt Madrid. „Es gibt keinen Plan. Wir haben keine Strukturen und Ressourcen, um die Versorgung zu garantieren. Es gibt zu wenige Übersetzer, die Französisch oder Englisch sprechen, um die Formalitäten zu erledigen“, sagt Anabel Quiroz, eine Mitarbeiterin einer örtlichen Hilfsorganisation.
Sie gehen davon aus, dass jeder von ihnen in Europa eine Chance bekommt
Zu wenige Beamte der Polizei und der Guardia Civil sprechen eine Fremdsprache. Die Migranten müssen deshalb ein Papier unterschreiben, dessen Inhalt die meisten nicht verstehen. Darin bestätigen sie, dass sie der Massenunterbringung auf der Sportanlage zugestimmt haben. Als illegale Einwanderer wären sie sonst in einer Gefängniszelle mit festen Mahlzeiten und einem Bett gelandet. Jetzt übernachten alle auf Decken auf dem nackten Boden, viele unter freiem Himmel, weil die Kapazitäten längst gesprengt sind.
In der nahe gelegenen Küstenstadt Algeciras hat der bürgerlich-konservative Bürgermeister die Südküste schon zum neuen Lampedusa erklärt. Doch seine Kritiker werfen ihm Populismus vor. Die kleine italienische Insel mit wenigen Tausend Einwohnern könne man nicht vergleichen mit einem riesigen Landstrich und Millionen von Bewohnern. Am vergangenen Samstag war der Innenminister der sozialistischen Minderheitsregierung, Fernando Grande-Marlaska, in Algeciras. Sein Urteil: „Die Lage ist absolut unter Kontrolle.“
Dennoch bleiben die Flüchtlinge viel länger als von der EU vorgesehen in Polizeigewahrsam, weil es der Region an Personal fehlt. Normalerweise müssen Migranten binnen 72 Stunden amtlich erfasst und medizinisch versorgt werden. Im Lager in Los Barrios klagen viele über Verstopfung, weil sie jeden Tag das gleiche essen. Morgens gibt es Kekse mit Milch, mittags und abends ein Brötchen und etwas Obst. Mehr können die Bewohner von Los Barrios kaum entbehren. Andalusien ist Spaniens ärmste Region mit hoher Arbeitslosigkeit.
Das wissen viele Flüchtlinge hier nicht. Sie sind fest davon überzeugt, dass Europa so reich sei und gut organisiert, dass jedem Migranten ein zivilisiertes Leben ermöglicht werden könnte. Citta ist 23. Er stammt aus Sierra Leone. Seine Eltern sind tot. Er will in Europa ein neues Leben aufbauen, um seine zurückgebliebenen Schwestern versorgen zu können. Er und elf andere junge Männer haben sich in Marokko für einen Wucherpreis von mehreren Hundert Euro ein winziges Schlauchboot gekauft und sind hinübergepaddelt nach Europa. Als sie im Gespräch erfahren, dass ihr Recht auf einen Verbleib in der EU nicht selbstverständlich ist, sondern einzeln geprüft wird, blicken sie sprachlos in die Runde. „Das kann doch nicht sein“, sagt Citta ungläubig. „Die schicken uns in den Tod.“ Sie alle waren fest davon ausgegangen, dass jeder automatisch seine Chance bekommt.
Für den Augenblick noch zählen aber nur die täglichen Bedürfnisse, die dank der Spenden und der vielen freiwilligen Helfer gestillt werden können. Mehr öffentliche Hilfe läuft zumindest langsam an. 20 Autominuten von Los Barrios entfernt in San Roque will die Polizei ein altes Schiffslager mit 400 Feldbetten ausstatten. Frauen und Kinder sollen dort untergebracht werden.
Marcel Grzanna