G-7-Gipfel in Elmau: Mit Wurst und Weißbier: Obama zeigt Nähe zum Volk
Zugspitze, Gamsbarthüte, Alphörner – und ein US-Präsident, der zum Weißbier greift. Am ersten Tag des G7-Gipfels zeigen sich Merkel und Obama dem Volk. Auch der Gast weiß nicht genau, wo hier hier die Inszenierung endet und die Politik beginnt.
Die Ortschaft Krün, wenn es sie nicht wirklich gäbe, müsste man glatt erfinden. Selbst Barack Obama traut der Kitschpostkarte nicht ganz, in die er da hineingeraten ist. „I know it’s a lot of work when I come to town“, sagt der US-Präsident augenzwinkernd, als er vor dem Rathaus mit der bunten Bauernmalereifassade steht und auf die bayerische Biertischidylle zu seinen Füßen blickt. Dabei schwören sie in Krün Stein und Bein, dass sie sich für den mächtigsten Mann der Welt eben nicht schöngeputzt haben, sondern es bei ihnen immer so aussieht wie an diesem sonnigen Sonntagmorgen und dass sie die ganzen Lederhosen und Dirndl und Gamsbarthüte nicht vom Kostümverleih haben, sondern für die Festtage normal im Schrank.
Es ist aber auch fast zu schön
Es ist aber auch fast zu schön. Am Horizont steht die Zackenkante des Zugspitzmassivs wie in den blauen Himmel graviert, darüber hingetupft weiße Wölkchen. Auf dem Marktplatz warten hunderte Krüner seit dem frühen Morgen auf den Ehrengast. Wer nicht in der 1900-Seelen-Gemeinde wohnt, ist erst gar nicht durch die überall im Landkreis Garmisch-Partenkirchen verteilten Polizeisperren gekommen. Die Tischdecken sind weiß-blau kariert, die Musikkapelle steht Blech bei Fuß, vier Alphörner liegen in Position, das Goldene Buch aufgeschlagen auf dem Pult. So ein Gipfel der G7 ist ja für den Gastgeber immer auch eine Gelegenheit, sich der Welt zu präsentieren. In diesem Sinne ist Krün bereit für den höchsten Besuch seiner Geschichte.
Erst mal kommt aber der zweithöchste. Bürgermeister Thomas Schwarzenberger hat einen Blumenstrauß für Angela Merkel vorbereitet. Schwarzenberger ist von der CSU, was hier in der Gegend längst nicht mehr selbstverständlich ist, aber sicher nicht geschadet hat bei der Auswahl eines Ortes für die Bürgerbegegnung. Zur Belohnung kriegt er ein Gruppenfoto mit Merkel im minzgrünen Blazer, und wenn der Fotograf im richtigen Moment abgedrückt hat, hat er die Merkel-Raute drauf. Mit im Bild steht ein noch seltenerer Gast – Merkels Mann Joachim Sauer. Mit ins Bild schiebt sich außerdem der lokale Bundestagsabgeordnete, ein gewisser Alexander Dobrindt. Merkel schüttelt Bürgerhände. Dann setzt sie sich an einen Tisch und wartet auf Obama.
Es ist also ein wenig Zeit, um über das Wesen dieser ganzen Inszenierung nachzudenken. Dass es das ist, steht außer Frage, auch wenn die Kulisse echt ist. Trotzdem wären die Bürger von Krün jetzt normalerweise in die barocke Zwiebelturmkirche Sankt Sebastian gegangen, so weit sie noch Kirchgänger sind, die Männer vielleicht später zum Frühschoppen und die Jungen ins Internet. So richtig zur Bürgerbegegnung taugt der Ablauf auch nicht, mehr zu ihrer Simulation und dass man hinterher sagen kann, die Großen hätten sich keineswegs vom Volk abgeschottet. Vielleicht sollte man gelegentlich darüber nachdenken, ob diese Art fernsehgerechtes Hofzeremoniell noch zeitgemäß ist, knappe Zeit hin oder her.
Das Camp der Gipfelgegner wird fast weggespült
Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die Zahl derer ja nicht kleiner wird, die diesen ganzen Gipfel für eine bloße Inszenierung halten, eine sauteure obendrein. Sogar Jean-Claude Juncker merkt ungefähr zur gleichen Zeit, als Merkel auf Obama wartet, in einer ersten Pressekonferenz im Schloss Elmau an, das Ambiente sei schön, wenngleich „ein kostspieliges“. Juncker ist auch deshalb so lange Ministerpräsident in Luxemburg geblieben, weil er eine feine Nase fürs Volksempfinden hat.
Die Camper wärmen sich in der Sonne auf
Der EU-Präsident verteidigt das Treffen natürlich trotzdem, genau so wie Ratspräsident Donald Tusk. „Wir brauchen uns dafür nicht zu entschuldigen“, sagt der Pole. Die Sieben stünden für eine Wertegemeinschaft, in der jeder denken und sagen könne, was er wolle, und übrigens könne er auch aussehen wie es ihm passe. „Wir sind die Verantwortungsträger der Welt“, ergänzt Juncker. Aber er zollt ausdrücklich den Kritikern seinen Respekt: G7 in Elmau, das sei nicht der „Gipfel der Besserwisser“. Auch andere, ein paar Kilometer weiter, hätten ihr Wissen, und er höre denen sehr aufmerksam zu.
Die Anderen hocken am Morgen auf der niedrigen Stufe vor dem Bahnhof von Garmisch-Partenkirchen und wärmen sich in der Sonne auf. Wie die Nacht war? „Scheißnass war’s“, murmelt ein junger Typ mit sorgsam verfilztem Alternativ-Leben-Zopf. Das ist eine komplette Untertreibung. Regelrecht weggespült hat das Sommergewitter am Samstagabend die Demonstraten, ihre Abschlusskundgebung – und ihr Zeltlager um ein Haar gleich mit. Das Zeltlager liegt auf einer Wiese direkt am Flüsschen Loisach. Die Loisach, steht im Fremdenführer zu lesen, leitet ihren Namen von einem alten Wort für „lieb“ ab. Als die Garmischer Bürgermeisterin Sigrid Meierhofer das Camp mit Hinweis auf den Hochwasserschutz verbieten wollte, hat es unter Demonstranten und anderen Flachländlern höhnisches Murren gegeben – was für ein fadenscheiniger Vorwand!
Inzwischen findet die SPD-Frau breites Verständnis. Über eine Stunde lang ist unter Blitz und Donner eine Wasserwand vom Himmel gestürzt. Im Festzelt neben der Eissporthalle hat es derart aufs Dach geprasselt, dass Regierungssprecher Steffen Seibert die freundlichen Grüße der Kanzlerin zum Presseabend praktisch für sich hätte behalten können, weil ihn eh kaum einer verstand. Draußen flüchten durchnässte Demonstranten in den Bahnhof. Sanitäter hüllen T-Shirt-Mädchen in goldene glitzernde Rettungsdecken, dass sie nicht mehr ganz so frieren. Die Stadt bietet eine Schule als Notlager an. Die liebe Loisach ist zur rasenden, schlammigen Flut geschwollen. Die Polizei fragt höflich nach, ob sie dabei helfen soll, das durchsumpfte Zeltcamp abzubauen. Aber das geht dann doch gegen die Widerständlerehre. Das Camp bleibt. Nur eben – scheißnass war’s. Der Junge mit dem Filzzopf holt sich im Bahnhof einen Kaffee.
Ansonsten bleibt es aber auch am zweiten Tag dabei, dass die Polizei ihre 200 mobilen Arrestzellen weitgehend ungebraucht wieder mitnehmen kann und auch die 15 eigens abgestellten Ermittlungsrichter wenig zu tun haben. Einige Dutzend Demonstranten nimmt die Polizei nach Straßenblockaden und kleineren Rangeleien vorübergehend in Gewahrsam. Eine Frau muss ins Krankenhaus – auf die Intensivstation, twittert das Aktionsbündnis „Stop G7“, wovon die Behörden erst mal nichts wissen.
Der Schwarze Block hat ohnehin nur ein paar Blöckchen geschickt
Trotzdem, so viel kann man vorläufig festhalten: Ein Bürgerkriegsgipfel wird Elmau nicht. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann wird vermutlich hinterher sagen, dass sich das Sicherheitskonzept „Nicht kleckern, klotzen“ bewährt habe. Weil Herrmann aber am Samstagabend im Pressezelt den himmlischen Wasserwerfer genau miterlebt hat, wird ihm schon klar sein, dass der Beistand von oben den tausenden Polizeibeamten aus der ganzen Republik allerlei Arbeit abgenommen hat.
Es sind empörte, aber friedliche Menschen
Der Schwarze Block hat ohnehin nur ein paar Blöckchen geschickt. Die große Mehrzahl der mehrere tausend Demonstranten sind besorgte und empörte, aber friedliche Menschen. Viele könnten direkt vom Evangelischen Kirchentag in Stuttgart herübergereist sein. Manche sind es tatsächlich wie das Studentenpaar, hinter dem ein selbstgemaltes „Frieden jetzt“-Plakat an der Bahnhofswand lehnt. Am Nachmittag in der strahlenden Sonne wirkt der Zug der Demonstranten wie eine sehr bunte Bergwandertruppe. Ein paar dringen vor bis an den kilometerlangen Zaun um das Schlosshotel Elmau, aber der Sturm, wenn er denn je ernsthaft geplant war, wird abgeblasen.
Wer die Plakate etwas genauer studiert, kann übrigens zu dem Schluss kommen, dass viele der Demonstranten diesen G7-Gipfel ernster nehmen als vielleicht sogar der Gipfel sich selbst. Die meisten finden das Treffen zu wenig ambitioniert für eine Gruppe, die immer noch für ein Drittel der Wirtschaftsleistung der ganzen Welt steht. Sollten die nicht imstande sein, den Hunger zu besiegen, das Klima zu retten, und das nicht bloß immer in kleinen Schritten? Andererseits, Juncker hat auch für solche Heilserwartungen einen Satz: „Wir sind nicht die Herren der Welt.“
Das ist vielleicht schwierig zu glauben, wenn man sieht, wie auf dem Münchner Flughafen der Japaner Shinzo Abe gleich mit zwei Regierungsmaschinen einschwebt und über dem Garmischer Tal ein Hubschrauber nach dem anderen knattert. Erst viel später, als nach dem obligatorischen Gruppenfoto auf einer Löwenzahnwiese die offiziellen Kameras ein Bild von dem fast zierlichen kreisrunden Tisch zeigen, um den Merkel ihre Gäste versammelt, erst da also bekommen die Grenzen ihrer Macht etwas Anschauliches. Es sind ja wirklich nur sieben, die meisten mit mehr Problemen als Macht: Japan und Italien hoch verschuldet, Großbritannien und Frankreich in Turbulenzen, Obamas Präsidentschaft endet bald, nur Kanada ist vergleichsweise sorgenfrei.
Das war im Grunde immer so. Als Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing 1975 zum ersten Treffen der damals führenden Wirtschaftsmächte luden, war es ein Krisengipfel nach dem Ölpreisschock. 40 Jahre später steht der Gipfel immer noch in Krisenzeichen. Heute heißen die Stichworte Krisen Ukraine, Griechenland, Naher Osten, Klimawandel. Wladimir Putin schwebt als Schlossgespenst umher, einst Mitglied der Gruppe, jetzt Ausgestoßener. Niemand glaubt, dass die jüngsten Kämpfe in der Ostukraine etwas anderes waren als eine trotzige Kundgebung: Das habt ihr davon, mich auszugrenzen! Dafür sterben Menschen. Machtsymbolik kann brutal sein.
Tsipras ist auch so ein Geist
Alexis Tsipras ist auch so ein Geist. Als Horst Seehofer Sonntagfrüh auf dem Münchner Flughafen auf den nächsten Gast wartet – der Ministerpräsident bildet das Empfangskomitee –, schwebt im Hintergrund eine Maschine der Athener Fluglinie „Aegean“ ein. Es ist aber natürlich nicht Tsipras an Bord. Der Grieche müsste ja auch damit rechnen, gar nicht vorgelassen zu werden. Juncker war immer ein Fürsprecher des jungen Regierungschefs. Jetzt platzt ihm die Geduld. Vorige Woche hat eine Krisenrunde der Geldgeber Athen ein Angebot vorgelegt. Tsipras habe erst für Mittwoch eine Antwort versprochen, dann für Donnerstag. Am Samstag wollte der Grieche den EU-Präsidenten sprechen. Juncker hat das Telefonat abgelehnt: Worüber noch reden ohne eine Grundlage auf Papier? Juncker nimmt zum ersten Mal ein Wort in den Mund: „Deadline“ - ja, es gibt einen Zeitpunkt, an dem Schluss ist mit Reden.
Im Krüner Idyll wissen die Menschen nichts von Junckers Pressekonferenz, und Merkel lässt sich nichts anmerken. Obama ist da. Der Mann ist ein Präsident im Spätherbst seiner Laufbahn, aber so was hier, das liegt ihm einfach in der Natur. „Gruß Gott!“ ruft er über den Marktplatz, und der Marktplatz jubelt. Wunderbar hier zu sein, eine wunderbare Landschaft, leider habe er versäumt sich eine Lederhose zu besorgen, aber dann: „die beste Alphorn-Vorstellung, die ich je gehört habe!“ Die vier Alphornbläser überhören den spöttischen Anklang und strahlen über die kräftigen Backen.
Hinterher drückt Obama Hände, wobei die Kürner Musikkapelle den bayerischen Defiliermarsch spielt, der eigentlich dem Ministerpräsidenten vorbehalten ist. Aber Seehofer kriegt das ja nicht mit. Er muss gleich wieder raus auf den Münchner Flughafen und die Gäste aus Afrika und dem Nahen Osten empfangen, die die G7 für Montag eingeladen haben.
Und natürlich muss Obama mit einem Weißbier anstoßen, das er später beim Gang durch den Ort zum Auto lobt: „Sehr gutes Bier!“ Und eine Weißwurst muss er natürlich essen. Das ist nicht einfach, wenn man es fachgerecht hinkriegen will und ohne peinliches Gemetzel auf dem Teller. Aber der Professor Sauer weist den Gast ein: Längs aufschneiden oder quer, und den süßen Senf nicht vergessen! Bei dem schönen Wetter, hat der Amerikaner gefrotzelt, sollten die G7 ihr Treffen eigentlich hier auf den Markt verlegen „und Bier trinken“. Dann hätte er aber vorher nicht Merkel danken dürfen, und zwar nicht nur für Jahrzehnte deutsch-amerikanischer Freundschaft, sondern auch für ihre „Leadership“. Das ist ein entscheidendes Wort aus Washingtoner Sicht. Die Deutschen und ihre Kanzlerin sind, ob sie wollen oder nicht, die Vormacht Europas geworden. Merkel ist zum gleichen Schluss gekommen. Als die Gespräche im Schloss beginnen, liegt vor ihr ein sehr, sehr dicker Aktenordner.