Wie sich die AfD mit einem Vorsitzenden neu aufstellt: Mit Lucke auf dem Weg
Auf dem AfD-Parteitag in Bremen streiten die Mitglieder wie die Kesselflicker. Am Ende setzt sich Bernd Lucke durch: Die Partei wird nur noch einen Parteivorsitzenden haben. Jetzt gilt alle Konzentration der Hamburg-Wahl am 15. Februar.
Auf dem Platz vor dem Kongresszentrum sammeln sich Samstagnachmittag einige tausend wütende Leute. Sie sind jung, sie schleppen Plakate herbei und recken entschlossen ihre Fäuste in die Luft. „Nazis raus“, rufen sie und „Deutschland für alle“.
Die, denen die Wut der Demonstranten gilt, stehen hinter großen Glasscheiben und schauen ein bisschen ungläubig auf den Platz hinaus. Es sind ältere Frauen mit grauen Haaren und Gesundheitsschuhen, Männer Anfang 60 in Wollwesten und braunen Anzugjacken. Die meisten von ihnen haben sich schon am Freitag Urlaub genommen, sie sind in ihren Autos und Kleinbussen zum Teil stundenlang durch das Schneegestöber nach Bremen zur „Alternative für Deutschland“ (AfD) gefahren. Sie kommen aus Bamberg, aus Chemnitz und aus dem Sauerland, sind Mitglieder. Es ist ihr Parteitag, der an diesem Wochenende in der Kongresshalle stattfindet, sie wollen Politik machen, das Land mitgestalten.
Jetzt stehen sie also dort, eingeschüchtert von dem Trubel und geschützt von hunderten schwarz gekleideter Polizisten mit Helmen und dicken Schutzwesten. Sie fragen sich ungläubig – und vielleicht auch etwas naiv – wen diese aufgebrachten jungen Leute da draußen die ganze Zeit anschreien. „Meinen die etwa uns?“, fragt ein Mann, „sollen wir etwa diese Nazis sein?“
Zwei Jahre gibt es sie nun, die AfD. Entstanden ist sie als Sammelbecken einiger Wirtschaftsliberaler, die den Euro-Rettungskurs der schwarz-gelben Bundesregierung nicht mittragen wollten. Die Griechen standen vor der Staatsinsolvenz, die Spanier und Portugiesen beinahe auch, und Kanzlerin Angela Merkel legte milliardenschwere Rettungsprogramme auf. „Raus aus dem Euro“ – mit dieser Parole träumte die AfD von der Rückkehr der D-Mark und zog Menschen aus dem ganzen Land an, die schon lange fanden, dass allein die Deutschen die Zeche für die Europa-Solidarität zahlten und das nun mal endlich Schluss damit sein müsste. Leute aus der Mitte der Gesellschaft, die Angst um ihr Erspartes, um ihre Rente haben.
Aus dem Stand schaffte es die AfD ins Europaparlament
Aus dem Stand schaffte es der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke mit seiner AfD ins Europaparlament. Und dann auch noch in die Stadtverordnetenversammlungen, in die ersten Landtage, in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Am 15. Februrar wählt Hamburg seine neue Regierung, und die Demoskopen prophezeien, dass auch dort die AfD einziehen wird.
Auf einmal ist klar: Diese AfD ist keine vorübergehende Ansammlung von renitenten Wirtschaftsprofessoren mit national-ökonomischen Theorien. Diese Partei findet Wähler überall. Leute, die ihr Kreuz früher bei der CDU gemacht haben, bei der FDP und auch bei den Sozialdemokraten. Sie verschwindet wohl nicht einfach wieder, diese AfD. Seit diesem Wochenende hat die Partei eine Satzung, bis zum nächsten Parteitag im November soll ein erstes Parteiprogramm fertig sein. Und auch, wenn es zuweilen beim Bremer Parteitag so chaotisch wie in einem Klassenzimmer zuging, das der Lehrer frühzeitig verlassen hat: Bernd Lucke hat seine Mitglieder klar eingeschworen. „Unser Ziel ist es, in zwei Jahren im Bundestag zu sein.“
Damit gehen die Probleme aber wohl erst richtig los. Denn der vermeintlich harmlose Haufen macht immer wieder durch dumpfen Nationalismus auf sich aufmerksam. So auch in Bremen. Da steht Konrad Adam im Blitzlichtgewitter und erklärt, dass es nicht richtig sein könne, wenn von überall auf der Welt jeder nach Deutschland einwandern könne. Adam ist einer von drei Vorsitzenden der AfD, ein ehemaliger Journalist, heute mit auskömmlicher Rente, und er fordert ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild, wie es auch die FDP einst vorgeschlagen hat. Wer jung, gut ausgebildet und willig ist, die deutsche Sprache zu lernen, der soll herkommen, sagt Adam. Dann aber fügt der AfD-Chef noch an: Einwanderungspunkte soll es auch für Religionszugehörigkeit geben. Das steht natürlich nicht in dem kanadischen Gesetz, und Adam weiß das auch. Was er damit meint, ist klar. Muslime sind ihm in Deutschland nicht willkommen.
Die Partei steht unter Verdacht, rechte Klientel anzuziehen
Seit geraumer Zeit steht die Alternative für Deutschland unter dem Verdacht, sie fische bewusst im rechten Spektrum der Gesellschaft und ziehe Ausländerfeinde an, die bereits seit Jahrzehnten versuchen, Einfluss in den konservativen Parteien zu gewinnen. Unter dem wirtschaftsliberalen Deckmäntelchen des freundlichen Herrn Lucke gehe die AfD auf rechten Stimmenfang. Mal eine Bemerkung von Adam in Bremen, mal eine von Alexander Gauland, der den Zuzug von Menschen aus dem Nahen Osten ganz verbieten will, mal ein Treffen der AfD-Frontfrau Frauke Petry mit Dresdner Demonstranten, die den Islam zum Hauptfeind des Abendlandes erkoren haben. So schafft die AfD Platz für Leute, die nur deshalb nicht NPD wählen, weil ihnen die gewaltbereiten Glatzen nicht geheuer sind.
Früher hat er CDU gewählt, dann wollte er selbst etwas tun
In Bremen ist allerdings vom rechten Rand nicht viel zu spüren. In der Kongresshalle sehen die AfD-Mitglieder eher aus wie Heinrich Grafen. Grafen wird bald 60 und kommt aus Nettetal, einem kleinen Ort in der Nähe von Mönchengladbach. Er spricht leise und überlegt und schaut eher schüchtern über seine randlose Brille hinweg. Grafen ist Theologe und war lange Zeit für die evangelische Kirche in Südafrika tätig, seither kümmert er sich in einem Altenheim um Demenzkranke. Kürzlich war er beim Neujahrsempfang im Rathaus von Nettelbach, wo er einigen Asylbewerbern begegnet ist und mit ihnen über die Qualität der Deutschkurse im Ort gesprochen hat. „Ich bin doch kein Ausländerfeind“, sagt Grafen empört, „nur weil ich finde, dass sich Deutschland mehr um die Bildung der Migranten kümmern und entschiedener gegen Hassprediger in Moscheen auftreten muss.“
Das Kümmern, das ist es, was Heinrich Grafen auch vor zwei Jahren zur AfD gebracht hat. Er sagt, er sei „konservativ“, sehe mit Sorge das Auseinanderfallen der klassischen Familienstrukturen und auch, dass immer mehr Frauen Kinder abtreiben. Früher hat er CDU gewählt. Zum CDU-Ortsverein ist er aber nicht gegangen, als ihm klar wurde, dass er nicht immer nur über den Zustand der Gesellschaft herumschimpfen, sondern fortan selbst etwas ändern will. Grafen hatte bei der CDU Furcht vor den Funktionären und Sorge, dass er nicht mitreden könne, sondern nur das Parteiprogramm von Angela Merkel umsetzen müsse. Das gefällt ihm nicht mehr, zu viel Mindestlohn und Gleichmacherei, zu wenig Ordnung und Geborgenheit.
Also ging Grafen zur AfD und trifft sich nun wöchentlich mit seinen Parteifreunden, arbeitet an Vorschlägen für die Vertreter im Stadtrat und kümmert sich um die Bildungsthemen im Ort. „Ich werde ernst genommen“, sagt Grafen und dass er deshalb auch zum Parteitag angereist sei. Fast sein ganzes Leben habe er Politik immer als etwas begriffen, das für die Politiker da ist. Jetzt mache er selber mit.
Je mehr Leute mitmachen, desto größer das Risiko
Für die Führung einer noch jungen Partei können tausende von motivierten Mitmachern wie Grafen natürlich auch ein Fluch sein, und zwar ein schrecklicher. Denn eine Partei aufzubauen, ist wie einen Dampfer durch ein ewiges Unwetter zu manövrieren. Je mehr Leute mitmachen und glauben, sie wüssten selbst am besten, was der Kapitän zu tun hat, umso größer ist das Risiko zu kentern.
In Bremen jedenfalls streiten die angereisten AfD-Mitglieder nicht weniger als zwölf Stunden lang zum Teil lautstark und heftig über die Satzung, die nun endlich beschlossen werden sollte, nachdem das Vorhaben vor Monaten schon einmal im chaotischen Streit untergegangen war.
Kostprobe gefällig? Der Beschluss der Tagesordnung beispielsweise. Bei den Treffen der etablierten Parteien gilt er als eine Formalie, die nach den Begrüßungs- und Grußworten der Honoratioren im Regelfall in drei Minuten erledigt ist. Hand hoch und fertig. Gegenstimmen gibt es eigentlich nur, wenn jemand pennt und deshalb nicht rechtzeitig den Arm wieder runternimmt.
In Bremen dagegen herrscht das Diktat des Geschäftsordnungsantrages, kurz GO genannt. Mit dem GO kann jedes Mitglied den Verlauf einer Debatte ändern, Aussprachen verlangen, Abstimmungen initiieren. Wer dieses Instrument beherrscht und von dem Wissen Gebrauch macht, kann einen Parteitag lahmlegen. Und in der AfD ist unbestreitbar Deutschlands gesamte GO-Elite versammelt: Rechtsanwälte, Besserwisser, Krakeeler und notorische Unruhestifter. Sie alle stehen bereits am Freitagabend, kaum dass der Parteitag offiziell eröffnet ist, in langen Reihen an den Mikrofonen, um den Anwesenden zu beweisen, dass sie am allerbesten wissen, wie man einen Parteitag führt. Da wird den Versammlungsführern vorgeworfen, sie seien Lügner, Betrüger, Gauner und Pfeifen, da wird mit Klagen vor dem Verfassungsgericht gedroht, und Juristen bezichtigen sich gegenseitig der kompletten Ahnungslosigkeit. Es hagelt Verwarnungen und dutzendweise Ermahnungen zur Disziplin, bis dann eineinhalb Stunden später endlich beschlossen wird, dass der Parteitag nach festgelegten Regeln stattfinden kann.
Partei im Aufbruch? Wie Lucke die AfD sieht
Danach aber, um 20 Uhr 40, also einer Zeit, zu der auf anderen etablierten Parteitagen die Mitglieder längst zum gemütlichen Biertrinken übergegangen wären, versammeln sich die AfD-Mitglieder im Saal noch zum ersten von vier „Themenvorträgen“. Bis weit in die Nacht hinein lauschen knapp 1700 Angereiste einem wissenschaftlichen Vortrag des Bielefelder Professors Herwig Birg über die Ungerechtigkeiten und politischen Fehler im deutschen Rentensystem. Mucksmäuschenstille fast zwei Stunden lang, gefolgt von einer engagierten Diskussion. Die AfD will bis November in ihrem Programm Vorschläge zur Reform der Sozialversicherungen vorlegen, Birgs Vortrag diente als Auslöser für diesen Beschluss. Insgesamt vier dieser Vorträge sollten sich die AfD-Mitglieder an diesem Wochenende anhören. Die Idee, weißhaarige Professoren zum Parteitag einzuladen, kam vom Vorsitzenden Lucke, und sein Konzept scheint aufgegangen zu sein. Die Angereisten freuen sich über das Gefühl, für ihren Partei-Mitgliedsbeitrag an diesem Wochenende ein Stück Bildung und ein Mitspracherecht noch obendrauf bekommen zu haben.
Manche sind bereit, noch etwas draufzulegen. Vor dem Sitzungssaal verkauft die AfD am Sonntag an einem Stand Goldstücke mit den Autogrammen ihrer Parteivorsitzenden. 50 Euro kostet das Ein-Gramm-Plättchen, und jeder Käufer darf wählen, ob er das Gold mit der Unterschrift von Bernd Lucke haben will oder mit dem Autogramm der Co-Vorsitzenden Frauke Petry. Das Geschäft läuft prächtig: Innerhalb der ersten Viertelstunde sollen schon 120 Goldstücke weg gewesen sein.
Lucke hat clever Regie geführt
Überhaupt hat Bernd Lucke clever Regie geführt. In einer „persönlichen Ansprache“ zeichnet er am Sonnabend das Bild einer „Partei im Aufbruch“, die „aus dem Nichts entstanden ist“ und die „Altparteien das Fürchten lehren wird“. Er selbst sei darin ein Vorsitzender, der unermüdlich im Dienste seiner AfD persönliche Opfer erbracht, sich in der Arbeit als Bundesvorsitzender und Abgeordneter im EU-Parlament aufgerieben und sogar „Schmähungen“ hingenommen habe – „bis an die Grenzen der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit“. Und der nun („So kann ich nicht weitermachen.“) der festen Auffassung ist, dass es für die AfD am besten sei, wenn künftig nicht mehr drei, sondern nur ein einziger Parteichef an der Spitze steht.
Die AfD-Mitglieder hatten das Wort „Alternative“ in ihrem Namen bislang auch als Zeichen der Pluralität verstanden. Sie wollten sich ganz bewusst als Partei etablieren, in der verschiedene Strömungen mitreden können und sich nicht einem einzelnen Vorsitzenden unterordnen. Doch Lucke ist es gelungen, das zu ändern. Seinem umstrittenen Plan, die AfD nun doch nach dem Muster anderer Parteien mit einer Führungsspitze aufzubauen, stimmt der Parteitag zu. Knapp im Ergebnis, aber Lucke hat ihn durchgedrückt. „Ich bin das Gesicht der Partei.“
Heinrich Grafen aus Nettetal hat das nicht so recht gefallen. Aber ob er beim nächsten Treffen seiner Partei wieder mit dabei sein wird, ist sowieso unklar. In der Parteiführung wird schon erwogen, künftig - wie bei den anderen Parteien - nicht mehr alle Mitglieder, sondern nur die Delegierten aus den Landesverbänden zu Parteitagen einzuladen, damit das Chaos und der Streit eingedämmt werden können. Die AfD kommt in der Realität an. Demokratie, das lernen ihre Mitglieder gerade, ist eine Schnecke. Und Politik ohne Hierarchien und Machtkämpfe wohl nicht zu haben.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.