zum Hauptinhalt
Der Intellektuelle. Alexander Gauland führt die Brandenburger AfD in den Landtagswahlkampf.
© dpa

Mit Spitzenkandidat Alexander Gauland: Recht populär: Wie die AfD in Brandenburg um Wähler kämpft

Alexander Gauland fühlt sich in der großen Politik zuhause. In Brandenburg, wo er Spitzenkandidat der AfD ist, funktioniert das nicht. Dort setzt er lieber auf Ostalgie und sagt: „Wir nehmen immer noch die falschen Menschen auf und das führt zu Kriminalität“.

Als AfD-Chef Bernd Lucke die Bühne betritt, streifen die Polizisten ihre schwarzen Lederhandschuhe über, bringen sich in Position. Es ist ein sonniger Tag in Frankfurt (Oder). Auf dem Rathausplatz stehen ein paar Tische und Bänke. Es gibt Bratwurst, Bier und „Rote Brause“. Ein Samstag, eine Woche vor der Landtagswahl in Brandenburg. Von der Ladefläche eines Lastwagens aus halten die Kandidaten der Alternative für Deutschland Wahlkampfreden. Etwa 40 AfD-Anhänger, größtenteils Rentner, sind gekommen, um zuzuhören. Und zum ersten Mal in diesen Tagen auch ein Dutzend Gegendemonstranten. Sie pusten in ihre Trillerpfeifen, schreien im Chor: „Halt die Fresse, halt die Fresse!“ Die Polizisten drängen die Demonstranten zurück. Lucke, oben auf der Bühne, unterbricht seine Rede, wendet sich über Lautsprecher an die Störer: „Meine Freunde da hinten, ihr seid zu spät.“

Aktuelle Umfragen sehen die AfD in Brandenburg bei neun Prozent. Mehr als Grüne und FDP zusammen. Dabei sah es in Brandenburg, wo die Sozialdemokraten seit 24 Jahren regieren, lange nicht besonders vielversprechend aus für die Alternative. Seit der Wahl in Sachsen, bei der die AfD um Landeschefin Frauke Petry vor zehn Tagen 9,7 Prozent erreicht hatte, ist alles anders. Jetzt spüren sie, dass sie es schaffen können, die AfD in Deutschland zu etablieren. Von der Protestpartei zur ernst zu nehmenden politischen Kraft? Viele in der Partei hatten das gehofft, aber nicht wirklich geglaubt. Bis jetzt.

Hinter Bernd Lucke sitzt an diesem Tag Alexander Gauland. Ockerfarbene Kordhose, braunes Jackett. Gauland ist der Vorsitzende in Brandenburg und zugleich Spitzenkandidat. Er überlässt Lucke für gut 40 Minuten die Bühne. Dass er den Parteichef als prominenten Wahlkampfhelfer geholt hat, ist eigentlich selbstverständlich, jetzt, da die Partei so kurz vor dem Einzug ins Parlament steht. Aber eben nur eigentlich, weil Gauland schon früh im Wahlkampf klargestellt hat, dass Brandenburg einen eigenen Weg gehen will, notfalls eben einen anderen, als Bernd Lucke das gerne hätte.

Gaulands Stimme ist heiser. Kaum ein Tag ist in den letzten Wochen vergangen, an dem er nicht irgendwo das Parteiprogramm heruntergebetet hätte. „Ich bin mehr für den Straßenwahlkampf als für diese ganze Elektronik“, sagt er. Gauland ist 73 Jahre alt. Er ist in Chemnitz geboren, die DDR ertrug er bis zum Abitur. 1959 flüchtete er in die Bundesrepublik. Nach der Wende kehrte er zurück und nun ist er eben in Frankfurt (Oder) und sagt: „Nicht alles, was es in der DDR gab, war schlecht.“ Die Ärztehäuser zum Beispiel, das einheitliche Schulsystem, die Kombinate und die ganztägige Kinderbetreuung. In Brandenburg kommt er mit dieser Linie gut an.

Parteichef Lucke sagt lieber nicht, was er davon hält. Das sei Sache von Herrn Gauland. Mit Blick auf die Bürgerschaftswahlen in Hamburg kommenden Februar „mit einer ganz anderen Wählerklientel“, überhaupt mit dem erklärten Ziel vor Augen, 2017 in den Bundestag einzuziehen, kann ihm die allzu offen vor sich her getragene DDR-Nostalgie der Ost-Landesverbände kaum recht sein. Aber das sagt er nicht. Nicht jetzt.

Lucke sagt: "Wir sind keine konservative Partei"

Nach der Wahl in Sachsen hat Parteichef Bernd Lucke gut lachen. In Brandenburg steht die Partei in den Umfragen nun auch bei neun Prozent.
Nach der Wahl in Sachsen hat Parteichef Bernd Lucke gut lachen. In Brandenburg steht die Partei in den Umfragen nun auch bei neun Prozent.
© dpa

Gerade erst hat er sich mit Gauland wieder vertragen. Zumindest bis zur Wahl. Im Europaparlament hatte Lucke für Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise gestimmt. Gauland, der für seine verständnisvolle Position gegenüber Moskau bekannt ist, war darüber so sauer, dass er kurzzeitig überlegte, seine Spitzenkandidatur niederzulegen. Dass sie jetzt so einträchtig nebeneinandersitzen, soll Geschlossenheit demonstrieren, wo noch viele offene Gräben sind.

Alexander Gauland, der 40 Jahre lang CDU-Mitglied war, trat der AfD bei, weil er in Angela Merkels Politik das konservative Profil vermisste. Lucke sagt: „Wir sind keine konservative Partei, denn wir wollen ja etwas verändern.“ Mittlerweile haben sich alle auf die Sprachregelung geeinigt, man sei weder links, rechts, noch Mitte, sondern die Partei des gesunden Menschenverstandes. Die Partei jedenfalls, in der man noch sagen darf, was man ja wohl noch wird sagen dürfen.

Gauland: "Es gibt einfach Bürger fremder Staaten, die nicht zu uns gehören."

Der Intellektuelle. Alexander Gauland führt die Brandenburger AfD in den Landtagswahlkampf.
Der Intellektuelle. Alexander Gauland führt die Brandenburger AfD in den Landtagswahlkampf.
© dpa

Alexander Gauland hat im Wahlkampf bisher alles sagen dürfen, was er sagen wollte. Dutzendfach, nur hat eben kaum jemand zugehört. Brandenburg ist groß, größer als Sachsen, größer als Thüringen – wo an diesem Sonntag ebenfalls gewählt wird –, und der Landesverband ist klein. 570 Mitglieder gibt es in Brandenburg. Längst nicht alle sind aktiv. Unmöglich, überall präsent zu sein. Besonders auf dem flachen Land sei die Ausgangslage schwierig. Gauland sagt: „prekär“. Etwa 150 000 Euro stehen dem Landesverband für Wahlkampf zur Verfügung. Sie stammen zum größten Teil noch aus dem zinslosen Darlehen über eine Million Euro, das AfD-Vize Hans-Olaf Henkel seiner Partei vor dem Europawahlkampf in diesem Frühjahr gewährt hatte.

Mit seinem Pressesprecher Detlev Frye ist Gauland von Ortschaft zu Ortschaft getingelt, hat hier einen Vortrag gehalten und dort. In Frankfurt, in Cottbus, in der Stadt Brandenburg. Fast überall werde er auf die gleichen Themen angesprochen: öffentliche Sicherheit, das marode Schulsystem und den Flughafen BER. „Bauruine“, sagt Gauland. „Den BER wird es nie geben“, hat er unlängst verlauten lassen. Allenfalls als Übergangsflughafen, während in Sperenberg oder Jüterbog mit privaten Investoren neu gebaut werden solle.

Mitte August sitzt Gauland im Bürgerhaus Glienicke, neben ihm AfD-Stellvertreter Hubertus Rybak, vor ihm eine Flasche Budweiser und ein gutes Dutzend Sympathisanten. Draußen vor der Tür bewacht ein Polizist die Versammlung.

„Wir sind lange als Ein-Themen-Partei gesehen worden“, sagt Gauland. Die Anti-Euro-Partei. „Aber wer in der deutschen Politik etwas bewirken will, muss auf allen Ebenen des Föderalstaates präsent sein.“ Nun also Glienicke, wo europäische Währungspolitik fern und Gaulands Steckenpferd, die deutsche Außenpolitik, unwichtig scheinen. Es ist die große Politik, in der er sich thematisch eher zu Hause fühlt. Der Krieg im Irak, der Krieg in der Ukraine. Gauland findet: Am besten aus beidem raushalten. Aber das hier ist ein Landtagswahlkampf, da interessieren andere Dinge. „Es gibt einfach Bürger fremder Staaten, die nicht zu uns gehören“, sagt er. Die Zuhörer – Alte, Junge, Studenten, Rentner – nicken stumm. „Wir nehmen immer noch die falschen Menschen auf und das führt zu Kriminalität“, sagt Gauland. Im Programm zur Landtagswahl hat sich diese Ansicht unter Punkt 3c, „Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Ausländerkriminalität“, niedergeschlagen.

Darunter subsumieren sich die Forderungen nach mehr Zwangsausweisungen, präventiven Ausweisungen und der Einschränkung des Ausweisungsschutzes für Jugendliche. Der Direktkandidat der AfD für Frankfurt (Oder), Hartmut Händschke, hat es kürzlich etwas drastischer formuliert: „In die schlechte Sicherheitssituation in Brandenburg kommen jetzt auch noch die Flüchtlinge aus Afrika, und alle wundern sich, dass die Scheiße bauen. Aber die kennen es ja nicht anders, dort wo sie herkommen.“

Derlei Verallgemeinerungen sind von Gauland freilich nicht zu hören, gleichwohl lässt er seine Parteikollegen gewähren. Ohne Gauland ist die AfD in Brandenburg nicht zu denken, er gibt ihr ein Gesicht, dem man ja wohl noch vertrauen können darf.

Ab in den Landtag, am "Rockzipfel von Frauke Petry"

Frauke Petry hat in Sachsen den Einzug in den Landtag bereits geschafft. Ihre mediale Präsenz hilft auch der AfD in Brandenburg.
Frauke Petry hat in Sachsen den Einzug in den Landtag bereits geschafft. Ihre mediale Präsenz hilft auch der AfD in Brandenburg.
© dpa

Gauland galt lange als konservativer Intellektueller. Bis 2006 war er Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ und hatte auch auf der Meinungsseite des Tagesspiegels eine regelmäßige Kolumne. Er wählt seine Worte mit Bedacht. Mit populistischen Forderungen macht eher seine sächsische Kollegin Frauke Petry auf sich aufmerksam. Unvergessen ist ihr Appell für die Drei-Kind-Familie, um die Überfremdung in Deutschland zu stoppen. Oder ihre Einlassung in der „Bild“-Zeitung, es störe sie, wenn Kinder in deutschen Familien nur „Happy Birthday“ statt deutscher Lieder sängen.

Gauland lächelt diese bewussten Provokationen milde weg. „Das ist Sache der Sachsen, und wir sind in Brandenburg“, sagt er. Sein Landesverband war im Wahlkampf so unauffällig, dass in der AfD schon gescherzt wurde, Gauland wolle wohl am „Rockzipfel von Frauke Petry“ in den Landtag in Potsdam einziehen. Damit, so viel hat er klargestellt, könne er gut leben.

Die Brandenburger, jedenfalls jene, die sich vorstellen können die AfD zu wählen, schätzen ihn für seine ruhige Art. Bei seinen Reden hebt er fast nie die Stimme. Routiniert wirbt er für das dreigliedrige Schulsystem und wettert gegen die Inklusion geistig behinderter Schüler. Wenn er ernst wird, senkt er die Stimme und fordert mehr Polizei auf den Straßen. Notfalls müsse man eben die Grenzen dichtmachen, um die Kriminellen draußen zu halten. Wo immer er auftritt, saugen sie seine Worte auf.

Der AfD-Basis ist die Abwehrhaltung der CDU ganz recht

Der Intellektuelle. Alexander Gauland führt die Brandenburger AfD in den Landtagswahlkampf.
Der Intellektuelle. Alexander Gauland führt die Brandenburger AfD in den Landtagswahlkampf.
© dpa

„Er spricht aus, was wir denken“, sagt ein AfD-Mitglied beim Sommerfest in Potsdam. Im Garten der Pension Am Tiefen See, es gibt Freibier und Steak mit „Zigeunersoße“. Direkt am Wasser steht ein Trampolin, auf dem Kinder hüpfen. „Was die AfD fordert, wäre in den 70ern noch ganz normal gewesen“, sagt ein älterer Herr. Von keiner anderen Partei fühle er sich so verstanden. Es klingt viel Trotz in seinen Worten mit. Im Hintergrund besingt der Liedermacher Torsten Riemann den Untergang des Abendlandes. Die Stimmung ist gelöst. Das Publikum: Potsdamer gehobene Mittelschicht, Häuslebauer, Unternehmer. Alexander Gauland sitzt mittendrin. Anders als Parteichef Lucke, der immer mit einer Handvoll Personenschützern unterwegs ist, kann Gauland sich noch frei bewegen. „Ist doch schön hier, nicht?“, sagt er. Er hoffe, dass die Behauptungen, die AfD sei eine rechte Partei, sich bald verlören. „Wir sind ganz normale Menschen.“

Dass der SPD–Landtagsabgeordnete Klaus Ness, mit dem er in Potsdam ein Literaturquartett veranstaltet, ihn als Republikaner und Rechtspopulisten bezeichnet hat, hat ihn ein bisschen geschmerzt. Dass der CDU Landesvorsitzende Michael Schierack nach langem Zögern letztlich die Forderung nach der Drei-Kind-Familie zum Anlass nahm, um der Zusammenarbeit eine Absage zu erteilen, hat ihn regelrecht geärgert. Er hat ihm dann einen offenen Brief geschrieben: „Wie viele Kinder dürfen es denn sein, um wieder koalitionsfähig zu werden?“, fragt er darin. Gesprochen haben sich die beiden noch nicht. „Wenn er anruft, werde ich mit ihm reden“, sagt Gauland. Soll doch die CDU den ersten Schritt machen. Die größten Überschneidungen gebe es mit der Union.

"Ausgrenzung fördert nur die Solidarität"

Von der Leine. Seit dem Einzug in Sachsen wittert die AfD auch in Brandenburg ihre Chance.
Von der Leine. Seit dem Einzug in Sachsen wittert die AfD auch in Brandenburg ihre Chance.
© picture alliance / dpa

Gauland sieht das so und viele Wähler offenbar ebenfalls. Bei der Landtagswahl in Sachsen gaben 33 000 ehemalige CDU-Wähler der AfD ihre Stimme. Noch ist es der CDU allerdings ein Leichtes, in Brandenburg eine Zusammenarbeit mit der AfD auszuschließen. Wenn die Umfragen einigermaßen das Wahlergebnis vom Sonntag prognostizieren, ist eine Regierungsmehrheit aus CDU und AfD ohnehin ausgeschlossen. Die CDU liegt bei 24, die AfD bei neun Prozent.

Der AfD-Basis ist die Abwehrhaltung der CDU ganz recht. „Die Ausgrenzung fördert nur die Solidarität“, sagt ein Parteimitglied beim Sommerfest. Und aus der Opposition heraus lasse sich die Arbeit der Regierung besser anprangern. Dafür werde die AfD doch gewählt, meint er. Um jenen eine Stimme zu geben, die in Politik und Gesellschaft sonst nicht mehr gehört würden. Weil auch die Parteispitze immer wieder betont, „die Medien“ würden die Alternative wahlweise diffamieren oder totschweigen, ist die Stimmung gerade bei der älteren Generation Reportern gegenüber gereizt. Man bleibt gerne unter sich.

Allerdings ist auch die Brandenburger AfD nicht nur eine Vereinigung alter Querköpfe. Immer wieder finden sich bei den Veranstaltungen auch Familien und Studenten. Der 30-jährige Stefan Hein hat es bis zum Beisitzer im Vorstand gebracht. Er kandidiert auf Listenplatz fünf und betreut für die Bundes-AfD die Präsenz in den sozialen Medien. 123 000 Nutzer haben auf Facebook die Nachrichten der AfD abonniert. Mehr als bei jeder anderen deutschen Partei. Im Netz ist die Partei dort angekommen, wo sie in der realen Welt noch hinwill. Bei den Etablierten.

Hein nippt fahrig an seinem zweiten Bier. Er raucht viel dieser Tage, im Gesicht mehr Ringe als Augen. Tausende Kilometer hat er im Wahlkampf zurückgelegt. Auf eigene Rechnung, wie er versichert, Typ Überzeugungstäter. „Ich glaube an ihn“, sagt er und zeigt in Richtung Alexander Gauland.

Folgen Sie dem Autor auf Twitter:

Zur Startseite