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Der Schauspieler Götz George. Eine Aufnahme aus dem Jahr 2005.
© Jörg Carstensen/dpa

Zum Tod von Götz George: Mit dem Leben gespielt

Götz George gab das ikonische Raubein, als Person war er ein sensibler Sturkopf. In seinen großen Rollen schritt er sein Spiel-Universum vollständig aus. Sein Lebenswerk ist brillant wie brüchig.

Drei heftige Hiebe auf den Hintern? Wer erinnert sich schon gerne an solche schmerzhaften Kindheitserlebnisse und dazu noch öffentlich. Sucht sie dann sogar umzudeuten, sie seien doch „eher eine Art Liebesbezeugung“ gewesen, allerdings von einem Vater, den der Gezüchtigte als „überdimensional“ empfand.

Götz George hatte mit solchen Bekenntnissen keine Probleme, Anfang 1992 in der Neuen Nationalgalerie Berlin vor dem 1932 von Otto Dix gemalten Porträt seines Vaters Heinrich George. An sich hatte die Dix-Schau keine zusätzliche Reklame nötig, aber nun stand der Sohn wie vereinbart vor dem Gemälde, das lange als patriarchales Über-Ich im Haus der Georges am Kleinen Wannsee gehangen hatte . Acht Jahre war der kleine Götz alt, als sein Vater 1946 im NKWD-Lager Sachsenhausen starb. Oft habe der „dem Junior den Arsch versohlt“, das fiel dem Sohn, nach Erinnerungen befragt, sofort ein. Nie habe er mittags ins Bett gewollt und über die doofe Mutter geschimpft – bis der Vater, wohl eher amüsiert, sich den zeternden Bengel schnappte und ausholte.

Wäre aus Götz ohne Vater Heinrich und die gleichfalls durch Bühne und Leinwand berühmte Mutter Berta Drews wohl dennoch ein Schauspieler geworden? Schwer zu sagen, auf jeden Fall hieße er nicht Götz – nach dem Götz von Berlichingen, der Lieblingsrolle seines Vaters. Den rabiaten Rittersmann wissen sogar theaterferne Menschen zu zitieren: „Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!“ Von dort ist es kein weiter Weg zu dem mehrfachen „Scheiße!“, mit dem sich George 1991 nach zehn Dienstjahren als Duisburger „Tatort“-Kommissar Horst Schimanski von seiner Rolle verabschiedete, dabei stilvoll an einem Flugdrachen hängend – ein klassischer Abgang durch die Bürotür wäre einem Raubein wie ihm kaum angemessen gewesen.

Schimanski war ein besonderes Kaliber

Heute wäre solche Wortwahl kein Aufreger mehr, in Georges „Tatort“-Jahrzehnt war sie aber, als Krönung des oft rüpelhaften Wesens der Figur, Dauerthema in den Medien und sicher ein Grund für deren noch immer ungebrochene Popularität, die mit George ähnlich eng verbunden blieb wie die des Agenten 007 mit Sean Connery. Nicht zuletzt, da es mit dem Drachenflug nicht zu Ende war, George vielmehr Schimanski 1997 in der nunmehr gleichnamigen ARD-Serie wiederauferstehen ließ.

Der Duisburger Kommissar war von ganz anderem Kaliber als die gewohnten „Tatort“-Polizisten: Die Dienstvorschriften nahm er bei Bedarf nicht allzu genau, war trinkfest und schlagkräftig. Ein Rebell alles in allem, instinktiver Gegner der Bosse, wenn er witterte, dass sie Dreck am Stecken hatten, den armen Schweinen der Duisburger Ganovenwelt gegenüber aber durchaus voller Verständnis, eine Art 68er auf dem Marsch durch die Institutionen, bei dem er bei seinen Vorgesetzten mehr als genug aneckte. Aber die Frauen mochten ihn trotz seines Schnäuzers und er sie, und gerne legte er dann schon mal seine berühmt-berüchtigte, stets etwas schmuddelige Schimanski-Jacke ab.

Ein Kaiserschnitt mit Komplikationen

Klar, dass das Kultur- und Stadthistorische Museum Duisburg solch ein Kleidungsstück besitzt und auch ausstellt, anders als das Museum für Film und Fernsehen in Berlin. Das hatte lange Zeit eine von George in „Zabou“, einem der beiden Schimanski-Kinofilme, getragene Jacke gezeigt, samt Schimanskis Ausweis und anderen Devotionalien, diese beim Umbau der Dauerausstellung 2008 aber ins Archiv verbannt.

Eigentlich schade, war doch Georges Leben mit Berlin untrennbar verbunden, erhielt er hier auch die entscheidenden Impulse zu seiner Karriere. Geboren wurde er am 23. Juli 1938 in einer Klinik in Berlin-Schöneberg, ein Kaiserschnitt mit Komplikationen, Mutter und Sohn rangen eine Woche lang um ihr Leben. Die Eltern, der Vater Intendant des Schiller-Theaters und Übergroß-Schauspieler mit allzu guten Kontakten zur NS-Prominenz, die Mutter ebenfalls am Schiller-Theater, lebten damals in der Villa am Kleinen Wannsee – ein Idyll, das im Frühjahr 1945 endete. Auch das Südufer wurde zur Kampflinie, im Ruderboot floh die Familie übers Wasser, kehrte erst nach einer Woche zurück.

Früh stand er im Berliner Hebbeltheater auf der Bühne

Bald folgte die erste Durchsuchung durch die Russen, und der kleine Götz dachte, sie würden nun alle erschossen, aber es endete mit Gesang im Wohnzimmer. Später verschwand der Vater, denunziert und als Darsteller in „Jud Süß“ und „Kolberg“ ohnehin verdächtig, aber doch im NKWD-Gefängnis Hohenschönhausen, wo Götz, sein älterer Bruder Jan und die Mutter ihn 1946 vor dessen Verlegung nach Sachsenhausen das letzte Mal sahen.

Vier Jahre später stand der kleine Götz im Berliner Hebbeltheater als Hirtenjunge selbst auf der Bühne, damals noch Schüler der privaten Berthold-Otto-Schule in Lichterfelde. „Reizend, glücklicherweise nicht zu bewusst, meisterte er die Szenen“, lobte Walther Karsch im Tagesspiegel. Den Zensuren war das erste Engagement freilich nicht förderlich. „Götz hat so sehr viel in der Schule gefehlt und deshalb sehr viel Schwierigkeiten bei der Erarbeitung des Schulstoffes. Er hat jetzt im Theater eine große Rolle in ,Mein Herz ist im Hochland’ zu spielen und ist dadurch sehr angestrengt gewesen“, beklagte sein Klassenlehrer Ende 1950. Dem schnellen Vorankommen als Schauspieler waren die schulischen Defizite aber nicht im Wege. Später erhielt er eine gründliche Ausbildung beim Ufa-Nachwuchsstudio in Berlin unter Else Bongers, wurde Ensemble-Mitglied am Deutschen Theater Göttingen unter Heinz Hilpert, heimste bereits 1960 den Bundesfilmpreis als Nachwuchsschauspieler ein für die Rolle eines Boxers in „Jacqueline“.

Der Unfall markierte eine Zäsur

Stets führte ihn die Arbeit auch zurück nach Berlin. So ritt er für den Berliner Produzenten Horst Wendland als draufgängerischer Teenie-Schwarm in gleich drei Karl-May-Filmen durch Jugoslawiens Wilden Westen, erstmals 1962 in „Der Schatz im Silbersee“. George war 1989 in Frank Beyers Ganovenfilm „Der Bruch“ dabei, der den Einbruch der Pannewitz-Bande 1951 in die Eisenbahnverkehrskasse der Reichsbahndirektion Berlin zum Vorbild hatte.

Er durchstreifte in dem Erotikthriller „Solo für Klarinette“ mit Corinna Harfouch den Schöneberger Sozialpalast und zeigte 1998 im zweiten Teil der „Bubi-Scholz-Story“ den Niedergang des Berliner Boxidols. Auch sein schwerer Schnorchelunfall 1996 vor Sardinien, seiner Wahl- und Rückzugsheimat, der Georges Karriere fast beendet hätte, fand in Berlin ein gutes Ende – im Operationssal des Evangelischen Waldkrankenhauses Spandau.

Der Unfall markierte eine Zäsur. Ein heranrasender Motorbootfahrer hatte den Schwimmer übersehen, die Schiffsschraube verletzte ihn am linken Bein schwer. Immerhin ein – später kassiertes – Argument im Schmerzensgeldverfahren dürfte George zumindest grimmig amüsiert haben. Das Landgericht München I befand, der stets auf seine sportliche Kondition bedachte Star sei „einfach drauflosgekrault“, deshalb treffe ihn eine Mitschuld.

Beiläufiges Protzen

Drauflosgekrault mit bleibenden Rollen ins ganz große Kino ist George erst 1991, nachdem das „Tatort“-Jahrzehnt vorbei war. Und seine bleibendsten Rollen mit bestechender mentaler Fitness und physischer Präsenz hat er allesamt gespielt, bevor das Fernsehen ihm mit „Schimanski“ 1997 den roten Teppich des eigenen Formats ausrollte. Auch „Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ – der zweite und letzte Film, mit dem der geniale Wenigfilmer Helmut Dietl die komödiantische Seite des einstigen Ruhrpott-Rabauken erforschte und der im Januar 1997 zum Millionenhit im Kino wurde – war vor dem Unfall bereits abgedreht.

Die Münchner Schickeria-Satire „Rossini“ ist ein Ensemblefilm, wie ihn das deutsche Kino so stimmig selten hervorbringt – doch selbstverständlich stand Götz George damals im Trailer an erster Stelle. Er spielt darin, weniger dick auftragend als seine Kollegen, den Filmregisseur Uhu Zigeuner, der Bussis verteilt und schon mal im knappen Unterhemd schmächtigeren Geschlechtsgenossen wie Joachim Król seinen prächtigen Oberkörper zeigt.
Ein bisschen erinnert das beiläufige Protzen an Georges französischen Kollegen Jean-Paul Belmondo, der seine Actionszenen stets ohne die Hilfe von Stuntmen zu erledigen wusste. Und gegenüber dem eleganten, in Weiß gekleideten Filmproduzenten, den Heiner Lauterbach im Biotop des Münchner Nobelitalieners Rossini gibt, fungiert Götz George drastisch als der erdige Typ.

Deutsche Täter, historische, hat er zweimal nachhaltig verkörpert

Fünf Jahre früher hatte eben jener Helmut Dietl den Serienstar erst richtig für die Leinwand entdeckt. Damals, noch prägnanter, in einer Tandem-Rolle mit Uwe Ochsenknecht. George spielte, in „Schtonk!“, den Reporter Hermann Willié, der den Fälschungen der Hitler-Tagebücher lustvoll auf den Leim geht, die Verantwortlichen einer großen Hamburger Illustrierten dusslig quatscht und das ganze Medium zum Gespött macht. Mit Freuden schmiss George sich in diese laute, grobe, geldgierige und vor allem eitle Schmieren-Figur hinein. Und befreite sich brachialgewaltig vom „Schimmi“Nimbus, zu dessen Geisel er zeitweilig geworden war.

Einen entscheidenden Schritt weiter – und mit dieser Rolle hat er sein Spiel-Universum wohl am weitesten ausgeschritten – ging George in Romuald Karmakars „Der Totmacher“. In dem beklemmenden Drei-Personen-Kammerspiel sitzt er als Serienmörder Fritz Haarmann dem Ermittler und einem Protokollanten gegenüber, und er bettelt, nuschelt, brüllt, heult und jammert sich die Seele eines Menschenmonsters aus dem Leib. Nie war Götz George, physisch wie erloschen in Häftlingskluft, weiter weg von dem Jäger Schimanski. Dieser Haarmann ist ein Gejagter, ein Täter, dessen Ende man in seinen blassblauen Augen lesen und in seiner gruselig gepressten Stimme ahnen kann.

Was trieb ihn zu solcher Rollenwahl?

Deutsche Täter, historische, hat Götz George zweimal nachhaltig verkörpert: 1977 den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß in Theodor Kotullas „Aus einem deutschen Leben“, und 1999 stand er, in „Nichts als die Wahrheit“ von Roland Suso Richter als KZ-Arzt Mengele vor der Kamera. Beide Filme versuchten, die geschichtlichen Horror-Figuren als Angestellte der Tötungsindustrie zu zeigen und ansatzweise aus ihrer Monstrosität herauszulösen. In „Nichts als die Wahrheit“, während sich der fiktive Mengele vor einem deutschen Gericht verantwortet, rückt die Erschließung der totalitären Vollstreckerfigur bedenklich nahe in die Grenzbereiche verminderter Schuldfähigkeit. George selber spendierte, als den Filmförderern das Projekt zu brenzlig wurde, für den Dreh eine Million Mark aus seinem Privatvermögen.

Was trieb Götz George ausgerechnet zu solcher Rollenwahl? Auch ein trotziges Rebellentum mag hierbei mitgespielt haben – als Sohn von Heinrich George kämpfte er zeitlebens dagegen an, dass der Vater in der Bundesrepublik wegen seines Arrangements mit den Nazis als kompromittiert, ja künstlerisch ruiniert galt.

Liebesdienst am Vater

Fundamental litt der auch im persönlichen Umgang sperrige Großschauspieler unter der Hypothek, Sohn eines Größerschauspielers zu sein. Und gleichzeitig trug er, hierin selber eine tragische Figur, dem früh verlorenen Vater die eigene Verehrung hinterher. Spät im Leben hat George den Liebesdienst an seinem Vater auf die Spitze getrieben – indem er ihn 2013 selber spielte, in Joachim Langs Fernsehfilm „George“. Das Dokudrama geriet, in seiner flirrenden Mischung als Archiv- und Spielszenen, zu einem Heldengemälde, das jede Distanz vermissen ließ. Aus dieser Umklammerung konnte sich George, trotz allen Bewältigungsfurors, nie befreien.

Und doch hat die Ausstrahlungsgeschichte dieses Films eine Pointe, die das Projekt ins Allzumenschliche erdet. Götz George hatte sich eine Terminierung zum 9. Oktober, dem Geburtstag des Vaters, gewünscht, die ARD-Gewaltigen bestanden hingegen darauf, den Film Götz George selber zum 75. Geburtstag, also am 23. Juli zum Geschenk zu machen. Glücklich war er darüber nicht, schließlich drückten die Sommerferien auf die Quote. Und nur knapp zwei Millionen Zuschauer waren dabei, als George den eigenen Vater feierte, mit sich selbst in der Hauptrolle. Am 19. Juni ist der deutsche Großschauspieler, wie erst jetzt bekannt wurde, mit 77 Jahren nach kurzer Krankheit in Hamburg gestorben.

Andreas Conrad, Jan Schulz-Ojala

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