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Drei Herren von der CSU folgen der Kanzlerin zu einer weiteren Verhandlungsrunde.
© dpa/Michael Kappeler

Jamaika-Sondierungen: Leise summt die Konsensmaschine

Zuwanderung, Klima, Verkehr? Kein weißer Rauch, nirgends. Heute steht die Nacht der Entscheidung an. Dann muss das Jamaika-Bündnis stehen. Doch einiges bleibt unberechenbar. Etwa Alexander Dobrindt.

Der Fortschritt wirkt oft etwas unübersichtlich. Im Jamaika- Sondierungspapier der Arbeitsgruppe Innen und Recht liest er sich beispielsweise so: „Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird Union: weiterentwickelt / FDP: ersetzt]Kompromiss: grundlegend überarbeitet].“ Wer sein Leben auf internationalen Konferenzen zubringt, etwa als Bundeskanzlerin, ist mit solchen Wortspiel- und Klammerorgien vertraut. Allen anderen gibt der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer am Mittwoch eine Lesehilfe, als er zur nächsten Runde in die Parlamentarische Gesellschaft stiefelt: „Es wird immer klarer, Jamaika wird keine Lustreise.“ Doch selbst in diesem Satz steckt ein Fortschrittchen verborgen.

Drei Wochen sondieren sie jetzt. Das Fernsehpublikum hat sich mittlerweile daran gewöhnt, dass der Außenminister weiter Sigmar Gabriel heißt, woran sich auch nichts ändern wird, solange in unregelmäßigen Abständen drei Herren und eine Dame im Namen von CDU, CSU, FDP und Grünen verkünden, dass es vorangehe, nur leider bei den jeweils anderen noch nicht genug. Das letzte Wort im Quartett der Parteimanager hat immer Michael Kellner, was dem Grünen-Bundesgeschäftsführer ausgesprochen recht ist, weil er sich die Antwort auf die Sticheleien besser überlegen kann.

Wenn alles gut geht, werden die vier am Freitag im Morgengrauen wieder dastehen und sagen: Wir haben es geschafft. Vielleicht auch erst am Mittag. Oder noch später. Wenn es gut geht. „Wenn das so weitergeht“, stöhnt nämlich ein Unterhändler, „dann bleiben alle wesentlichen Streitpunkte bis zum Schluss offen.“ Gut, fast alle. Am Dienstagabend twittert CDU-Vize Julia Klöckner ein fröhlich erschöpftes Selfie mit dem CSU-Minister Christian Schmidt und dem Grünen Robert Habeck. In der Agrarpolitik müssen die Chefs vielleicht wirklich nur noch kurz ran.

Spinnefeind waren sie sich bislang

Aber sonst – Zuwanderung, Klima, Verkehr, Finanzen? Kein weißer Rauch in Sicht. Eigentlich ist das auch kein Wunder, wenn man bedenkt, wie spinnefeind sich die Partner in spe bisher waren. Außerdem gilt frühes Einlenken leicht als Schwäche – Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt bekamen einen Vorgeschmack auf die grummelnde Basis, als sie das Zieldatum 2030 für das Aus von Benziner und Diesel einseitig vom Tisch nahmen. Taktisch war das aber clever. Scheuer und der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wirken seither nicht mehr so überzeugend, wenn sie die Grünen als Oberblockierer hinstellen.

Nur weiß bisher immer noch keiner beim anderen einzuschätzen, wo Sturheit bloß als Verhandlungstaktik dient und wo sie ernst gemeint ist. Dobrindt gibt das Musterbeispiel für diese Art der Unberechenbarkeit ab. Selbst im eigenen Lager trauen manche dem CSU-Mann zu, dass er die Sache gerne platzen lassen würde. „Ob Dobrindt für Horst Seehofer den Beißer macht oder mit eigener Agenda agiert“, sagt ein CDU-Mann, „das weiß ich auch nicht."

Tatsächlich ist ein Bündnis zwischen, sagen wir, Toni Hofreiter und Alexander Dobrindt theoretisch unvorstellbar, obwohl sich der grüne und der christsoziale Bayer heimattypisch duzen. Dobrindt hat schon als Generalsekretär die Grünen als die eigentliche Gefahr für die CSU-Alleinherrschaft ausgemacht. Wenn er das „bürgerliche“ Potenzial in Bayern auflistete, fanden Grünen-Wähler in der Aufzählung hartnäckig keinen Platz.

Das hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun – in Dobrindts idyllischem Wahlkreis, vormals das Heimatrevier von Franz Josef Strauß, ist nicht plötzlich ein Linksruck durch die Vorälpler gegangen, der sie dann die Grünen in die Rathäuser schubsen ließ. Die Analyse ist taktisch geleitet. Aber sie ist ihm zur zweiten Natur geworden, so wie den anderen aus der Truppe um Seehofer. Ein Hardliner- Image mag ja übrigens auch für eine Zeit nach diesem CSU-Chef nützlich sein.

Weich und unverbindlich

Tja, Seehofers Zukunft. Sie lastet als Ungewissheit unausgesprochen auf diesen Verhandlungen (auch wenn sich der Bedrängte nichts anmerken lässt), so wie die Traumata der FDP aus den schwarz-gelben Jahren mit Angela Merkel, so wie die Angst der CSU vor der AfD, so wie Christian Lindners hochtönender Erlöser-Wahlkampf, der auf alerte Opposition aus war, nicht aufs Regierenmüssen. Wenn sie das geahnt hätten, wären sie beim Solidaritätzuschlag vielleicht vorsichtiger gewesen.

Am Dienstagabend ist das alles mal wieder kurz kulminiert, als Merkel nach stundenlangen vergeblichen Verhandlungen über die Verkehrspolitik einen Kompromissvorschlag formulierte. Es ging um die Klimaziele im Verkehrssektor für das Jahr 2030, und Merkels Vorschlag enthielt schon das Soziale und die Wettbewerbsfähigkeit als einschränkende Floskeln, außerdem fing er mit „wir wollen“ an, nicht mit dem kategorischeren „wir werden". Kurz: Viel weicher und unverbindlicher ging’s kaum. Die Grünen sagten Ja und Amen. Seehofer lehnte ab. Lindner auch. Dobrindt sowieso.

In solchen Momenten kommen die Zweifel hoch, wie das denn dann klappen soll in einer „Nacht der langen Messer“, in der sämtliche Probleme auf einmal hochkochen. Der FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat schon früh davor gewarnt, alles bis zuletzt offen zu lassen. Kubicki hat das mit dem Verdacht begründet, dass es Merkel nur darauf anlege, weil sie dann in ihrem Element sei mit ihrer langjährigen Erfahrung im Über-den-Tisch-Ziehen auf Europa- und anderen Gipfeln.

Nur – die Erzählung, dass Merkel immer kriege, was sie wolle, stimmt schon für EU-Gipfel nicht durchgängig. Die Kanzlerin ist nach zwölf Jahren bloß ziemlich gut darin, selbst aus Niederlagen ein Stückchen Sieg herauszukitzeln. Kein Wunder, wenn unter Parteifreunden die Sorge umgeht, dass die Chefin fast jede CDU-Position räumen würde, um Jamaika möglich zu machen.

Dieses Bündnis wird schwierig

Aber anders als mit Räumen von Positionen geht es nicht. Und wenn man hineinhorcht in die Momente zwischen dem Krach, vernimmt man schon das leise Summen der Konsensmaschine. Längst suchen die Finanzexperten nach der einen oder anderen Milliarde, die sich aus dem Bundeshaushalt herausrechnen lässt. Der FDP-Mann Volker Wissing hat sogar angeboten, den Hotelsteuerrabatt aus den Zeiten Guido Westerwelles zurückzunehmen, um wenigstens den Soli-Abbau auf Raten hinzukriegen.

Am Mittwoch schickt die FDP einen Termin herum: Freitag, 10 Uhr Präsidium, 12 Uhr Vorstand und Fraktion, 14 Uhr Pressekonferenz. Man kann den Plan kühn finden, aber es steckt eine Erkenntnis darin. Dieses Bündnis wird schwierig, anstrengend, frustrierend, gewiss. Oder, um noch einmal Andreas Scheuer zu zitieren: „Jamaika wird keine Lustreise, sondern ein hartes Experiment.“ Davon, das Experiment vorzeitig abzubrechen, spricht der CSU-General nicht mehr. Auch bei anderen ist, seit es ernst wird, das Reden von Neuwahlen aus der Mode gekommen. Gewiss, dieses Bündnis wird ernüchternd. Aber am Ende bleibt es wohl – alternativlos.

Mitarbeit: asi, ce

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