Rechtsruck und Erfolg der Populisten: Italien nach der Wahl: Land in den Sternen
„Sie sind als Einzige sauber“, sagt der Olivenbauer Ranieri. Er hat die „Fünf-Sterne-Bewegung“ aus Protest gewählt. Der Triumph von Rechten und Populisten entzweit Italiens Gesellschaft.
Salvatore Ranieri sagt: „Ich habe die Fünf Sterne gewählt.“ Für den 77-jährigen Landwirt aus Latium, der Region um Rom, sind sie „die einzige Hoffnung“. Die „Cinque Stelle“ verfügten über Personal mit Erfahrung auch außerhalb der Politik, sagt Ranieri, die meisten seien ernsthafte und gescheite Leute. Und vor allem: „Sie sind als Einzige sauber.“ Dennoch hat Ranieri, dessen Familie Obst und Oliven in den Sabiner Bergen anbaut, sie aus Protest gewählt.
Eigentlich ist er ein Linksliberaler, sein Herz gehörte einst der Republikanischen Partei, in seiner Gemeinde war er lange auch in der Lokalpolitik engagiert. Jetzt hofft er nur, dass die Neuen „genug Antikörper haben, um dem lieben Gott des Geldes weiter zu widerstehen“.
„Eine Katastrophe“, sagt dagegen Anna Daniele. Die 40-jährige Universitätsdozentin denkt am Tag nach der Wahl noch an keine mögliche Regierung. Sie schaut auf die Prozentzahlen und sieht: einen Ruck Italiens weit nach rechts. Ein Mitte-Rechts-Lager, in dem die rassistische Lega – die einstige Lega Nord – ihr Ergebnis von vor fünf Jahren vervierfacht hat und nun den Ton angibt, die frühere Führungskraft im Mitte-Links-Lager, der sozialdemokratische Partito Democratico, sinkt auf ein Allzeittief von nicht einmal 19 Prozent. Und dann ist da noch die andere große Siegerin, die „Fünf-Sterne-Bewegung“, die ihren Überraschungserfolg von 2013 noch einmal steigern konnte und nun auf 32 Prozent kommt.
"Für mich sind auch die Fünf Sterne eine rechte Partei"
Versprochen haben sie unter anderem eine soziale Grundsicherung und den Kampf gegen prekäre Beschäftigung, auch Öko-Engagement ist im Programm. „Für mich sind auch die Fünf Sterne im Kern eine rechte Partei“, sagt Unidozentin Daniele. Mit ihrem unpolitischen Auftritt, weder rechts noch links, reagierten sie zwar auf die allgemeine Misere, und ihre Wählerschaft komme stark von links. „Wer diesmal wählte, hat es vor allem getan, um den PD zu bestrafen.“ Aber wie die „Cinque Stelle“ über Migranten sprächen, ihr Politikstil – alles oder nichts, wir bestimmen die Regeln – das sei schlicht autoritär.
Daniele ist Neapolitanerin, sie lebt mitten im aktuellen „Sterne“-Kernland, aus dem auch der neue junge Chef von M5S stammt, Luigi Di Maio. In Neapel haben die Seinen die beiden Direktmandate mit 49 und 53 Prozent geholt, im Umland liegen sie bei 54 Prozent, in weitem Abstand zum Mitte-Rechts-Bündnis (25) und einem historisch mickrigen Mitte-Rechts-Ergebnis (15 Prozent).
Bis zu seiner Wahl ins Parlament im Frühjahr 2013 war Di Maio politisch nahezu unbekannt gewesen, sein Lebenslauf prädestinierte ihn nicht gerade für ein öffentliches Amt. Er hat keinen Beruf gelernt und kein Studium abgeschlossen. Vor seinem Einzug ins Parlament jobbte er unter anderem als Ordner im Fußballstadion von Neapel und als Kurierfahrer. „Bevor er ins Parlament gewählt wurde, ist Di Maio noch mit Papas Taschengeld Pizza essen gegangen“, spottete einer seiner politischen Gegner, Kampaniens Regionalpräsident Vincenzo De Luca, einmal.
Sie macht sich Sorgen um das politische Klima
Was Anna Daniele, die Dozentin, nun erwartet? Sie selbst fühle sich „privilegiert“, sagt sie, nach langem akademischem Prekariat hat sie inzwischen einen Fünf-Jahres-Vertrag an Neapels L’Orientale-Uni. Auch ihr Lebensgefährte – die beiden haben zwei Kinder – hat Arbeit, und sie genieße im öffentlichen Dienst noch deutlich mehr Sicherheit als die meisten ihrer Generation. Sie macht sich eher Sorgen um das Klima nach diesem 4. März in ihrem Land: „Dieses Resultat ist eine Legitimation für alles, was sich in den letzten Jahren drastisch verändert hat, dieser Rutsch Richtung Nationalismus, die Aggression gegen alles, was anders ist und gegen Schwächere.“
In der Kita ihres Sohnes gehe es den Eltern immer stärker um Disziplin statt um Entfaltung der Kinder, und selbst an der Uni werde die Meinungsfreiheit beschnitten. „Da heißt es dann, unterschreib lieber keine Petition, organisiere diesen Kongress besser nicht. Das sind verdeckte Drohungen. Wenn das schon uns in relativ sicherer Position passiert – was bedeutet das für alle anderen?“ Italien sei, meint sie, „auf dem Weg zurück“.
Der Bruch, den Anna Daniele in ihrem Leben registriert, lässt sich am Tag nach der Wahl auch auf der Landkarte ablesen, auf die Italiens Medien die Ergebnisse eintragen: Das Blau von Mitte-Rechts beherrschend im Norden, der Mezzogiorno im Sternegelb, dazwischen jeweils ein paar Flecken der jeweils anderen Farbe. Das Rot von Mitte-Links ist kaum noch erkennbar, es leuchtet noch ein bisschen in der Toskana, Emilia-Romagna und in Südtirol, im Süden gar nicht.
Ein normales Land zu sein: davon träumt Italien schon lange
Schon ist die Rede von einer neuen Zeitenwende, der Dritten Republik. Die Erste ertrank Anfang der 1990er Jahre im Korruptionssumpf, den Ermittlungen der Staatsanwälte von „Mani pulite“ gegen das Selbstbedienungssystem in Politik und Wirtschaft. In der zweiten stieg Silvio Berlusconi zum starken Mann auf. Das scheint vorbei, Berlusconis Partei „Forza Italia“ ist auf 14 Prozent zurückgefallen, mehr als drei Prozentpunkte hinter der rechten Lega, die jetzt die Führung im Mitte-Rechts-Block beanspruchen kann. Der 81-jährige Patron durfte selbst nicht antreten, seine Verurteilung wegen Steuerkriminalität sperrt ihn noch bis zum nächsten Jahr.
Ein „paese normale“, ein Land wie alle anderen zu werden, davon träumt Italien seit Jahren. Ein Stück weit ist das geschafft, wenn auch anders als erhofft: Auch Italiens Linke blickt seit diesem Sonntag in den Abgrund, mit ihren kleinen und Kleinstpartnerinnen bringt es Mitte-Links um den abgestürzten Partito Democratico auf nicht einmal 23 Prozent. Ob sie die Botschaft gehört hat, ist fraglich. Der Parteichef der Demokraten, Matteo Renzi, musste 2016 zwar den Platz als Premier räumen, nachdem sein Verfassungsreferendum gescheitert war. Doch am Parteivorsitz schien er auch jetzt noch festhalten zu wollen. Die Meldung, der selbsternannte einstige Hoffnungsträger und „Verschrotter“ der alten Politik werde nach der historischen Wahlschlappe zurücktreten, ließ er erst einmal dementieren. Am Abend kündigt er dann doch seinen Rückzug vom Parteivorsitz an.
In anderer Weise wird Italien nach diesem Ergebnis womöglich zum Vorreiter in Europa. Die Konsequenz dieses 4. März könnte Westeuropas erste von weit rechts geführte Regierung sein. Lega-Parteichef Matteo Salvini pflegt Kontakte zu Griechenlands rechtsextremistischer Goldener Morgenröte und zu deutschen Identitären, er hetzt gegen Roma. Als Anfang Februar ein ehemaliger Parteifreund in Macerata auf afrikanische Migranten schoss und sechs von ihnen verletzte, sprach Salvini von der „unkontrollierten Einwanderung“, die zu „Wut“ und „Zusammenstößen in der Gesellschaft“ führe. Schon gegen Italiens erste schwarze Ministerin Cécile Kyenge hatte die Lega 2013 in Salvinis ersten Amtsjahr als Parteichef eine Kampagne geführt.
Ganz fremd sind sich "Sterne" und Lega nicht
Für die kommende Regierung ist Salvini nun eine Schlüsselfigur. Während der 31-jährige „Fünf Sterne“-Chef Di Maio den Auftrag zur Regierungsbildung für sich reklamiert, weil er die weitaus stärkste Partei führt, tut es Salvini als Stimmenstärkster im siegreichen Mitte-Rechts-Bündnis. Beide allerdings wären gezwungen, sich Koalitionspartner zu suchen. Und schon geht die Sorge um, sie könnten dabei einander finden.
Ganz fremd sind sich „Sterne“ und Lega nicht: Die Abneigung gegen ein Brüsseler Europa haben sie gemeinsam, und die Haltung der „Sterne“ in der Migrationspolitik ist zumindest nicht geklärt. Andererseits wäre die Verbindung ein gefährlicher Schritt für sie. Die Saubermänner-Partei, die unter ihrem charismatischen Gründer Beppe Grillo noch vor fünf Jahren jede Koalition ablehnte, ginge ihre erste dann ausgerechnet mit Berlusconi ein, einem verurteilten Steuerkriminellen.
Grundsätzlich stehen den Grillini aber als einziger Partei praktisch alle Optionen für mögliche Partner offen: Sowohl eine Koalition des M5S mit der Lega als auch eine mit dem PD oder mit Berlusconis Forza Italia könnte im Parlament auf eine Sitzmehrheit zählen. Es sind aber auch Regierungsvarianten ohne die „Sterne“ denkbar: Dafür müsste sich ein Großteil der anderen Parteien auf eine Art Regierung der nationalen Einheit einigen, die von einer außenstehenden Persönlichkeit angeführt würde – ähnlich wie es 2011 mit der Regierung von Mario Monti erfolgte.
Von Brüssel und Berlin am meisten gefürchtet wird eine Regierung M5S-Lega, also eine Koalition der Populisten und Europa-Skeptiker. Lega-Chef Salvini bekräftigt am Montag einmal mehr, dass die Einheitswährung Euro ein „Fehler“ und negativ für Italien sei. Zugleich schließe er eine Koalition mit den „Sternen“ aus. Das muss jedoch nicht viel bedeuten. Einander ähnliche Positionen vertreten die beiden Protestparteien auch bei den Renten und bei der Immigration, wobei sich die „Sterne“-Bewegung dort vergleichsweise gemäßigt ausdrückt. Einig sind sich Grillo und Salvini auch in ihrer Begeisterung für US-Präsident Donald Trump.
Bleibt vielleicht doch alles beim Alten?
Dennoch scheint eine Koalition der beiden Protestparteien im Moment nicht besonders wahrscheinlich – denn in vielen anderen Sachfragen existieren fast unüberbrückbare Unterschiede, im Sozial- und Umweltbereich zum Beispiel, wo M5S pointiert linke Positionen vertritt. Durchaus denkbar erscheint deshalb eine Koalition der „Sterne“ mit dem PD, ganz besonders dann, wenn der von Grillo besonders innig gehasste Renzi tatsächlich den PD-Parteivorsitz abgeben sollte. Einer solchen Koalition könnten dann auch noch die PD-Abtrünnigen um den früheren Parteichef Luigi Bersani beitreten – sie gründeten vor einem Jahr die Linkspartei DP – womit die Regierung über eine halbwegs stabile Mehrheit verfügen würde.
Oder Italien bleibt bei der Kombination, die es auch die letzten Jahre regiert hat: Der großen Koalition aus Mitte-Links und Teilen von Mitte-Rechts, allerdings mit umgekehrten Kräfteverhältnissen: Links würde dann die Juniorpartner stellen, ein Rechter im Palazzo Chigi residieren, dem Sitz des Premiers. Salvini?
Es wäre ein sehr italienischer Ausgang dieser Wahl, wieder einmal würde Italiens Politik den berühmten Satz aus Tommasi di Lampedusas Roman „Leopard“ rezitieren – dass sich nämlich alles ändern müsse, damit alles bleibt, wie es ist. Eine Kombination jedenfalls, die Salvatore Ranieri, der Olivenbauer aus Latium, für die wahrscheinlichste hält. „Man muss sich nur die Zahlen ansehen, es würde funktionieren“, sagt er.
Und zitiert seine Mutter, inzwischen biblische 106 Jahre alt. „Der Hund lässt sich den Knochen nicht einfach so nehmen." Und die, über die er hier rede, die bisher regierten, hätten schließlich noch mehr zu verlieren, „die fressen Steaks.“