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Veteranen jubeln in Donezk bei den Feierlichkeiten zum 9. Mai
© Marko Djurica/Reuters

Putin auf der Krim: Im Gleichschritt in die Vergangenheit

In Kiew, Moskau und Tiraspol feiern die Veteranen den Tag des Sieges über den Faschismus. Doch fast 70 Jahre nach dem Krieg droht nun ein neuer.

Das Militärorchester hat gerade die letzten Takte der ukrainischen Hymne beendet und hebt zum Siegesmarsch an, da stürmen zwei bullige Männer auf den Dirigenten zu. Sie rempeln ihn an, werfen seine Kappe zu Boden. Was das solle, die Hymne der Ukraine, also der Faschisten, an diesem Tag zu spielen? „Wir wollen die russische Hymne hören“, brüllt der Mann im Tarnanzug. Ein paar Musiker hören auf zu spielen, flüchten, die Melodie bricht ab. Keiner der Polizisten schreitet ein.

Wie jedes Jahr feiert Donezk den 9. Mai, den Tag des Sieges der Sowjetarmee gegen Nazideutschland. In Moskau, in der Ukraine und auch in Transnistrien wird an diesem Tag marschiert. In Donezk, wo die Siegesfeierlichkeiten traditionell vor dem Denkmal der „Befreier des Donbass“ stattfinden, will keine rechte Feierlaune aufkommen. Die Menschen denken derzeit eben eher an Krieg als an Frieden. Auch am Freitag sind bei Kämpfen zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Soldaten mehrere Menschen getötet worden.

Die meisten Geschäfte im Zentrum haben geschlossen

Die Stimmung in Donzek ist entsprechend angespannt. Die meisten Geschäfte und Restaurants im Zentrum haben geschlossen, die Busse haben ihren Dienst eingestellt, viele Einwohner bleiben aus Angst vor Zwischenfällen lieber zu Hause. Die Leute wollen keinen Ärger haben. Es gibt offizielle Warnungen, an diesem Tag mit ukrainischen Fahnen oder Schleifen in den Landesfarben auf die Straße zu gehen.

Eben noch hat der Donezker Bürgermeister Aleksander Lukjantschenko, der trotz des Drucks der Separatisten seinen Posten nicht räumt, an die etwa 1000 Umstehenden appelliert. „Lassen wir kein neues Blutvergießen zu“, ruft er ins Mikrofon. „Ich glaube an die Klugheit und Kraft des ukrainischen Volkes.“ Eine Schweigeminute für die im Krieg getöteten Soldaten folgt. Die Gäste erheben sich, auch die Veteranen, die auf Stühlen aufgereiht vor der Tribüne sitzen. Es sind alte Männer, deren Anzugjacken ausgeleiert sind von den vielen Orden. Alte Damen in Kostümen, mit frisch gefärbtem Haar und rotem Lippenstift. Sie alle halten Nelken, Tulpen, Rosen in der Hand, die ihnen die Jungen mit dem Glückwunsch „S Dnjom Pobedy“ in die Hand drücken. Es werden jedes Jahr weniger.

In Moskau marschieren die Truppen auf dem Roten Platz

In Moskau marschieren in diesen Minuten tausende Soldaten über den Roten Platz. Es ist eine Militärparade im Stil der Sowjetunion, eine Show aller Waffengattungen, und ein historischer Bogen von Truppen aus dem zaristischen Sankt Petersburg des 18. Jahrhunderts bis hin zu Spezialkräften des 21. Jahrhunderts. Die Führung als Streit- und Weltmacht.

Auch in Donezk wird die Parade im Fernsehen übertragen. Einer der Zuschauer ist Dmitrij Gramnitskij. Er ist Unternehmer, ihm gehören zwei Autohäuser. Zum Feiertag hat sich der 33-Jährige herausgeputzt, dunkler Anzug, weißes Oberhemd und am Revers das Sankt-Georg-Band, die orange-schwarze Schleife. Das Tapferkeitsabzeichen der Zarenarmee ist ein Symbol der Veteranen des Zweiten Weltkriegs. Präsident Putin hat das Band in den vergangenen Jahren immer beliebter werden lassen, keine TV-Sendung kommt am 9. Mai ohne die orange-schwarzen Farben aus. Dmitrij Gramnitskij hat den russischen Sender Rossija24 eingeschaltet. In der einen Bildschirmecke leuchtet das schwarz-blau-rote Banner der sogenannten „Volksrepublik Donezk“. Gramnitskij gefällt das: „Ich wäre froh, wenn wir zu Russland gehören würden, dann wären wir Teil einer Weltmacht. Das war in der Sowjetunion so und das war gut“, sagt er. Als Putin während seiner Ansprache sagt: „Der 9. Mai war, ist und bleibt unser wichtigster Feiertag“, nickt Dmitrij zustimmend, er blickt fast ehrfürchtig.

Der Westen in kein Vorbild, Putin ein Idol.

Für die prorussischen Anhänger in Donezk, zu denen sich Gramnitskij zählt, steht fest, dass der Westen kein Vorbild für die Ostukraine sein kann. Putin ist ein Idol für den jungen Unternehmer, auch die meisten seiner Familienmitglieder denken so. „Die EU setzt die falschen Prioritäten, dort haben immer mehr Minderheiten das Sagen, das macht die Grundlagen der Gesellschaft kaputt“, sagt Gramnitskij. Er würde es am liebsten sehen, wenn die Mehrheit der ostukrainischen Regionen sich Russland anschließen würde, „je schneller, je besser“. Das Referendum am Sonntag unterstützt er voll und ganz. Einwände, dass Russland nicht in der Lage sei, den Donbass wirtschaftlich und infrastrukturell auf Vordermann zu bringen, lässt Dmitrij nicht gelten. Auch Kritik an Putin ist für ihn tabu. „Er hat Russland Stabilität gebracht, die Welt hat Respekt vor ihm.“

In Kiew sind die Feierlichkeiten aufgrund der Sicherheitslage auf ein Minimum reduziert worden. In der Hauptstadt der Ukraine sind alle anderen Kundgebungen abgesagt, Bürgermeister Wladimir Bondarenko begründet dies mit Provokationen, die von prorussischen Anhängern ausgehen könnten. Am Vormittag nimmt die politische Führung mit Ministerpräsident Arseni Jazenjuk und Interimspräsident Alexander Turtschinow an einer Kranzniederlegung teil.

150 000 Menschen sehen der Parade zu

Auf der Krim werden keine ukrainischen Flaggen gehisst. In Sewastopol hatten am Vormittag 150 000 Zuschauer die Militärparade in der Innenstadt verfolgt. Damit wird der 70. Jahrestag der Befreiung der Stadt von den Truppen der deutschen Wehrmacht im Jahr 1944 gedacht. In der Hafenstadt ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert. „Nach Moskau ist das heute die größte Militärparade in Russland“, schreibt die Zeitung „Sewastopolskaya Gazeta“ auf ihrer Internetseite.

1965 hatte der damalige KPdSU-Generalsekretär der Leonid Breschnew den Feiertag zum Gedenken an den „Großen Vaterländischen Krieg“, dem Tag des Endes des Zweiten Weltkriegs eingeführt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verloren die Truppenparaden und Aufmärsche zunächst an Bedeutung, bis Putin ihnen 2005 zum 60. Jahrestag nach Kriegsende neues Leben einhauchte.

Am Nachmittag trifft Putin auf der Krim ein

Am Nachmittag besucht Putin wie angekündigt die Halbinsel, um hier eine weitere Militärparade zu verfolgen. Auch die Feier auf der Krim ist eine einzige Waffenschau. In einer Rede vor Soldaten spricht Putin davon, dass das Jahr 2014 für die Stadt und die Menschen in die Geschichte eingehen werde. „Vor ein paar Wochen haben die Bürger ihren starken Wunsch zum Ausdruck gebracht, ihren Weg zusammen mit Russland zu gehen“, sagt Putin in einer Rede, die das russische Fernsehn live überträgt. Danach besteigt er ein weißes Boot, das ein Dutzend Kriegsschiffe abfährt.

Während die Welt auf Putin und die Krim schaut, bekommen auch andere Teile der ehemaligen Sowjetunion prominenten Besuch aus Moskau. In Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens, wird der russische Vizepremier erwartet. Tiraspol liegt in der Republik Moldau, im abtrünnigen Landesteil Transnistrien. Die Gegend ist stark russisch geprägt, Moskau unterstützt die Region. Völkerrechtlich aber erkennt kein Land die Separatisten-Republik an. Die Mehrheit der halben Million Einwohner wäre gerne ein Teil Russlands. Sie sehnt sich zunächst nach der Unabhängigkeit, anschließend nach einem Anschluss an Russland, wie ihn die Halbinsel Krim erlebte.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind so streng wie seit Jahren nicht mehr

Alexej Below will in Tiraspol früh am Morgen, noch vor der Parade, Blumen niederlegen. Doch ein Milizionär versperrt den Weg zur Gedenkstätte mit dem alten T-34-Panzer und der Ewigen Flamme. Das sei in den Jahren zuvor nicht so streng gewesen, sagt der 21-Jährige. Die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen führt Below zurück auf den Besuch von Dmitrij Rogosin. Der Vizepremier und Transnistrien-Beauftragte der russischen Regierung ist heute Ehrengast. Auf der kleinen Tribüne sieht er Soldaten vorbeiziehen, mal in Paradeuniform, mal in Flecktarn, fast 2000 Mann, erzählen die Zuschauer auf der Straße. Die Militärkapelle spielt Marschmusik.

„Es ist gut, dass Rogosin hier ist“, sagt Andrej Below, der das Spektakel mit einer Freundin gegenüber der Tribüne verfolgt. Das zeige, dass Transnistrien zu Russland gehört, erklärt er, gerade jetzt, während der Krise in der Ukraine. Um ihn herum stehen tausende Zuschauer. Mitglieder einer Jugendorganisation laufen vorbei, sie tragen die Fahnen Russlands und Transnistriens und Flaggen mit dem Konterfei des russischen Präsidenten. „Für Putin“ steht darauf.

In Donezk wiegen sich die Veteranen mit ihren Frauen da längst im Takt alter Volkslieder. Lilia ist schnell von der Feier verschwunden. Sie ist Saxofonistin in jenem Militärorchester, das von den prorussischen Aktivisten angegriffen wurde. Die Musiker flüchteten sich in einen Autobus, zogen eilends ihre Uniform aus. „Schrecklich“ sei diese Attacke gewesen, sagt die 32-Jährige mit dem langen braunen Haar. „Niemand hat uns verteidigt.“ Lilia bezeichnet sich selbst als ukrainische Patriotin. Sie diene doch in der Armee, habe einen Eid geleistet. Die prorussische Panikmache beunruhigt sie. Doch all das kann sie in diesen Zeiten nicht laut sagen. Zu groß ist ihre Angst, als „Faschistin“ beschimpft zu werden.

Der Text erschien auf der Dritten Seite.

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